Verbieten! Verbieten! Alles Verbieten!

Die Leiche des Amokläufers von Emsdetten war noch nicht mal ganz kalt, da hatte Niedersachsens Innenminister Schünemann bereits die Schuldigen ausgemacht: "Killerspiele" haben den Jungen verleitet. Ganz klar. Da brauchen wir weder psychologische Gutachten noch Gedanken über die Erziehungsfehler der Eltern. Die stören den CDU-Politiker nur bei seinem Kreuzzug. Seitdem überbietet sich Schünemann mit seinem bayrischen Amtskollegen Beckstein in Forderungen nach Gesetzesverschärfungen. Haftstrafen nicht nur für diejenigen, die "Killerspiele" in Umlauf bringen, sondern auch für Spieler. Das hat weit reichende Konsequenzen - für die deutsche Außen- und Wirtschaftspolitik.

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Schünemann und Beckstein fordern Gefängnisstrafen für Killerspiel-Hersteller und würden damit auch unweigerlich so manchen prominenten US-Politiker und IT-Chef kriminalisieren. Aber Verbote haben auch ihr Gutes und leisten einen wertvollen Beitrag zur kulturellen Vielfalt in der Videospiellandschaft, wie vier Beispiele friedlicher Spielkonzepte zeigen.

Sollten sich die CDU/CSU-Minister tatsächlich durchsetzen, dann ist’s wohl Essig mit dem Antrittsbesuch von Robert Gates, der am 18. Dezember die Nachfolge von Donald Rumsfeld als US-amerikanischer Verteidigungsminister antritt. Denn das Pentagon verteilt den Militär-Shooter „America’s Army“ kostenlos über das Internet - auch nach Deutschland. Ergo müsste Gates der Verbreitung von „Killerspielen“ angeklagt werden und wegen der Schwere des Vergehens (Herstellung von „Killerspielen“ mit Millionen-Etat, Verbreitung an Hunderttausende von Minderjährigen) wohl mit der Höchststrafe rechnen und für zwei Jahre ins Kittchen wandern.

Screenshot aus America's Army, mit dem das Pentagon unter jungen Menschen rekrutiert. Unter dem Bild steht: "Burning vehicles, buildings and helicopters add to the realism - and the confusion!"

Das mag so manchem vielleicht gar nicht mal ungelegen kommen, aber auch Bill Gates müsste um Deutschland einen weiten Bogen machen, denn in „Age of Empires“, das von Microsoft vertrieben wird, schießt man auf pixelige Menschenfiguren. Selbst Apple-Chef Steve Jobs dürfte sich hierzulande nicht mehr blicken lassen, verkauft er doch Millionen von iPods auf denen das Spiel Parachute vorinstalliert ist, in dem man mit einer Kanone Fallschirmspringer abschießen muss. Gewiss: die simple Grafik ist nicht besonders realitätsnah, aber davon steht auch nichts im Gesetzesentwurf. Killerspiel ist Killerspiel, und damit basta.

Doch was Stoiber, Beckstein und Schünemann nicht ahnen: Mit ihren Rufen nach Verboten und Bestrafungen (denen selbst eine Gewalt innewohnt, die sie vermeintlich zu bekämpfen behaupten) werfen sie nicht nur populistische Nebelbomben, um von sozialen Missständen abzulenken oder ihre Freunde aus den Schützen- und Jagdvereinen aus der Schussbahn der öffentlichen Kritik zu ziehen. Ohne es vielleicht zu wissen, leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Videospielkultur. Denn wenn erstmal jede virtuelle Waffe verboten ist, keine Laserkanone mehr auf menschenähnliche Aliens gerichtet werden darf, dann müssen Spielentwickler sich etwas Neues ausdenken. Dann werden wir nicht mehr mit dem x-ten Aufguss von „Call of Duty“ malträtiert, dann müssen wir nicht mehr düstere Terroristen um den Erdball jagen, sondern können uns über neue unverbrauchte Themen freuen, von denen an dieser Stelle vier Beispiele genannt seien (mit Wertungen von 1 = mies bis 10 = klasse).

So präsentieren die französischen Entwickler von Ubisoft dieser Tage mit Rayman Raving Rabbids die passende Antwort auf die deutsche Killerspiel-Debatte. Speziell für Nintendos neue Wii-Konsole konzipiert, haben die Designer um Michel Ancel 70 Minispiele zusammengestellt, in denen Rayman gegen eine Schar von wilden Hasen antreten muss. In der Disco muss er sie im richtigen Takt mit dem Scheinwerfer anstrahlen, wozu man mit den Wii-Controller den Rhythmus schlägt. Oder man schwingt die Fernbedienung wie ein Lasso und versucht eine Kuh wie beim Hammerwerfen möglichst weit zu schleudern. Wenn ihn Horden von Cowboy- und Indianerhasen angreifen, wehrt sich Rayman mit Gummipümpeln, oder er spritzt sie am Strand mit einer Saftkanone voll, wobei man mit dem zweiten Controller Pumpbewegungen ausführen muss.

Rayman ist für die Wii geradezu wie geschaffen. Andere Versionen für Playstation 2 oder PC fallen dagegen stark ab, da die Minispielchen mit einem normalen Gamepad viel von ihrem Charme verlieren. Auch sind nicht alle Einfälle witzig: Beim Warzenschweinrennen muss man peinlich genau die Ideallinie halten, um innerhalb des knackigen Zeitlimits ins Ziel zu kommen, und Klotüren mit einer Fernbedienung zuzuhalten ist auch nicht jedermanns Sache. (Wii: 7, PS2, PC: 5).

