Ruhe vor dem Sturm?

Der Vormarsch der Studiengebühren scheint erst einmal gestoppt. Nach Berlin haben auch Schleswig-Holstein und Rheinland Pfalz ihre Pläne auf Eis gelegt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Lange Zeit sah es so aus, als ob die Sozialdemokraten en bloc oder in einzelnen Verbänden dem Beispiel vieler unionsgeführter Bundesländer folgen und sich auf die eine oder andere Weise ebenfalls zur Einführung von Studiengebühren durchringen wollten. Während in Berlin offen über die Deckung der dramatischen Haushaltslöcher und in Brandenburg über die Möglichkeit oder Notwendigkeit, sich aktuellen Entwicklungen anzupassen, diskutiert wurde, sah sich Rheinland-Pfalz von Gebührenländern umstellt und befürchtete einen regelrechten Ansturm auf die eigenen kostenfreien Hochschulen. Die nordrhein-westfälische SPD rückte von der lange favorisierten Idee einer Verfassungsklage gegen Studiengebühren ab, und die Genossen in Schleswig-Holstein fassten unter dem Druck des großen Koalitionspartners eine nachgelagerte Abgabe ins Auge.

Nachdem die Sozialdemokraten im Sinne ihrer einstigen Stammklientel jahrzehntelang für ein gebührenfreies Erststudium plädiert hatten, schien die Sonderabgabe von rund 500 € pro Student und Semester plötzlich kein Tabuthema mehr zu sein. Doch den offenen Bruch mit Wahlversprechen und Parteitraditionen wagten sie dann doch nicht. In Berlin, wo neben den finanziellen Schwierigkeiten auch die – gegen den negativen Bundestrend – beträchtliche Steigerung der Studentenzahlen (Universitäten + 9 Prozent, Fachhochschulen + 6 Prozent) eine Gebührenerhebung möglicherweise begünstigt hätten, wurde ihr die Entscheidung abgenommen, weil sich der Koalitionspartner PDS strikt gegen Studiengebühren aussprach.

In Schleswig-Holstein vollzog die SPD aus eigenem Antrieb eine Kurskorrektur, und am Ende sah es fast so aus, als habe die Bildungsministerin und stellvertretende Regierungschefin Ute Erdsiek-Rave nie über nachgelagerte Beiträge nachgedacht oder es explizit sogar für sinnvoll gehalten „einmal durchzurechnen, ob ein solches Modell konkurrenzfähig sein könnte.“

„Für diese Legislaturperiode“ vom Tisch

Einen Tag vor Nikolaus erklärte der Landesvorsitzende Claus Möller die aktuellen Koalitionsverhandlungen zum Erfolg und für abgeschlossen. Die SPD habe dem Koalitionspartner deutlich gemacht, dass Studiengebühren mit ihr „aus sozial- und bildungspolitischen Gründen“ nicht zu machen seien. Für die Genossen im hohen Norden ist die Diskussion damit erst einmal beendet.

Das Thema Studiengebühren ist für diese Legislaturperiode vom Tisch!

Claus Möller

Was genau Möllers sinnreicher Einschub „für diese Legislaturperiode“ bedeuten mag, ist freilich nicht ganz klar. Im neuen Hochschulgesetz, das einmal das modernste in ganz Deutschland werden soll, ist ein Verbot von Studiengebühren oder die Garantie eines gebührenfreien Erststudiums jedenfalls nicht vorgesehen.

Einen Tag später verabschiedete sich auch die rheinland-pfälzische Landesregierung von ihren Gebührenplänen, die dem jovialen Landesvater Kurt Beck seit geraumer Zeit die schnörkellose Argumentation erschwert hatten. Sein nach Berlin abgewanderter Wissenschaftsminister Jürgen Zöllner hatte sich einst für die sogenannte „Landeskinderregelung“ stark gemacht, nach der alle Studenten, die ihren Hauptwohnsitz nicht in Rheinland-Pfalz haben, aber dort studieren wollen, 500 € zahlen müssen. Zöllners Nachfolgerin Doris Ahnen stellte die Umsetzung dieses Vorhabens nun mit der Begründung zurück, dass in Rheinland-Pfalz - nach den Vereinbarungen des Hochschulpakts zwischen Bund und Ländern - bis 2010 „nur“ 5.800 von insgesamt 90.000 neuen Studienplätzen zur Verfügung gestellt werden müssen.

Durch die jetzt absehbare Einigung von Bund und Ländern hat sich eine Änderung der Gesamtsituation ergeben, die noch nicht Anlass zur Entwarnung, wohl aber zur Entspannung gibt. Wir haben immer wieder betont, dass eine Landeskinderregelung für uns nur die Ultima Ratio ist, um die Arbeitsfähigkeit unserer Hochschulen zu erhalten, wenn durch Studiengebühren in anderen Länder die Zahl der Studierenden an unseren Hochschulen zu groß wird.

