Jumbo-Phoenix aus der Asche

Flugzeugobservatorium SOFIA erhält zweite Chance

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Das fliegende Teleskop SOFIA, die einzigartige Plattform für astronomische Beobachtungen im Infrarotbereich, sollte sich bereits Anfang 2002 mit seiner kostbaren Fracht an Bord eines Jumbos auf der Suche nach dem kosmischen Gral begeben. Mehrfach wurde die Mission verschoben, mehrfach stand sie vor dem finanziellen Absturz. Im Februar dieses Jahres gab die von Budgetkürzungen gebeutelte NASA dem Projekt den Gnadenstoß. Jetzt aber sieht es danach aus, als könnte das NASA-DLR-Kooperationsprojekt doch noch seinen wissenschaftlichen Jungfernflug feiern. Deutschland, das für die Lieferung des gesamten Teleskopsystems verantwortlich ist, hat Druck gemacht.

Wenn Astronomen bis ans Ende der Welt reisen und auf dem 4.200 Meter hochgelegenen erloschenen Vulkan Mauna Kea (Hawaii) den Himmel mit Infrarot-Teleskopen abtasten, blicken sie selbst von hier oben bisweilen be- und getrübt ins „Okular“. Vor allem bei schlechtem Wetter. Dann macht sich der in den unteren Luftschichten vorhandene Wasserdampf besonders störend bemerkbar, der zum Leidwesen der Forscher den Großteil der aus dem Weltall einströmenden Wärmestrahlung regelrecht verschluckt.

Beinahe in den Sand gesetzt

Dass die Infrarot-Forscher jedoch aus ihrer Not eine Tugend gemacht haben, dokumentiert in besonderer Weise ein sehr zukunftsträchtiges und in seiner Art wohl einmaliges Projekt: das deutsch-amerikanische Infrarot-Observatorium SOFIA (Stratospheric Observatory for Infrared Astronomy). Auf der Suche nach dem kosmischen Gral, nach den letzten Geheimnissen des Universums, sollte das Teleskop allerdings schon seit einigen Jahren an Bord eines ausgemusterten und umgebauten Jumbo Jets in windiger Flughöhe zwischen 12 und 15 Kilometern operieren.

SOFIA, das Stratosphären-Observatorium für Infrarot-Astronomie, am 25. September 2006 nach der Neulackierung bei L-3com in Waco, Texas. (Bild: NASA/DLR)

Bei dem bilateralen Wissenschaftsprojekt ist auf amerikanischer die NASA und auf deutscher Seite das DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) beteiligt. Der Beitrag der deutschen Wissenschaftler beschränkt sich auf das Design und den Bau des gesamten Teleskops.

Doch als die NASA im letzten Jahr das ehrgeizige Projekt auf die Abschussliste setzte und im Februar dieses Jahres dann auch tatsächlich abschoss, schien SOFIAs Ende besiegelt. Zum Ärger des DLR, das SOFIAs Superauge konstruierte, schien der investierte Eigenanteil von 80 Millionen Euro auf Nimmerwiedersehen in den Sand gesetzt. Jetzt aber hat sich die NASA eines Besseren besonnen und gibt dem Projekt eine weitere Chance. "Die wissenschaftliche Phase beginnt später", erklärt der NASA-Programmdirektor für SOFIA, Ray Taylor. „Vorher werden wir mehr Zeit in die Entwicklung und Finanzierung des Projekts investieren.“ Zunächst einmal müsse sich das umgebaute Trägerflugzeug einer intensiven Testphase unterziehen. Frühestens in sechs Jahren, also 2012, sei der lang ersehnte wissenschaftliche Jungfernflug möglich, so Taylor.

Stichjahr: 2012

Die Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die NASA ihre bisherige Finanzspritze von 500 Millionen Dollar mit einer weiteren bereichert. Um SOFIAs Zukunft zu sichern, will die NASA in den nächsten Jahren in der Tat 250 bis 350 Millionen Dollar aufbringen. Dass SOFIA nunmehr wie Phoenix aus der Asche steigt und zu neuem Leben erwacht, ist unter anderem auch dem DLR-Vorstandsvorsitzenden Sigmar Wittig zu verdanken, der nach der Verkündung des Ausstiegs aus dem Projekt umgehend Druck gemacht hat. "Wir verschwenden keinen Gedanken darauf, dieses Projekt abzubrechen. Von den USA erwarten wir Verlässlichkeit.“

Künstlerportrait von SOFIA in Action (Bild: NASA)

Gelänge es der Mission jedenfalls, ab 2012 dem Licht im infraroten Bereich weitere Geheimnisse zu entreißen, wäre dies der bislang größte Erfolg in der Flugzeugastronomie. Schließlich sind SOFIAs Chancen, Messungen auf qualitativ höchstem Niveau durchzuführen und dabei erdgestützte Infrarot-Teleskope in den Schatten zu stellen, sehr gut. Denn viele Himmelskörper sind nur im infraroten Bereich des Lichtes sichtbar, wie etwa Spiralgalaxien, die im Infrarot-Bereich bis zu tausendmal stärker als im sichtbaren Bereich strahlen.

Da die Wärmestrahlung problemlos dunkle Gas- und interstellare Staubwolken durchdringt, macht sie den Blick auf die dort entstehenden jungen Sterne und Planetensysteme frei. Ferne Galaxien und Staubnebel, die unterschiedliche Entwicklungsstadien des Universums, die Entstehung von Planeten und Sonnensystemen, das Zentrum unserer Milchstraße (in dem ein Schwarzes Loch vermutet wird) werden mit einem Male „sichtbar“, sofern das Fernrohr sich in der richtigen Höhe befindet. In der Stratosphäre, in der SOFIA operiert und wo das Teleskop bereits 99 Prozent des Wasserdampfs unter sich gelassen hat, ist dies der Fall.

