Neue Raketen braucht das Land

Frankreich legt sich neue Atomraketen zu, die Nord-Korea, China und Iran in nukleare Reichweite rücken werden. Es gilt die Abschreckungskapazitäten der Grande Nation den neuen "regionalen Bedrohungen" anzupassen.

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Die M51 absolvierte am 9. November erfolgreich ihren ersten Testflug, wie das Verteidigungsministerium stolz vermeldete. Die Rakete, selbstverständlich ungeladen, war von der französischen Atlantikküste aus, vom 50km von Bordeaux gelegenen Raketenversuchszentrum der Armee, abgeschossen worden, um eine Viertelstunde später mit MACH 25 vor der US-Küste ins Meerwasser zu plumpsen. Eine Erfolgsmeldung für die Militärs, naturgemäß weniger für die französischen Kernkraftgegner. Aus der Sichtweise von „Greenpeace“ und dem Netzwerk „Sortir du nucléaire“ (Ausstieg aus der Kernkraft), handelt der französische Staat mit solcherlei nuklearen Modernisierungsanwandlungen ebenso verantwortungslos wie Nord-Korea und Iran, denen somit der perfekte Vorwand für ihre eigenen international umstrittenen Atomgelüste geliefert würde. Ab 2010 soll die M51 die kommende Generation von Atom-U-Booten, zur Zeit verfügt Frankreich über 4 davon, bestücken.

In seiner diesjährigen Neujahrrede vor den Marinestreitkräften begründete Präsident Chirac, die Notwendigkeit der neuen Atomrakete folgendermaßen:

Unsere Abschreckung muss (...) ihre unerlässliche Glaubwürdigkeit bewahren. Es wäre unverantwortlich anzunehmen, dass die Beibehaltung unseres aktuellen Arsenals schlussendlich genügen könnte. (...) Die M51 wird es uns dank ihrer interkontinentalen Tragweite (...) ermöglichen, in dieser unsicheren Welt jeglichen Bedrohungen, wo immer sie auch herkommen mögen, standzuhalten.

Die tatsächliche Reichweite der M51 ist Militärgeheimnis. Schätzungen gehen von 6.000 bis 9.000 km aus. Als sicher scheint jedenfalls, dass die neue Rakete mindestens 2.000 km weiter reichen wird, als die zur Zeit verwendete M45. Womit Frankreich mit den aktuellen Reichweiten der amerikanischen und russischen Interkontinentalraketen mithalten könnte.

Großbritannien, die andere Atommacht der EU, hat die eigenen U-Boote mit den US-Raketen „Trident“, ausgestattet, die angeblich um einiges präziser sein sollen, als die französischen, wie ein Ex-Stabschef der Armee sagte. China, Iran oder Nord-Korea könnten künftig mit der M51 von einem Atom-U-Boot aus, einem SSBN (Ship Submersible Ballistic Nuclear), das z.B. zwischen Spitzberg und Norwegen kreuzt, bedroht werden. Die geheimgehaltene Reichweite sei jedenfalls so gestaltet, damit „kein einziger Punkt des Planeten“ außerhalb der französischen Abschreckungskapazitäten liege, wie der Chefingenieur der ozeanischen Nuklearstreitkräfte, Christophe Fournier, erklärt.

Die neue Rakete soll von einem auf Tauchstation befindlichen SSBN aus abgeschossen werden können, indem sie per Luftdruck aus dem Wasser katapultiert wird, um dann, ist sie einmal einige Dutzend Meter von der Oberfläche entfernt, durch einen Antrieb mit Ammoniumperchlorat abgefeuert wird. Die Technik für diesen „Booster“ stammt vom zivilen Ariane-5-Programm, das ebenso wie die M51 von EADS entwickelt entwickelt wurde.

Die (Ideal-)Maße für eine „gestaffelte Abschreckung“

Die M51 wiegt 56 Tonnen (50% mehr als ihre Vorläuferin), ist 12m hoch und 2,3m breit. Für das neue „Schmuckstück“ der französischen Abschreckung wird der Steuerzahler ganz schön tief in die Tasche greifen müssen: Das Verteidigungsministerium beziffert die Kosten für das M51-Programm mit stolzen 8,5 Milliarden Euro. 50-60 Raketen sollen gebaut werden, wobei eine Rakete mit 150 Millionen Euro veranschlagt wird. Noch dazu sind die Atomsprengköpfe im Preis nicht inbegriffen, der selbstverständlich ebenfalls Militärgeheimnis bleibt.

Um die Rechnung ein wenig verdaulicher zu gestalten, läuft das Raketenprogramm bereits seit 1992, um 2010 dann dem gerade in Bau befindlichen Atom-U-Boot „Le Terrible“ (der Schreckliche) die interkontinentale nukleare Reichweite zu verleihen. Doch der abschreckenden Ausgaben nicht genug: Die Kosten für den Bau des neuen SSBN belaufen sich ihrerseits auf 2,5 Milliarden Euro. Interessanterweise hat noch kein einziger der aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten Sparmaßnahmen beim nuklearen Verteidigungsbudget in Aussicht gestellt.

