300 bis 400 Markennamen internalisiert

Kinder und Konsum

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Die dreijährige Armani und ihre Freundin L'Oréal werden von einem Interviewer des National Consumer Council nach ihren Familiennamen gefragt. Sie wissen ihn nicht, deuten aber auf ein Logo aus gelben Bögen und sagen erfreut: MacDonalds. Ihre älteren Brüder lachen, die Zehnjährigen zählen stolz noch weitere drei- bis vierhundert Markennamen auf. Nur ESPN, der nach einem Sportkanal getauft wurde und die Namensgebung seiner Eltern als Inspiration versteht, ist etwas traurig, konnte er im letzten Jahr doch nur 30.000 TV-Werbespots sehen statt 40.000 wie seine sechs Freunde, die Courvoisier heißen. Indes fürchten sich die Eltern von Michael, Mary und Peter vor den Fragen ihrer Kinder.

"Und sie wollen dies und sie wollen das und ich fahre fort, 'Nein' zu sagen, 'Nein', 'Nein' und ich frage mich, was die Kinder von mir denken müssen - 'Oh, ich hasse Mama. Sie kauft mir nie etwas.' Manchmal wird das richtig schwierig und ärgerlich."

Die Klage der Mutter und die oben zusammengemischten Aussagen finden sich in einem Bericht, den der englische Think Tank Compass ("Direction for the Democratic Left") rechtzeitig zur Vorweihnachtszeit veröffentlichen will. Auszüge daraus machte gestern die englische Tageszeitung Telegraph publik.

Es geht wieder einmal um die "Kommerzialisierung der Kindheit", so der Titel des Berichts in der deutschen Übersetzung. Neu ist das Interesse an diesem Phänomen der Gegenwart nicht (vgl. Total süß). Auch nicht die Gefahren, die man darin sieht: Der Erzbischof von Canterbury, der die Compass-Studie unterstützt, ist nicht der erste, der hinter häufigeren Stress- und Depressions-Symptomen und geringem Selbstwertgefühl bei Kindern Begleiterscheinungen des enthemmten Kapitalismus vermutet (vgl. Die gestresste neue Generation des 21.Jahrhunderts..) und Gegenreaktionen fordert:

Es gibt einen wachsenden politischen und sozialen Konsens darüber, dass einiges getan werden müsste, um Kinder vor den schlimmsten Exzessen des direkten Marketings und dem Druck der Kommerzialisierung zu schützen.

Die aktuelle Studie hält nun ein paar neue Schockmomente bereit, welche die Dimension des Problems ziemlich deutlich machen: Auf ungefähr 44 Milliarden Euro wird der Markt im Vereinigten Königreich (UK) geschätzt, der sich auf Kinder konzentriert. Britische Kinder sollen konsumorientierter sein als amerikanische Kinder und unzufriedener, wenn sie nicht bekommen, was sie sich wünschen. 78 Prozent der Zehnjährigen sagen, dass sie Freude am "Shopping" haben. Der durchschnittliche Zehnjährige soll nach Angaben des National Consumer Council 300 bis 400 Markennamen "internalisiert" haben ("zwanzig mal soviel wie Namen von Wildvögeln").

Nur die Hälfte der Dreijährigen kannte ihren Nachnamen, aber sieben von zehn erkennen das Mac-Donalds-Logo. In den USA beobachtete ein Wissenschaftler, der 2000 Sozialversicherungsakten durchforschte, den Trend, wonach immer mehr Kinder Markennamen bekommen. Er zählte 300 Mädchen mit dem Namen Armani; Mädchen, die L'Oréal getauft wurden; sechs Jungs, die Courvoisier gerufen werden und einen, der nach dem Sportkanal ESPN benannt wurde.

Das Durchschnittskind in Großbritannien, den USA und in Australien sieht zwischen 20.000 und 40.000 Fernsehwerbungen im Jahr. Während Erwachsene die Methoden der Werbung normalerweise durchschauen könnten, soll dies Kindern erst ab dem Alter von 11 oder 12 Jahren möglich sein. Unter acht Jahren würden sie sich noch nicht einmal der Absicht des Werbenden bewußt sein. Versteckte Werbung ("Schleichwerbung") würde unter dem Radar auch von älteren Kindern agieren.

"Das Geschichtenerzählen war früher das Wesen des Spieles und Spielzeuge nur die Katalysatoren", wird Michael Brody von der American Academy of Child and Adolescent Psychiatry zitiert, "die Kommerzialisierung der Kinder hat ernsthafte Konsequenzen. Die Spielzeuge von heute mit ihren offensichtlichen Links zum Kommerz sind jetzt zu "Geschichtenverhinderern" geworden."

Dass der Dauerbeschuss mit Werbung für die Kinder schädlich ist, wird wohl nur von wenigen bestritten, wie sich die schädliche Wirkung aber genau manifestiert, ist in der Wissenschaft noch nicht eindeutig bewiesen. Für die Eltern ist dagegen klar, wie sich das in der Realität übersetzt: in echten Stress.