Virtueller Nazi-Aufmarsch nur halbe Sache

Die rechtsextreme Szene ist an der Durchführung ihrer ersten Onlinedemo gescheitert - vielleicht wollte sie auch nur mediales Aufsehen erregen

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Die erste von Neonazis organisierte Online-Blockade einer antifaschistischen Homepage ist am Sonnabend gescheitert. Parallel zu ihrem „Heldengedenken“ in Brandenburg wollte die Braunszene durch eine DOS-Attacke die Server des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit lahm legen. Gegen 12 Uhr wurde zwar ein Daten-Angriff registriert – doch die Website Tag der Demokraten ging nicht in die Knie. Auf Brandenburgs Straßen demonstrierten am 18. November mehrere tausend Menschen gegen Neonazis. Am Soldatenfriedhof Seelow marschierten hunderte Neonazis auf.

Ende Oktober hatten Neonazis bekannt gegeben, dass sie am Sonnabend vor dem Volkstrauertag zeitgleich zu ihrem „Heldengedenken“ in Brandenburg die Informations- und Mobilisierungshomepage „Tag der Demokraten“ blockieren wollten (Virtueller Aufmarsch von Rechts). Doch die Homepage blieb am Samstag „größtenteils verfügbar“, sagte der Webmasters des Aktionsbündnisses gegenüber Telepolis. Man habe Vorkehrungen getroffen und im Vorfeld des Angriffs die Serverleistungen aufgestockt.

„Der Angriff hat nicht wirklich Früchte getragen“, kommentierte der Webmaster gegen 16.30 Uhr die abgewehrten DOS-Attacken. Zu Einschränkungen kam es jedoch, da IP-Adressen von Surfern, die in sehr kurzen Zeitabständen versuchten, die Homepage mehrfach neu aufzurufen, an einer automatisch greifenden Zugriffssperre für die Website scheiterten. Möglicherweise war das der Grund dafür, dass sich um 18.10 Uhr ein Neonazi in einem Szene-Forum freute: „Bei mir leider nicht mehr zu erreichen. Ein Ping führt ebenfalls zu ‚Zeitüberschreitung der Anforderung’.“ Schon um 18.11 Uhr antwortete indes ein anderer Neonazi, die Seite sei doch weiterhin aufrufbar.

Die Mobilisierungspage zur Neonazi-„Netz-Demo“ war zuerst anonym online gestellt worden. Der virtuelle Aufmarsch sollte eine Art späte Rache sein dafür, dass vergangenes Jahr rund 2.000 Teilnehmer des Straßen- und Kulturfestes „Tag der Demokraten“ den Naziaufmarsch zum Waldfriedhof in Halbe blockiert hatten. Zwischen Neonazis und der Polizei war es deswegen zu Rangeleien und Gewalt gekommen.

„Gegen unsere Netz-Demonstration helfen keine Gummiknüppel und keine Marionetten“, schrieben „Freie Netzkräfte“ vollmundig. Deren Homepage ging jedoch schon Anfang November selbst vom Netz. Die Inhalte der Website wurden indes zeitgleich auf der Homepage des Freundeskreises Halbe publiziert. Der Aufruf war nun also auch offizieller Teil des „Heldengedenkens“, womit zumindest dessen Organisatoren bei zivilrechtlichen Ansprüchen mit einer Klage zu rechnen hätten.

Zwar hatte Anna Spangenberg vom landesweiten Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit den Medien Anfang November gesagt, man prüfe, ob man Strafanzeige erstatten werde. Indes ergänzte Spangenberg: „Unseres Erachtens soll die Aktion nur mediale Wirkung haben.“ Christian Hochhuth, Mitorganisator von Onlineprotesten gegen Rechts in Berlin, sagte der taz, es das erste Mal, dass Neonazis sich im Netz behaupten wollten: „Andererseits ist das auch keine ernsthafte Bedrohung, da die Mobilisierung zum Gegenprotest am Sonnabend bereits gelaufen sein wird.“

Innerhalb der Braunszene war die „Netz-Demo“ umstritten. Schon am 30. Oktober hatte ein Neonazi in einem Szeneforum bekundet, jene Protestform sei in seiner Liste der „bescheuerten Dinge, die einem im täglichen Leben begegnen“, prominent platziert worden. Andererseits stieß der Aufruf zum virtuellen Protest auch auf Zustimmung. So stellte ein Neonazi in einem anderen Forum fest, die Idee sei „nicht schlecht“ und nach zahlreichen antifaschistischen Hackattacken gegen rechte Homepages und Versandhandlungen „können wir auch im Netz mal gegen die Antifaschisten zurück schlagen.“ In einem anderen Szeneforum stellte ein Nutzer zum anberaumten Zeitpunkt der „Netz-Demo“ fest, es mache „keinen Sinn eine Mobilisierungsseite am Tag der Demo zu stören“. Dies hätte im Vorfeld geschehen müssen.

