Der Kampf gegen SMS-Windmühlen

Sich gegen Belästigungen und Frechheiten wehren zu können ist selbstverständlich. Manchmal fühlt man sich jedoch wie Don Quichote, weil das Rechtssystem genügend windstille Ecken für windige Geschäftemacher bereit hält.

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Spam per Telefon greift unmittelbar in die Intimsphäre des Empfängers ein und ist deshalb verboten. Das gleiche gilt nach regelmäßiger Rechtsprechung auch für eine Unterform des Telefon-Spams: Spam per SMS. Nachdem ich einen Beitrag über Cold Calls (Der Telefon-Agent, der aus der Kälte kommt…) geschrieben hatte, bekam ich einiges an Feedback zum Thema. Darunter auch Hilferufe entnervter Handybenutzer, die per SMS unverlangte Reklame für meist erotische Multimedia- oder Chatdienste (Abzocke mit SMS-Chats) bekamen. Das kann schon mal Nerven kosten.

Burghard G. ist in einem Rechenzentrum für den Betrieb der Webserver zuständig. Bei Störungen wie beispielsweise einem Stromausfall alarmiert ihn ein Wachhund per SMS. G. musste jedoch von seinem Arbeitgeber schon zweimal eine neue Mobilfunknummer zugeteilt bekommen, weil nach einiger Zeit auch bei ihm per SMS Reklame einging – und nachts um drei Uhr möchte niemand gezwungen sein, aufs Handy zu gucken, um Reklame von Alarmen zu trennen. Reklame per SMS kann aber auch Beziehungen ins Wanken bringen, beispielsweise, wenn ein Handy von der ganzen Familie benutzt wird.

Wir brauchen ein Handy privat nur auf unserem Boot, auf dem wir die Wochenenden verbringen. Als ich die SMS von „Gaby“ entdeckt habe, die ihren „Stier“ mal wieder sprechen wollte und ihm eindeutige Bilder versprach, war mein Mann natürlich Hauptverdächtiger: Wer ist Gaby? Warum hat sie die Handynummer? Und warum benutzt er für sowas ein Handy, zu dem auch unsere Tochter Zugang hat?

Martina M.

Die T-Mobile-Hotline beruhigte sie: Es kämen viele solcher Beschwerden, man vermute, dass die Absender einfach der Reihe nach Rufnummern ausprobieren. Manche würden die Nummern auch von Adresshändlern kaufen, viele scheinseriöse Webseiten würden bei Aufträgen Handynummern für „Rückfragen“ fordern. Trotzdem konnte der Provider keine Hilfe anbieten:

Ich darf ihnen den Namen des Absenders aus Datenschutzgründen nicht nennen. Gehen Sie zur Polizei und zeigen sie den Absender wegen Belästigung an, dann können sie die Polizei fragen.

Auskunft der Hotline von T-Mobile

Während einige der Opfer mehrmals wöchentlich von derartiger Werbung belästigt wurden, hatte ich bislang Glück und bekam sowas höchstens einmal pro Jahr. Zuletzt am 24. April 2006:

Hi, ich bins, Kerstin! Habe mit meinen Freundinnen ein paar ganz heisse Bilder gemacht!! Willste die per MMS haben? Dann sende BITTE per SMS zurück! Kostenlos!!

Reklame-SMS

Von der Hotline – in meinem Fall war es E-Plus – bekam ich dieselbe Auskunft, wie sie auch andere Opfer von ihren Providern erhielten: Ich müsse einen Anwalt oder die Polizei einschalten. Eine besondere Adresse, um meine Anfragen per Post zu stellen, gäbe es nicht, lediglich eine Faxnummer bei der E-Plus Service GmbH. An die hatten sich jedoch schon andere Opfer gewendet und bekamen nicht mal eine Antwort – geschweige denn die gewünschte Auskunft.

