Verantwortlicher für Guantanamo wurde zum Oberbefehlshaber der Nato ernannt

Afghanistan wurde in dem Baker-Bericht nur kurz erwähnt, doch hier ist die Lage ebenso aussichtslos wie im Irak

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Militärisch ist die Situation im Irak für die Amerikaner nicht zu lösen. Zudem müsse die US-Regierung ihre Haltung aufgeben, mit den vermeintlich Bösen nicht zu sprechen. Das betrifft freilich nicht nur Syrien und Iran, sondern auch Venezuela, Nordkorea, die Hamas in Palästina oder auch die Aufständischen in Afghanistan. Immerhin wurde im Bericht der Iraqi Study Group nicht nur ein breiteres Bild gezeichnet, der den bislang vornehmlich zu Chaos und Rückschlägen führenden Tunnelblick der Bush-Regierung auf geopolitische Konflikte und Interessen erweitert, sondern auch noch einmal deutlich gemacht, dass zu einer Gesamtlösung auch die vernachlässigte Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern gehört (Hoffen auf Gespräche mit Syrien und Iran).

Zwar wurde allgemein der Irak-Bericht der Kommission begrüßt, weil darüber zumindest die Chance einer veränderten Politik eröffnet wurde, allerdings hat er von konservativer Seite auch scharfe Kritik auf sich gezogen. So nannte die New York Post die Kommissionsmitglieder Feiglinge. Sie hätten in ihren Empfehlungen nur auf die Möglichkeiten hingewiesen, wie man die US-Truppen möglichst bald abziehen könnte. Es habe aber keine Empfehlung dahin gegeben, wie man die "Terroristen" besiegen könne.

Ausgespart wurde auch Afghanistan nicht, wohl aber nur kurz erwähnt. Eigentlich hätte die Kommission sich nicht alleine mit dem Irak beschäftigen sollen, sondern gleich auch ebenso intensiv mit Afghanistan. Auch hier ist mittlerweile deutlich, dass eine militärische Lösung, wie sie von der US-Regierung und der Nato weiterhin primär betrieben wird, nicht möglich sein wird. Auch der Vorschlag, mit den "Terrorunterstützern" Syrien und Iran Gespräche aufzunehmen, wird als "beschämende Niederlage" tituliert. Im Weißen Haus versucht man offenbar, das Beste aus der Lage zu machen und einen neuen "Weg nach vorn" finden, der sich zumindest als solcher verkaufen lässt.

Im Bericht heißt es diplomatisch, die Situation in Afghanistan habe sich durch die „übermäßige Konzentration der Aufmerksamkeit und der Ressourcen auf den Irak verkompliziert“. Tatsächlich war der in Reaktion auf die Anschläge vom 11.9. schnell erfolgte Angriff auf Afghanistan bereits ebenso falsch angelegt wie der spätere Einmarsch in den Irak. Hier wie dort ging man davon aus, dass mit dem Sturz des Regimes und dem „Köpfen“ der Führungsschicht die Menschen ihren „Befreiern“ dankbar sein und sie das amerikanische Modell für Politik und Wirtschaft schnell übernehmen würden. Dass bei einem Regimewechsel von außen in Gesellschaften mit einem anderen kulturellen Hintergrund und vor allem einer langen Geschichte von Krieg, Gewalt und Repression nicht gleich eine stabile Demokratie entsteht, hätte der Bush-Regierung eigentlich klar sein müssen - schließlich gab es nicht wenige Kritiker, die dies vor beiden Kriegen gesagt haben.

Der größte Fehler war aber bereits, dass schon mit dem Afghanistan-Krieg der nächste Krieg geplant wurde, um die Gunst der Stunde nach dem 11.9. zu nutzen. Beim Irak ging man davon aus, dass die Kosten niedrig und relativ wenig Wiederaufbauhilfe nötig sein würden, da das Land über riesige Ölressourcen verfügt. Afghanistan sollte als Blaupause für den Irak dienen, da aber auch hier bereits viel zu wenig Wiederaufbau betrieben wurde und man weiterhin auf militärische Konfliktlösung setzte, wurde zwar eine Regierung etabliert, die aber keine wirkliche Macht über die Hauptstadt hinaus hat. Die im Krieg eingegangenen Kooperationen mit Warlords haben die Grundlage für die Herrschaft von Stammesfürsten befestigt, die vor allem ihre eigenen lokalen Interessen und Geschäfte im Auge haben. Die weiter herrschende Unsicherheit und Armut haben zudem die Menschen mehr und mehr wieder zu den Aufständischen getrieben, die man allgemein Taliban nennt. Sie haben nun ihrerseits von den Strategien der Milizen, Aufständischen und Terroristen im Irak gelernt und sind damit zu einer Macht geworden, die sich mit der schwachen Zentralregierung und ihren Streitkräften sowie den westlichen Truppen, die unter dem Kommando der Nato stehen, ebenso wenig militärisch besiegen lassen wie die bewaffneten Kräfte im Irak.