Frankreichs Antwort auf die Deutsche Killerspiel-Debatte: Rayman schießt mit Gummipümpeln

Mit Mord und Totschlag hat Phoenix Wright: Ace Attorney (Nintendo DS) zu tun, allerdings zieht man nicht selbst den Abzug, sondern tritt vor Gericht als Anwalt auf, um seine Klienten zu verteidigen. Atlus und Capcom inszenierten das Spiel als interaktiven Comic. Zum überwiegenden Teil muss der Spieler lediglich Texteinblendungen weiterschalten, um die ausgefeilte Geschichte mit ihren zum Teil zwielichtigen Charakteren weiterzuspinnen. Am Tatort gilt es, Beweise zu sichern und Zeugen zu befragen. Vor Gericht ist Kombinationsgabe gefragt: Phoenix Wright untersucht Beweismittel in der Gerichtsakte und deckt Widersprüche in den Zeugenaussagen auf. So spielt sich Phoenix Wright wie ein interaktiver Manga-Comic und haucht dem darbenden Adventure-Genre neues Leben ein. In den USA ist bereits die Fortsetzung „Justice for all“ erschienen. (7)

Kurzweiliger Prozess: In Phoenix Wright muss der Spieler unschuldig Verdächtigte herauspauken

Harmonix und Activision beweisen mit Guitar Hero 2 (PS2), dass man junge Männer auch ohne testosterontriefende Action an den Bildschirm fesseln kann. Das Geheimnis des Erfolgs steckt in der Plastikgitarre, die dem Spiel beiliegt. Mit ihr spielt man knallige Hardrock- und Metal-Stücke nach. Zum Repertoire gehören Danzigs „Mother“, Wolfmothers „Woman“, „War Pigs“ von Black Sabbath wie auch „Who was in my room last night“ von den Butthole Surfers. Vom ersten Guitar Hero waren viele US-Bands so begeistert, dass sie für den zweiten Teil Original-Einspielungen zur Verfügung stellten, darunter Primus und Janes Addiction. Buckethead komponierte für Guitar Hero 2 gar einen eigenen Song. Die anderen Stücke wurden größtenteils sehr gekonnt gecovert, lediglich bei „Killing in the Name of“ von Rage against the Machine klingt der Sänger sehr nach Karaoke-Bar.

Was Guitar Hero so liebenswert macht, ist die kompromisslose Punk-Rock-Attitüde. Selbst nachdem MTV im September das Entwicklerstudio Harmonix für 175 Millionen US-Dollar aufgekauft hat, driftet der zweite Teil nicht, wie befürchtet, in den Mainstream ab. Nu-Metal & Co. bleiben weiterhin draußen. Leider konnten die Macher aber immer noch keine Stücke von AC/DC, Metallica oder Led Zeppelin an Land ziehen. Die Stücke sind nicht mehr so rifflastig wie noch beim ersten Teil, sondern bringen ausgedehnte Soli mit. Besonders in den fortgeschrittenen Schwierigkeitsstufen spielt man sich so manchen Knoten in die Finger. Bereits bei den letzten Stücken im mittleren Schwierigkeitsgrad wird man um ausgiebige Übungsstunden nicht umhin kommen. Jeden Song kann man nun mit reduziertem Tempo trainieren oder sich einzelne Passagen heraussuchen. Mit einem zweiten Gitarren-Controller kann man nicht nur gegeneinander antreten, sondern auch miteinander spielen, wobei der Zweite die Rhythmus-Gitarre oder den Bass übernimmt. (9)

Schnell, hart, laut: Mit Guitar Hero verspüren selbst Nerds einen Hauch von Sex & Drugs an Rock’n Roll

Einen anderen Weg, die Killerspiel-Debatte zu umschiffen, haben Lego und Lucas Arts gefunden: So zerspringen die Figuren in Lego: Star Wars 2 - Die klassische Trilogie (PC, PS2, Xbox, Xbox 360, Gamecube, PSP, DS) in kleine Steinchen, wenn sie von Laser-Kanonen oder -Schwertern getroffen werden, nur um umgehend wieder von Geisterhand zusammengesetzt zu werden. Die Unsterblichkeit der Spielcharaktere vermeidet Frustmomente bei Spielern, die sich womöglich in aggressiven Verhaltensmustern gegenüber ihren Mitmenschen entladen könnten. Statt gegeneinander kann man die Abenteuer und Rätsel auch kooperativ angehen.

So zeigt die Star-Wars-Saga, von denen man hier die Episoden IV, V und VI nachspielen kann, mögliche Auswege für vom Verbot betroffene Shooter. Wie wäre es beispielsweise mit einem „Lego Doom“ oder „Lego Quake“? Da ließe sich aus der Lizenz sicher noch einiges herausholen. (8)

Unsterblich: Die Männchen aus Lego-Steinen sind unkaputtbar und setzen sich nach dem Exitus wie von Geisterhand wieder zusammen

Also, liebe Entwickler, von solchen Spielen hätten wir gerne mehr. Und es wäre doch zu blöd, wenn dazu erst Verbote nötig wären, oder?