Der Frauenversteher

Wie sich ein Evolutionspsychologe die Seele der Frauen erklärt und Anthropologen uns den Niedergang von Neanderthalern

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Die "genetische" Antwort auf die englische Studie über unzufriedene Frauen, die mehr als ihre Männer verdienen (vgl. Wenigstens einer, der gut verdient), hat nicht lange auf sich warten lassen. Für den Psychologen Nick Neave, der sich in seiner Antwort "Sorry, but women are dependent on men" als "Evolutionspsychologe" der Northumbria University vorstellt, ist ganz offensichtlich, warum Frauen finanzielle Verantwortung und Dominanz scheuen: Seit Urzeiten programmiert sie ein genetischer Imperativ zur Abhängigkeit von Männern.

Schon möglich, dass seine These sexistisch sei, räumt Neave ein, aber wahr, so "fürchtet er", ist sie allemal. Seine Beweiskette reicht weit: vom Leben der frühen Menschen in freier Wildbahn zu den schlaflosen Nächten von Frauen im 21.Jahrhundert, die eine verräterische SMS auf dem Handy ihres Mannes entdeckt haben. Nichts ängstigt Frauen mehr, behauptet Neave fest, als die ewige Angst davor, von ihren Männern fallen gelassen zu werden. Weswegen Frauen die Seitensprünge ihrer Partner leichter verzeihen als Männer.

Obwohl sie mittlerweile dank moderner Reproduktions-Techniken auch eine Familie ohne Männer gründen können und sich dauernd darin selbst bestätigen, dass sie keinen Mann brauchen würden, müssten weitere 10.000 Jahre verstreichen, bis dieser Wunsch psychologische Wahrheit werden würde. Denn tief in der Psyche der Frauen habe die Natur diese Furcht eingepflanzt: Dass sie nicht alleine überleben können.

Männer: Alle Trümpfe in der Hand

Die Unabhängigkeit der Frauen, wie sie von Feministinnen unserer Tage proklamiert werde, sei eine kulturelle Entwicklung, die sich angesichts der langen Geschichte der Evolution wie das Blinzeln eines Auges ausnehme; ein kurzer Moment, der es zu einer Oberflächenwirkung geschafft hat. Jahrtausende haben Frauen evolutionär dafür vorprogrammiert, sich von Männern abhängig zu fühlen, so der vorweihnachtliche Wunsch des Frauenverstehers Neave:

Die Frauen mögen die Karriereleiter hinaufschießen und mehr als die Männer verdienen, aber wenn es um Beziehungen geht, halten die Männer alle Trümpfe in der Hand.

Und die Beweise? Mit den Großvokabeln "genetisch" und "Evolution" lassen sich ja gerade in der so genannten Geschlechter-Debatte schnell provokante Häppchen mit pseudo-wissenschaftlichen Aufstrich zubereiten, die dann von manchen auch gerne angenommen werden, aber ein Gen, das Frauen zur Abhängigkeit von ihrem Mann determiniert, ist bislang noch nicht entdeckt worden. Und aus der Evolutionsgeschichte bedient man sich eben wie Dschihadisten, die aus dem Koran holen, was ihnen taugt.

Die richtige Jacke

Neaves stellt sich, um alle Zweifel an seiner Kompetenz auszuräumen, als Evolutionspsychologe vor, als Wissenschaftler, der Verhaltensmuster der Menschen seit den ersten Anfängen studiert und konstant Evidenzen analysiert, die seit der Zeit, als Männer Jäger und Sammler waren und Frauen die Kinder aufzogen, die entscheidenden Unterschiede zwischen den Geschlechtern demonstrieren: Frauen waren kleiner und schwächer, Männer mussten sie beschützen. Nicht nur vermöge ihrer größeren rohen Kraft, sondern durch ihren sozialen Status in der Gruppe, den sie entweder ihrer körperliche Erscheinung oder der Stärke ihrer Persönlichkeit verdankten: "Deshalb suchen Frauen noch immer nach einem Mann mit einem höheren sozialen Status."

