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Die Schlammschlacht bei den US-Wahlen lässt tief blicken

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In Deutschland sind Schlammschlachten bei Wahlkämpfen noch die Ausnahme. Der letzte große Skandal liegt ganze vier Jahre zurück. 2002 präsentierte die CDU ein Wahlplakat mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhardt Schröder als Kriminellen (Aufruf zur Gewalt). Die Medien wiesen die CDU sofort in die Schranken, am nächsten Tag war das Plakat aus dem Verkehr gezogen. Anders in den USA, wo seit Jahrzehnten wohl nicht mehr über die eigene Politik im Wahlkampf gesprochen wird, vielmehr versucht man den Gegner schlecht zu machen. Dank YouTube und Google Video kann sich auch hierzulande jeder, der nicht verstehen kann, warum die Amerikaner solche Politiker wählen, endlich ein Bild davon machen.

Das „Fahndungsplakat“ der CDU, auf dem nur der Gegner zu sehen ist. Man soll also CDU wählen, weil die SPD schlecht ist, nicht etwa weil die CDU gut ist - eine solche Logik gelingt wohl nur in der Politik: Man stelle sich vor, McDonald's würde "Ich liebe es" aufgeben und "Ich hasse Burger King" einführen. Bild: CDU

Es wäre wohl zu viel verlangt, wollte man wichtige politische Inhalte auf Wahlplakaten oder auch in Werbespots im Fernsehen erfahren. Natürlich hat das jeweilige Medium seine Schwächen und Stärken, wobei letztere im Fernsehen und auf Plakaten eher im Visuellen liegen. Es versteht sich außerdem von selbst, dass politische Werbung per definitionem manipulativ sein muss - daran kann man sogar ihren Erfolg zum Teil messen. Wichtig ist es also als Wähler, die Botschaften richtig lesen zu können, damit man weiß, wie manipuliert wird.

Harold Ford

Nun können sich auch die Deutschen dank des Internet ein Bild von der alltäglichen Schlammschlacht in der US-Politik machen. Fangen wir beim größten Skandal an: In Tennessee hat die republikanische Partei ihren demokratischen Kontrahenten, Harold Ford (einen Schwarzen übrigens), in einem Fernsehspot verunglimpft. Für deutsche Zuschauer dürfte die schnelle Litanei der Vorwürfe nicht verständlich sein, nicht nur sprachlich, sondern auch weil wichtige Hintergründe fehlen. Hier eine Auflistung der als übertrieben links-liberalen Meinungen pro Ford in der Reihenfolge, wie sie im Fernsehspot zu sehen sind (Erklärungen zum besseren Verständnis in Klammern):

  1. Harold Ford sehe gut aus, und das reiche schon (weil diese Meinung von einer Schwarzen vertreten wird, behaupten Kritiker, der Spot "grenzt an Rassismus" ["borderline racism"])
  2. Auch Terroristen brauchen ihre Privatsphäre (man wirft der Linken vor, die Bürgerrechte zu weit zu treiben)
  3. Man darf bei den Demokraten noch am Sterbebett Steuern zahlen (hier wird auf die Erbschaftssteuer angespielt, die die Republikaner in den letzten Jahren nur noch die „Todessteuer“ nennen)
  4. Eine "Blondine", die nur eine Halskette trägt, behauptet, sie habe Herrn Ford auf einer Playboy-Party kennen gelernt (siehe unten)
  5. Eine Frau meint, sie würde liebend gerne höhere "Ehesteuern" zahlen (es geht um das Ehegattensplitting, wobei hier wieder deutlich wird, wie die Republikaner gerne die Begriffe bewusst umdrehen, damit alles wie eine Steuer auf etwas gesehen wird)
  6. Kanada soll sich um den Fall Nordkorea kümmern, denn die Kanadier hätten dafür Zeit (gemeint ist wohl, dass nur die USA die Stärke besitzt, um die Welt für die Demokratie zu retten - Kanada tut's jedenfalls nicht ["they're not busy"])
  7. Ford soll Gelder von Pornoproduzenten angenommen haben - aber wer hat das nicht? (siehe unten)

Ford versuchte den Vorwurf, er sei auf einer Playboy-Party gewesen, zurückzuweisen, indem er behauptete, nie auf einer Party im berühmten Anwesen von Hugh Hefner zugegen gewesen zu sein. Am Ende musste er jedoch zugeben, einer Fußballparty beigewohnt zu haben, die von Playboy geschmissen wurde. Dazu erklärte er: "Ich mag Fußball, und ich mag Mädchen". Damit dürfte er bei den meisten Amerikanern auf Sympathie gestoßen sein.

