Heiße Filme aus dem kühlen Norden

Warum die "Sexwelle" ausgerechnet aus Skandinavien kam

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Heute sind sie ebenso historisches „Kintopp“ wie die Filme von Stan & Laurel: Die „Schwedenpornos“ der 60er und 70er, die eine ganze Welle von einheimischen Aufklärungs-, Schulmädchenreport- und Lederhosenfilmen bis zum Start des Privatfernsehens nach sich zogen, bis schließlich wirklich niemand mehr wissen wollte, ob denn nun die Kiwi oder die Kirsche gewählt werden soll. Damals bewirkten sie aber einiges. Doch wie war es hierzu eigentlich überhaupt gekommen?

Ein Arte Themenabend, der angesichts des Themas und der dafür vorgeschriebenen Sendezeit eher eine Themennacht geworden ist, widmet sich einer Kulturentwicklung, die einst von ihren Initiatoren als Revolution gestartet wurde, um die Welt zu verbessern, doch heute nur als Bewegung gesehen wird, die die Füllung der eigenen Brieftasche verbessern sollte: Der „Naturfilm“, sprich: „Porno“. Aus dem kühlen Norden, vor allem aus Schweden und Dänemark, kamen synchron zu der freien Liebe der Hippies in San Francisco in Europa die ersten filmischen Impulse zur sexuellen Befreiung.

“Zurück zur Natur“ – die in Deutschland vor allem im Osten beliebte FKK-Bewegung kam aus Skandinavien (Bild: Zweites Deutsches Fernsehen / Angel Productions / Point of no return / Torben Skjødt Jensen)

Schweden und Dänemark sind, schon seit skandinavische Frauen leicht bekleidet in den Filmen der Nachkriegsjahre erschienen, so etwas wie das Synonym für sexuelle Freiheit geworden. Wie kam es, dass gerade von hier aus, wo reformierte Staatskirchen Lustfeindlichkeit predigten und das Wetter nun wirklich nur selten Anlass und Gelegenheit zu leichter Bekleidung gab, Nacktheit, Geschlechtlichkeit und Lust ihren Siegeszug erst in Europa und dann rund um die Welt antraten?

Lasse Braun: Ich, der King of Porn

Eine Tortenschlacht? Nichts Neues, die gab es ja schon im Kintopp der Stummfilmzeit und genauso wirkt der alte Super-8-Film auch, der da über den Monitor flackert. Doch die in diesem Film abgeschleckte Torte wird selbst zur von Arte gewählten Sendezeit kurz vor Mitternacht nur verpixelt gezeigt: Ein erigierter Penis auch aus Tortencreme wäre nämlich nach deutschem Recht Pornografie – sowas darf auch um Mitternacht nicht mal in Super-8-Qualität gesendet werden.

“Uuuund – Action!”: Lasse Braun an der Kamera (Bild: Zweites Deutsches Fernsehen / Filmvergnuegen)

Lasse Braun war der skandinavisierte Künstlername von Alberto Ferro, einem 1936 geborenen Sohn eines italienischen Diplomaten und wurde in der Gründerzeit der Pornofilmchen zu einem Markennamen. Braun war in der repressiven Atmosphäre eines Jesuitenklosters aufgewachsen und hatte so bemerkt, wie groß das Bedürfnis seiner Mitschüler nach Aufklärung und mehr war. Er war in den 60er-Jahren ein maßgeblicher Kämpfer für die Legalisierung der Pornografie und wurde hierbei zu Europas führendem Pornoproduzenten.

Zensieren wird man euch, wenn ihr versucht, den Film zu produzieren, denn diejenigen, die die Massenmedien beherrschen, sind völlig totalitär.

Lasse Braun zum ZDF-Dokumentarfilmteam

Braun beginnt seine Geschäfte mit dem Schmuggel pornografischen Materials im wegen des Diplomatenstatus des Vaters an der Grenze nicht kontrollierten Dienstwagen aus Schweden und Dänemark nach Italien. In Dänemark war Pornografie in Bildform am 1. Juni 1969 als erstem Land der Welt legal geworden – am 2. Juni 1967 war dies bereits für Schriften geschehen – und der Grund für viele Touristen, das Land zu besuchen.

