Träumen mit Diderot

Der Gedanke der Aufklärung, dass wir uns eine bessere Zukunft erschaffen können, ist noch jung und hat noch immer überall auf der Welt zündende Wirkung.

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Die Anfänge der Aufklärung liegen im 17. Jahrhundert. Seither haben ihre Ideen immer wieder Kämpfe um religiöse Toleranz, Freiheit der wissenschaftlichen Forschung, Demokratie und persönliche Freiheit ausgelöst. Noch heute wird um Aufklärung und Fortschritt gerungen, und das Schlachtfeld hat mittlerweile sogar unsere Keimzellen und Neuronen erreicht.

Den Gedanken, sich die Technik zunutze zu machen, um über die Grenzen des menschlichen Körpers und Gehirns hinauszugehen, nannte der Biologe Julian Huxley, Bruder von Aldous Huxley, "Transhumanismus". Huxley war der Überzeugung, dass sich der Mensch, wenn er es wolle, durch so genannten Evolutionshumanismus selbst übertreffen könne. Die Vorstellung vom Transhumanismus, der die menschliche Form und nicht einfach nur unsere gesellschaftlichen Institutionen verbessert, gehörte allerdings schon von Anfang an zur Aufklärung: von Denis Diderot, Jean de Condorcet, William Godwin und Robert Boyle bis hin zu Benjamin Franklin und Tom Paine.

Denis Diderot

Im Jahre 1769 schrieb Diderot, Herausgeber der "Enzyklopädie", drei phantastische Essays, die als "D'Alemberts Traum" bekannt sind und in denen er imaginäre Dialoge zwischen ihm selbst, seinem Freund d'Alembert, einer kultivierten jungen Dame und einem Arzt wiedergibt. Darin meint Diderot, dass das Bewusstsein, da es ein Produkt von Hirnsubstanz sei, zerlegt und wieder zusammengefügt werden könne. Die Wissenschaft wird Tote wieder zum Leben erwecken. Tiere und Maschinen können zu intelligenten Geschöpfen umgeformt werden, und die Menschheit kann sich selbst in eine große Typenvielfalt umwandeln, "wobei es unmöglich ist, ihre Metamorphosen und ihren künftigen endgültigen Körperbau vorherzusagen."

Es sieht so aus, als würde sich Diderots Voraussicht in diesem Jahrhundert bestätigen. In dem Maße, in dem sich Pharmakologie, künstliche Intelligenz, Nanotechnik und Biotechnologie in den nächsten Jahrzehnten einander annähern werden, wird sich die Lebensdauer der Menschen gut auf über 100 Jahre verlängern. Unsere Sinne werden sich erweitern und intensiver als heute Bilder, Töne und Empfindungen aufnehmen. Wir werden uns deutlicher an mehr Einzelheiten aus unserem Leben erinnern können. Wir werden Herr sein über Müdigkeit, Erwachen und Aufmerksamkeit und uns mit mehr praktischer Intelligenz ausstatten. Wir werden stärkere Kontrolle über unsere Gefühle haben und weniger unter Depressionen, Zwängen und Geisteskrankheiten leiden.

Unsere Körper und Gehirne werden von Computern umgeben und mit denselben verschmelzen. Die Computer selbst wiederum werden mindestens so leistungsfähig wie unsere Gehirne. In dem Maße, in dem Maschinen mit unserem Geist verschmelzen, werden wir tatsächlich zerlegt und wieder zusammengefügt. Wir werden diese Technologien nutzen, um uns selbst, unsere Kinder und Tiere in nicht vorhersehbare Arten intelligenten Lebens umzuwandeln.

In den letzten dreihundert Jahren haben sich konservative Religionsanhänger, autoritäre Politiker und romantische Verteidiger einer idyllischen Vergangenheit dem Gedanken, dass die Menschen kreative Verantwortung für die Verbesserung des Werks des Intelligenten Schöpfers - ob Monarchien oder Fortpflanzungsbiologie - übernehmen sollten, immer wieder widersetzt. In der aktuellen Debatte über die Zukunft der menschlichen Evolution haben sich diese mannigfaltigen Stimmen von links und rechts in einer biokonservativen Allianz gegen Technologien zur Lebensverlängerung und Verbesserung des Menschen zusammengetan. Für die Biokonservativen sind die Versuche, ein deutlich längeres Leben, gesündere Körper und schnellere Gehirne zu erwerben, eine hochmütige Flucht fort von Gott, falsches kapitalistisches Bewusstsein, neo-eugenischer Brave-Neue-Welt-Ismus oder ein Faustscher Pakt mit dem technisch-industriellen Zeitalter. Von diesen Kritikern der Aufklärung wird der Wunsch, mehr als menschlich zu werden, als Bedrohung der "Würde des Menschen" angesehen und als Katastrophe verdammt.

