"Innovationsfreundliche Rahmenbedingungen" erwünscht

Die deutsche Biotech-Industrie will laut Greenpeace Verunreinigungen mit ungeprüften Gentech-Sorten legalisieren lassen

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Ein der Umweltschutzorganisation Greenpeace zugespieltes vertrauliches Rechtsgutachten zeigt, was sich die Industrie von Minister Horst Seehofer (CSU) wünscht. Danach sollen Verunreinigungen durch Freisetzungsversuche von Gentech-Sorten, die noch keine Sicherheitsprüfung nach geltendem EU-Recht durchlaufen haben, in geringem Maße toleriert werden. Das ist ein wichtiger Aspekt für die forschende Industrie, der es offensichtlich nicht gelingt, Lösungen für die Kontaminationsprobleme zu finden. In Zukunft könnten genmanipulierte Saaten - wie Gentech-Reis - sogar dann, wenn sie gar nicht als Lebensmittel zugelassen wurden, als „unvermeidbarer Bestandteil“ unserer Nahrungsmittel legalisiert werden, warnt Greenpeace im Telepolis-Gespräch.

Noch vor wenigen Monaten herrschte große Aufregung um den aufgetauchten Gentech-Reis LL601 aus dem Hause Bayer. Der Langkornreis war von einer US-Universität vor einigen Jahren im Feldversuch getestet worden. Die Ergebnisse enttäuschten offensichtlich, die Versuche wurden bald eingestellt. Bayer CropScience beantragte keine Zulassung für LL601 - weder in den USA noch in Europa. Aus bis dato nicht eindeutig geklärten Ursachen konnte sich der ungeprüfte Gentech-Reis aus dem Versuchsanbau dennoch unbemerkt verbreiten und verunreinigte einen erheblichen Teil der diesjährigen Reisernte in den USA. Bis heute sind zahlreiche gesundheits- und umweltrelevante Risikofragen zu LL601 völlig ungeklärt (Der Reis, den keiner wollte).

Laut EU-Recht ist der Gentech-Reis unzulässig, was europaweit großangelegte Rückholaktionen zur Folge hatte. Den bei weitem größten Schaden tragen die US-Reisbauern und die Exporteure. Sammelklagen gegen Bayer sind inzwischen eingebracht. Doch wer meint, die Gentech-Branche würde angesichts regelmäßig auftretenden Verunreinigungsskandale einmal die eigene Vorgehensweise und Forschungspraxis hinterfragen, irrt. Schuld an dem „Dilemma“ haben in der Logik vieler Gentechnik-Befürworter und -Hersteller diejenigen, die nicht einfach alles schlucken wollen, was ihnen vorgesetzt wird und auf Wahlfreiheit pochen. Auch deshalb wird gerne um Schwellenwerte gefeilscht. Die EU selbst lässt bei nicht zugelassenen Gentech-Sorten Verunreinigungen bis zu einem sehr geringen Grenzwert zu – und zwar auch nur dann, wenn eine Sicherheitsprüfung vorliegt. Nachdem LL601-Reis keinerlei Prüfung nach EU-Standards durchlaufen hatte, musste er aus dem Verkehr gezogen werden. Zudem verlangt die EU inzwischen Zwangstests bei Import-Reis aus den USA.

Derart restriktive Regelungen sind bei Forschern und Industrie nicht sonderlich beliebt, zumal sie das Procedere für Freisetzungsversuchen erschweren und letztlich auch Haftungsansprüche von eventuell geschädigten Landwirten durchgesetzt werden könnten. Die Industrie möchte deshalb Erleichterungen respektive „innovationsfreundliche Rahmenbedingungen“ im deutschen Gentechnik-Gesetz verankert wissen.

„Dr. Bernward Garthoff, ehemals Vorstandsmitglied der Bayer CropScience AG ist Vorsitzender der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (BID) und hat in dieser Funktion klar signalisiert, was sich die Industrie wünscht“, erklärt der Gentechnik-Experte von Greenpeace, Christoph Then gegenüber Telepolis. Er zitiert aus einem Greenpeace vorliegenden DIB-Dokument, das unter anderem die derzeitige Regelung von Auskunftsrechten, gesamtschuldnerischer Haftung und auch Untersagungsrechten von Naturschutzbehörden in Frage stellt. Ein Punkt stößt Greenpeace besonders auf, nämlich wonach Freisetzungen liberalisiert werden sollen. Der Standpunkt der DIB:

Die Definition des Inverkehrbringens (§ 3 Nr. 6, § 14) ist dahingehend klarzustellen, dass die Abgabe von Produkten mit Spuren von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) aus genehmigten Freisetzungsversuchen kein Inverkehrbringen darstellt. Ernteprodukte von Äckern, die in der Nähe von genehmigten Freilandversuchen liegen, dürfen nicht unverkäuflich werden bzw. ihr Verkauf als ‚ungenehmigtes Inverkehrbringen’ gelten, wenn sie geringe Mengen an gentechnisch veränderten Pflanzenbestandteilen der Versuchsfelder enthalten. Ansonsten wäre bei vielen Pflanzen die unerlässliche Freilandforschung und Züchtungsarbeit für Hochschulen, Forschungsinstitutionen und Unternehmen nur noch unter hohen finanziellen Haftungsrisiken bzw. gar nicht mehr möglich.