Doris Ahnen

Rheinland-Pfalz plädiert auf Notwehr

Diese Möglichkeit besteht jedoch nach wie vor, denn bis auf weiteres gilt es als nicht besonders wahrscheinlich, dass sich künftige Studentengenerationen nach dem Verteilerschlüssel eines Hochschulpakts richten. Ein gleichwertiger Grund für den vorläufigen Rückzug der Landeskinderregelung dürfte eine Entscheidung des Bremer Verwaltungsgerichtes sein, das ein ähnliches Ansinnen der Bremer Bürgerschaft für rechtswidrig erklärt hatte. Es sei gebührenrechtlich willkürlich,

dass Studenten allein wegen ihres Wohnsitzes im Bundesland Bremen, also eines Merkmals, das keinen Bezug zur Inanspruchnahme der bremischen Hochschulen aufweise, bis zum 14. Fachsemester von der Gebührenpflicht ausgenommen werden, während Studierende mit (Erst-)Wohnsitz außerhalb des Landes Bremen bereits ab dem 3. Semester zu Studiengebühren der Universität herangezogen werden.

Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen

In Rheinland-Pfalz könnten studentische Eilanträge zu ähnlichen Erfolgen führen, aber die Sozialdemokraten halten sich bis auf Weiteres eine Hintertür offen. Ein Ende letzter Woche verabschiedetes „Landesgesetz zur Änderung hochschulrechtlicher Vorschriften“ ermächtigt die Regierung ausdrücklich, „frühestens zum Wintersemester 2007/2008“ die entsprechende Gebührenerhebung auf dem Wege einer simplen Rechtsverordnung durchzusetzen. Ahnen hofft, dass ihr Bundesland von dieser „Notwehrmaßnahme“ keinen Gebrauch machen muss, will aber für alle Fälle handlungsfähig bleiben.

Protestieren bald exmatrikulierte Studenten gegen verfassungsfeindliche Gesetze?

Genau das möchten auch die Studentinnen und Studenten, die auf die Einführung von Studiengebühren in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg, Hessen und dem Saarland mit einem Boykott der umstrittenen Abgabe reagieren wollen. Mittlerweile haben sich die Nachwuchsakademiker an etwa 20 Hochschulstandorten darauf verständigt, die Gebühren zunächst auf ein Treuhandkonto einzuzahlen, in den meisten Städten wird der Boykott allerdings erst greifen, wenn ein bestimmtes Quorum – mehrheitlich zwischen 25 und 30 Prozent - erreicht ist. Ob sich tatsächlich so viele Studierende an einem Boykott beteiligen, stellt sich in den nächsten Wochen und Monaten heraus.

In Baden-Württemberg bereitet man sich an den Universitäten Karlsruhe, Mannheim und Tübingen und an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe auf den Ernstfall vor und provozierte damit bereits den zuständigen Wissenschaftsminister Peter Frankenberg (CDU). Er warnte die Nachwuchsakademiker eindringlich davor, „mit dem Feuer zu spielen“ und drohte mit Exmatrikulation, einem dauerhaften Verlust des Studienplatzes und juristischen Auseinandersetzungen.

Die LandesAstenKonferenz ist so allerdings nicht zu beeindrucken, denn sie will selbst vor Gericht gehen, um die Verfassungswidrigkeit der Gebührenverordnung feststellen zu lassen. Die Studentenvertreter sehen in der baden-württembergischen Regelung einen Verstoß gegen das Gebührenrecht und beanstanden willkürliche Härtefallregelungen. Auf erbitterten Widerstand stößt zudem das Kreditmodell, das auch aus neutralerer Perspektive kaum geeignet zu sein scheint, die versprochene Sozialverträglichkeit auch nur annähernd zu garantieren. So bietet die Staatsbank für Baden-Württemberg zwar einen Darlehensvertragen zur Finanzierung von Studiengebühren an, verlangt aber schon für die Zeit vom 01. November 2006 bis zum 30. April 2007 einen üppigen Zinssatz von 7,2 Prozent. Die Freiburger Jurastudentin Henrike Hepprich arbeitet seit einiger Zeit an der Vorbereitung der Klageschrift und ist davon überzeugt, dass in Sachen Studiengebühren für Baden-Württemberg noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.

Sozial gerechte Studiengebühren: Das ist schon ein Widerspruch in sich. Die Landesregierung hat mit ihrem Gebührengesetz allerdings noch nicht einmal die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen erfüllt. Wer nicht sofort zahlen kann, muss einen Kredit aufnehmen und tappt damit in die Schuldenfalle. Wer am wenigsten hat, muss so am meisten zahlen. Das ist nicht nur sozial ungerecht – das ist verfassungswidrig.