Derweilen soll die M51 ab 2010 durch ihre versprochene Präzision eine größere „operationelle Flexibilität“ ermöglichen, wie es der erneuerten französischen Nukleardoktrin entspricht. Man müsse nämlich „regionale Mächte“ im nuklearen Visier haben. Diese „gestaffelte Abschreckung“, wie Chirac es in seinen letzten Neujahrswünschen nannte, soll es Frankreich erlauben, „neuralgische Zentren“ ins Herz zu treffen. Als „letzte Warnung“ sozusagen. Die hierfür benötigte Präzision der M51 soll trotz ihrer größeren Reichweite durch ein neues Navigationssystem erreicht werden, das die Position der Rakete in Bezug auf die Position der Sterne berechnet. Jeweils 3 der 4 Atom-U-Boote der Nation werden gleichzeitig mit 16 M51 bestückt sein können, wobei jede Rakete 4-6 „Minisprengköpfe“ (TN75) zu je 150 Kilotonnen aufweisen wird. Der nukleare Sprengkopf TN75 bestückt schon die jetzige M45-Rakete. Nach 2010 soll dann der brandneue Nuklearsprengkopf TNO (ozeanischer Nuklearsprengkopf) zum Einsatz, bzw. Nicht-Einsatz, Abschreckung genannt, kommen.

Dieser Sprengkopf wird im gerade in Bau befindlichen riesigen Zentrum für simulierte Nuklearversuche in der Nähe von Bordeaux mit dem Laser Megajoule getestet werden. Entsprechend der 1996 von Frankreich gefällten Entscheidung, Simulationen unterirdischen Nuklearversuchen vorzuziehen. Was ohnehin dem ebenfalls seit 1996 geltenden umfassenden internationalen Verbot von Nuklearversuchen (Comprehensive Test Ban Treaty - CTBT) entspricht, das von den USA zwar unterschrieben, aber nicht ratifiziert wurde. Es galt damit die Entwicklung neuer Atomwaffen zu unterbinden.

In einem Pressedossier des Verteidigungsministeriums zu den nuklearen Streitkräfte wird Frankreichs aktive Rolle in den internationalen Bemühungen rund um die nukleare Abrüstung besonders betont - „aber nicht um jeden Preis“, wie der Präsident zitiert wird: „Wir können auf diesem anspruchsvollen Weg der Abrüstung selbstverständlich nur dann weiter vorwärtskommen, solange die Bedingungen unserer globalen Sicherheit aufrechterhalten werden und dieser Wille zur Abrüstung von allen geteilt wird.“

Widerstand gegen die nukleare Staatsgewalt

Man kann nicht behaupten, dass die nuklearen Ambitionen des französischen Staates bei der Bevölkerung auf massiven Widerstand stoßen. Selbst die nicht geringen Kosten der Abschreckung scheinen nur Wenige auf den Plan zu rufen. Die Aktivisten von Greenpeace und Sortir du Nucléaire versuchten vor dem Testabschuss der M51 ins Gelände des Raketenversuchszentrums einzudringen und wurden erwartungsgemäß von den Ordnungskräften davon abgehalten. Ende September bereits war es den Kernkraftgegnern gelungen, 2.000 Demonstranten gegen die M51 in einem dem Versuchsgelände nahegelegenen Örtchen, Biscarosse, zu versammeln. Die Entwicklung der M51 stehe, so die Kritiker, in klarem Widerspruch zum Atomwaffensperrvertrag, was vom französischen Staat freilich als bloße „Verbesserung“ des bereits bestehenden Atomarsenals interpretiert wird, und nicht als Beitrag zur Weiterverbreitung nuklearer Waffen.

Der grüne Abgeordnete Noël Mamère wirft Präsident Chirac einen doppelzüngigen Diskurs vor: Einerseits würde dieser für den Frieden und die Diplomatie plädieren, andererseits für Atom-U-Boote Kredite locker machen, die “wir Franzosen bezahlen, um den Rüstungswettlauf zu finanzieren“. Greenpeace geht in seiner Kritik des Atomwaffenprogramms der Grande Nation noch weiter und wirft Frankreich vor, mit Präsident Bush, gemeinsame Sache zu machen, weil beide einer Doktrin des „präventiven nuklearen Krieges“ anhingen. Frankreich entwickle, wie die USA und Großbritannien, nukleare „mini-nukes“, die von einer neuen Generation von Interkontinentalraketen transportiert werden können und für angeblich zielgenaue Schläge geeignet sind“. Diese „Minibomben“ hätten „nur“ ein Zehntel der Sprengkraft der Hiroshimabombe, was 20.000 anstatt von 200 000 Toten bedeuten würde, wie grüne Anti- Atomaktivisten die möglichen „Kollateralschäden“ berechnen.

Ungeachtet der Kritik hat die Produktion der M51 bereits 2004 begonnen. Fast 10.000 Ingenieure wurden für die Entwicklung der Atomrakete engagiert. Für die Produktion hat EADS 600 Personen einen Arbeitsplatz verschafft. Es werden eben weder Kosten noch Mühen gescheut, um die seit 1964 bestehende Autonomie der französischen Abschreckung aufrechtzuerhalten. Oder wie der Präsident es vor einem Jahr formulierte:

Während all dieser Jahre haben die französischen nuklearen Streitkräfte die Verteidigung unseres Landes garantiert und somit zur Erhaltung des Friedens beigetragen. Sie wachen jetzt weiterhin, in aller Stille, damit wir in einem freien Land leben können.