Es war unmöglich, alternativ zur Hotline eine andere Rufnummer bei E-Plus zu erfahren, unter der ich als Kunde nähere Informationen erhalten konnte. Selbst in der Telefonzentrale des Konzernsitzes in Düsseldorf, 0211 4 48-0, gibt es wohl kein Telefonbuch mehr, aus dem Ansprechpartner ersichtlich wären. Dafür versuchte sogar eine der Telefonistinnen, mich juristisch zu beraten: „Zeigen sie den Absender wegen Belästigung an und dann fragen Sie die Polizei nach der Adresse“. Also kramte ich meinen Presseausweis hervor und wandte mich an die Pressestelle:

Leider ist es in Ihrem Fall offenbar zu einem Fehler in der Bearbeitung Ihrer Anfrage in der Kundenbetreuung gekommen, für den ich mich stellvertretend entschuldige. Richtig ist: Sie haben in der Tat nach Unterlassungsklagengesetz einen Anspruch auf eine Auskunft, die jedoch i.d.R. kostenpflichtig ist (dies ist ebenfalls im Gesetz geregelt).

Der übliche Weg sieht ein Schreiben des Kunden – in diesem Fall also von Ihnen – an E-Plus vor. Der Fall wird dann von der Fachabteilung betreut, von dieser erhalten Sie dann auch Auskunft.

Wir werden die Mitarbeiter in der Kundenbetreuung anlässlich Ihres Beispielfalls noch einmal ausdrücklich auf die korrekte Vorgehensweise hinweisen, um Irritationen künftig möglichst auszuschließen.

Jörg Carsten Müller, Pressesprecher von E-Plus

Das „Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen – Unterlassungsklagengesetz (UKlaG)“, das der E-Plus-Sprecher so freundlich als Anspruchsgrundlage heranzieht, befasste sich bei seinem Inkrafttreten im Jahre 2002 ursprünglich nur mit Unterlassungsklagen von bestimmten Vereinen und Verbänden. Die können mit ihrer Tätigkeit auch gleich Popularklagen durchführen und so bestimmte Praktiken nicht nur im Einzelfall, sondern generell durch ein Gericht beurteilen lassen.

Paragraf 13 dieses Gesetzes gibt den entsprechenden Stellen die Möglichkeit, Auskünfte über rechtswidrige Störer auch dann zu bekommen, wenn beispielsweise Mobilfunkprovider nach den einschlägigen Datenschutzvorschriften diese Auskünfte eigentlich nicht erteilen dürften:

Telekommunikationsanbieter unterliegen dem Fernmeldegeheimnis. Sie dürfen keine Daten herausgeben, welche ihre Kunden betreffen. Das gilt auch für die Identität eines Anschlussinhabers. Man wird dort also normalerweise auf Granit beißen.

Udo Vetter, Rechtsanwalt

Nun ist es schon ungewöhnlich, dass Verbraucherschutzverbände diese Auskünfte erhalten dürfen, die einzelnen Geschädigten jedoch nicht. Deshalb wurde das Gesetz schon im Jahr 2002 neu gefasst.

Das Unterlassungsklagengesetz gibt in § 13a heute jedem die Möglichkeit, von dem Telefonanbieter die "Bestandsdaten" eines Kunden herauszuverlangen. Dazu muss der Geschädigte glaubhaft machen, dass er beispielsweise gegen den Absender der SMS einen Unterlassungsanspruch hat und auf anderem Wege nicht an die Daten kommen kann.

Udo Vetter, Rechtsanwalt

Inzwischen war der Mai gekommen und ich schrieb an die Adresse, die mir der Pressesprecher genannt hatte, nämlich an die E-Plus Mobilfunk GmbH & Co. KG, Rechtsabteilung, Postfach 300307, 40403 Düsseldorf.

Und wartete.

Andere Projekte und Themen zogen vorbei, bis ich sage und schreibe im August Antwort erhielt. Vermutlich musste das betreffende Handy erst per Triangularpeilung geortet werden, um den Inhaber der SIM-Karte zu ermitteln. Die Rufnummer, las ich, gehöre einem Achim S. aus Potsdam.