Wie schon von Diderot ausgemalt, steht im Mittelpunkt dieser aufkommenden Biopolitik die Debatte darüber, ob Verstand nur dem Menschen eigen und "menschlich" eine sinnvolle moralische Kategorie ist. Für die Anhänger der Aufklärung ist Verstand ein Gut der Materie und "menschlich" eine sich ständig weiterentwickelnde Kategorie mit verschwommenen Grenzen. Unser Zufallsgeschenk des Verstandes teilen wir in unterschiedlichem Maße mit unseren säugenden Vettern und jüngsten Vorfahren. Wenn wir und unsere Mitbürger uns mehr als menschlich machten - wo auch immer die Trennlinie verlaufen mag - und wenn unsere Gesellschaft durch intelligente Tiere oder Maschinen erweitert würde, wäre dies kein unhaltbares Gräuel, sondern eine Bereicherung unserer Vielfalt. Biokonservative lehnen diese künftige Vielfalt ab, weil nur Menschen Rechte haben können und unsere Kultur und Politik auf die Einheit und Reinheit der menschlichen Rasse angewiesen ist.

Zwischen den verwirrenden Extremen des naiven Techno-Utopismus einerseits und biokonservativer Verbote neuer Technologien andererseits stellen sich viele legitime Fragen zu den Risiken von Stümperei. Eine Herausforderung besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Verbesserungstechnologien möglichst vielen Menschen zugänglich gemacht werden, damit wir nicht durch das Entstehen einer verbesserten Elite zersplittert werden. Allerdings mag universeller Zugang zur Verbesserung in unserer ungleichen Welt unmöglich erscheinen. Aber es besteht durchaus Grund zu Optimismus.

Einige Verbesserungstechnologien werden vermutlich preiswert sein. Gentherapien oder Mittel gegen das Altern und zur Wiederherstellung von Körper und Geist könnten so preiswert angeboten werden wie Kondome, Moskitonetze und Impfstoffe. Allerdings wissen wir natürlich, dass den Armen dieser Welt noch nicht die benötigten Kondome, Moskitonetze und Impfstoffe zur Verfügung stehen, sodass es gefährlich und dumm erscheinen kann anzunehmen, dass sie ein Recht auf Lebensverlängerung und Brain-Booster haben. Doch vor zehn Jahren, als antiretrovirale Therapien gegen HIV noch 40.000 Dollar im Jahr kosteten, konnte sich auch noch niemand vorstellen, dass wir heute Milliarden von Dollar in einem globalen Fonds haben würden und diese Behandlungen so auch den Ärmsten der Armen angeboten werden können. Die Antwort auf die Forderung nach globalem Zugang zu HIV-Therapien bestand nicht im Verbot antiretroviraler Mittel im Norden, sondern darin, die Pharmaindustrie zu zwingen, humanitäre Aspekte zu berücksichtigen, preiswertere Therapien zu entwickeln und in die Gesundheitssysteme des Südens zu investieren. Nun brauchen wir dasselbe Vorgehen zur Sicherung des Zugangs zu Verbesserungstechnologien, von 100-Dollar-Laptops zu Gentherapien und kybernetischen Implantaten.

Auch wenn Verbesserungstherapien nicht billig sind, werden sie dank ihres gesellschaftlichen Nutzens im Großen und Ganzen schließlich doch kostenwirksam sein. Diderot wünscht d'Alembert eine gute Nacht mit den Worten: "Geben Sie dem Menschen - ich sage nicht die Unsterblichkeit, sondern nur die doppelte Lebensdauer, und Sie werden sehen, was dabei herauskommt." Da die Baby Boomer in den Industrieländern jetzt über siebzig werden und die Zahl der Kinder, die ihren Platz in der Arbeitswelt übernehmen, zurückgeht, geraten unsere Gesundheits- und Rentensysteme ins Wanken. Wenn altersbedingte Krankheiten und Behinderungen durch Therapien hinausgezögert werden können, die die Alterung aufhalten und das Gehirn reparieren, wird das Ergrauen der Gesellschaft weitaus weniger traumatisch. Eine wirtschaftliche Konsequenz würde darin bestehen, ein oder zwei Prozent mehr vom Bruttoinlandsprodukt für die Entwicklung von Anti-Aging-Therapien und Gewährleistung ihrer allgemeinen Zugänglichkeit aufzuwenden.

