"Ich hasse es, überflüssig zu sein"

Die erwartbaren Reaktionen und Verdächtigen: Wieder einmal wird die Ursache des Amoklaufs in Emsdetten bei den "Killerspielen" gesucht

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Die politischen Schnellschüsse nach dem erfreulicherweise eigentlich misslungenen Selbstmordattentat des 18-Jährigen in Emsdetten waren zu erwarten und sind ebenso vorhersagbar wie die Reaktionen, die auf jeden erfolgten oder geplanten Terroranschlag folgen. Nachdem der Schüler, der sich als Loser empfand, sich als „ResistantX“ und mit einer Website „stay-different.de“ nach Auflehnung und Ausweg suchte und seinen Selbstmord als spektakulären Rachefeldzug inszenierte, wohl Gefallen an Computerspielen wie Counterstrike oder Doom fand, sollen nun wieder einmal die „Killerspiele“ verboten werden. Der von Telepolis veröffentlichte Abschiedsbrief zeigt allerdings ganz andere Hintergründe und Motive: "Ich will R.A.C.H.E".

Die Politiker der großen Koalition sind einer Meinung. Ihnen scheint unerheblich zu sein, dass der 18-Jährige bereits ein Erwachsener war, bei dem Verbote von Spielen kaum mehr etwas fruchten würden. Gleichwohl fordert Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) unverdrossen, dass der Gesetzgeber nun endlich handeln müsse. Natürlich ist hier der brandenburgische Innenminister Schönbohm gleich mit derselben Forderung zu hören. Auch SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sprach sich für ein Verbot aus.

„Ich hasse es, ich hasse es immer der Doofmann für alle zu sein. Ich hasse es immer als Depp hingestellt zu werden. Ich hasse es immer das Individuum zu sein, welches als überflüssig erscheint.

Fragt sich nicht nur, ob die Killerspiele die Ursache für die selbstmörderische Wut des jungen Mannes waren, die ihn letztlich zu einer solchen Tat trieben. Deren Vorbild war wohl, wie aus seinen Äußerungen hervorgeht, das Massaker von Columbine, das man als eine Art Urszene beschreiben kann. Auch die Täter von Columbine hatten unter anderem Killerspiele gespielt, Videos gedreht, im Internet agiert, Gefallen an langen schwarzen Mänteln und martialischem Auftreten gehabt und waren von realen Waffen fasziniert, auch sie waren Außenseiter und des Lebens müde, das ihnen nichts mehr bot. Ein Livejournal-„Freund“ von ResistantX, der hier einen Account als http://resistantx.livejournal.com/ hatte, schreibt:

ich lebe in … langweile mich den ganzen tag und gehe ab und an mal gern auf Party und treffe freunde.. sonst sitz ich meist vorm Pc, weill ich auf niemanden so recht lust habe ^^ ja das ist eigendlich alles was man über mich wissen sollte ...

Ach ja noch etwas ... alles wirklich alles was ich mache hat meist irgendwas mit den anschlag auf die Columbine High School am 20.4.1999 zu tun ... ich würde fast sagen das diese geschichte nicht nur mein leben verändert hat... nein es IST mein leben geworden ...

Columbine ebenso wie die permanent vorgeführten, in den Medien und von den Politikern ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückten Selbstmordanschläge sind konsequent geplante und durchgeführte Endspiele, inszeniert für die mediale Aufmerksamkeit ("I hate so much"). Ihr Erfolg steckt an, Killerspiele mögen die Fantasie von derart zum Tod Entschlossenen vielleicht bekräftigen, mit ihnen können diese vielleicht den letzen Schritt simulieren und auskosten, der für den blutigen und von Wut bestimmten Abschied aus der Welt verantwortliche Hintergrund sowie die Aussicht auf posthumen Aufmerksamkeitserfolg lassen sich Killerspiele weniger heranziehen, da dürften sich die Politiker und Medien, die nun die Geschichte aufbauschen und ausbreiten, auch mal selbst an die Nase fassen – was freilich kaum zu erwarten ist, da die Geschichte einfach zu „schön“ ist und viele Erwartungen und Interessen befriedigt.

