Datenbank mit potenziellen Gewalttätern

Scotland Yard will über Persönlichkeitsprofile und Risikoanalysen die Menschen identifizieren und präventiv unter Beobachtung stellen, die eine schwere Gewalttat begehen könnten

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In Großbritannien wurde 2004 bei Scotland Yard die Homicide Prevention Unit (HPU), also die Abteilung zur Mordprävention, gegründet. Ihre Aufgabe ist es, aus der Analyse von Mördern, Vergewaltigern und anderen Gewalttätern der Vergangenheit und der Gegenwart ein Profil für Menschen und ihren Lebensweg zu erstellen, mit dem sich riskante Personen frühzeitig erkennen lassen sollen. Ein durchschnittlicher Mord, so Andy Baker, Leiter der Mordkommission, kostet den Staat Hunderttausende von Euro, bis es zur Verhandlung kommt, weswegen es eine gute Investition sei, Geld in die Prävention zu stecken, zumal damit auch Leben gerettet würden.

Geleitet wird die HPU von der Psychologin Laura Richards. Aus den Persönlichkeitsprofilen schon gestorbener Mörder, aus Gesprächen mit verurteilten Mördern sowie aus wissenschaftlichen Erkenntnissen aller Art, wurden Merkmale herausgearbeitet, anhand derer potenzielle Mörder identifiziert werden können. Das soll möglichst früh geschehen, da angeblich die Karrieren von Mördern bereits in der Jugend mit kleineren Vergehen beginnen und viele bereits als Kinder nicht nur in schwierigen Familienverhältnissen leben, sondern bereits dort Auffälligkeiten zeigen. Spätere Mörder hätten beispielsweise oft in ihrer Kindheit Tiere gequält.

Mit einbezogen werden auch die Opfer, die Orte, an denen Morde begangen wurden, und die Vorgehensweise. Als Kategorien gibt es etwa häusliche Morde, Ehrenmorde, Morde von psychisch Kranken, Ritual-, Auftrags-, Kinder-, Senioren- oder Prostituiertenmorde. Der problematische Aspekt ist natürlich nicht der Versuch, entsprechende Persönlichkeitsprofile aus den vorhandenen Informationen und Theorien herzustellen, sondern anhand dieser präventiv Menschen als mögliche Mörder zu identifizieren.

Genau dies aber ist der Sinn der HPU, die eine Datenbank mit den Profilen der riskantesten Personen anlegt. Das erinnert an den Science Fiction-Film Minority Report (Kullernde Augen und die Suche nach den wahren Bildern), allerdings fanden Filmproduzenten diese Idee offenbar so interessant, dass schon vor zwei Jahren eine BBC-Serie mit dem Titel Murder Prevention Unit gesendet wurde. Sie bezog sich auf die im Aufbau befindliche Abteilung von Scotland Yard und stellte einige Fälle dieser noch fiktiven Eingreiftruppe dar, die in letzter Sekunde kurz vor der Tat und teils mit fragwürdigen Methoden und Vermutungen Morde verhindert und potenzielle Mörder festnimmt.

The MPU uses modern scientific methods combined with old-fashioned police instinct to identify and arrest potential murderers. But they’re always under pressure to collect sufficient evidence of the suspect’s intent to kill.

Die Leiterin der wirklichen Abteilung, Laura Richards, erklärte der Times, das Ziel sei es, in London die hundert gefährlichsten Menschen aufgrund der ausgearbeiteten Persönlichkeitsprofile zu kennen. Es gebe „einige sehr gefährliche Menschen da draußen“, weswegen man die Risikomodelle benötige, um sie zu erkennen: „Das ist der Versuch, Ian Huntley (Mörder zweier Schulmädchen) herauszupicken, bevor er losgeht und den Mord begeht. Dann haben wir die Möglichkeit zu verhindern, dass etwas sich in ein tödliches Ereignis verwandelt.“ Richards ist sich offenbar sehr sicher, dass man dann, wenn man alle Informationen zusammenfügt, die riskanten Menschen erkennt. Das muss sie wohl auch, um ihre Abteilung am Leben zu erhalten.

Wie die Times berichtet, wird die erstellte Datenbank bereits seit zwei Monaten in einigen Stadtbezirken Londons getestet. Zugriff auf die Namen auf der Liste scheinen nicht nur Polizisten, sondern auch andere Behörden zu haben, um Gewalttaten zu verhindern. Im Augenblick beschränkt man sich noch auf Menschen, die bereits Gewalt in der Familie ausgeübt haben, da diese zu Mördern werden könnten. Ein Viertel aller Mörder habe, so Richards, zuvor häusliche Gewalt begangen. Ist eine Person als riskant eingestuft, so müsse die Polizei entscheiden, sagte Richards, ob sie eine Festnahme vornimmt oder andere Behörden auf diese aufmerksam macht, damit sie in soziale Programme aufgenommen werden.

Genau diese Eingriffe in das Leben von Personen, die verdächtigt werden, in Zukunft ein schweres Verbrechen begehen zu können, aber dieses noch nicht begangen oder auch beabsichtigt bzw. geplant zu haben, ist äußerst bedenklich und ein weiterer Schritt in die Überwachungsgesellschaft. Möglicherweise lassen sich so zwar vielleicht Gewalttaten tatsächlich verhindern, das Risiko ist aber sicherlich auch hoch, Menschen falsch zu verdächtigen und sie als potenzielle Mörder zu brandmarken oder gar für eine noch nicht begangene Tat in eine Art Schutzhaft zu nehmen.

Vor kurzem hatte die HPU Schlagzeilen gemacht, als sie ein Phantombild von „Jack the Ripper“ veröffentlichte, das nach vorhandenen Zeugenaussagen hergestellt wurde. Ein unbekannter Täter hatte 1888 in London mindestens fünf Frauen getötet und verstümmelt. Nach dem erstellten Profil ist man auch relativ sicher, die Straße gefunden zu haben, in der er vermutlich gelebt hatte. Man geht davon aus, dass die Polizei den Mann zwar vielleicht verhört, aber ihn nicht verdächtigt hatte, weil er zu „normal“ aussah.