Bekenntnisse

USA: Kriegsbefürworter denken um

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Von historischen Meilensteinen und Wendepunkten ("Tipping Points") war im Irak öfter die Rede (vgl. Alles neu im Irak, alles besser?). Der Fortschritt im Land, den die Regierung Bush hartnäckig unter Verleugnung von realen Bedingungen herbei reden wollte, sollte sich etwa nach der Gefangennahme von Saddam Hussein, nach der entscheidenden Schlacht in Falludscha, nach den ersten freien Wahlen im Irak, nach der Verabschiedung der Verfassung oder zuletzt nach dem Tod des brutalen Al-Qaida-Statthalters Zarqawi einstellen. Bei manchen keimt noch die Hoffnung, dass das Todesurteil von Saddam Hussein "irgendwie die Gewalt im Land eindämmen könnte." Doch wie die Washington Post am vergangenen Wochenende beobachtete, sieht sich die Regierung Bush jetzt einem ganz anderen historischen Tipping Point gegenüber: Seit Oktober mehren sich die Stimmen aus dem Lager ehemals überzeugter Kriegsbefürworter, die sich zum Umdenken entschlossen haben.

"Der Oktober des Jahres 2006", so die Zeitung, "könnte als der Monat in Erinnerung behalten werden, in dem die amerikanische Erfahrung im Irak einen Wendepunkt markiert, in dem die Gewalt aufloderte und sowohl den militärischen Kommandostab im Irak wie das politische Establishment zuhause in Washington erschütterte." Das Signal für ein lautes Umdenken in Washingtoner Politikerkreisen soll der Besuch des republikanischen Senators John W. Warner Anfang des Monats im Irak gegeben haben. Im Februar dieses Jahres hatte Warner noch sein "Höchstmaß an Vertrauen" dafür ausgesprochen, dass sich die Lage im Irak bessern würde.

Doch seit der Vorsitzende des Senatsausschusses "Committee on Armed Services" und "unerschütterliche Unterstützer von Bush" mit einem dezidiert pessimistischen Fazit von seinem kürzlichen Besuch zurückkam, soll er das "Rennen Richtung Exit Strategie" eröffnet haben. Bis dahin hätten sich Republikaner, die ähnliche Zweifel nährten, zurückgehalten, weil sie den Demokraten keine Wahlkampfmunition liefern wollten, durch die Äußerungen Warners aber seien sie von ihren Bedenken befreit worden.

Die Zeitung zählt eine Reihe von republikanischen Politikern auf, die ihre Zweifel am Glücken des Experiments "Operation Iraqi Freedom" nun öffentlich äußern, darunter auch den Neo-Con Falken Richard Perle, der mit den Worten "Ich weiß nicht, wie ein neuer Kurs aussehen sollte. Die Möglichkeiten sind jetzt extrem beschränkt. Nötig wäre eine neue irakische Regierung" zitiert wird.

Signale für eine veränderte Haltung zum Irakkrieg lassen sich jedoch nicht nur im politischen Milieu und in Umfragen ablesen, die der Regierung Bush immer weniger Chancen für einen Erfolg im Irak einräumen, sondern auch bei wichtigen Meinungsführern aus einem anderen Bereich. So postete der Blogger-Kapitän Jeff Jarvis in seinem vielbeachteten Blog "BuzzMachine" am 22. Oktober ein Bekenntnis, in dem er sein Umdenken in Sachen Irak erklärte:

Ich hatte die Absicht zum Krieg von ihrer Ausführung getrennt. 2003 glaubte ich, dass die Absicht richtig war. Ich folgte dem Pfad, den Tom Friedman (Buchautor und Kolumnist der New York Times, Anm. d. V) seither aufgegeben, wenn nicht sogar widerrufen hat: Dass dieser Krieg nicht wegen der Massenvernichtungswaffen geführt wurde und nicht geführt werden sollte, stattdessen, um Freiheit, Demokratie und Möglichkeiten in einen Teil der Welt zu bringen, dessen hauptsächlicher Export Wut wird. Nicht unähnlich zu Peter Beinart (Redakteur des konservativen Magazins "The New Republic", Anm. d.V.) sah ich eine liberale Rechtfertigung des Krieges: Antitotalitarismus, die Befreiung des Volkes von Tyrannei, die Unterstützung von Freiheit und Wahlmöglichkeiten. Und ebenso, dass wir zur Rettung von Menschen gekommen sind, die wir im ersten Irak-Krieg und in der Zeit danach aufgegeben hatten. Ich sah einen humanitären Anlass.
Aber die Ausführung, und das erkannte ich nach unserem "Sieg" zu spät, war hoffnungslos und beschämend. Und natürlich wurde es nur schlimmer, je hartnäckiger es wurde.

