Happy Campers

US-Import "Barcamp" mausert sich zur Alternativkonferenz

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Man könnte sagen, ein Barcamp sei ein Mix aus einem nicht endenden Strom von Kaffee, funktionierendem WLAN, Schlafsäcken, dem Mangel an Powerpointpräsentationen und freiem Zutritt für alle, die mitarbeiten. Das wäre zwar nicht ganz die offizielle Definition, würde aber die Sache ganz gut treffen.

Barcamp ist eine Ad-hoc-Nicht-Konferenz (engl. Un-Conference), die aus dem Bedürfnis heraus entstanden ist, dass sich Menschen in einer offenen Umgebung austauschen und voneinander lernen können. [...] Jeder, der etwas beizutragen hat oder etwas lernen will, ist willkommen und herzlich eingeladen mitzumachen. [...] Teilnehmer müssen entweder eine Präsentation oder eine Session abhalten oder aber bei einer mithelfen, oder sonstwie als Freiwilliger zum Gelingen der Veranstaltung beitragen.

Aus dem Wiki des Barcamp Berlin

Entstanden ist der Barcamp-Gedanke als Reaktion auf eine exklusive Veranstaltung von Tim O'Reilly, dem Computerbuchverleger und Konferenzveranstalter, der seit 2003 einmal jährlich zum "FooCamp" lädt, was für „Friends of O'Reilly“ steht. Und weil im Hackerslang "Foo" und "Bar" zusammengehören, heißen Konferenzen, auf die jeder kommen kann ohne eine Einladung zu benötigen oder gar Eintritt zahlen zu müssen nun Barcamps. Kein passives Publikum, nur mehr oder weniger aktive Mitgestaltende – das ist das Ideal.

Auch virtuell wird „genichtkonferenzt“

Ein „Konferenzprogramm“ gibt es vorab nicht – nur ein Wiki mit Themenvorschlägen und am Samstagmorgen wird nach einer Vorstellungsrunde, bei der jeder wie beim Vorbild FooCamp nur den Namen und drei Stichworte sagen darf, an Whiteboard oder Pinwand ein Programm montiert. Im Wiki landet dann auch die Dokumentation, die aus einer Anhäufung von Mitschriften, Blogbeiträgen, Podcasts, Videos und Fotostrecken besteht. Und weil das alles so wenig konferenzmäßig zugeht, heißen Barcamps auch „Un-Konferenzen“. Weil es ganz ohne Geld allerdings doch nicht geht, springen Sponsoren in die Bresche und sorgen mal nur für Räume und Infrastruktur, mal auch für Catering und Konferenz-T-Shirts.

International splitten sich Barcamps inzwischen schon auf: es gibt DesignCamps, HealthCamps, PodCamps, DrupalCamps und CreativeCamps. Orte bereits realisierter Unkonferenzen sind beispielsweise London, Boulder, Paris, Dallas, Hyderabad, San Francisco, Delhi oder New York.

Exakte Location noch nicht bekannt, Zeit völlig offen, aber das Logo steht schon…

Im deutschen Sprachraum gibt es Barcamps seit dem Herbst 2006: Berlin und Wien machten zeitgleich den Anfang, es folgten Zürich, Köln und am letzten Wochenende Nürnberg. Hamburg, Frankfurt und Klagenfurt sind die nächsten geplanten Barcampstädte. Die Teilnehmerzahlen lagen dabei durchaus auch über der 100-Personen-Marke und nicht wenige Barcamper sagen und schreiben, dass sie wiederkommen wollen oder schon auf anderen Barcamps waren. Das ominöse „Web 2.0“, auch eine Erfindung von Tim O’Reilly, ist also offenbar inzwischen auf Tour.

Das Publikum ist gemischt: Da sitzen Unternehmer, die sich lieber „Entrepreneur“ nennen, im Hemd, aber ohne Schlips, neben Entwicklern in T-Shirts mit Insiderwitzen drauf. Ipods gehören weniger zum guten Ton als weiße Apple Laptops und wenn schon PC-Technik, dann sollte wenigstens Linux laufen. Ein systemimmanenter Frauenmangel – oder auch nicht – in Nürnberg drei bis zeitweise fünf von über 70 TeilnehmERn – zeichnet Barcamps genau so aus wie die Tatsache, dass sich im Gegensatz zu anderen Konferenzen nur wenige Marketer oder andere Nichttechniker unters Publikum mischen.

Abschluss-Session der Un-Konferenz, mit Un-Kritik und Un-Lob am Un-Konferenztisch: Endlich sitzen! (Bild: O. Gassner)

Dennoch sind die Themen breit gestreut und nahe am Puls der Zeit. Zum Beispiel in Nürnberg am vergangenen Wochenende: Da wurden zeitnah Ereignisse einbezogen, wie der Skandal um die Politikereinladungen zum LeWeb 3.0-Kongress in Paris oder die aktuelle Abmahnung für das Saftblog wegen der Verwendung der olympischen Ringe zur Eigenwerbung.

Grundlegendes wie der Stand der Dinge im Podcasting standen neben Zukunftsfragen wie der, welche Rolle die 3D-Welt „Second Life“ und ihre Open Source-Konkurrenten in Zukunft spielen werden. Ein Raum, in dem eine Wii-Konsole aufgebaut war und in dem man ganz unbeeinflusst von Laptop-Akkus beim Infrarot-Tennis ins Schwitzen geriet, erfreute sich genausogroßer Beliebtheit wie eine eineinhalbstündige Schnell-Einführung ins Unternehmensgründen.

Dass, wie manche sich das denken, diese Veranstaltungsform den konventionellen Konferenzzirkus ersetzen wird, darf bezweifelt werde. Jedenfalls schaffen Barcamps und ihre kleineren Brüder und Schwestern, die Webmontage und die auf deutschem Boden erfundenen Geektogethers eine alternative Plattform für all jene, denen das Netz, seine Philosophie und seine Technik noch nicht zu Ende gedacht scheint und die jenseits exklusiver Zirkel oder vierstelliger Eintrittspreise daran arbeiten wollen.