Kein öffentliches Interesse

Die Zeitung Junge Welt darf nach einem Gerichtsurteil über den deutschen Kriminalkommissar, der vermutlich Al Masri in Afghanistan verhört hatte, unabhängig vom Wahrheitsgehalt nicht berichten

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Gerhard Lehmann ist wahrlich kein unbekannter Mann. Im libanesischen Fernsehen war er neben dem Berliner Oberstaatsanwalt Detlef Mehlis zu sehen. Auch parlamentarische Ausschüsse haben sich schon mit ihm befasst. Mittlerweile widmet sich sogar ein Buch diesem Mann, allerdings unter einem Pseudonym. Richard Böttcher heißt der Beamte in Oliver Schröms Buch Gefährliche Missionen.

„Noch nie zuvor ist es jemandem gelungen, so nah an den Terror-Fahnder des Bundeskriminalamtes (BKA) zu kommen. Dem preisgekrönten Journalisten Oliver Schröm offenbart der Mann für gefährliche Missionen Hintergründe und Abläufe bislang streng geheim gehaltener Anti-Terror-Operationen“, heißt es in der Verlagsankündigung. Nach Recherchen des Münchner Journalisten Nikolaus Brauns verbirgt sich hinter diesem hochgelobten Herrn Böttcher niemand anderes als der Kriminalkommissar Lehmann. Der scheint aber zumindest nicht in jedem Fall Interesse an einer öffentlichen Berichterstattung zu haben.

Denn über den Rechtsstreit zwischen Lehmann und dem Verlag 8. Mai darf die Tageszeitung junge Welt, die vom diesem Verlag herausgegeben wird, unabhängig vom Wahrheitsgehalt nicht berichten. Das wurde am Donnerstag durch eine Einstweilige Verfügung des Berliner Landgerichts festgeklopft. Bei Zuwiderhandlung drohte das Gericht ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro bzw. eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für den Geschäftsführer der jungen Welt an. Es bestehe kein öffentliches Interesse an dem Fall, weil Lehmann keine Person der Zeitgeschichte sei, argumentierte das Gericht.

Schon vor einigen Wochen war die junge Welt mit einer leeren Spalte erschienen. Auch dort sollte eigentlich über Gerhard Lehmann ("Herr Lehmann vom BKA") berichtet werden. Der Kriminalbeamte war vor allem deshalb in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt, weil der deutsche Staatsbürger libanesischer Abstammung Khaled El Masri in Lehmann jenen ominösen Sam wieder erkannt haben will, der ihn nach seiner von der CIA veranlassten Entführung in Afghanistan vernommen haben soll. Der Beamte bestritt die Beschuldigung vehement. Weil die junge Welt über die Aussagen El Masris berichtete, hatte der Kriminalbeamte die Zeitung verklagt.

Die juristische Auseinandersetzung wird weitergehen. Verlag und Redaktion haben angekündigt, weitere juristische Schritte einlegen zu wollen. Die Auseinandersetzung hat in journalistischen Kreisen für Beunruhigung gesorgt. So widmete sich das Branchenmagazin Journalist unter der Überschrift „Maulkorb-Urteil - Nachwirkungen des Falls Al Masri auf die Berichterstattung“ diesem Thema.

Anwalt abgehört

Mittlerweile ist bekannt geworden, dass Manfred Gnjidic, der Rechtsanwalt von Khaled El Masri, auf Veranlassung der Münchner Staatsanwaltschaft abgehört. Die Staatsanwaltschaft München I hat Abschriften von fünf Telefonaten und einer SMS als wichtig für die Ermittlungen gegen die bislang unbekannten Entführer El Masris bewertet und angeordnet, die Protokolle zu den Akten zu nehmen. Der „Stern“ schrieb, allein drei von sechs protokollierten Telefonatverbindungen beträfen „Stern“- Redakteure. SPD, FDP und Bürgerrechtsorganisationen haben die Abhöraktion verurteilt. Der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken kritisierte, dass Journalisten von den staatlichen Ermittlern benutzt worden seien, um an Informationen zu gelangen.