Mit der steigenden Nachfrage nach Sexartikeln zieht es Lasse Braun nach Skandinavien. Dort baut er seine eigene Filmproduktion auf und realisiert zwischen 1969 und 1972 über 50 Kurzfilme. In ihnen vermischt er heimliche Sehnsüchte und surreale Fantasien mit dem Gedankengut sexuellen Aufbegehrens.

Lasse Braun heute, im „Ruhestand“ (Bild: Zweites Deutsches Fernsehen / Filmvergnuegen)

Lasse Braun und seine Darsteller und Darstellerinnen wollten mit ihren selbstgedrehten Super-8-Filmen mehr Menschlichkeit, mehr Natürlichkeit zeigen; sie glaubten, dass sie die Welt mit guten Pornos positiv verändern könnten. Filmhändler und Schmuggler aus ganz Europa wollen nun, so wie er begonnen hatte, die Werke von Lasse Braun vertreiben und er zögert nicht, allen gleichzeitig die exklusiven Vertriebsrechte zu verkaufen, was später logischerweise dicken Ärger gab.

Im Zuge der sexuellen Revolution und dem Kampf um Freizügigkeit und Selbstbestimmung kommt es Mitte der 70er-Jahre tatsächlich zu der von Braun propagierten Pornografie-Liberalisierung in vielen europäischen Staaten. Er geht 1973 nach Holland. Porno wird zur Massenware, und Braun gerät nun zusehends in Schwierigkeiten, sich gegenüber neuen, kommerzieller orientierten Filmern am Markt zu behaupten. Was einst als Ausdruck sexuellen Aufbegehrens und Kreuzzug gegen rigide Gesellschaftsnormen begann, endet in einer ausbeutenden und vom Kommerz geprägten Porno-Industrie.

Er hatte seinen Beruf verfehlt, er hätte Guru werden sollen!

Gerd Wasmund, Pornoproduzent

Erstmals seit seinem Rückzug aus der Pornobranche gewährt Lasse Braun Einblick in sein Leben und erzählt von seinen persönlichen Motiven und Strategien. Weggefährten und Gegner berichten von ihren persönlichen Erfahrungen mit Lasse Braun und den Anfängen des Pornobusiness.

More sex please, we are Scandinavians!

Doch die Wurzeln der Pornofreigabe in Dänemark und Schweden – in Norwegen fand sie übrigens nie statt, da droht auch heute noch Gefängnis (Fuck for Jail), weshalb es auch etwas irreführend ist, von einer „skandinavischen Sexwelle“ zu reden, liegen nicht bei den Hippies, den 68ern, sondern am Beginn des 20. Jahrhunderts.

Mit Kiwis wäre das nicht passiert… (Bild: Zweites Deutsches Fernsehen / Angel Productions / Point of no return / Torben Skjødt Jensen)

Am Anfang standen, wie anderswo auch, Heuchelei und Philistertum. Denn es waren gerade die Männer des Staates und der Kirche, die mit großer Regelmäßigkeit die Rotlichtbezirke der Städte besuchten. Und es waren diese bourgeoisen Kreise, die nach Entwicklung der Daguerreotypie mit ihrem Bedarf an schlüpfrigen Postkarten die Grundlage für die spätere Pornoindustrie legten.

Brachte die „Pille“ in den 60ern zusammen mit „Love and Peace“ die endgültige sexuelle Revolution, so hatte doch schon das preiswerte „Gummi“ nach dem I. Weltkrieg zum ersten Mal auch dem einfachen Volk die Trennung von Lust und Fortpflanzung ermöglicht und so die Befreiung der Frau vorangebracht. Homosexuelle Männer wurden dagegen auch noch zur Zeit der zweiten sexuellen Revolution in Therapien mit Stromschlägen „umgepolt“: man zeigte ihnen wochenlang jeweils eine Stunde Dias von Männern und Frauen und bei jedem Bild eines Mannes wurden sie unter Strom gesetzt.

Doch zur Jahrhundertwende war in Skandinavien schon das Werben für diese Verhütungsmittel zusammen mit dem erneuten Verbot der Prostitution (sie war in den 1870ern erstmals legalisiert worden) untersagt worden. Frauen, die sich alleine in der Öffentlichkeit bewegten, und sei es von einem Bridge-Abend auf dem Weg nach Hause, konnten jederzeit als Prostituierte verdächtigt und deshalb festgenommen und auf Geschlechtskrankheiten zwangsuntersucht werden. Damit hatten Frauen praktisch keinerlei Bürgerrechte, sie konnten sich nur in männlicher Begleitung auf die Straße wagen.