In Zukunft könnten dann „genmanipulierte Saaten wie Gen-Reis sogar dann, wenn er gar nicht als Lebensmittel zugelassen wurde, als unvermeidbarer Bestandteil unserer Nahrungsmittel legalisiert werden“, empört sich Christoph Then von Greenpeace.

Der Umweltschutzorganisation wurde jetzt ein vertrauliches, von der DIB beauftragtes Rechtsgutachten (Mai 2006) zugespielt, welche diese Position untermauert. Erstellt wurde es von Prof. Dr. Matthias Herdegen unter Mitwirkung von Priv.-Doz. Dr. Hans-Georg Dedere. Das Gutachten (es liegt der Redaktion als Kopie vor) umfasst 26 Seiten und birgt einiges Sprengpotenzial in sich. Hauptgegenstand der Stellungnahme bilden „Zufallsauskreuzungen“ unter Berücksichtigung der Richtlinie 2001/18/EG. Die Autoren halten zunächst fest, dass dieser Begriff einer Klarstellung bedarf, da es sich „bei den unbeabsichtigten Auskreuzungen, um vorhersehbare, geradezu typische Folgen einer genehmigten Freisetzung“ handelt.

Anschließend gehen die Juristen unter anderem auf ein Antwortschreiben der Europäischen Kommission vom 21. Februar 2006 - gerichtet an das deutsche Verbraucherschutzministerium - ein, wonach „geerntete konventionelle Erzeugnisse mit Auskreuzungsspuren aus Freisetzungen von GVO wegen des Fehlens von Grenzwerten (offenbar ausnahmslos) einer Genehmigung nach Teil C der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG bedürfen.“ Bei ungeprüften GVOs agiert die EU offenbar nach dem Vorsorgeprinzip. Die Gutachter kommen im Gegensatz dazu aber sinngemäß zu dem Schluss, dass sich Deutschland nicht zwingend an diese EU-Interpretation halten müsse, da diese unverhältnismäßig sei. Mit juristischer Brillanz oder auch Spitzfindigkeit wird dann noch dargelegt, dass allzu strenge Richtlinien bei Freisetzungen die Forschungsfreiheit und damit die Wirtschaft gefährden würden, was - so offensichtlich die Rechtsmeinung der Autoren – auch nicht im Sinne der EU bzw. der Ausrichtung des Gemeinschaftsrechts sein könne.

Auffällig bei dem Gutachten ist zudem die Betonung des Aspekts der Freiheit der Forschung. Es wäre wirklich spannend, dieses Dokument von Philosophen auf die zugrundeliegende Wertestruktur hin analysieren zu lassen. Wird die Wahlfreiheit des Individuums ausreichend geachtet? Wie wird das Vorsorgeprinzip im Verhältnis zu Wirtschaftsinteressen gewertet? Wo wären die Grenzen der Forschung zu setzen, wenn diese ohne Beeinträchtigungen des Nachbarn und seiner Güter nicht leistbar ist, etc.

Abgesehen von diesen gesellschaftspolitischen Überlegungen, stellt sich natürlich primär die Frage, ob das Gutachten einer genauen juristischen Prüfung standhalten würde und ob die Schlussfolgerungen für jede Freisetzung von GVOs (Stichwort Pharmapflanzen!) anwendbar sein sollten, was an dieser Stelle natürlich ebenso wenig abschließend beurteilt werden kann. Fakt ist allerdings, dass das Gutachten in verschiedenen Ministerien deponiert wurde.

Was wir hören, ist, dass Agrarminister Horst Seehofer die Auffassung der DIB-Gutachter nicht teilt. Forschungsministerin Annette Schavan unterstützt aber die Pläne der Industrie: In einem Schreiben an Greenpeace vom August 2006 setzt sie sich ausdrücklich für eine entsprechende Regelung im deutschen Gentechnikgesetz ein. Am meisten ärgert mich, dass sich die Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie, aber offensichtlich auch Schavan, noch nach dem Verunreinigungsskandal mit Gentech-Reis LL601 hinstellen und für Liberalisierungen plädieren.

Christoph Then

Die Verbraucher würden eine solche Regelung sicher nicht goutieren. Und es stellt sich natürlich darüber hinaus die Frage, ob bei einer lockeren Handhabung von Freisetzungen europäische Landwirte nicht irgendwann einmal in ähnliche Bedrängnis geraten können, wie derzeit ihre US-Kollegen, die sich jetzt mit Bayer um Schadenersatz raufen müssen. Es könnte ja der Fall eintreten, dass aus einem Freisetzungsversuch gröbere Verunreinigungen mit GVOs entstehen, die uns die USA oder andere wichtige Exportländer postwendend wieder zurückschicken würden.

Greenpeace will jedenfalls eine sehr erfolgreiche Email-Protest-Aktion gegen Bayer fortsetzen.. Bayer wird von der NGO damit auch aufgefordert, den US-Landwirten angemessenen Schadenersatz für die Verunreinigungen mit Gentech-Reis LL601 zu leisten.