Indianer versus Microsoft

Wird Bill Gates skalpiert?

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Wem gehört eigentlich eine Sprache? Den Leuten, die sie sprechen? Oder ist eine Sprache ein Kulturgut der Menschheit, auf das keiner Besitz anmelden kann? Ein bizarres Problem, mit dem nun ein Gericht im chilenischen Santiago konfrontiert wird.

Microsoft hat nämlich das Betriebssystem Windows XP auch übersetzt in die Stammessprache Mapuzugun, die in Chile von rund 400000 Mapuche-Indianern gesprochen wird. Man wolle damit, so Microsoft, „ein Fenster öffnen, um dem Rest der Menschheit Zugang zur reichen Kultur dieses Volkes zu ermöglichen“. Microsoft hat im Rahmen des 2004 gestarteten Local Language Program (LLP) und in Zusammenarbeit mit lokalen Regierungen Windows XP bereits in einige Dutzend Sprachen übersetzen lassen, darunter beispielsweise auch in Quechua oder Inuktitut. Dabei wird jeweils ein Glossar erarbeitet, das kostenlos heruntergeladen werden kann.

Lautaro Loncon und Aucan Huilcaman an der Spitze der Mapuche-Delegation, um gegen Microsoft und das Bildungsministerium zu protestieren. Foto: Wallmapuche.cl

Ein eigentlich löblicher Akt. Doch die Mapuche sehen das ganz anders. Weil sie deswegen vorher von Microsoft und dem chilenisches Bildungsministerium nicht gefragt worden sind und aus ihrer Sicht ihre Sprache ihnen allein gehört, sprechen Stammesführer wie Aucán Huilcamán, Präsident des Consejo de Todas las Tierras, nun von einer Verletzung geistigen Eigentums. Weder gefragt noch einbezogen worden zu sein, wiederhole „die geschichtliche und systematische Praxis des Staates, die Eingeborenen auszuschließen“, erklärte Huilcamán. Das betreffe universale Sprachen wie Englisch, Chinesisch oder Spanisch nicht.

Der Vorwurf richtet sich auch eher gegen die chilenische Regierung, nach Huilcamàn habe Microsoft vermutlich in gutem Glauben gehandelt und sei Bill Gates sowieso nicht verantwortlich. Man habe ihm aber einen Brief geschrieben und ihn eingeladen, nach Chile zu zu kommen und sich mit den Mapuche zu treffen. An sich findet der Mapuche-Vertreter die Initiative auch sinnvoll, aber nur wenn die Mapuche die Kontrolle über die Sprache behalten und sie nicht indirekt über das Glossar patentiert würde.

Die Mapuche wollen daher Klage gegen Microsoft einreichen. Ein einmaliger Vorgang in der Geschichte und eine harte Nuss für das betroffene Gericht in Santiago. Falls die Klage nicht angenommen wird, wollen die Mapuche vor das Oberste Gericht ziehen. Überdies wollen sie die Klage, falls Microsoft nicht auf die Proteste reagiert, auch vor amerikanischen Gerichten einreichen.

Allerdings kann man durchaus ein wenig Verständnis haben für das Vorgehen der Indianer. Wenn man nämlich manchmal mit anhören muss, wie unsere Sprache von anderen missbraucht, wie sie - auch in einigen Fernsehsendungen - quatschend zerstört oder wie sie durch sinnfrei blöde Werbesprüche „vergewaltigt“ wird, ja, dann möchte man die Verantwortlichen auch gern mal wegen Verletzung geistigen Eigentums, sprich: unserer Sprache, vor Gericht zerren.

Ja, und wenn es sprachlich ganz schlimm kommt, dann möchte man sogar zum Indianer werden, der nach guter alter Indianerart jedoch nicht zum Gericht läuft, sondern mit dem Kriegsbeil den Sprachpanschern und -vergewaltigern den Skalp abzieht. Aber leider sind die Indianer heute, wie man an den Mapuche sehen kann, auch nicht mehr das, was sie einmal waren.