Thit Jensen in Dänemark und Elise Ottensen-Jensen in Schweden versuchten, diese Zwangsatmosphäre zu entschärfen, bekamen Ärger mit der Polizei und den Männern, galten als Vorläufer der Emanzen, weil sie wollten, dass Frauen nicht mehr Kind auf Kind bekamen, sondern selbst bestimmen konnten, ob sie schwanger werden wollten. Und während in den 30ern nach heutigen Maßstäben harmlose Unterhaltungsheftchen mit ein paar nackten Busen in Skandinavien verboten wurden, erblühte in Schweden die FKK-Bewegung, die man nicht verbieten konnte, die aber auch versuchte, Nacktheit endlich wieder zu etwas Natürlichem werden zu lassen. Der – wohlgemerkt konservative – Politiker, der dann schließlich Ende der 60er in Dänemark die Pornografie freigab, erhoffte sich davon ebenfalls, dass so auch diese Dinge ihren überbewerteten Reiz verlieren und zu einem natürlichen Bestandteil des Lebens werden würden.

Auch Pornofilmer haben Regiestühle… (Bild: Zweites Deutsches Fernsehen / Filmvergnuegen)

Der in dänisch-englisch-deutscher Kooperation gedrehte Dokumentarfilm begibt sich auf die Reise durch die Zeit der sexuellen Revolution. Er zeigt ihre Entwicklung und die Bedingungen, die es möglich machten, dass gerade im kühlen und protestantischen Skandinavien relativ früh die Grundlagen für einen freieren Umgang mit der Sexualität gelegt wurden. Wozu nicht nur die Freigabe der Pornografie gehörte, sondern ebenso natürlich die Einführung der Sexualaufklärung in den Schulen, die in Schweden bereits 1955, also lange vor der uns bekannten sexuellen Revolution (obwohl ja bereits 1948 der Kinsey-Report in den USA veröffentlicht worden war!), als Pflichtfach eingeführt worden war. In Dänemark geschah dies erst 1971, also nach der Freigabe der Pornografie.

Der Film erzählt – und zeigt – diese Entwicklung und gleichzeitig die Geschichte eines Jahrhunderts, das die private Welt deutlich veränderte und uns allen im Vergleich zur Zeit davor sehr große Freiheiten brachte, In Dänemark und Schweden fand die Welt eine sexuelle Freiheit vor, die Maßstäbe setzte, der es je nach persönlicher Einstellung nachzueifern oder die es zu verdammen galt. Die erste Sexmesse in Kopenhagen wurde seinerzeit sogar von Pauschaltouristen aus Westdeutschland und Marokko besucht.

Der „Guru“ Lasse Braun im Kreis seiner Liebsten (Bild: Zweites Deutsches Fernsehen / Filmvergnuegen)

Neben alten Fotos und anderen Archivalien belegen Ausschnitte aus Spielfilmen, Werbung und aktuelles Material die Entwicklung in Skandinavien, wo heute Pornomagazine und einschlägige Videos längst an jedem Kiosk erhältlich sind und die Kinder deshalb trotzdem nicht so verdorben sind, wie das Jugendschützer in vielen anderen Ländern, so auch Deutschland, als Folge eines solch offenen Umgangs mit Sex befürchten.

Arte TV Themenabend „Nördlich von Eden“

Ich, der King of Porn: Das abenteuerliche Leben des Lasse Braun, Dokumentation, Regie: Thorsten Schütte, Deutschland 2000, 59 Minuten, Freitag, den 17. November 2006, 23.45 Uhr, Wiederholungen: 20. November 2006 um 01.40 Uhr, 25. November 2006 um 01.50 Uhr

More sex please, we are Scandinavians!, Dokumentarfilm, Regie: Ghita Beckendorff, Torben Skjodt Jensen, Dänemark / Großbritannien / Deutschland 2002, 73 Minuten, Samstag, den 18. November 2006, 00.55 Uhr, Wiederholung: 26. November 2006 um 01.35 Uhr