Ich mahnte S. förmlich ab, samt strafbewehrter Unterlassungserklärung, auszufertigen bis zum 31.8.2006. Gleichzeitig forderte ich Schadenersatz für das Einschreiben und die Gebühr von ca. 20 Euro, die E-Plus mir noch in Rechnung stellen wollte. Außerdem – das war mein eigentliches Hauptanliegen – forderte ich Offenlegung, aus welcher Quelle er meine Rufnummer habe.

Just in Time erreichten mich sowohl die unterzeichnete Unterlassungserklärung als auch das Geld, lediglich die Aussage zur Quelle meiner Rufnummer fehlte. Nach so langer Zeit seien die Verbindungsdaten nicht mehr gespeichert. Nach dem Gesetz dürfe er diese Datensätze nur solange speichern, wie sie zur Abrechnung mit seinem Auftraggeber erforderlich seien, maximal 90 Tage. Laut Umschlag stammte das Schreiben von der „m. -Gmbh“ mit einem Firmenstempel aus dem Setzkasten und einem Briefkopf ohne Absender und lästige Pflichtangaben nach dem GmbH-Gesetz.

Ich enttarnte mich als Journalist und bat S. um ein Interview.

Wieviele Kurznachrichten verschicken Sie?

S.: Das sind ungefähr zwei bis drei Millionen im Monat.

Und wie lange gibt es Ihre Firma schon?

S.: Wir arbeiten rund eineinhalb Jahre auf diesem Gebiet.

Woher bekommen Sie die Rufnummern?

S.: Unsere Auftraggeber sind selber Dienstleister aus der einen oder anderen Branche. Sie geben uns die Rufnummern und den gewünschten SMS-Text auf CD.

Und sie melden dann die Responder an die Auftraggeber zurück?

S.: Kommt drauf an, in ihrem Fall war die Absendernummer eine Prepaidkarte, mit der wir die Antworten entgegen genommen haben. Aber oft senden wir als Absendernummer auch direkt den Mehrwertdienst oder eine andere Rufnummer des Auftraggebers.

Sie können also die im Netz weitergegebene Nummer des Anrufers manipulieren?

S.: Wir sind Großkunden, da können wir über unseren Großkundenanschluss die übermittelte Nummer natürlich frei wählen. So wie Firmen, die nicht die Durchwahl der Mitarbeiter anzeigen sondern die Rufnummer der Hotline.

Wie viele Beschwerden haben sie im Monat?

S.: Höchstens eine. Entweder von Anwälten oder der Polizei. Ihr Fall, dass eine Privatperson sich bei uns beschwert, ist so bislang noch nicht vorgekommen.

Wie gehen die Beschwerden aus?

S.: Wir haben mit unseren Auftraggebern Verträge, in denen sie uns zusichern, dass die Empfänger mit der Werbung einverstanden sind und zum Beispiel keine Erotikreklame an Minderjährige verschickt wird. Meines Wissens konnten die immer nachweisen, dass von den Rufnummern aus irgendwann mal Erotikhotlines oder sowas angerufen wurden. Wir haben damit nichts zu tun, wir stellen Kurznachrichten mit Reklame zu, so, wie die Post Briefe mit Reklame.

Wieviele Mitbewerber haben sie?

S.: Ich schätze rund zwei Dutzend, bundesweit. Alle ungefähr mit unserem Auftragsvolumen.

Vielen Dank für das Gespräch.

