Protestwahl gegen Bush und die Republikaner

Bei den "Midterm"-Wahlen haben die Demokraten die seit 12 Jahren herrschende Republikaner-Mehrheit im Kongress zum Einsturz gebracht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Auszählungen vom frühen Mittwochmorgen ergaben, dass die Demokraten im Repräsentantenhaus mit mindestens 234 Sitzen eine deutliche Mehrheit stellen werden. Falls die sie den Republikanern im Senat - wo Hängepartien in Virginia und Montana den Wahlausgang prägen werden - ebenfalls die Macht abnehmen, schrumpft Präsident George Bush zur "lahmen Ente".

Die exit polls, die am Dienstag wenige Stunden nach der Eröffnung der Wahllokale erhoben wurden, förderten zutage, dass die Republikanerstrategie "keep politics local" nicht aufgegangen war. Denn 62 Prozent der Wähler gaben an, dass ihnen nationale Themen bei der Wahl der Abgeordneten wichtiger waren als regionale Politik. 57 Prozent sagten, sie seien mit dem Irakkrieg nicht einverstanden.

Dass 42 Prozent "Korruption" im Kongress als bestimmend für ihre Wahlentscheidung betrachteten, war eine höchst überraschende Zahl. Denn der Angstmacher-Dauerbrenner Terrorismus (40 Prozent), die Wirtschaft (39 Prozent) und der Irakkrieg (37 Prozent) waren für die Wähler nur sekundäre Themen. So sind die neuen Machtverhältnisse im Kongress in erster Linie als Protestwahl gegen die Republikaner zu verstehen und weniger als Abschied vom Konservatismus.

Mit entscheidend für die Gewinne der Demokraten sind die Stimmabgaben aus dem Wählerblock der christlichen Fundamentalisten, die ein Viertel der Wählerschaft stellen und als "Theocons" ein loyaler und aktiver Bestandteil der "Grand Old Party" waren. Hatten bei den Präsidentschaftswahlen vor zwei Jahren 78 Prozent für den Republikaner George Bush und nur 21 Prozent für den Demokraten John Kerry gestimmt, so wählten dieses Mal fast ein Drittel demokratisch.

Mit Nancy Pelosi, einer linksliberalen Abgeordneten aus San Francisco, wird die Mehrheitspartei im Repräsentantenhaus zum ersten Mal in der US-Geschichte von einer Frau angeführt werden. Als zukünftige "Madam Speaker" gelobte die 66-jährige Pelosi noch am Wahlabend, "frischen Wind" in die verkrusteten Strukturen des Kongress zu bringen. Anfang Oktober hatte sie öffentlichkeitswirksam das Versprechen abgegeben, im Falle eines Wahlsiegs den republikanischen "Sumpf" innerhalb der ersten drei Monate auszumisten und dabei folgende Initiativen genannt: ein neues Regelwerk, um die "Verbindung zwischen Lobbyisten und Legislative zu lösen", die Umsetzung sämtlicher Empfehlungen der "911"-Kommission, die Erhöhung des gesetzlich festgelegten Mindestlohns auf 7,25 Dollar, die Halbierung der Zinsen von Studentenkrediten, Verhandlungen mit den Pharmakonzernen zur Senkung der Arzneimittelpreise sowie Washingtoner Mittel für die Stammzellenforschung.

Falls die Demokraten im Repräsentantenhaus diese Aktivitäten in den kommenden Wochen tatsächlich angehen, werden sie zwar mit Gegendruck von republikanerischer Seite zu rechnen haben und, falls sie sich doch durchsetzen, möglicherweise mit einer Vetopolitik von Bush. Doch diese Politik würde sich zunächst auf das Machbare konzentrieren, auf die Einbeziehung eines Teils der Republikaner und auf "vetrauensbildende Maßnahmen" in der Öffentlichkeit. Ob Pelosi später die innerparteiliche Macht hat, Knackpunkte wie etwa einen Rückzug aus dem Irak in die Wege zu leiten, wird daran liegen, ob sich in der Partei eine Mehrheitsmeinung durchsetzt. Bisher herrschen dazu widersprüchliche Vorstellungen. Eine konkrete Debatte über das Wie und Wann eines Kriegsendes hat erst noch zu beginnen.

Ob die Demokraten neben dem Unterhaus auch im Oberhaus, dem Senat, die Mehrheitsfraktion stellen werden, wird sich wegen zweier Kopf-an-Kopf-Rennen wahrscheinlich erst in einigen Wochen herausstellen. Denn sowohl in Virginia als auch in Montana waren die Vorsprünge, die die demokratischen Kandidaten hatten, hauchdünn. In Virginia führte der Demokrat Jim Webb mit ein paar Tausend Stimmen, die Briefwahlergebnisse waren am Mittwoch noch nicht geklärt. Sollte die gezählte Stimmendifferenz weniger als ein Prozent der abgegebenen Stimmen betragen, so kann der unterlegene Kandidat eine Neuauszählung beantragen. Wegen der daraus entstehenden juristischen Komplikationen könnte das Endergebnis und damit die Mehrheitsverteilung im Senat erst im Dezember feststehen.

Einen deutlichen Sieg errangen die Demokraten auf der Gouverneursebene. Zum ersten Mal seit 1994 besetzen sie mit 28 Posten wieder eine Mehrzahl der formal höchsten Ämter auf einzelstaatlicher Ebene. Dieses Ergebnis ist für die Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren maßgeblich. Obwohl Gouverneure formal keine Macht haben, aktiv Politik zu betreiben, ist ihre Stellung für die jeweilige Partei, der sie angehören, von großer Bedeutung. Denn sie fungieren als Organisatoren der einzelstaatlichen "grass roots" und können die Wählerbasis mobilisieren. Nachdem sich demokratische Gouverneurskandidaten in Staaten wie Ohio, Colorado oder Pennsylvania durchsetzten, kann sich die demokratische Partei über ihre Hochburgen an der US-Ostküste und in Kalifornien hinaus verbreitern.