Henrike Hepprich

So sehen es auch viele Kommilitonen in Hessen, wo derzeit eine Verfassungsklage am Staatsgerichtshof vorbereitet wird. Der AStA der TU Darmstadt sucht im Vorfeld so viele Verbündete wie möglich und geht dabei auch ungewöhnliche Wege. Für diese Woche ist ein regelrechter Elternabend anberaumt, zu dem allerdings auch Oma und Opa sowie Interessierte aller Art und Verwandtschaftsgrade eingeladen sind.

Gerade in den letzten beiden Wochen haben wir immer wieder Anrufe von besorgten und verärgerten Eltern bekommen, die uns Mut zugesprochen haben und uns aufgefordert haben nicht locker zu lassen. In vielen Fällen sind es doch die Eltern, die für Ihre Kinder die Studiengebühren übernehmen müssen.

Sascha Decristan, AStA der TU Darmstadt

Prinzipiell dagegen, mehrheitlich desinteressiert

An anderen Hochschulen sind die Gegner von Studiengebühren weniger optimistisch. Der AStA der Universität Bonn hat sich gegen eine Teilnahme am Boykott entschieden, weil er die Risiken, die sich aus einer eventuellen Exmatrikulation ergeben könnten, für „unverantwortlich hoch“ hält. Stuttgart und Heidelberg halten sich ebenfalls zurück, und beim AStA der Fachhochschule Nürnberg findet sich unter dem Stichwort „Studiengebühren“ ein Eintrag vom 4. November 2006, der da lautet:

In Kürze folgt hier eine detaillierte Aufstellung mit Information rund um Studiengebühren.

AStA der FH Nürnberg

An der Katholischen Universität Eichstätt werden ebenfalls keine Weltrevolutionäre erzogen. Zwar mühten sich hier im Frühjahr 2005 immerhin 17 Zeltinhaber um eine Besetzung des Campus, und die lokale JUSO-Hochschulgruppe wartet schon mal mit einer versuchsweisen Definition des Begriffs „Sozialismus“ auf.

Sozialismus bedeutet - stark vereinfacht - dass man nicht zufrieden ist mit der Welt wie man sie vorfindet, sondern in der Erkenntnis ihrer sozialen, politischen, kulturellen Defizite und in der Hoffnung auf positive Veränderung politisch aktiv wird.

JUSO-Hochschulgruppe Eichstätt

Der letzte, ebenfalls stark vereinfachte, aber immerhin deutlich artikulierte Online-Protest gegen eine Gebührenerhebung datiert vom 21. Juni 2005. Weiter nördlich wird der Widerspruch lauter, doch auch hier ist die Boykottreihe keineswegs geschlossen. In Göttingen wurde Ende November eine Urabstimmung durchgeführt, in deren Verlauf nur 3.132 der 23.673 Wahlberechtigten dafür stimmten, die Gebühren zunächst auf ein Treuhandkonto einzuzahlen. 919 Studierende waren dagegen, knapp 20.000 fühlten sich offenbar nicht zuständig. Vor einer bundesweiten Protestwelle brauchen sich die Bildungspolitiker also nicht zu sorgen. Vielerorts scheinen sich die Studierenden mit der Situation abgefunden oder noch nicht in allen Einzelheiten realisiert zu haben, was Studiengebühren unmittelbar und langfristig für sie bedeuten könnten.

Daran wird sich in den nächsten Wochen und Monaten Entscheidendes ändern, und wenn alle Studierenden in den sieben betroffenen Bundesländern ihre Zahlungsaufforderungen auf dem Schreibtisch liegen haben, sich hier und dort eine Boykottinitiative erfolgreich in Szene setzt oder die eingesammelten Gebühren nicht – wie so oft versprochen – für die unmittelbare Verbesserung der Studienbedingungen eingesetzt werden, könnte sich aus der bis dato vielfach folkloristischen Protestbewegung noch ein ernstzunehmender Gegenspieler der einfallslosen Bildungspolitik auf Bundes- und Länderebene entwickeln.

Spannend bleibt auch die Frage, wie sich die Haltung der SPD im kommenden Jahr entwickeln wird. Wenn die Sozialdemokraten geschlossen zu ihren Grundsätzen und der bedingungslosen Befürwortung eines gebührenfreien Erststudiums zurückkehren, könnten die wichtigen Landtagswahlen, die 2008 in Niedersachsen, Hamburg, Hessen und Bayern anstehen, auch zu einer Abstimmung über die umstrittene Abgabe werden. In dem Fall müssten die Genossen jedoch überzeugende alternative Finanzierungskonzepte vorlegen, und die sind derzeit noch nicht in Sicht.