Fassadenhaft oder eher randständig?

Neue Vatertypen und neue Helden

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Es gibt diejenigen, welche - meist am Freitagnachmittag - mit den Händen in den Anzughosen wie beiläufig am Spielplatz herumstehen und von mindestens 1,80 Metern herab ihrem Nachwuchs entweder „Super, Vincent!“ oder „Wir gehen dann, Celine!“ zurufen und dazu dieses eigenartig aufgesetzte Lächeln herumzeigen, das sie wahrscheinlich von ihren Meetings mitgebracht haben.

Es gibt diejenigen, welche einem abends an der Bar von ihren vier Kindern erzählen, so ganz nebenbei, nachdem sie ausführlich von ihrem geplanten Wechsel vom Schauspieler zum Bühnenautor berichtet hatten: Die nächste Runde Selbstverwirklichung mit Mitte Fünfzig. Dass sich zuhause eine Frau neben einem dreijährigen Sohn nun auch um ein neun Monate altes Kind kümmert, während der Vater eine alte Bohème-Idee in Cafés und Bars auslebt, taugt nur zum beiläufigen Dekor-Detail in einer Großerzählung von einem abenteuerlichen, unspießigen Leben, das auf geneigte Zuhörerschaft am Tresen hofft: „Ich bin halt ein eher traditioneller Vater“.

Und es gibt diejenigen, welche täglich wickeln, die mit ihren Kinder in die Spielgruppe gehen, zum Arzt und zum Schuhe kaufen. Die eine Ahnung davon haben, was in der mitgebrachten Tasche sein soll und wie man Matschhosen über die anderen Hosen ziehen kann, ohne dass die Kleinen gleich wieder zur Mama wollen.

Die letztgenannten Männer werden derzeit in Lifestyle-Magazinen gerne als „neue Helden“ bezeichnet, so etwa von Claudius Seidl, Feuilleton-Chef der Frankfurter Sonntagszeitung, in einem GQ-Artikel. Die Neuentdeckung und Neudefinition der Vaterschaft zeigt sich auch im Netz. Es gibt ein hervorragendes Blog, das sich mit aktuellen, fundierten Informationen um das Thema "Väter und Karriere" kümmert, ein Vater-Blog von der Zeit, das auf alltägliche Fragen aus der Erziehungspraxis eingeht, einen umsichtigen Babyblogger, der gut über neueste und zum Teil bizzare Produkte in der Baby-Welt informiert ist, und viele andere mehr.

Die Vater-Blog-Schwemme

In den USA zeigt sich der Trend noch deutlicher: Bei Babble.com, einem Ableger des Hipster-Magazins Nerve.com hat man die „Urban Parenting-Community“ im Blick, wofür ein Schriftsteller als Vater-Blogger nur angemessen erscheint. Für einen Kommentator eines anderen „Zeitgeist“- Magazins war dies genau ein Vater-Blog zuviel: „Eine ganze Generation von selbstbessenen männlichen Hipstern hat jetzt plötzlich die Elternschaft entdeckt und wir werden dazu gezwungen, ihnen jahrelang endlos zuzuhören“, beklagte sich ein bös-genervter Kolumnist des Gawker.

Obwohl das Vater-Image zeitgeistmäßig gerade aufgefrischt wird, was sich bei einem Besuch auf Spielplätzen in angesagten Münchener Vierteln, etwa am Glockenbach, auch offline, in der realen Welt, genau beobachten läßt, stellen Frauen nach wie vor die überdeutliche Mehrheit der „Elternteile“, die beim Babyschwimmen, in der Spielgruppe, in der Krippe, im Kindergarten usw. tatsächlich anwesend sind. So zumindest die persönliche Erfahrung des Autors.

Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigen nun, dass sich die "Ausgestaltung der Vaterschaft heute" durch ein sozialwissenschaftlich hochinteressantes „breites Spektrum“ an verschiedenen Typologien auszeichnet.

Zwar haben die Soziologen Andrea Bambey und Hans-Walter Gumbinger vom renommierten Frankfurter Institut für Sozialforschung in einer Studie auf der Grundlage von 1500 Fragebögen, die von „Grundschulvätern“ im Raum Frankfurt ausgefüllt wurden, ermittelt, dass „der Vater als Ernährer der Familie noch immer nicht ausgedient hat“, aber zugleich ein neues Phänomen entdeckt: die breite Vielfalt von Vatertypen, die sich mit „den gesellschaftlichen Erwartungen an den „neuen Vater“ auf sehr unterschiedliche Weise auseinandersetzen.