Ähnlich verhält es sich bei kognitiven Defiziten wie Demenz, Sucht und Geisteskrankheit. Auch hier wird der universelle Zugang zu kognitiven Verbesserungstherapien zu einer nahe liegenden Möglichkeit. Aber die Neurotechnologien bergen auch große Risiken in sich. In Diderots Dialogen sinniert sein schlafender Freund d'Alembert darüber, dass sich der Mensch in eine "große, inaktive, unbewegliche Ablagerung" verwandeln könnte. Mit anderen Worten könnten wir zufällig oder absichtlich Gaben verlieren, die wir hoch schätzen, wie Einfühlungsvermögen, Kreativität, Ehrfurcht und ruhiges Überlegen. Einige Suchtmittel wie Methamphetamin polen das Gehirn so um, dass es sich nur auf den nächsten Fix konzentrieren kann, während Hormone und Neurotransmitter unsere Gefühle und Interessen manipulieren können. Wir brauchen Richtlinien und Regeln, die die menschliche Evolution aus der Sackgasse radikaler Selbstsucht und Sucht erzeugender Versunkenheit hin zu größerer Geselligkeit, Selbstbewusstsein und Vernunft lenkt. Sogar selbst gewählte Hirnmanipulation könnte uns alle weniger menschlich machen. Statt dessen müssen wir einander ermutigen, die von uns geschätzten Tugenden stärker herauszubilden.

In Diderots drittem Dialog geht es um eine andere biokonservative Angst, die Kreuzung von Menschen und Tieren. Das Verwischen der Trennlinie zwischen Mensch und Tier verletzt tief sitzende Tabus und ruft die Visionen vom Minotaurus und der "Insel von Dr. Moreau" wach. Der amerikanische Präsident Bush und die Church of Scotland fordern ein Verbot von Hybriden. Ein solches Verbot würde aber der biomedizinischen Forschung, in der Tiere mit menschlichen Genen und Geweben zur Erforschung von Heilungsmöglichkeiten für viele Krankheiten genutzt werden, heftigen Schaden zufügen.

Es gibt aber auch berechtigte Bedenken gegen die Mensch-Tier-Hybridforschung. An welchem Punkt erwerben die Kreuzungen Rechte von Menschen? D'Alemberts Arzt schlägt die Züchtung eines Ziegenmenschen zur Befreiung des Menschen von der Schinderei vor. Aber warum wäre es moralischer, Ziegenmenschen stärker zu versklaven als andere Menschen? Vielleicht hat Diderot diesen Einwand vorhergesehen, als er in der letzten Zeile des Dialogs erwähnte, dass ein französischer Kardinal einmal angeboten habe, einen Orang-Utan zu taufen, wenn dieser nur sprechen würde.

Tatsächlich ist die spanische Regierung im Begriff, grundlegende "Menschenrechtsgesetze" auf große Affen auszudehnen. Gegner argumentieren, dass Affen keine Rechte haben dürften, weil sie weder Gedanken noch Kultur von menschlichem Niveau hätten. Was wäre nun aber, wenn Affen durch Genmanipulation geistige Fähigkeiten auf menschlichem Niveau erhielten? Gäbe es dann noch immer Einwände gegen die Gewährung von Bürgerrechten? Nun, da die Genome von Menschen und Affen vollständig entschlüsselt sind und wir die wichtigsten genetischen Unterschiede zwischen den Gehirnen erkannt haben, ist dies eine durchaus denkbare Möglichkeit. Der moralische Status eines solchen Affen wäre eine der deutlichsten Trennlinien zwischen den Verfechtern des Menschengeschlechts und den Aufgeklärten.

Diderot sieht auch die Möglichkeit eines empfindungsfähigen und beseelten Klaviers, das die Fähigkeit besäße, sich fortzupflanzen. Wenn Diderot diese Aussicht auch nicht zu besorgen scheint, ist von allen Risiken, die die neuen Technologien mit sich bringen, Maschinenintelligenz wohl das größte. In Diderots Dialog äußert die kultivierte Dame die Ansicht, dass, da das Gehirn über Nerven mit dem Körper verbunden sei, alle Gehirne über empfindliche Fäden wie ein riesiges Spinnennetz miteinander und mit dem Rest des Universums verbunden seien. Der Doktor erwidert, dass es, wenn es derart ausgedehnte Intelligenz gäbe, "das Aussterben der guten und bösen Geister" bedeuten würde und "die konstantesten Naturgesetze wären von natürlichen Agentien durchbrochen." Die Fähigkeit zu apokalyptischem Chaos durch eigensinnige Intelligenz, die aus unserem exponentiell größer werdenden Netz von Maschinen erwächst, kommt den Risiken von Klimaveränderung und Bioterrorismus zweifellos gleich. Wenn wir über diese potenziell apokalyptische "Singularität" die Kontrolle behalten wollen, müssen wir mit unserem Netz, unserer Exocortex verschmelzen und unsere Intelligenz auf eine Vielzahl von Körpern und Maschinen verstreuen, um klüger und schneller zu werden und die Weber des Netzes zu bleiben und nicht seine gefangenen Opfer zu werden.

