Weniger Studenten

In Deutschland geht die Zahl der Studienanfänger aufgrund der Zulassungsbeschränkungen sowie von Verunsicherung und Perspektivlosigkeit weiter zurück

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Deutschland diskutiert über Spitzenuniversitäten und Exzellenzinitiativen, Föderalismusreformen mit obligater Modernisierung der Bildungssysteme, Studiengebühren, internationale Forschungszentren und Imagekampagnen für die ostdeutschen Bundesländer. Doch die akademische Basis bleibt davon ungerührt und es scheint beinahe so, als hätte sie durchschaut, dass es hier vielfach um bloßen Aktionismus geht.

Die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen jedenfalls eine ebenso deutliche wie unerfreuliche Tendenz. Zwar sind im laufenden Wintersemester mit rund 1,979 Millionen an den deutschen Hochschulen in etwa so viele Studierende eingeschrieben wie vor einem Jahr. Die signifikante Studienanfängerquote ist allerdings weiter gesunken und liegt derzeit nur noch bei 35,5 Prozent.

Diese Entwicklung ist insofern bedenklich als der Anteil der Studienanfänger an der altersspezifischen Bevölkerung den wichtigsten Indikator für den Zugang zum Hochschulbereich darstellt. Im Durchschnitt aller OECD-Staaten beginnt mehr als die Hälfte eines Jahrgangs eine entsprechende Ausbildung. Länder wie Australien, Island, Neuseeland, Schweden, Finnland oder Polen verzeichnen Quoten von mehr als 70 und mitunter sogar über 80 Prozent.

In vielen Staaten kann man von einem Paradigmenwechsel sprechen, von der traditionellen Ausbildung, die darauf abzielt, den gegenwärtigen Qualifikationsbedarf des Arbeitsmarkts abzudecken, hin zur Investition in die weiterführende Bildung junger Menschen, um diese zu befähigen, den wirtschaftlichen und sozialen Wandel der Gesellschaft aktiv zu gestalten.

OECD – Bildung auf einen Blick 2006

Klassenziel vorerst verfehlt

Die neue Bundesregierung wollte die nationale Bildungspolitik in eine ähnliche Richtung steuern und mittelfristig eine Studienanfängerquote von 40 Prozent anpeilen. Dieses Ziel schien erreichbar, denn 2003 lag sie schon einmal bei 38,9 Prozent. Im Studienjahr 2006 sieht die Bilanz nun allerdings deutlich schlechter aus, und sie betrifft nicht nur die Anfängerquote, sondern auch die absolute Zahl der Erstimmatrikulierten, die im Vergleich zu 2005 um 3,5 Prozent zurückging.

An den Universitäten (minus 5 Prozent) ist diese Tendenz deutlicher zu erkennen als an den Fachhochschulen (minus 1 Prozent), doch in beiden Fällen gibt es erhebliche regionale Unterschiede. So verzeichnen die Universitäten in Sachsen ein Minus von 13, in Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt von 10 und in Baden-Württemberg von 9 Prozent, während die Fachhochschulen in Bremen mit 12 und die in Niedersachsen mit 11 Prozent weniger Studierenden auskommen müssen. Der Rückgang betrifft auch viele technische Studiengänge – Informatik (minus 5 Prozent), Maschinenbau/Verfahrenstechnik (minus 8 Prozent), Elektrotechnik (minus 15 Prozent), Bauingenieurwesen (minus 5 Prozent) -, die lange Zeit als besonders attraktiv, zukunftsorientiert und krisensicher galten. Zu den wenigen Zugewinnlern zählen die Berliner Universitäten (plus 9 Prozent) und Fachhochschulen (plus sechs Prozent), an denen die Diskussion um die Einführung von Studiengebühren durch die aktuellen Zahlen weitergehen dürfte.

Wer die Entwicklung längerfristig betrachtet, erkennt freilich auch Erfolge der deutschen Bildungspolitik. 1993 lag die Studienanfängerquote noch bei indiskutablen 25,5 Prozent. Ab da ging es Jahr für Jahr bergauf, bis 2003 der genannte Gipfelpunkt erreicht wurde. Seitdem entfernt sich der Anteil der Studienanfänger jedoch ebenso kontinuierlich wieder von der angestrebten Marke.

Die Negativentwicklung beginnt allerdings nicht erst an den Universitäten und Fachhochschulen. In Deutschland liegt schon der Anteil der Schulabgänger, die über eine Hochschulzugangsberechtigung verfügen, mit knapp 39 Prozent weit unter dem Mittelwert aller OECD-Staaten, der mit 67,7 Prozent beziffert wird. Dass sich hierzulande weitere 14 Prozent ihre Hochschulzugangsberechtigung nach der Erstausbildung erarbeiten (OECD-Mittel: 9,2 Prozent), kann den Rückstand nur bedingt ausgleichen, weshalb die OECD seit geraumer Zeit eine „flexiblere Regelung des Studienzugangs“ fordert.

Verunsicherung und Perspektivlosigkeit

Ein Grund für die schlechten Eckwerte ist sicher in einer tiefgreifenden Verunsicherung der potenziellen Nachwuchsakademiker zu suchen. Der deutschen Bildungspolitik ist es bislang weder auf Länder- noch auf Bundesebene gelungen, überzeugende und langfristige Perspektiven aufzuzeigen, die sich positiv auf die Studien- und Berufsplanung auswirken könnten.