Die Blondine aus dem Wahlkampfspot der Republikaner

Die Kritik am Werbespot war überwältigend, aber er lief offenbar trotzdem eine gute Woche und wurde nicht etwa wie das CDU-Fahndungsplakat frühzeitig aus dem Verkehr gezogen, sondern die republikanische Partei meinte, der Spot würde nach Ablauf seiner geplanten Laufzeit schlicht nicht mehr verwendet. Mittlerweile hat ein Blogger den Spot fein säuberlich seziert. Er weist darauf hin, dass die Republikaner insgesamt mehr Geld von Pornoproduzenten einnehmen als die Demokraten, aber er verrät nicht, ob republikanische Wähler mehr Geld dafür ausgeben als eher demokratisch gesinnte Amerikaner.

Nun läuft stattdessen dieser neue Fernsehspot, in dem der republikanische Kandidat wieder gar nicht zu sehen ist, sondern nur dieser Ford, der ja bekanntlich mit der Pornoindustrie verbändelt ist, Homo-Ehen befürwortet, Abtreibungen staatlich subventionieren will und die "Pille danach" an Schulmädchen verteilen möchte - so sieht also ein Werbespot aus, wenn die Republikaner einen Gang tiefer schalten. Beim beharrlichen Thema Pornos gehört eine gehörige Portion Heuchelei dazu, denn die Amerikaner haben schon 2002 dreimal mehr für Pornos als für Hollywood-Filme ausgegeben. Ironischerweise schließt der neue Fernsehspot der Republikaner gegen Ford mit dem Vorwurf, er habe „Hollywood-Werte“ (Hollywood gilt auch als linksliberal, schließlich machen manche Schauspieler wie George Clooney gegen Bush mobil; spätestens seit McCarthy haben die Republikaner Hollywood im Visier).

Schlagen nur die Republikaner unter die Gürtellinie?

Mag sein, dass der erste Fernsehspot gegen Ford richtig übel war, eine wirkliche Ausnahme ist er dennoch nicht, wie der zweite zeigt. Eines haben beide gemein nicht nur mit dem Fahndungsplakat der CDU, sondern auch mit mehr oder weniger allen anderen Fernsehspots für die kommenden "mid-term elections": Immer geht es vorrangig um den Gegner, nicht um die eigene Politik. Von dort ist es nur ein kleiner Schritt zur Schlammschlacht.

Aus einem Werbespot von Ford gegen seinen Konkurrenten

Das zeigt am besten die Fernsehspots von Harold Ford selbst. Hier wirft er seinem republikanischen Gegner Bob Corker nicht etwa vor, eine schlechte Immigrationspolitik zu befürworten, sondern als Arbeitgeber selbst schon mal illegale Einwanderer angeheuert zu haben. Aber immerhin: Die Politik, die er vertritt, wird am Ende kurz erwähnt, denn Ford verspricht nicht nur gegen die Einwanderer selbst vorzugehen, sondern auch gegen solche Arbeitgeber. Doch in anderen Spots werden nur die schlimmen Vergehen von Bob Cocker angeprangert; so seien 31.000 Notanrufe unbeantwortet geblieben, als er Bürgermeister war. Inwiefern dies sein Verschulden war, bleibt das Geheimnis der Demokraten - der interessierte Wähler wird jedenfalls nicht aufgeklärt.

In einem neuen Spot reagiert Ford auf die - wie er meint - irreführende Behauptungen seines Gegners; unter anderem gibt Ford stolz von der Sitzbank in einer Kirche aus zum Protokoll, dass er für den Patriot Act gestimmt hat. Worin er sich dadurch von seinem Gegner unterscheidet, verrät er nicht. Ein Wähler, der den Patriot Act als einen unzumutbaren Eingriff in seine Privatsphäre sieht, hat jedenfalls in Tennessee das Nachsehen.

Damit haben die Republikaner die Wahlen schon halb gewonnen, denn sie bestimmen den Diskurs und drängen ihre Kontrahenten in die Defensive. Geht man von diesem einen Fall aus, so scheinen die Demokraten fairer zu spielen. Stimmt das im Allgemeinen?

In dem Wahlvideo des Republikaners Paul Nelson werden gegen den demokratischen Konkurrenten 9/11, Iran, Irak-Krieg und Einwanderung aus Mexiko aufgefahren

Die linkspolitische Blogosphäre ist jedenfalls davon überzeugt - wen wundert's. Aber die US-Medien sind anderer Meinung: Sie wittern nämlich eine Tendenz zur Linken hin unter den etablierten Zeitungen und Fernsehsendern (fragt sich nur, ob die Medien "zu links" sein können, wenn sie sich selbst den Vorwurf machen). Zwar gab die Washington Post zu, dass der Spot des Republikaners Paul Nelson in Wisconsin, der 9/11 und vieles mehr ausspielt, völlig inakzeptabel sei, aber trotzdem typisch - und zwar für beide Parteien.