Leider beantworten die Auszüge der Studie, die im Wissenschaftsmagazin "Forschung Frankfurt" (4/2006) veröffentlicht wurden, nur den ersten Teil der ambitionierten Fragestellung: „Neue Väter – andere Kinder?“. Man hätte gerne gewußt, wie sich die neuen Interpretationen der Vaterrolle auf die Erziehung und die Einstellungen der Kinder auswirkt.

Gefragt wurden die Väter u.a. nach dem Verständnis ihrer Geschlechterrolle: „Die Mutter sollte in der Familie mehr für die Zuwendung und Pflege der Kinder zuständig sein, der Vater mehr für die Durchsetzung von Regeln“, nach dem Vater-Kind Verhältnis - wie steht es mit der emotionalen Einfühlung, mit der Geduld: „Ich muss zugeben, ich reagiere oft gereizt, wenn mich etwas stört – und dem Erleben der Partnerschaft, insgesamt 165 Fragen. Ergänzt wurde die Studie durch Interviews mit Eltern und Kindern.

Auf der Basis einer Clusternanalyse haben die Franfurter Soziologen sechs Vätertypen gebildet:

  1. den fassadenhaften Typ*den partnerschaftlich, traditionellen Vater*den randständigen Vater*den traditionellen, distanzierten Vater*den unsicheren, gereizten Vater*den egalitären Vater

Das größte Sample unter den sechs Gruppen bilden die „egalitären Väter“ mit 28,5 % (435 Väter). Sie unterscheiden sich deutlich von den anderen und stellen sich dar wie aus einem Musterkatalog für den „neuen Vater“:

Sie nehmen sich als partnerschaftlich, dem Kind zugewandt, geduldig und als von der Partnerin hochakzeptiert wahr...Die Erziehung des Kindes wird als ein in der Partnerschaft gemeinsam und in egalitärer Aufgabenteilung gestaltetes Projekt aufgefasst. Die Beziehung zum Kind ist für den Vater von hoher Bedeutung – auch für das eigene Selbstverständnis. Es ist diesen Vätern auch sehr wichtig, Erziehungsfragen- und konflikte mit hoher Flexibilität zu lösen.

Größtmögliche Chancen zu eigenständigen Lebensgestaltung für alle Familienmitglieder ist hier die Maxime, die bei den anderen offensichtlich weniger zu tragen kommt. Genauer porträtiert werden im Auszug der Studie vor allem noch der „fassadenhafte Vater“ (24,7%, 376 Väter), der sich zwar von traditionellen Rollenklischees distanziert, aber ebenso von einer engeren Beziehung zum Kind und elterlichen Alltagspflichten, sowie der „randständige Vater“ (10,2 %, 156 Väter) , der sich „in seinem Engagement von der Mutter erheblich in Frage gestellt fühlt“, davon überzeugt, dass man ihm misstraut, was seine erzieherischen Kompetenzen angeht. Bemerkenswert ist hier, dass die Partnerinnen des „randständigen Vaters“ in der Mehrheit angaben, dass sie sich mehr Hilfe und Engagement des Mannes erwarten:

Diese Männer zeigen sich sehr empfindlich gegenüber Enttäuschungen, insebesondere dann, wenn sie ihre traditionellen Lebensvorstellungen nicht durchsetzen können. Sie passen sich entweder den Vorstellungen der Partnerin an oder suchen Zuflucht in der Position des Ernährers.

Eine ähnliche Unentschiedenheit findet sich bei der Beschreibung des „fassadenhaften Vaters“, der sich gerne als „good guy“ ausgibt, als „Freund der Kinder“, nach außen eine idealisierte Vorstellung von Familie präsentiert, die er familienintern aber nur oberflächlich praktiziert (blasser Vater, emotional nimmt er wenig Anteil am Leben des Kindes):

Der fassadenhafte Vater findet keine eigenständige Haltung, sondern sucht seine Position zwischen den Erwartungen seiner Partnerin und den allgemein gesellschaftlichen wahrnehmbaren Rollenanforderungen.

Für die beiden Wissenschaftler ist bereits die Vielfalt der Ausgestaltungen der Vaterrolle soziologisch sehr interessant und Typologien wie der fassadenhafte Vater würden die Frage nach einem „entleerten Vater-Bild“ neu stellen. Eine präzisere Antwort auf die Frage, wie sich das Selbstverständnis von Vätern in den letzten Jahren gewandelt hat, ist wohl vorerst von der Wissenschaft nicht zu erwarten.