Der mit viel Pathos und Euphorie angekündigte „Hochschulpakt 2020“ wurde bislang nur bis 2010 ausgehandelt und stößt selbst in Kreisen, die den politisch Verantwortlichen nicht übertrieben kritisch gegenüber stehen, auf Widerspruch. So hat das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) darauf hingewiesen, dass die Schaffung von 90.000 neuen Studienplätzen, die aufgrund der geburtenstarken Jahrgänge und kürzeren Abiturzeiten gebraucht werden, keineswegs ausreicht, um die drängenden Probleme in den Griff zu bekommen.

Wenn man sich allerdings die Prognosen für das Anwachsen der Studierendennachfrage nach 2010 anschaut, wird deutlich, dass die eigentliche Herausforderung erst nach dem Auslaufen des Paktes auf das Hochschulsystem zukommt. Ein immens steigender Bedarf an zusätzlichen Plätzen wird insbesondere für die Jahre zwischen 2010 und 2020 erwartet, für die der Hochschulpakt bisher keine Regelungen trifft oder in Aussicht stellt. Die Wissenschaftspolitik wird sich auf die demographische Entwicklung noch in ganz anderer Weise einlassen müssen, als dies bis heute der Fall ist. Verlängert man die im Hochschulpakt angelegte Finanzierungslogik auf Basis der CHE-Prognose zum Studienplatzbedarf, so ergibt sich ein Finanzierungsbedarf von 2007 bis 2023 von insgesamt etwa 7,3 Milliarden Euro.

CHE-Stellungnahme zum Hochschulpakt

Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, befürchtet, dass sich Deutschland immer deutlicher „von dem politisch erklärten Ziel“ entfernt, 40 Prozent eines Altersjahrgangs an die Hochschulen heranzuführen. Sie sieht in den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen einen wesentlichen Grund für diese Entwicklung, weil die Betreuungsintensität viele Hochschulen zu einer Verschärfung der Zulassungsbestimmungen veranlasst hat.

Um den Negativtrend bei den Studienanfängerinnen und -anfängern umzukehren, brauchen die Hochschulen vor allem bei den neuen betreuungsintensiveren Studiengängen bessere Unterstützung. Ziel muss eine solide Grundausstattung sein, damit die Hochschulen mehr Studierende zulassen können.

Margret Wintermantel

Falsche Signale

Die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor- und Masterabschlüsse zeigt zweifellos in die richtige Richtung, wirft in der konkreten Umsetzung aber noch viele offene Fragen auf, welche die Professoren und Organisatoren mitunter selbst nicht beantworten können. Doch das ist nur ein Teil des Problems. Zwischen Forschung und Lehre gibt es weiter keine klare Aufgabenverteilung, und die Betreuungssituation der Studierenden hat sich ebenso wenig verbessert wie die Ausstattung vieler Labors, Medienräume und Bibliotheken.

Die Fokussierung der Hochschullandschaft auch einige wenige Spitzenuniversitäten und Exzellenzzentren dürfte außerhalb derselben ebenfalls nicht dazu beitragen, sehr viel mehr junge Menschen als bisher zur Aufnahme eines Studiums zu bewegen. Der „Paradigmenwechsel“, den die OECD in vielen anderen Ländern bereits registriert haben will, lässt in Deutschland noch auf sich warten. Aber so lange die Politik ihre Steuerungsfunktion der demographischen Entwicklung überlässt, wird sich daran auch wenig ändern.

Der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde, erwartet, dass die Verantwortlichen in Bund und Ländern nun nicht nur intensive Ursachenforschung betreiben, sondern auch bereit sind, sich einer Reihe selbstkritischer Fragen zu stellen. Auf der Heyde hält es für wahrscheinlich, dass in den letzten Jahren vielfach „die falschen Signale“ ausgesandt wurden.

War es richtig, die Altersgrenze beim Kindergeld von 27 auf 25 Jahre abzusenken? Wirken die Studiengebühren in sieben Bundesländern entgegen den Aussagen der Politik eben doch abschreckend? Muss das BAföG, wie die Bundesregierung es in ihren Berichten 2003 und 2005 selbst darlegt, nun nicht endlich verbessert werden, damit mehr junge Menschen aus einkommensschwachen und –schwächeren Elternhäusern studieren? Müssen die Kapazitäten der Hochschulen über den Hochschulpakt hinaus nicht dringend ausgebaut werden, damit einer steigenden Zahl von Studienberechtigten nicht ein flächendeckender Numerus clausus gegenübersteht?

Achim Meyer auf der Heyde

Bundesbildungsministerin Annette Schavan ist derweil weit davon entfernt, die eigene Ausschlusspolitik für die enttäuschenden Zahlen verantwortlich zu machen. Die neue Kronprinzessin der CDU appelliert stattdessen an die eventuellen Akademiker, ihre Möglichkeiten besser zu nutzen. Bildung sei eine „Aufstiegschance“ für junge Leute: „Aber der Einzelne muss dies auch wollen“, erklärt die Ministerin. Dabei liegt wohl auf der Hand, dass es sich hier nicht oder doch nur in den seltensten Fällen um eine persönliche Motivationsfrage handelt.