Dem realen „Heldengedenken“ war – wie in den Jahren zuvor – ein „Rechtskampf“ der Organisatoren rund um die Neonazis Lars Jakobs und Christian Worch voran gegangen. So hatte der brandenburgische Landtag erst kürzlich ein neues Versammlungsgesetz beschlossen, das Versammlungen an Gräberstätten verbietet – besonders in Halbe. Der neonazistische „Freundeskreis Halbe“ ging in mehreren Instanzen rechtlich dagegen vor und wollte nicht akzeptieren, dass das „Heldengedenken“ nur als Standkundgebung am Bahnhof in Halbe stattfinden sollte. Jakobs wollte vor Gericht erstreiten, mit den „Kameraden“ bis zum Waldfriedhof marschieren zu dürfen, um dort abermals eine „Kranzniederlegung und Ehrenerweisung“ zu zelebrieren. Das Bundesverfassungsgericht wies am 17. November Jakobs’ Eilantrag gegen eine dies ablehnende Anordnung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg als unzulässig zurück.

Die Braunszene hatte diese Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht offenbar vorausgeahnt. Neben dem laufenden „Rechtskampf“ um Halbe hatten sie am 13. November eine „zweite Front eröffnet“ und angekündigt, am Friedhof in Seelow aufzumarschieren. „Die Seelower Höhen waren Schauplatz einer der letzten bedeutsamen Schlachten des Zweiten Weltkrieges; auch dort stellten deutsche Soldaten und ausländische Verbündete sich mit todesverachtender Tapferkeit dem Ansturm übermächtiger Horden der Roten Armee“, hatte der „Freundeskreis Halbe“ begründet, warum das „Gedenken“ in Seelow jenem seit Jahren in Halbe zelebrierten gleichkäme. Auch gegen polizeiliche Auflagen für den Aufmarsch in Seelow gingen die Neonazis gerichtlich vor. Schon zwei Tage später konnte die Braunszene aber stolz verkünden: „Die Schlacht um die Seelower Höhen ist bereits gewonnen...“ In Seelow werde man den Gefallenen am Friedhof gedenken. „Das neue Gräber-Versammlungsgesetz konnte sich bislang noch nicht durchsetzen um unsere Veranstaltungen zu verhindern“, so der „Freundeskreis Halbe“.

Mehr als 8.000 Menschen demonstrierten am Sonnabend in Halbe gegen die Neonazis mit dem Stadtfest „Tag der Demokraten“. Aufgerufen dazu hatte ein parteiübergreifendes Bündnis, darunter der Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck, Landtagspräsident Gunter Fritsch (beide SPD) und Altbundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU). Es fanden eine Menschenkette und eine Kundgebung statt, an der unter anderem die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth, teilnahm. Landtagspräsident Fritsch sagte: „Wir haben das Ziel erreicht und eindrucksvoll bewiesen, dass wir hier mehr Demokraten sind als Nazis in ganz Deutschland.“

Im mehr als 100 Kilometer von Halbe entfernten, östlich von Berlin gelegenen Seelow versammelten sich unterschiedlichen Berichten zufolge am Samstagnachmittag 700 bis 1.000 Neonazis. Sie zogen für eine Kundgebung mit Kranzniederlegung zum städtischen Friedhof. Zwischen 600 und 1.000 Gegendemonstranten setzten hier ein Zeichen gegen Rechts. Dazu hatten unter anderem der Bürgermeister von Seelow sowie Vereine und gesellschaftliche Gruppen aufgerufen. „Es ist erstaunlich, was Seelow in so kurzer Zeit auf die Beine gestellt hat,“ sagte Angela Fleischer von der Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule (RAA). Zwischen 1.500 und 1.700 Polizisten aus Brandenburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt sowie der Bundespolizei sollen in Halbe und Seelow im Einsatz (gewesen) sein.