Umweltschutz aus ökonomischen Gründen

Der renommierte Wirtschaftsfachmann Nicholas Stern rechnet mit der größten Rezession seit 1929, wenn es der Weltgemeinschaft nicht gelingt, den Klimawandel zu stoppen

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Seit Jahrzehnten warnen Wissenschaftler und Umweltschutzorganisationen vor den verheerenden Folgen des Klimawandels, doch die große Mehrheit der Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Politik ersetzt Lernfähigkeit in dieser Frage noch immer durch eine weitreichende Beratungsresistenz. Über vielerlei Absichtserklärungen sind die internationalen Bemühungen bis dato nicht hinausgekommen. Das Kyoto-Protokoll, das die Vertragsstaaten verpflichten sollte, ihre CO2-Emissionen bis 2012 um 21 Prozent gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 zu senken, hat in Deutschland - bis 2004 bereits 17 Prozent - und wenigen anderen Ländern Früchte getragen, aber einige der weltweit größten Klimaverschmutzer weigern sich noch immer, der Vereinbarung überhaupt beizutreten oder selbige zu ratifizieren.

Nach einem gestern veröffentlichten Bericht des Klima-Rahmensekretariats der Vereinten Nationen (UNFCCC) gingen die CO2-Emissionen von 41 Industrieländern zwischen 1990 und 2004 zwar um 3,3 Prozent zurück, stiegen im Zeitraum von 2000 bis 2004 aber wieder um 2,4 Prozent. In Mittel- und Osteuropa erhöhte sich der Ausstoß von Treibhaus-Gasen im neuen Jahrtausend sogar um 4,1 Prozent. Das Klima-Rahmensekretariat sorgt sich vor allem um den Transportsektor, auf dem von 1990 bis 2004 die astronomische Steigerung von 23,9 Prozent registriert wurde.

In den USA (wo sich mittlerweile immerhin einige Bundesstaaten der umweltfeindlichen Zentralregierung widersetzen), aber auch in vielen anderen Ländern begegnete man dieser Entwicklung mit den immer gleichen Argumenten. Die Daten seien nicht stichhaltig und objektivierbar, heißt es, oder aber, wenn sich die Zahlen häufen und gegenseitig bestätigen: Umweltschutz sei eine Konjunkturbremse, schade der Wirtschaft und dem internationalen Wettbewerb.

Klimaschutz als Wirtschaftsfaktor

Der ebenfalls gestern in London vorgestellte Bericht The Economics of Climate Change, der in kürzester Zeit weltweit für Aufsehen sorgte, scheint diese Behauptungen nun auf einen Schlag widerlegen und stattdessen beweisen zu können, dass der Klimawandel keineswegs nur ökologische Konsequenzen von unvorstellbaren Ausmaßen nach sich ziehen wird.

Nicholas Stern, der die Studie im Auftrag der englischen Regierung erstellt hat, konzentriert sich vielmehr auf die wirtschaftlichen Folgen. Er rechnet in der Folge einer möglichen Erderwärmung von bis zu 5 Grad Celsius, Wasserknappheit, steigenden Meeresspiegeln, Hunger, Armut und Verteilungskämpfen mit der größten Rezession, welche die Weltbevölkerung seit dem Crash an der Wallstreet im Jahr 1929 erlebt hat. Jahr für Jahr könnten zwischen 5 und 20 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts verloren gehen, während umgekehrt ein einziges Prozent desselben pro Jahr genügen würde, um eine wirksame Reduzierung der Treibhausgase zu bewirken.

Mehr noch: Wenn es der Weltgemeinschaft gelingt, die Herausforderungen des Klima- und Umweltschutzes konstruktiv zu gestalten, seien bis 2050 Profite von bis zu 2,5 Billionen Dollar möglich. Als wichtigste Voraussetzungen nennt Stern höhere Zielwerte bei der Schadstoffreduzierung, aber auch die umfassende Beteiligung von Ländern wie den USA, China oder Indien. Außerdem müsse die Weltbank einen milliardenschweren Fond auflegen, um finanzschwachen Staaten wie Brasilien oder Papua-Neuguinea bei der Erhaltung und Wiederaufforstung der tropischen Regenwälder zu helfen.

Globaler “wake-up call”

Da es sich bei Nicholas Stern nicht um einen phantasiebegabten Öko-Aktivisten, sondern um den früheren Chefökonomen der Weltbank und einen der renommiertesten Wirtschafts- und Finanzexperten unserer Zeit handelt, unterschieden sich die ersten Reaktionen auf den Report deutlich vom achselzuckenden Weghören, mit dem die Studien von Nicht-Regierungsorganisationen in aller Regel abgespeist werden. Inhaltlich gibt es zwar keine großen Unterschiede, aber der Name des Autors nötigte gleich mehrere Nobelpreisträger, den neuen Weltbank-Chef Paul Wolfowitz und selbstredend Englands Premierminister Tony Blair zu einer entschiedenen Stellungnahme.

Der designierte Ruheständler erklärte den rund 700 Seiten umfassenden Report postwendend zum „´wake-up call´ to every country in the world“. Es sei die wichtigste Studie, die er in seiner gesamten Amtszeit bekommen habe. Jeder politisch Verantwortliche, „including those in America, China and India“, müsse nun wissen, dass dem Planeten eine verheerende Katastrophe bevorstünde, wenn die notwendigen Maßnahmen nicht augenblicklich ergriffen würden.

