Der Fortschritt ist eine Schnecke

UN-Klimakonferenz hat sich trotz Dringlichkeit der Probleme auf wenig Konkretes geeinigt

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Freitagabend ging in Kenias Hauptstadt Nairobi eine große UN-Klimakonferenz zu Ende. 189 Länder hatten ihre Vertreter geschickt. Man trifft sich jährlich, doch in diesem Jahr zum ersten Mal südlich der Sahara, dort, wo der Klimawandel bereits seine drastischen Spuren hinterlässt.

An mahnenden Worten hat es nicht gefehlt. Diesmal war es sogar der scheidende UN-Generalsekretär, der den versammelten über 100 Umweltministern aus aller Welt ins Gewissen redete:

Climate change is also a threat to peace and security. Changing patterns of rainfall, for example, can heighten competition for resources, setting in motion potentially destabilizing tensions and migrations, especially in fragile States or volatile regions. There is evidence that some of this is already occurring; more could well be in the offing. This is not science fiction. These are plausible scenarios, based on clear and rigorous scientific modelling. A few diehard sceptics continue to deny “global warming” is taking place and try to sow doubt. They should be seen for what they are: out of step, out of arguments and out of time. In fact, the scientific consensus is becoming not only more complete, but also more alarming. Many scientists long known for their caution are now saying that global warming trends are perilously close to a point of no return.

Kofi Annan

Beigetragen dazu, dass die Stimmen der Klimawissenschaftler alarmierender werden, hat sicherlich auch, dass die Anzeichen des einsetzenden Klimawandels inzwischen vielerorts zu besichtigen sind. Zum Beispiel auch im Gastgeberland Kenia, in dem einige Regionen seit drei Jahren von einer schweren Dürre heimgesucht werden und hunderttausende Viehhirten ihre Existenzgrundlage verloren haben. Pünktlich zur Klimakonferenz war die Küstenregion Kenias, einschließlich Nairobis, allerdings vom Gegenteil betroffen: Schwere Unwetter legten tagelang Teile des Landes lahm, schwemmten Brücken weg und verschafften den Umweltministern auf dem Konferenzgelände nasse Füße.

In tropfenden Zelten saßen dort die Delegierten von 189 Ländern zusammen, die Mitglied der Klimarahmenkonvention sind. Die Konvention war 1992 auf dem UN-Gipfel für Umwelt und Entwicklung unterzeichnet worden. In ihr hatten sich die Staaten darauf geeinigt, „die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene (von Menschen gemachte) Störung des Klimasystems verhindert wird“.

Seit 1995 trifft man sich Jahr für Jahr, um darüber zu sprechen, wie dieses Ziel zu erreichen ist. In der Konvention steht auch, dass die Industriestaaten als ersten Schritt bis zum Jahr 2000 ihre Treibhausgasemissionen auf das Niveau von 1990 zurückfahren sollten. Später haben allerdings findige US-Juristen herausgefunden, dass die gewählte Formulierung keine rechtliche Bindungskraft hat. Schließlich wurde in der alten japanischen Kaiserstadt Kyoto 1997 ein Protokoll unterschrieben, das für die Industriestaaten erstmalig verbindliche Reduktionsziele vorsah. In der Phase 2008 bis 2012 sollen sie durchschnittlich ihre Emissionen um fünf Prozent reduziert haben. Nach dem auch Russland das Protokoll ratifiziert hatte, trat es im Frühjahr 2004 endlich in Kraft.

Doch das globale Ziel wird wohl nicht mehr erreicht werden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die USA die Ratifizierung verweigern und ihre Emissionen von 1990 bis 2004 um 15,8 Prozent gesteigert haben. Außer den USA haben zwei weitere Länder aus der Annex-I-Liste die Ratifizierung verweigert: Australien und die Türkei. Im Annex I des Kyoto-Protokolls sind jene Länder erfasst, die ihre Treibhausgase reduzieren müssen. Spitzenreiter unter den Industriestaaten ist, was die Steigerung der Treibhausgasemissionen angeht, übrigens die Türkei, die um rund 70 Prozent zugelegt hat. Ankara ringt seit Jahren darum, aus der Liste der Annex-I-Staaten gestrichen zu werden, in die es als OECD-Mitglied aufgenommen worden war. Tatsächlich ist die türkische Volkswirtschaft vom Umfang eher vergleichbar mit einigen Schwellenländern in Südamerika und Asien und entsprechend auch ihre Treibhausgas-Emissionen.

Aber nicht nur die USA und Australien (plus 25,1 Prozent) sind schuld daran, dass die globalen Industriestaaten nicht ihr gemeinsames Kyoto-Ziel werden erreichen können. Auch andere Staaten wie Kanada (plus 26,6 Prozent) oder Spanien (plus 49 Prozent, erlaubt sind im Rahmen des EU-internen Ausgleichs plus 15 Prozent) tragen das Ihre dazu bei. Die EU hat sich auf eine Reduktion um acht Prozent verpflichtet, war 2004 aber erst beim Stand von -0,6 Prozent. Auch Deutschland hat noch einiges draufzulegen, denn 2004 waren von den versprochenen 21 Prozent Minderung erst 17,1 Prozent erreicht. Einen Überblick über die Treibhausgas-Emissionen der Annex-I-Staaten bietet das Sekretariat der Klimarahmenkonvention in Bonn.