Neue Bausteine flugs einwechselbar

Der entscheidende Vorteil des fliegenden Fernrohrs liegt in seiner Flexibilität. Denn im Gegensatz zu Satelliten können die SOFIA-Astronomen das Teleskopsystem nach Bedarf optimieren und mobil einsetzen. Mit dem Trägerflugzeug können sie innerhalb der acht Stunden Flugzeit die Flugbahn gezielt nutzen, um ein Objekt für mehrere Stunden anzuvisieren. Anders als bei Satelliten kann SOFIA jederzeit in seiner Heimatbasis, im NASA Dryden Flight Research Center nahe Los Angeles, ohne großen Aufwand mit neuester Technik nachgerüstet werden.

Während bei der Satellitentechnik schon viele Jahre vor dem Starttermin (bis zu 10 Jahre) das Instrumentenkonzept eingefroren wird, wohlwissend, dass im nächsten Jahr weitaus bessere Hard- und Software auf dem Markt sein wird, lässt sich in der Tat bei einem Flugzeug jedes zertifizierte Baustein flugs auswechseln.

Primärspiegel von SOFIA. Durchmesser: 2,7 Meter (Bild: DLR)

Inwiefern dies die Infrarot-Astronomie „beflügelt“, erklärt der Leiter des deutschen SOFIA-Instituts (DSI) Hans Peter Röser: „Da ein fliegendes Observatorium prinzipiell auf jedem größeren Flughafen weltweit starten und landen kann, kann es eingesetzt werden zur Beobachtung von kurz andauernden oder nur lokal auftretenden astrophysikalischen Ereignissen an jedem Ort der Welt, wie zum Beispiel bei Sternbedeckungen, Sonnen- und Mondfinsternissen.“

Jumbo als Trägersystem

Als Trägerflugzeug für das SOFIA-Projekt dient eine Boeing 747 SP, eine verkürzte Version des Jumbo-Jets, die von 1977 bis 1995 bei den US-Fluggesellschaften Pan Am und United Airlines im Linienverkehr im Einsatz war. Sie soll daran anknüpfen, wo ihre US-Vorgänger aufgehört haben. Bereits 1969 begann das Zeitalter der Flugzeugastronomie, als ein umgerüsteter Lear-Jet Infrarotwellen nachjagte. Aber das umfunktionierte Geschäftsflugzeug bot gerade mal zwei Astronomen Platz, die sich zudem noch mit einem 30-Zentimeter-Teleskop begnügen mussten. Sehr viel größer und vielseitiger verwendbar hingegen war das Kuiper Airborne Observatorium (KAO), ein umgebauter Truppentransporter, Modell Lockheed L200 Starlifter (militärische Bezeichnung C 141) mit einem eingebauten 91,5-Zentimeter-Reflektor, der von 1974 bis 1994 jährlich etwa 60 bis 80 Flüge (je 7 Stunden Flugzeit) absolvierte.

Äußerlich unterscheidet sich der Jumbo-Jet nicht von den Kollegen seiner Klasse. Erst wenn er eine Mindesthöhe von 10 Kilometer erreicht, zeigt er sein wahres Gesicht. Dann rollt eine jalousieähnliche Schiebetür nach oben und ebnet dem Hauptspiegel den freien Blick in den Himmel. Während die Forscher und die Bedienungsinstrumente durch ein Sicherungsschott vor dem niedrigen Luftdruck und der Kälte in der Teleskop-Kabine getrennt sind, starrt das Fernrohr durch ein zehn Quadratmeter großes künstliches Loch im linken hinteren Rumpf des Jumbo-Jets. „This is the largest hole that has ever been put into the structure of a 747“, so Taylors O-Ton gegenüber Space.com.

Viele Windkanalversuche an maßstabsgrecht verkleinerten Modellen haben gezeigt, dass ungeachtet einer solchen Öffnung die Flugtauglichkeit nicht beeinträchtigt wird. Sobald die Maschine wieder zur Landung ansetzt, schließt die Rolltür, um das rund zwanzig Tonnen schwere Teleskop vor Feuchtigkeit, Schmutz und allzu starken Luftwirbeln zu schützen.

Extreme äußere Arbeitsbedingungen

Das Herzstück des Projekt NASA-DLR-Projekts ist das Teleskop. Es besteht aus einem aus Glaskeramik gefertigten Hauptspiegel von 2,7 Metern Durchmesser, der selbst extreme Temperaturschwankungen unbeschadet übersteht. Hinzu kommen ein kleinerer Sekundärspiegel (Durchmesser: 34 Zentimeter) und ein Tertiärspiegel.

Farbenprächtiges Infrarotbild vom NASA-Weltraumobservatorium Spitzer (Bild: NASA/JPL-Caltech/S. Carey, SSC/Caltech)

Bei seiner Arbeit ist das „Fernrohr“ extrem äußeren Bedingungen ausgesetzt: Auf einer Flughöhe von 14 Kilometern muss es eine Temperatur von etwa minus 60 Grad Celsius und ungefähr ein Fünftel des Luftdrucks am Erdboden aushalten. Neben den Triebwerksvibrationen des Flugzeugs sind es vor allen Dingen die turbulenten Luftströmungen in zwölf Kilometer Flughöhe, die an dem Teleskop in der nach außen offenen Kabine rütteln. Deshalb wurde das „Fernrohr“ auf Luftpolstern gelagert. Außerdem installierten die Ingenieure einen speziell vollautomatischen Motor, mit dem der Spiegel im Flugzeug präzise nachjustiert werden kann. Denn das Teleskop muss während des 800 Kilometer schnellen Flugs ständig nachgeführt werden, damit das anvisierte Objekt im Fokus bleibt.