Wenn wir die liberale Gesellschaft verteidigen und Wissenschaft, demokratische Gesinnung und besonnene Regelungen nutzen, um diese Herausforderungen zu meistern, versuchen wir einen Weg in eine unvorstellbar transzendente Zukunft, in der wir dieses Puppenstadium der Menschheit hinter uns lassen. Der träumende d'Alembert stellt sich vor, dass sich der Mensch auflöst und unzählige Kokons bildet, die jeweils bestimmte menschliche Eigenschaften besitzen - Beamte, Philosophen, Dichter - und ihre eigenen individuellen Schmetterlinge gebären. "Wer weiß, welche neue Gattung später aus einer so großen Anhäufung von empfindsamen lebenden Punkten wieder hervorgehen kann?" Wir können eine neue Art mit großer Vielfalt werden, die durch unsere gemeinsame Würdigung der Kostbarkeit des Selbstbewusstseins in einem riesigen, dunklen Universum in Brüderlichkeit vereint ist. Dies ist die positive Vision der Aufklärung, dass jeder von uns in vollstem Umfang sein technisch mögliches Potenzial erreicht und alle als eine tolerante, reiche, demokratische Gesellschaft zusammenleben.

Trotzdem fragt der Skeptiker, wozu das Ganze? Warum den Weg in die Posthumanität riskieren? Welche Vorhaben würden wir mit unseren unsterblichen Körpern, grenzenlosen Hirnen und außergewöhnlichen Sinnen verfolgen? So, wie unsere Vorfahren aus der Steinzeit unsere großen Städte, unsere Künste und Maschinen oder unsere geistigen Traditionen nicht vorhergesehen haben konnten, können wir uns heute nicht die Größe der Leistungen unserer posthumanen Nachkommen vorstellen. Die kultivierte Dame stellt sich in dem Dialog vor, das Gehirn eines Genies auseinander zu nehmen, aufzubewahren und später wieder zusammenzusetzen, um "das Gedächtnis, die Vergleiche, die Urteilskraft, die Vernunft, die Begierden, die Abneigungen, die natürliche Begabung, das Talent wiederentstehen" zu sehen. Vielleicht nutzen unsere Nachkommen die Nanotechnik, um ganze Planeten in intelligente, beseelte Materie zu verwandeln, jedes Atom ein Prozessor in einem planetengroßen Gehirn, sich des Sturzes jedes Spatzes bewusst und in der Lage, die Erinnerungen jedes Lebens zu bewahren. In einer solchen Welt könnte unsere persönliche Identität Milliarden von Jahren weiterbestehen.

Als d'Alembert erwacht, fragt er, "wenn alles ein allgemeiner Fluss ist, wie ihn mir das Schauspiel des Universums überall zeigt: was werden dann hier und anderswo die Dauer und die Wandlung einiger Millionen Jahrhunderte nicht alles hervorbringen? Wer weiß, wie das empfindende und denkende Wesen auf dem Saturn ist?" Vielleicht machen sich unsere Nachkommen daran, die anderen weit verstreuten Formen von Intelligenz in unserer Galaxie zu suchen und beginnen, das Universum so zu gestalten, dass seine rasante Ausdehnung bis zum Wärmetod gestoppt wird. Oder wie Michio Kaku meint, bauen sie vielleicht ein neues, angenehmeres Universum und wandern dorthin aus.

Ganz gleich, wie die Vorhaben unserer Nachkommen aussehen werden, sie - und vielleicht auch einige von uns - werden auf unser heutiges Leben mit dem Erstaunen, dem Mitleid und der Dankbarkeit zurückblicken, die wir für unsere Vorfahren aus der Steinzeit empfinden. So, wie unsere Vorfahren ihre Höhlen verließen, um Bauernhöfe und Städte zu bauen, müssen wir nun bewusste rationale Kontrolle über unser biologisches Schicksal übernehmen und wachsen, um nach den Sternen greifen zu können.