Die Post-Punk-No-Future-Jugendlichen oder die jungen „Überflüssigen“, die im Westen alleine oder in Kleinstgruppen, in islamistischen Kreisen wohlorganisiert und mit einer religiös-politischen Agenda wenigstens ihren Untergang zelebrieren wollen, handeln nicht aus spontanem Entschluss. Die Taten werden oft lange und bis ins Detail vorbereitet, um dann, vielleicht aus irgendeinem Anlass heraus, der den letzten Schub gibt, exekutiert zu werden. Offenbar gab es auch bei dem 18-Jährigen viele Hinweise darauf, dass sich hier etwas anbahnen könnte. Allerdings sind Jugendliche in diesem Alter gerne ebenso trotzig, fasziniert von Extremen, verzweifelt und depressiv, unsicher vor der Zukunft und geplagt von großen Wünschen, deren Ziele und Einlösungen sie zudem überall in der Aufmerksamkeits- und Prominentenkultur der Medien wahrnehmen können.

“Den Namen 'ResistantX' habe ich mir 2003 oder 2004 zugelegt. 'ResistantX' ist gleichzusetzten mit 'Vergänglichkeit', da alles bis zu einem bestimmten Punkt (X) standhaft ist, aber irgendwann zusammenbricht. Vergänglichkeit ist meiner Meinung nach das Beste, was es auf dieser Welt gibt!"

Das kann zu Implosionen und Zerreißungen führen, an denen niemand und nichts wirklich im Einzelnen Schuld sein muss, aber deren Häufigkeit sich wohl noch steigern dürfte, weil die Kluft zwischen denjenigen, die gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Anerkennung gefunden haben, und den Verlieren immer größer werden wird und zugleich die Verlierer – gleich ob durch die Columbine-Szene oder Terroranschläge - sehen, wie sich mit relativ einfachen Mitteln der Aufmerksamkeitserfolg bewirken lässt – auch wenn es um den Preis des eigenen Lebens ist. Und vermutlich handelt es sich bei diesen Selbstmordattentätern auch um Menschen, die eher sensibel durchs Leben gehen und sich nicht aus Angst und Einfallslosigkeit damit abfinden, sich durch das Leben hindurchzuwursteln. Vielleicht wissen sie, dass sie feige sind und den Schritt in die Realität des Erwachsenenseins und der damit verbundenen Ent-Täuschung nicht wagen, weswegen sie mit dem Amoklauf, an dessen der Selbstmord oder der Tod durch Erschießung geplant ist, ihren Mut herausfordern und wenigstens ein Abenteuer wirklich begehen oder sich – und ihre Opfer - ein erstes und letztes Mal mit der Wirklicheit der Irreversibilität konfrontieren.

Ein Verbot der Killerspiele? Seit langen ist bekannt, dass nicht Computerspiele, sondern das überquellende Vorhandensein von Handfeuerwaffen die meisten Todesopfer und Verletzten fordern. Gewehre sind weit vor dem Sprengstoff die wirkliche Massenvernichtungswaffe. Auch der Emsdetter Schüler konnte sich offenbar über das Internet mit mehreren Waffen und der entsprechenden Munition, aber auch mit Sprengstoff versorgen und hat mit Bomben, Waffen und Kampfanzügen schon lange vor der Tat trainiert und experimentiert. „ResistantX“ zog einen Tag, bevor er vor Gericht wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz erscheinen sollte, in den Tod.

Update: Wie die Welt berichtet, hatte sich Sebastian B. offenbar ohne Probleme Waffen auf der Auktionsseite eGun - Der Marktplatz für Jäger, Schützen und Angler unter seinem bekannten Pseudonym ResistantX erwerben können. 10 Käufe hatte der Jugendliche dort angeblich getätigt. Das erste Mal im März 2005, den Rest im Oktober und November 2006, also kurz vor seiner Tat. Bei der Autktionsseite hat man eilends alle Einträge mitsamt den Bewertungen bei den Verkäufern gelöscht. Dennoch will man von nichts wissen:

„WELT.de befragte den Besitzer des mit Egun verbundenen Darmstädter Waffengeschäftes nach dem Grund für die Löschungen. Peter F. sagte: „Ich weiß von nichts.“ Er sei nur beratend tätig, sein Geschäftspartner Andreas B. sei mit dem Online-Shop befasst. Andreas B. war nicht zu erreichen.“