Während der Nato-Tagung haben die Verbündeten keine Einigung über eine neue Afghanistan-Politik erzielt, es gab lediglich vage Versprechungen, die Truppenkontingente ein wenig zu erhöhen. Derzeit befinden sich rund 32.000 Nato-Soldaten in Afghanistan, davon stellen die Amerikaner 12.000, die Briten 6.000 und die Deutschen mit 3.000 Soldaten das drittgrößte Kontingent. Der Baker-Bericht empfiehlt der US-Regierung, Afghanistan politisch, wirtschaftlich und militärisch stärker als bislang zu unterstützen. Dazu könnten Ressourcen dienen, die durch den Rückzug aus dem Irak frei werden. Mehr wird allerdings nicht empfohlen. Man kann also damit rechnen, dass Afghanistan erst stärker zur Geltung kommen wird, wenn die Verluste größer werden, die dann aber alle beteiligten Nato-Staaten betreffen. Sie verhalten sich bislang ebenso unwillig wie die Bush-Regierung, aus dem Fiasko, das seit 5 Jahren nach dem Sturz der Taliban herrscht, eine Lehre zu ziehen, um vielleicht noch rechtzeitig eine andere Politik einzuleiten.

Die Nato, Afghanistan und Guantanamo

Allerdings scheint weder im Pentagon noch in der Nato eine Notwendigkeit vorhanden zu sein, das Vorgehen zu überdenken. So überrascht auch nicht, dass ohne erkennbare Kritik seitens der anderen Nato-Mitglieder der bisherige Nato-Oberkommandierende US-General James Jones ausgerechnet von General Craddock abgelöst wurde, der seit 2004 das US-Südkommando leitete und dabei auch für das Gefangenenlager Guantanamo zuständig war. Damit war Craddock verantwortlich für einen wichtigen Teil des amerikanischen Gulag, in dem zu Outlaws erklärte Menschen auf unbegrenzte Zeit verschwinden, ohne Rechte festgehalten und misshandelt werden, nachdem sie oft ebenso willkürlich verschleppt wurden.

So genannte harte Verhörtechniken mitsamt Demütigungen wurden vom damaligen Verteidigungsminister Rumsfeld gebilligt und spätestens seit Ende 2002 auch in Guantanamo angewendet. Der Kommandeur von Guantanamo, General Geoffrey Miller, reiste im September 2003 in den Irak und führte dort Verhörmethoden ein, die zu den bekannt gewordenen Misshandlungen im Gefängnis Abu Ghraib führten. Zur "Schulung" schickte er auch "Tiger Teams" von Verhörspezialisten nach Abu Ghraib. Wenige Wochen später wurden die Gefangenen misshandelt, sexuell gedemütigt und mit scharfen Hunden bedroht.

Craddock hatte sich nach der Aufdeckung der Zusammenhänge zwischen Abu Ghraib und Guantanamo vor Miller gestellt, damit dieser nicht einmal einen Tadel wegen mangelhafter Aufsicht über die Verhöre erhielt. Er unterstützte etwa die von militärischen Berichterstattern als „entwürdigend und misshandelnd“ beschriebenen Quälereien des so genannten 20. Attentäters vom 11.9., die Ende 2002 in Guantanamo stattfanden, noch 2005, da die harten Verhörmethoden dessen Widerstand gebrochen und angeblich wichtige Erkenntnisse hervorgebracht hätten. Ähnlich den späteren Misshandlungen in Abu Ghraib musste Mohammed Al-Qahtani Frauenkleider anziehen oder musste mit Hand- und Fußfesseln sowie angeleint wie ein Hund herumkriechen.

Craddock war auch verantwortlich für die Maßnahmen zur Zwangsernährung von Gefangenen, die gegen ihre Haft protestierten. Er machte sich etwa über die Behandlung lustig, indem er sagte, die Gefangenen, die zur Zwangsernährung festgeschnallt wurden, könnten sich doch die Farbe der Schläuche, die dicker als normal waren, und den Geschmack der Nährlösung aussuchen – und fügte hinzu, dass die Wahlmöglichkeit ein Teil des Problems sei. Noch im März 2005 berichtete er – treu die Vorgaben der US-Regierung beachtend - einem Senatsausschuss, dass in Guantanamo „550 feindliche Kämpfer im Globalen Krieg gegen den Terrorismus“ gefangen gehalten werden: „Viele dieser feindlichen Kämpfer sind bestens trainierte, gefährliche Mitglieder von al-Qaida, ihrer verbundenen Netzwerke und des ehemaligen Taliban-Regimes.“ Er erklärte überdies, dass die Gefangenen in Guantanamo „menschlich“ und nach den Prinzipien der Genfer Konventionen behandelt wurden. Man habe alle Vorwürfe untersucht und die für die sowieso kaum vorgefallenen Misshandlungen Verantwortlichen bestraft.

Dieser Mann hat nun das US-Oberkommando für Europa übernommen und ist zudem der Oberkommandierende der Nato, die seit 2003 den Einsatz in Afghanistan übernommen hat. Die Nato-Mitglieder, die sich nicht mit Guantanamo und den in diesem Kontext begangenen und andauernden Menschenrechtsverletzungen einverstanden erklären wollen, hätten zumindest gegen die Ernennung öffentlich protestieren können. Allerdings werden von den übrigen Nato-Mitgliedsländern auch die in Afghanistan vorhandenen Gefängnisse gedeckt, in denen Gefangene verschwinden und zumindest misshandelt wurden. Al-Masri war in einem solchen Gefängnis gefangen gehalten worden. Wie sollen Truppen von Ländern, die Menschenrechtsverletzungen decken und nicht anprangern oder sich ausdrücklich davon distanzieren, einem Land glaubwürdig Frieden, Stabilität und Demokratie bringen können?