"Bitte nicht so laut, sonst wacht die Kamera auf!"

Big Brother achtet nun auch auf aggressive Stimmen

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Wer sich in der Öffentlichkeit zu sehr aufregt, könnte zukünftig plötzlich einem Überfallkommando gegenüberstehen: Es gibt nun auch Überwachungskameras mit eingebauter Stimmanalyse!

Um wieviel leichter hätten es die sozialistischen großen Brüder Mielke, Ulbricht und Honecker doch mit moderner Technik gehabt, die sozialistischen kleinen Brüder von denen, deren staatstreuer Gesinnung sie sich nicht ganz so sicher sein konnten, zu trennen. Doch beim „VEB Guck, Horch & Greif“, der Stasi, war noch alles Hand- bzw. Augen- und Ohrenarbeit. Und auch heute gibt es glücklicherweise noch kein Gerät, das die politische Gesinnung an der Nasenspitze oder Stimmlage erkennt.

Doch auch wenn die Mitarbeiter des MfS (Ministeriums für Staatssicherheit der DDR) sehr stolz auf ihre für die damalige Zeit weit fortgeschrittene Überwachungstechnik waren, irgendwer musste später all die aufgezeichneten Filme ansehen und Bänder abhören. Die Linientreue durch Furcht vor der Obrigkeit folgte daher eher aus psychologischer Einschüchterung und der stets drohenden Bespitzelung durch Nachbarn und die generelle Postüberwachung.

(Fake-)Überwachungskamera für öffentliche Parks „made in GDR“ (Bild: W.D.Roth)

Gab es tatsächlich einmal anhaltende Probleme mit öffentlicher Randale, beispielsweise durch heftig-unbotmäßige Punkfeiern mit lauter Musik in öffentlichen Grünanlagen, so wurden allerdings auch in der DDR bereits Überwachungskameras aufgestellt. Diese waren jedoch lediglich Starenkästen mit einem ganz besonders auffällig hervorlugenden Objektiv darin. Technisch hatten sie keinerlei Funktion, doch selbst im Vollrausch konnten diese kostengünstigen und wartungsfreien ganz und gar nicht getarnten Tarnkameras nicht übersehen werden und es herrschte schlagartig wieder Ruhe im Stadtpark.

Die heutige Videoüberwachungstechnik hat die DDR nicht mehr erlebt, andernfalls wäre es wohl das Land mit den meisten privaten Fernsehkanälen geworden (Heute Abend im Fernsehen: Alles). Doch es wird nicht nur elektronisch per Kamera gespannt und inzwischen bei unbotmäßigem Verhalten auch schon mal per Lautsprecher geschimpft („Sie da, pinkeln Sie nicht an den Bildzeitungsautomaten, nehmen Sie gefälligst den von der TAZ!“) (Überwachen und Befehlen), es wird auch gelauscht, denn fast jede Videokamera enthält auch ein Mikrofon. Allerdings startet die akustische Überwachung nur bei konkretem Interesse, denn während sich 50 Kameras auf einer großen Monitorwand darstellen lassen, ergeben 50 Mikrofone eine unentwirrbare Kakophonie.

Akustischer „Dicke-Luft-Detektor“

Die Firma "Soundintelligence" in Groningen in den Niederlanden hat nun als Spinoff die von Tjeerd Andringa und Peter van Hengel am Institut für Künstliche Intelligenz der Universität von Groningen entwickelte Überwachungssoftware „SIgard“ serienreif gemacht. Sie ist dem „Frühwarnsystem“ von Menschen nachempfunden, die anhand angehobener, aggressiver Stimmen aufmerksam werden und erkennen, dass gleich etwas Ernstes passiert: Die hiermit ausgerüsteten Überwachungskameras schlagen nun Alarm, sobald in ihrem Umkreis ein Streit beginnt. Neben Groningen selbst werden die Lauschkameras auch in Rotterdam und in Zügen installiert - erste Tests haben bereits zu drei Festnahmen geführt.

Ob allerdings die erhobenen Stimmen wirklich auf eine drohende Keilerei hindeuten oder nur besoffenes Gegröle darstellen, muss dann doch ein Mensch entscheiden und auch wenn die Technik sogar bei Discothekenlautstärke noch funktionieren soll, dürfte sie in der Praxis eher in Fußgängerzonen bei einem Streit nahe dem Mikrofon reagieren, während sie an einer Hauptverkehrsstraße ebenso ihre Probleme haben dürfte wie bei dem bewussten Punk- oder Heavy-Metal-Konzert im Stadtpark, dem Handy mit Spezial-Klingelton oder einem bei geöffneten Fenster etwas lauter gestellten Fernseher mit einer laufenden Talkshow des Kalibers „Ich habe Dich Trottel mit all Deinen Kumpels betrogen!“.

Und auch, wer sich nach dem Fußballspiel öffentlich wütend über ein vergeigtes Tor oder den wegen der Sicherheitskontrollen verpassten Zugäußert, könnte „Stunkalarm“ auslösen, während Neonazis dann halt ohne großes einschüchterndes Gebrüll gleich fest zuschlagen (Videoüberwachung reduziert Kriminalität nicht)…