Diese These sieht Neaves überall begründet: in quasi unendlichen Reihen von Untersuchungen, die beweisen, dass vor allem jüngeren Frauen bei der Suche nach dem richtigen Partner nicht von irrelevanten Oberflächenreizen, wie gutes Aussehen, davon abgebracht werden, den Mann zu wählen, der Versorgerqualitäten und Schutz durch eine gute soziale und finanzielle Position verspricht - und sei es nur die richtige Jacke, die das suggeriert.

Und natürlich kommt Neaves nicht an der Untersuchung vorbei, die im März dieses Jahres, Traditionalisten sehr erfreut hat: Die glücklichsten verheirateten Frauen, so das Ergebnis der Forschungen von Soziologen der Virginia University, sind jene, deren Männer mindestens zwei Drittel des Haushaltes mit ihrem Einkommen bestreiten, ganz egal, wie sehr sie ihre Frauen bei der Hausarbeit unterstützten. Neaves zieht daraus einen Eva Herman-Schluss:

Kurz: Ich glaube, dass Frauen sich niemals wirklich behaglich fühlen, wenn sie mehr als ihre Männer verdienen. Das Bedürfnis, auf einen Mann angewiesen zu sein, ist von einer solch tief sitzenden biologischen Notwendigkeit gesteuert, dass ich nicht sehen kann, wie das jemals völlig ausradiert werden kann.

Robuste Skelette

Wie jüngste Forschungsergebnisse von Anthropologen zeigen, ist die Arbeitsteilung von Männern und Frauen in früheren Gemeinschaften nicht unbedingt so, wie es der populärwissenschaftliche Gemeinplatz von Männer = Jäger und Frauen = Haushalt und Kinder nahe legt. Bei den Neanderthalern sei anscheinend die gesamte Population auch bei der Jagd auf Großwild beteiligt gewesen, folgern Wissenschaftler der Universität Arizona, u.a. aus Funden von Frauenskeletten, die so "robust gebaut" sind, dass "es unwahrscheinlich erscheint, dass sie nur zuhause saßen und nach ihren Kindern schauten".

Allerdings, so die Hypothese von Steven L. Kuhn und Mary C. Stiner, habe man die Frauen und Kinder dadurch einem größeren Risiko ausgesetzt. Das könnte im Zusammenspiel mit der weniger differenzierten Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen im Vergleich zu anderen Menschenpopulationen ("modern humans") des Jungpaläolithikums und der Konzentration auf die Jagd als Haupternährungsquelle zum Niedergang der Neanderthaler geführt haben.

Während Mary C. Stiner die tropische Umgebung, das Milieu, für die Arbeitsteilung bei Vorläufern des modernen Menschen verantwortlich hält, stellt ihr Richard Klein von der Stanford University eine rivalisierende, eher biologisch argumentierende These entgegen: Kognitive Fähigkeiten anderer Jungsteinzeitmenschen, z.B. sprachliche Fähigkeiten, hätten ihnen Überlebensvorteile gegenüber den Neanderthalern verschafft. Es sieht demnach ganz so aus, als ob der Ur-Streit weiter ungelöst bleibt: Gibt es eine genetische Basis, die zur Arbeitsteilung geführt hat, wie sie sich bei den modernen Vorläufern des Menschen entwickelt hat oder gründet das eher auf kulturelle Milieus und Institutionen?

Wo sich Neaves Evolution und Gene als psychologische Gewissheiten und Determinanten denkt, sind sich die Fachwissenschaftler einig über eine andere Gewissheit: Argumente, die auf eine kulturelle Basis bauen, seien genauso zwingend wie die andere Seite ("differences in neurological wiring"), sagt die Anthropologin Mary Steiner. Und genau das mache es so schwierig, mit Herrn Klein die Basis ihrer Meinungsverschiedenheiten zu lösen. Auf Augenhöhe, natürlich.