Der flammende Appell des scheidenden Premiers richtet sich augenscheinlich auf die UN-Klimakonferenz, die vom 6. bis 17. November in Nairobi stattfindet. Hier sollen die Verhandlungen über den zweiten Verpflichtungszeitraum des Kyoto-Protokolls und die Gespräche über die Zukunft des Klimawandelprozesses durch UNFCCC fortgesetzt werden.

Dessen Exekutivsekretär Yvo de Boer denkt in die gleiche Richtung und erhofft sich von den aktuellen Zahlen eine Beschleunigung und größere Effektivität der Verhandlungen.

Zu Beginn des ersten Verpflichtungszeitraums 2008 erwarten wir einen Emissionshandel zwischen allen Ländern, die Emissionsverpflichtungen unter dem Kyoto-Protokoll eingegangen sind. Das Sekretariat der UN-Klimarahmenkonvention ist momentan dabei, die notwendige Infrastruktur einzurichten, um diesen Handel zu ermöglichen. Gleichzeitig ist klar, dass dringend weitere globale Maßnahmen zum Klimaschutz gefordert sind, um mit bereits bestehenden und neuen Marktmechanismen Investitionen in saubere Technologien zu fördern.

Yvo de Boer

Vor dem Hintergrund des Stern-Reports will auch Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) Europa künftig noch mehr in die Pflicht nehmen. Im Rahmen der deutschen G8-Präsidentschaft kann der Kreis der Ansprechpartner aber auch darüber hinaus ausgedehnt werden.

Klimawandel und Energieeffizienz werden im nächsten Jahr ein Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und G8-Präsidentschaft sein. Wir, die Industrieländer, deren verschwenderischer Umgang mit Ressourcen und Energie für den größten Teil der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, müssen zuerst zeigen, dass wirtschaftliches Wachstum mit weniger Energie- und Ressourcenverbrauch möglich ist. Wir schlagen vor, dass sich die EU verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen bis 2020 um 30 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Unter dieser Voraussetzung wird Deutschland eine darüber hinausgehende Minderung seiner Emissionen anstreben.

Sigmar Gabriel

In einem Memorandum zur Ökologischen Industriepolitik forderte Gabriel einen "New Deal" von Wirtschaft, Umwelt und Beschäftigung aus. Deutschland könne, weil hier Umwelttechnologien weit entwickelt seien, noch stärker technisch und wirtschaftlich punkten und neue Arbeitsplätze schaffen:

Die Märkte der Zukunft sind grün. Umwelttechnik 'Made in Germany' bringt neue Märkte, neue Produkte, neue Beschäftigung.

Sigmar Gabriel

Europäische Hausaufgaben

Ob sich diejenigen Regierungen, für die ökologische Fragen bisher kaum eine Rolle spielten, durch Sterns Report eines Besseren belehren lassen, muss nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre ernsthaft bezweifelt werden. Doch Klimaschutz ist nicht nur eine Aufgabe der Weltpolitik. Auch die Europäer haben - bei aller vergleichsweisen Fortschrittlichkeit – noch zahlreiche Defizite zu beheben. Die aktuellen Studien gehen davon aus, dass der CO2-Ausstoß hier bis 2020 um 30 und bis 2050 um 60 Prozent gesenkt werden muss, um den gewünschten positiven Effekt zu erzielen. Zwischen 1990 und 2004 verzeichnete die Türkei aber erst einmal Zuwachsraten von 72,6 Prozent, während Spanien auf 49 und Portugal auf 41 Prozent kam.

Zwischen Erde und Ozonschicht schwelt derweil ein besonderes Problem. Die Emissionen aus dem Flugverkehr, der allein in den letzten zehn Jahren einen Zuwachs von 50 Prozent verzeichnete, sind von den Verpflichtungen des Kyoto-Protokolls ausgenommen. Dabei machen die freiwerdenden Schadstoffe etwa 3,5 Prozent aller klimaschädlichen anthropogenen Emissionen aus, außerdem gilt es gelegentlich zu bedenken, dass nur 5 Prozent der Weltbevölkerung die Annehmlichkeiten des Fliegens tatsächlich nutzen (können).

Die Europäische Kommission hat deshalb bereits darüber nachgedacht, für die entsprechenden CO2-Emissionen Höchstwerte festzusetzen und die Fluggesellschaften in den europäischen Emissionshandel einzubinden. Umfangreiche Studien zu diesem Thema liegen seit langem vor (mit der Umsetzung wird allerdings nicht vor 2009 oder 2010 gerechnet.

Dieses Beispiel zeigt wie viele andere, dass Europa und seine einzelnen Mitgliedstaaten selbst noch viele Defizite zu beheben haben. Selbiges gilt in der Regel aber auch für jeden einzelnen Bürger. Wer bewusst Strom spart, weniger mit dem Auto fährt oder ökologisch unbedenkliche Produkte kauft, trägt seinen Teil zu einer der wichtigsten Aufgaben des 21. Jahrhunderts bei.

Die Schlussfolgerung aus dem Report ist im Grunde optimistisch. Noch ist Zeit, die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu verhindern, wenn wir jetzt sofort handeln und unsere Arbeit international abstimmen. Regierungen, Unternehmen und Privatleute müssen zusammenarbeiten, um die Herausforderung anzunehmen. Eine starke, besonnene Politik ist nötig, um den Wandel zu unterstützen. Aber die Zeit drängt. Tatenlosigkeit, auch wenn sie nur noch eine Dekade oder zwei dauert, kann unsere Situation dramatisch verschlechtern. Wir dürfen die Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen.

Nicholas Stern