Der erste legal anonyme Heise-Forenposter?

Endgültig: T-Online darf IP-Daten von Holger Voss nicht mehr speichern

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Bis zum Bundesgerichtshof ging der Fall des Telepolis-Lesers Holger Voss, der nach einem satirisches Posting mit Sarkasmuswarnung „dank“ einer anonymen Anzeige mit besonderer Aufmerksamkeit der Staatsanwaltschaft bedacht wurde und daraufhin seinen Provider T-Online verklagte. Nun ist der Fall endgültig entschieden.

Das Drama begann am 21. Juni 2002 kurz vor Mitternacht: Im Telepolis-Leserforum zum Artikel Das Massaker, das nicht sein darf über einen Dokumentarfilm zum Fall von knapp 5000 afghanischen Kriegsgefangenen, die auf dem Weg ins Gefangenenlager ums Leben kamen, war am frühen Morgen ein fragwürdiger Kommentar abgegeben worden und als sechster kommentierte Telepolis-Leser Holger Voss im gleichen Stil, doch klar als Sarkasmus erkennbar und markiert, die Attacken des 11. September 2001.

Nun, was ein Provokant darf, dürfen die, die ihm auf den Leim gehen, halt noch lange nicht, sonst würde das Provozieren ja auch keinen Spaß machen. Folglich wurde der Fall mittels anonymer Anzeige der Staatsanwaltschaft vorgetragen, die mit dem Begriff „Sarkasmus“ nichts anzufangen wusste und deshalb Holger Voss mit einen Strafbescheid über 1500 Euro beglückte. Behilflich gewesen war dabei, dass der Provider von Voss, T-Online, trotz Flatrate seine Verbindungsdaten über Monate aufbewahrt und den Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt hatte, die vom Forenbetreiber nur die IP-Nummer erhalten hatten.

Am 8. Januar 2003 stand Holger Voss schließlich vor Gericht, das erst bei dieser Gelegenheit im Termin selbst bemerkte, dass der Ausdruck des Forenpostings eine zweite Seite enthielt – die mit dem Sarkasmushinweis. Um eine Ausrede nie verlegen, argumentierte die Richterin zunächst, soweit lese doch niemand, doch nachdem zuvor schon das Posting des Provokateurs mit dem von Holger Voss verwechselt worden war, gab die Justiz schließlich auf, da auch für sie das zulässige Maß an Peinlichkeit überschritten war, und sprach Voss frei. Somit eigentlich ein Sieg nach Punkten, aber auch ein völlig unnötiger Prozess, der das Vertrauen in die Justiz bei vielen Beobachtern schwinden ließ.

Das alles wäre jedoch nie passiert, wenn T-Online die Verbindungsdaten nicht gespeichert hätte. Die Notwendigkeit dazu war fraglich – zu Abrechnungszwecken ist dies bei einer Flatrate ja nicht notwendig. Folglich klagte Holger Voss nun gegen seinen Provider (Klage wegen "illegaler Speicherung" von Verbindungsdaten), dessen obrigkeitshöriges Verhalten diesen Prozess ja überhaupt erst ermöglicht hatte.

Voss gewann am 30. Juni 2005 am Amtsgericht Darmstadt, T-Online wurde dazu verurteilt, die Daten nur wenige Tage aufbewahren zu dürfen. T-Online ging in Berufung. Voss gewann erneut am 25. Januar 2006 in der nächsten Instanz vor dem Landgericht Darmstadt, T-Online wurde diesmal dazu verurteilt, die Daten gar nicht speichern zu dürfen. Eine Revision gegen sein Urteil hatte das Landgericht Darmstadt nicht zugelassen, doch T-Online legte gegen diese Nichtzulassung der Revision Beschwerde bei der höchsten Instanz ein, beim Bundesgerichtshof.

Mitunter neigt dieser zwar dazu, gegen einfache Bürger zugunsten von Juristen und Konzerne anders zu entscheiden als die unteren Instanzen. Hier aber nicht: Die Beschwerde wurde jetzt abgelehnt und damit das Urteil des Landgerichts Darmstadt rechtskräftig, das T-Online verpflichtet, die jeweils dynamisch vergebene Internetadresse (IP-Adresse) des Klägers unmittelbar nach Verbindungsende zu löschen. Diese IP-Adressen und weitere Daten wurden bislang mehrere Monate lang (80 Tage nach Rechnungsversand) aufbewahrt.

Die Deutsche Telekom AG, zu der T-Online seit Juni 2006 wieder gehört, muss jetzt

  1. nach Beendigung der jeweiligen Nutzung des Internetzugangs durch den Kläger alle Daten, die eine Verbindung zwischen der zugeteilten IP-Adresse und dem Kläger bzw. dem technischen Zugang des Klägers herstellen, umgehend [...] löschen,
  2. es [...] unterlassen, das bei der Nutzung des Internetzugangs durch den Kläger im Rahmen des zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnisses nach dem Tarif T-Online DSL flat bekannt gewordene Volumen der übertragenen Daten zu erheben und auf Datenträgern jeglicher Art zu speichern
  3. die entsprechenden Daten, soweit sie schon erhoben bzw. gespeichert wurden, löschen.

Die Speicherung der strittigen Verbindungsdaten verbietet das Telekommunikationsgesetz. Das Urteil ist aber nur zwischen dem Kläger Holger Voss und der Deutschen Telekom unmittelbar wirksam. Die Deutsche Telekom will dem Urteil daher nur für den Kläger nachkommen. Die Löschung der Daten anderer Kundinnen und Kunden verweigert das Unternehmen bislang.

Deshalb hat der Frankfurter Jurist Patrick Breyer einen Mustertext für eine Klage entworfen, mit dem auch andere Kundinnen bzw. Kunden gegen die Speicherung ihrer Daten klagen können.

Die Freude über die zurückgewonnene Anonymität ist allerdings möglicherweise nur von kurzer Dauer, denn ab 2009 könnte es für Internetprovider zur Pflicht werden, die Internetverbindungen ihrer Kundinnen und Kunden zu protokollieren. Das Bundesjustizministerium arbeitet jedenfalls an einem entsprechenden Gesetzesentwurf, obwohl auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags erhebliche Zweifel daran hat, ob eine solche Überwachungspflicht nicht gegen Grundrechte verstößt.