S. ist also nur Auftragnehmer und verschickt Kurznachrichten, deren Inhalt er nicht bewerten will. Wie seine Auftraggeber an die Rufnummern herangekommen sind, kann ihm egal sein. Durch die langatmige Bearbeitung der Anfragen nach §13a UklaG darf er die Herkunft der individuellen Rufnummer gar nicht mehr wissen, Verstöße können daher nicht mehr geahndet werden – das System ist offenbar gut durchdacht. Nur diejenigen, die einen Staatsanwalt zu Ermittlungen bewegen können oder – zunächst auf eigene Kosten – Rechtsanwälte einschalten, werden von den Mobilfunkprovidern so schnell bedient, dass die Anfrage überhaupt Sinn ergibt.

Bei geschätzten 25 Firmen mit im Schnitt 2,5 Millionen monatlichen Reklame-SMS resultieren 62,5 Millionen Kurznachrichten pro Monat. Bei rund 80 Millionen Bundesbürgern bekommt statistisch gesehen jeder rund 8 Reklame-SMS pro Jahr. Die Verteilung ist jedoch sehr ungleichmäßig: Einige Handynutzer bekommen nie SMS-Spam, andere jede Woche.

Im Fall von Burghard G. ist Spam nicht nur lästig, sondern unter Umständen entsteht Unternehmen oder Privatpersonen sogar ein wirtschaftlicher Schaden. Ganz abgesehen von Jugendschutzproblemen: wenn Minderjährigen solche Nachrichten zugehen, sind schnell mehrere Tatbestände aus § 184 des Strafgesetzbuches erfüllt.

Grundsätzlich lehnt E-Plus die Versendung unverlangter Nachrichten bzw. Mitteilungen – insbesondere an die eigenen Kunden – ausdrücklich ab. Dies gilt umso mehr, wenn hierbei gegen geltendes Recht verstoßen wird und etwa die Grundsätze des Jugendschutzes verletzt werden.

Jörg Carsten Müller, Pressesprecher von E-Plus

Das klingt engagiert. Dennoch bestehen Zweifel an der Aufrichtigkeit dieser Aussage. Um unverlangte Nachrichten zu verhindern, müsste E-Plus Interesse an ihren Absendern haben – und dazu müssten Beschwerden von Privatpersonen überhaupt erstmal angenommen werden. Doch auch Selbsthilfe der Kunden wird nicht unterstützt:

Es ist wohl leider damit zu rechnen, dass die Mobilfunkprovider bei Anfragen von Privatpersonen meistens mauern. Daher muss der Kunde die Auskunft einklagen. Dies ist mit einem hohen Prozessrisiko verbunden. Deshalb scheuen Geschädigte diesen Weg – sofern sie überhaupt davon wissen. Weil es nur ganz wenige Gerichtsurteile gibt, kann man nicht sagen, ob und in welchem Umfang die Gerichte bereit wären, dem Kunden zur Seite zu stehen.

Udo Vetter, Rechtsanwalt

Diese sehr traurige Vermutung des Anwalts scheint die Realität zu treffen. Provider wehren sich auch vor Gericht und gehen durch die Instanzen, um den Auskunftsanspruch abzulehnen, beispielsweise im Verfahren 6 S 77/04 vor dem Landgericht Bonn.

Bis zum Dezember habe ich immer wieder probeweise über mehrere Mobilfunknummern bei den Hotlines angerufen und mich über SMS-Spam beschwert. Trotz der vollmundigen Zusage des Pressesprechers änderte sich auch bei E-Plus nichts am Umgang der Mitarbeiter mit meinen Beschwerden. Auch die Faxnummer der E-Plus-Service-GmbH nahm fleißig Anfragen nach Anschlussinhabern entgegen, beantwortete aber nicht eine davon.

Ebenfalls unbeantwortet blieben meine Nachfragen bei der Pressestelle, warum sich an den unzutreffenden Auskünften der Hotline nichts ändert. Versuche, die entsprechenden Auskünfte bei anderen Mobilfunkanbietern zu bekommen, verliefen übrigens genauso im Sande wie bei E-Plus.

Nicht im Sande verlaufen jedoch fraglos die Zahlungen der SMS-Dienstleister an ihre Provider – pecunia non olet.