Streit um die Verantwortung

Inzwischen geht es auf den Klimakonferenzen allerdings bereits um die Frage, was nach dem Kyoto-Protokoll kommt. Die Zeit für das Aushandeln eines neuen Vertrages ist sogar schon ziemlich eng. Das Kyoto-Protokoll wird 2012 auslaufen, und wenn der neue Vertrag direkt anschließen soll, muss man sich schon mächtig beeilen. Von dieser Dringlichkeit war in Nairobi allerdings wenig zu verspüren, zumindest nicht bei den Delegationen der großen Industriestaaten.

In den gefällten Entscheidungen ist hauptsächlich die Rede davon, wie die Verhandlungen künftig weitergehen sollen, das heißt die Gespräche wurden dominiert von Meta-Diskussionen über das Prozedere. Der einzige einigermaßen handfeste Beschluss betrifft die Einrichtung eines Anpassungsfonds, der den ärmeren Ländern helfen soll, mit Dürren, Unwettern, Ernteausfällen und anderen Folgen des Klimawandels fertig zu werden, die nicht mehr zu vermeiden sind. Die Ausstattung des Fonds ist jedoch bescheiden. Nach unterschiedlichen Angaben wird er bis 2012 mit 300 bis 700 Millionen Euro ausgestattet sein. Das wird auf jeden Fall nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sein und reicht zum Beispiel gerade für den Hochwasserschutz einer Stadt wie Hamburg.

Ansonsten hat man sich zumindest geeinigt, dass die Überprüfung der Ergebnisse des Kyotoprotokolls auf der übernächsten Konferenz stattfinden wird. Diese Frage hatte sich zum Stolperstein erwiesen, denn die EU versucht in diesem Rahmen Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien zu drängen, verbindliche Obergrenzen für Emissionen festzuschreiben. Auch Australien und die USA verweisen gerne vor allem auf China: "If you can bring the rapidly industrialising nations into some form of commitments under a new Kyoto then you will have something that is effective", meinte zum Beispiel Australiens Umweltminister Ian Campbell nach der Konferenz in Nairobi.

Ähnliche Äußerungen, die er während der Konferenz gemacht hatte, brachten einen chinesischen Delegierten derart in Rage, dass er die ansonsten sprichwörtliche Zurückhaltung der chinesischen Diplomatie vergaß, und im Plenum darauf aufmerksam machte, dass Chinas Pro-Kopf-Emissionen noch immer weit unter den australischen Werten liegen. Auch Indiens Umweltminister Shri Namo Narain Meena wies das australische Ansinnen zurück. Die Forderungen „einiger wichtiger Annex-I-Staaten, die ihren völkerrechtlich verbindlichen Verpflichtungen nicht nachkommen“, auch Entwicklungsländer sollten nach 2012 Reduktionsverpflichtungen übernehmen, seien „schrill“ und „surreal“.

Im Jahre 2000 wurden laut Fischer Weltalmanach 2006 in China 2,2 Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid emittiert, in Brasilien 1,8, in Indien 1,1, in Deutschland 9,6, in Australien 18 und in den USA 19,8. China hat im Übrigen trotz rasanten Wirtschaftswachstums in den 1990er Jahren den Pro-Kopf-Ausstoß fast konstant gehalten, weil gleichzeitig die Energieeffizienz wesentlich erhöht wurde. Dieser Trend hält auch weiter an, wie eine auf der Klimakonferenz vorgelegte Studie zu zeigen scheint. Bis 2010 soll der Energieaufwand pro Einheit Wirtschaftsleistung um weitere 20 Prozent gegenüber 2005 gesenkt werden, hatte der chinesische Volkskongress im Frühjahr mit der Annahme des Fünfjahresplanes beschlossen. Außerdem werden sowohl in China als auch in Indien umfangreiche Programme zur Förderung regenerativer Energiequellen aufgelegt.

Dass sich die beiden Staaten dennoch so vehement dagegen sträuben, sich auf Emissionsgrenzen festlegen zu lassen, ist eine Frage der Verhandlungsstrategi, aber auch ihres Gerechtigkeitsempfindens. Sie können darauf verweisen, dass die bisher in der Atmosphäre akkumulierten Treibhausgase fast ausschließlich auf das Konto der Industriestaaten gehen. Biosphäre und Ozeane nehmen zum Beispiel einen Teil des emittierten Kohlendioxids auf. Rechnet man diese Aufnahmekapazität auf alle Menschen um, so stehen jedem etwa zwei Tonnen pro Jahr zu. Wenn man das mit obigen Pro-Kopf-Werten vergleicht, ist klar, weshalb in der Klimarahmenkonvention die besondere Verantwortung der Industriestaaten betont wird. Und es wird auch verständlich, weshalb sich alle Industriestaaten dagegen wehren, den Ländern Emissionsrechte entsprechend ihrer Bevölkerung zuzuweisen.

Auch den Regierungen in Peking und Neu Delhi ist klar, dass der Planet in die Katastrophe geführt würde, wenn Inder und Chinesen auch nur ein Viertel dessen beanspruchen würden, was sich US-Amerikaner oder Australier (oder die Hälfte dessen, was sich Deutsche) herausnehmen. Aber sie verlangen zurecht, dass die Industriestaaten erst ihre Verpflichtungen erfüllen, die keineswegs mit dem Kyoto-Protokoll ausgeschöpft sind, bevor sie den Finger auf andere richten.

Nairobi hat gezeigt, dass dieser alte Streit auch die nächsten Konferenzen belasten wird und noch zum ernsthaften Problem werden könnte, wenn in einem Jahr endlich über konkrete Zahlen für die Zeit nach 2012 verhandelt wird.