Quasi-Freispruch für Merkel und Jung

Aachener Friedenspreis scheitert mit Strafanzeige gegen Regierungsspitze wegen der Planung von Angriffskriegen

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Der Verein Aachener Friedenspreis ist mit seiner Strafanzeige gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminister Franz Josef Jung wegen der Vorbreitung von völkerrechts- und grundgesetzeswidriger Angriffskriege gescheitert. Hintergrund war das am 25. Oktober vorgestellte „Weißbuch der Bundeswehr“, in dem der Friedenspreis Anhaltspunkte sieht, dass die Bundeswehr zu einer weltweiten Einsatzarmee umgebaut wird, die auch aus wirtschaftlichen Gründen Präventivkriege führen soll ("Abhängig von gesicherter Rohstoffzufuhr in globalem Maßstab") Der Friedenspreis-Vorsitzende Otmar Steinbicker teilte nun mit, die Bundesanwaltschaft lehne die Einleitung eines Strafverfahrens ab, weil es „keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat“ gebe.

Mitte November hatte der Friedenspreis auf einer Pressekonferenz in Aachen bekannt gegeben, dass man eine an die Generalbundesanwältin Monika Harms beim Bundesgerichthof in Karlsruhe adressierte Strafanzeige abschicken werde (Sind Merkel und Jung Angriffskrieger?). Der Verein hatte das Weißbuch kritisiert, weil es eine neue „Militärdoktrin“ der Bundesrepublik verfolge, in der die Bundeswehr „die Rolle einer weltweit einzusetzenden und präventiv tätigen Interventionsarmee übernimmt“. Die Bundeswehr werde zu „einem Instrument zur Durchsetzung außenpolitischer, wirtschaftlicher und weltanschaulicher Ziele mit militärischen Mitteln“, hatte Steinbicker kritisiert. Doch die Generalbundesanwaltschaft teilt diese Meinung nicht. Für sie erfüllt das „Weißbuch“ nicht den „Tatbestand der Vorbereitung eines Angriffskriegs“, schrieb man dem Friedenspreis. Man lehne die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens daher ab, teilte Oberstaatsanwältin Eva Schübel Steinbicker in einem auf den 5. Dezember datierten Schreiben mit.

In dem Schriftstück, dass Telepolis vorliegt, begründet Oberstaatsanwältin Schübel ihren Schritt damit, dass „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat nicht gegeben sind“. Der Straftatbestand des Paragraphen 80 StGB setze voraus, „dass der Täter einen Angriffskrieg, an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Kriegs für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt. Sowohl die Tathandlung als auch der Taterfolg müssen hinreichend konkretisiert sein.“

Diese Konkretisierung sei im „Weißbuch“ jedoch nicht zu finden. Planung und Vorbereitung „einer bestimmten bewaffneten Aggression“ zögen überdies erst einen „Spannungszustand“ nach sich, „der den Ausbruch eines Krieges zumindest als nahe liegende Möglichkeit erscheinen“ lassen müsse. Schübel ergänzt darüber hinaus: „Ob der Inhalt des Weißbuchs verfassungskonform ist, hat der Generalbundesanwalt nicht zu prüfen.“

Steinbicker kommentierte den Entschluss mit den Worten: „Wir prüfen und beraten jetzt unser weiteres juristisches und politisches Vorgehen in aller Ruhe.“ Unverständlich sei für ihn, dass die Generalbundesanwaltschaft im „Weißbuch“ „keine konkreten Kriegspläne“ sehe, obschon jeder wisse, „der sich ein wenig mit Geschichte beschäftigt hat, dass Angriffskriege wesentlich früher vorbereitet werden, also längst bevor konkrete Kriegspläne entworfen und Spannungszustände erzeugt werden“. Man wolle „auf jeden Fall weiterhin die Öffentlichkeit kontinuierlich auf diese für unser Land so gefährlichen Kriegsvorbereitungen aufmerksam machen“, sagte Steinbicker. Und berichtete von ungewöhnlicher Unterstützung, denn Ende November hatten Bundeswehr-Angehörige dem Verein Rückendeckung gegeben. Steinbicker fand denn auch: „Wenn Bundeswehroffiziere in einer solchen Situation bekennen, dass sie die Sorgen des Aachener Friedenspreis e.V. teilen, ist das eine Sensation!“

Im Arbeitskreis Darmstädter Signal (Ak DS) arbeiten seit über 20 Jahren aktive und ehemalige Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr zusammen. Der Kreis kritischer Militärs sah in einer Pressemitteilung in dem „Weißbuch“ einen „weiteren Schritt zur Aushöhlung unseres Grundgesetzes“ und einer möglichen Abkehr von „der dort verankerten Friedenspflicht im Äußeren und Inneren“. Durch die Strafanzeige des Friedenspreises hoffte der Ak DS auf „die notwendige rechtliche Klärung“, denn das regierungsamtliche „Weißbuch“ schaffe „Unklarheit und Beliebigkeit“ für die Soldaten. Indes hätten sie ein Recht auf „klare Rahmenbedingungen für ihren Einsatz“. Überdies hätten „die Friedenspflicht des Grundgesetzes und vorbeugende zivile Konfliktlösungen“ Vorrang.

Ähnlich wie der Friedenspreis teilte auch der Ak DS „die Sorge, dass das ‚Weißbuch’ die fortschreitende Militarisierung deutscher Außenpolitik zulässt und im Inneren erstmalig fordert.“ Die im „Weißbuch“ betonten „Interessen der Sicherung des freien Welthandels, der Rohstoffzufuhr und des Schutzes vor unkontrollierter Migration öffnen dem rechtswidrigen Einsatz der Soldaten für jede Art militärischer Intervention Tür und Tor“, so die Kritik der aktiven und ehemaligen Offiziere. Es sei die Zeit reif für eine „Klarstellung der rechtlichen, politischen und humanitären Rahmenbedingungen für militärische Einsätze deutscher Soldaten! Dabei müssen vorbeugende, nichtmilitärische Konfliktlösungen immer Vorrang haben!“ Man werde es nicht hinnehmen, "dass weiterhin unter dem Deckmantel humanitärer Hilfeleistung Einsätze erfolgen, die militärische Interventionen sind“.