Beachtlich an dieser Äußerung sind mehrere Aspekte. Jarvis ist ein Blogger mit großer Leserschaft nicht nur in den USA. Sein Hauptthema ist die Medienrevolution, Jarvis agiert in seinem Blog als unermüdlicher Anwalt für ein radikales Umdenken, was das Verhältnis zwischen Medien und Lesern betrifft. Statt von oben herab, ex cathedra, fest betonierte Wahrheiten zu verkünden, sollen sich Journalisten auf ein Gespräch mit Lesern einstellen, auf Augenhöhe, zumal aus immer mehr Lesern selbst Produzenten von Informationen und journalistischen Inhalten werden. Wie kein anderer begrüßt Jarvis die Öffnung etablierter Medien, wie etwa des Guardian, für Blogs, offene Kommentare und andere Beteiligungsmöglichkeiten der "Leser-Community". Er ist Protagonist eines neuen Medienverständnisses.

"Der Irakkrieg und ich"

Dass er mit seinem Posting "The Iraq War and me", seinen Irrtum öffentlich macht, ist diesem Credo geschuldet, wonach Publizisten sich nicht wie Päpste gebärden sollen. Zum anderen dürfte Jarvis die Stimmung vieler Landsleute treffen, was die Kommentare zu seinem Posting bestätigen. Das Schlüsselereignis, das ihn zum Bloggen motivierte, war der 11.September. Zwar konzentrierte sich Jarvis in seinem Blog auf die Veränderung der Medienwelt, doch hatten seine Kommentare immer auch ein politisches Moment, das viel mit den Konsequenzen des 11. Septembers zu tun hatte. Jarvis verteidigte den War on Terror in vielen Äußerungen gegen Kritiker, was ihm den Ruf eines Konservativen eintrug, obwohl er sich immer wieder als "Liberalen" bezeichnete.

Vor allem, was den Waffengang im Irak anbelangt, verteidigte Jarvis lange Zeit den Regierungskurs gegen Kritiker und zitierte dafür gerne irakische Blogger, die im Gegensatz etwa zu Riverbend dem amerikanischen "Experiment" mit Hoffnungen und Sympathien gegenüberstanden. So unterstützte er etwa die Blogger von "IraqTheModel", deren Nähe zur Regierung Bush von einigen Kritikern als verdächtig bezeichnet wurde (vgl. Omar und die Zähne des Präsidenten). Der irakische Blogger Zeyad von Healing Iraq, der sich lange Zeit ebenfalls Hoffungen auf eine Verbesserung der Verhältnisse im Irak machte und von Jarvis gerne zitiert und unterstützt wurde, hat mittlerweile den Irak verlassen, um eine Journalistenausbildung in den USA zu machen. Jarvis hat ihn in seinen Plänen unterstützt und ihn dann auch persönlich getroffen.

Was der Iraker jetzt über die Situation im Irak denkt - "I now officially regret supporting this war back in 2003. The guilt is too much for me to handle" - , gab offensichtlich den letzten Ausschlag dafür, dass der amerikanische Meinungsführer der Bloggerrevolution auch seinen Irrtum öffentlich klarstellte. Eine konsequente Entscheidung.

Nachtrag

Mit seinem Bekenntnis erntete Jeff Jarvis nicht nur wohlmeinende Kommentare, sondern auch zum Teil bissige Kritik wegen fahrlässigen Denkens. So dankte ihm Jay Rosen, der in den USA als Protagonist für einen neuen Journalismus ebenfalls über größere Bekanntheit und Autorität verfügt, zwar für seine "intellektuelle Redlichkeit", machte ihn aber gleichzeitig darauf aufmerksam, dass einer der Gründe, weshalb Jarvis unterstützte, was er jetzt bedauern würde, in einer elementaren Fehleinschätzung zu suchen sei: Dass er fälschlicherweise angenommen habe, die "Bush-Crowd" stütze sich auf Empirie oder auf Realität. Jarvis würde sich mit dem Satz, dass die "Ausführung hoffnungslos und beschämend" war, selbst betrügen:

Wenn man tatsächlich Personen innerhalb der Regierung davon abhält, ernsthafte Planungen für die Zeit nach dem Krieg anzustellen, weil man Rumsfelds Trugbild von amerikanischen Truppen, die da reingehen und nach drei Monaten wieder raus, abkauft, ist das dann ein Fehler in der "Ausführung"? Ich glaube nicht, Sie beabsichtigten, planlos vorwärts zu gehen, um den Frieden zu erreichen. Das war kein Versehen, Jeff. Sie hatten vor jeden, der Fakten vom Ort des Geschehens hatte, an den Rand zu drängen, zum Schweigen zu bringen oder ihn zu ignorieren. Das ist keine schlampige Ausführung. Das ist nicht einmal Inkompetenz. Das ist etwas anderes, womit du dich noch herumschlagen musst.
Natürlich bist du damit nicht alleine. Kaum jemand erwartete eine solche Flucht vom Empirismus in der Gestaltung von Krieg und Frieden ("conduct of war and peace") , weil es eine derart bizarre Entwicklung in unserer Politik darstellt.