Redaktionelle Unabhängigkeit

Eine Tagung der Deutschen Journalisten Union in der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di untersucht neue Zensurmechanismen

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Ein älterer Mann erschien auf der Tagung der Deutschen Journalistenunion der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di am Samstag mit einem Maulkorb vor dem Mund. Es war sein spezieller Beitrag zum Thema des 20. Journalistentages. Zensor Markt lautete in diesem Jahr das Thema. Die Ein-Mann-Demonstration war auch die letzte Reminiszenz an die Zensur alten Stils auf dieser Tagung.

Denn die Veranstaltung widmete sich ansonsten weniger subtilen Mitteln der Einflussnahme auf die Presse. Wenn selbst renommierte Zeitungsverleger ganz stolz erklären, dass das Ressort Reisen von der örtlichen Tourismusbranche gestaltet wird, wenn sich nicht selten der Eindruck aufdrängt, dass die Texte vor allem der Auflockerung der Werbeanzeigen dienen, stellt sich schon die Frage, ob da noch eine eigene Meinung jenseits der Anzeigenabteilung möglich ist.

Das Problem ist nicht neu. Schon Ende der 70er Jahre schasste der Herausgeber des Magazins Stern, Henry Nannen, seinen damaligen Kronprinzen Manfred Bissinger, weil der Artikel zu verantworten hatte, die lukrative Anzeigenkunden verärgerten. Zu dieser Zeit gab es allerdings noch eine heftige Debatte um die Durchsetzung von Redaktionsstatuten. Die Journalisten sahen in ihnen Instrumentarien zur Verteidigung ihrer publizistischen Unabhängigkeit.

Der Leipziger Journalistikprofessor Michael Haller hat in seiner Zeit als Journalist selber an der Etablierung von Presseräten mitgewirkt. Heute sieht er deren Rolle nicht ohne Wohlwollen aber mit einer gewissen Distanz. Schließlich seien sich die Journalisten nie einig gewesen, so dass am Ende doch der Herausgeber das Heft an der Hand behalten habe. Die Idee, auf diese Weise die Autonomie der Journalisten zu stärken, sei ebenso gescheitert wie andere Modelle im In-und Ausland.

Das Umfeld der Werbeindustrie

Trotzdem sieht Haller auch in Zukunft die Unabhängigkeit des Journalismus nicht in Gefahr. Schließlich seien nicht nur die Journalisten, sondern auch die Eigentümer von Zeitungen an der Glaubwürdigkeit. ihres Mediums interessiert. Selbst die Industrie könne kein Interesse daran haben, in einer Zeitung zu annoncieren, der der Ruf vorausgeht, ein Sprachrohr der Wirtschaft zu sein. Dazu aber gehöre nun mal die Unanhängigkeit der Berichterstattung.

Wie sehr die Medien um ihren Ruf besorgt sind, machte Haller am eigenen Beispiel deutlich. Er hatte eine von der Universität Leipzig und dem Institut für Praktische Journalismusforschung in Auftrag gegebene Studie zur Sicherung redaktioneller Unabhängigkeit in deutschen Tageszeitungen durchgeführt. Dabei kam der Springer-Konzern so schlecht weg, dass er den Wissenschaftler verklagte. Besonders die Aussage, dass sich beim Hamburger Abendblatt ein PR-Journalismus etabliert habe, wollten die Justitiare des Hauses Springer so nicht stehen lassen. Es kam schließlich zu einem Vergleich. Seitdem habe sich aber die Berichterstattung des Hamburger Abendblattes verbessert, so der Befund des Medienbeobachters Haller.

Selbstregulierte Regulierung

Zur Wahrung der inneren Pressefreiheit und der Trennung von PR und Journalistik setzt die Journalistenunion vor allem auf die Selbstregulation und Selbstkontrolle. Von der Idee eines rechtssetzenden Ordnungsstaates müsse man sich endgültig verabschieden, war man sich einig. Auch der Deutsche Presserat könne nicht die Rolle eines solchen Kontrollgremiums und Schnellgerichts über die Medien spielen, betonte Manfred Protze, der ver.di-Vertreter in diesem Gremium.

Er hatte es nicht einfach, die Arbeit des „zahnlosen Tigers“ zu verteidigen. Schließlich sind seien die Medien nicht einmal verpflichtet, Ermahnungen und Rügen des Presserats abzudrucken. Zudem stehe die Diskussion um die Aufgaben des Presserates für Onlinemagazine noch im Anfang. Die Initiative Bildblog habe mehr zur Beunruhigung des Springermediums beigetragen, als alle Aktivitäten des Pressevorrats zusammen, erklärte ein Journalist aus dem Publikum unter Applaus.