Nichtsdestotrotz sind die schlimmsten Fälle, die die Washington Post auflistet, von Republikanern - mit einer Ausnahme: Der Republikaner John Sweeney war wohl auf einer Fete in einer Burschenschaft, weshalb man offenbar demokratisch wählen soll.

Sonst sind alle Ausrutscher von den Republikanern, beispielsweise der Spot gegen den Demokraten Michael Arcuri, der sich anscheinend einmal verwählt hat und bei einem Telefonsexanbieter landete. Ein anderer Spot gegen Arcuri - man kann wirklich nicht sagen „für den Republikaner“, denn der Republikaner wird nicht einmal erwähnt - erinnert an den Vorwurf von George Bush Senior gegen den Demokraten Dukakis im Wahlkampf um die Präsidentschaft 1992: Dukakis sei "soft on crime" und habe schon einmal einen schlimmen Gewalttäter wieder auf freien Fuß gesetzt.

Noch absurder ist das Flugblatt gegen einen Demokraten, dessen Anwalt auch schon einen Kinderschänder vertreten hat, weshalb man republikanisch wählen soll. Die Washington Post bemüht sich aber um Neutralität und meint trotz der offensichtlichen Schieflage zu Ungunsten der Republikaner, dass die Demokraten auch hart zuschlagen würden, indem sie alle republikanische Politiker in die Nähe von George W. Bush rücken.

Wahlvideo gegen den Demokraten Michael Arcuri

Ob das unter der Gürtellinie ist? Jedenfalls meinte der News-Chef von ABC (einer der vier großen Fernsehsender) zum Vorwurf der linken Tendenz unter Journalisten, die Medien müssten den Konservativen endlich beweisen, dass sie alles besser machen wollen (man stelle sich vor, Ulrich Wickert, der sich als Abonnent von Greenpeace Magazin hat abbilden lassen, hätte Gleiches gesagt). Ein ABC-Bericht konnte zwar keine Ausrutscher unter den Demokraten ausmachen, aber konstatierte, es sei nur "eine Frage der Zeit", bis die Demokraten auf das Niveau der Republikaner herabsinken.

Darauf hin meinte am Freitag der anonyme Blogger billmon - vermutlich ein etablierter US-Journalist, der unter anderem von den Gipfeltreffen von Davos aus berichtet und viel Wert auf seine Anonymität legt, weil er wohl Angst um seinen Arbeitsplatz hat , ABC habe die Demokraten "präventiv gescholten". Billmon weist außerdem darauf hin, dass die Republikaner 90 Prozent ihres Budgets (mehr als $50 Millionen) für den Wahlkampf dazu verwendet haben, im persönlichen Leben der Demokraten herumzuschnüffeln. So bleibt das politische Programm den Wählern weitestgehend unbekannt, falls es eines gibt.

Politikverdrossenheit wird gefördert

Die Schlammschlacht in der Politik hat zwar Tradition, und vor allem die Republikaner scheinen keine Grenzen zu kennen. Angesichts eines möglichen politischen Erdrutsches bei den kommenden Wahlen sind die Republikaner diesmal nur noch verzweifelter.

Aber diese Geschichte ist auch ein abschreckendes Beispiel für alle, die an demokratischen Wahlen interessiert sind. Die Wahlkämpfe in den USA zeigen vor allem, dass es politischen Parteien schwer gemacht werden sollte, nur über die Gegner zu reden. Sobald man sich auf die eigene Politik konzentrieren muss, fällt einem die Schlammschlacht schwer, und man läuft dann immer Gefahr, sich selbst bloßzustellen.

Das ständige Hauen auf den Gegner fördert die Politikverdrossenheit. Es kann der Demokratie nicht förderlich sein, wenn man immer nur gegen Kandidaten wählt und nie für welche. Wie weit der Fokus auf den Gegner in den USA schon liegt, zeigt YouTube: Gibt man dort den Namen eines Kandidaten ein, so bekommt man nicht etwa vorwiegend seine Spots, sondern die Spots gegen ihn zu sehen. Trotzdem wollen wir nicht verschweigen, dass es den einen oder anderen durchaus charmanten Werbespot geben kann, in dem nur der Gegner und das ganze politische System schlecht geredet wird.