Real existierender Lobbyismus

Die Großindustrie ist seit Jahren in deutschen Ministerien vertreten und hat dort Einfluss auf die Gesetzgebung

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Sie arbeiten in den meisten Bundesministerien; sie haben eigene Schreibtische und Telefone wie Beamte; sie schreiben an Gesetzen mit; sie bringen durch ihre Einflussnahme die Souveränität in Gefahr. Die dauerhafte Präsenz von Industrie- und Wirtschaftsvertretern in Ministerien sorgt in Deutschland seit Jahren für immer neue Skandale und Diskussionen. Geändert hat sich dadurch aber wenig, wie zwei Anfragen im Bundestag aus den vergangenen Wochen belegen.

Entfacht hatte die jüngste Debatte eine Sendung des ARD-Magazins „Monitor“ Mitte Oktober. Die Journalisten deckten dabei unter anderem auf, wie die Fraport AG die Ausweitung des Großflughafens in Frankfurt/ Main gegen die Interessen von Anwohnern, die seit Jahren gegen das Projekt protestieren, durchsetzen konnte. Zwar streitet die Bundesregierung einen solchen direkten Einfluss der Aktiengesellschaft vehement ab, über die Fakten konnte sie aber auch in mehreren seither veröffentlichen Stellungnahmen zum Thema nicht hinwegtäuschen: Ein Entschließungsantrag zur Ausweitung des Flugverkehrs im Bundestag wurde – wie ein rascher Blick in die Dateiinformation bestätigte – im Hause Fraport verfasst. Die Industrie regiert, die Regierung verwaltet.

Austausch mit Loyalitätsproblem

„Insgesamt 100 externe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ aus privaten Konzernen seien in den vergangenen Jahren in den Bundesministerien und im Bundeskanzleramt eingesetzt worden, hieß es auf eine kleine Anfrage, die von den Freien Demokraten wenige Tage nach der „Monitor“-Sendung im Oktober an die Bundesregierung gestellt wurde. Eine politische Einflussnahme durch diese „Leiharbeiter“ werde durch ihre Einbindung „in die hierarchischen Strukturen“ und damit verbundene „Kontrollmechanismen“ ausgeschlossen. In gleichem Duktus präsentiert die Bundesregierung auf ihrer Homepage das Austauschprogramm Seitenwechsel, das seit 2002 privatwirtschaftliche Vertreter in die Ministerien holt:

Die bestehenden Grenzen zwischen den Sektoren sollen abgebaut und Wissenstransfer ermöglicht werden. (...) Beschäftigte sollen Prozesse und Strukturen der Gegenseite kennen lernen. So soll Verständnis für deren Belange und Interessen erhöht werden.

Aus der Darstellung des Programms „Seitenwechsel“

Das Thema Austauschprozesse, sagt der Daimler-Chrysler-Manager Holger Meinel, „ist eins der Möglichkeiten, um diesen Staat zu bewegen“. Daran zumindest bleibt kein Zweifel. Denn die Zahlen sprechen für sich. Nach Angaben der Bundesregierung stammt nur einer von 100 (angegebenen) Vertretern der Privatwirtschaft aus einem mittelständischen Unternehmen, 99 Prozent kommen aus der Großindustrie und Wirtschaft. Zugleich ist das Interesse der Konzerne, einen Vertreter in staatlichen Institutionen zu platzieren, weitaus größer als andersherum: Nur zwölf Beamte haben im Rahmen des Austauschprogramms zeitweise in Privatunternehmen gearbeitet.

Ein zentrales Problem aber ist das der Loyalität, zumal die Konzernvertreter während ihres Einsatzes in den Ministerien weiter von ihren privaten Arbeitgebern bezahlt werden. Im ARD-Magazin „Monitor“ beurteilte der Verwaltungsrechtler Hans Herbert von Arnim dies schon im Oktober kritisch. Die Loyalität der „Leiharbeiter“ gehöre denen, die sie aus der Wirtschaft bezahlen:

Und die tun das nicht für Gotteslohn, sondern weil sie sich davon etwas versprechen, nämlich die Förderung ihrer Interessen, die bevorzugte Information, die sie auf diese Weise bekommen.

Verwaltungsrechtler Hans Herbert von Arnim

In einer zweiten Sendung griffen die ARD-Journalisten das Thema Ende Dezember noch einmal auf. Sie konnten dabei nachweisen, dass 2002 der Leiter der Abteilung „Konzernstrategie – Verkehrspolitik“ von Daimler-Chrysler mit einem festen Arbeitsplatz im Bundesverkehrsministerium vertreten war – ausgerechnet zu der Zeit, zu der das Bewerbungsverfahren für das LKW-Maut-System lief. Der Milliardenauftrag wurde schließlich an das Konsortium vergeben, zu dem auch Daimler-Chrysler gehörte. Zufall?

Die Bundesregierung jedenfalls verteidigt die Beschäftigung von Konzernvertretern in Bundeseinrichtungen auch nach einer zweiten Parlamentsanfrage der Grünen von Mitte November. Das Bundesverkehrsministerium sei bei technischen Fragestellungen „auf eine intensive Kommunikation mit der Wirtschaft angewiesen“. Erneut wird auch dabei auf die „hierarchischen Strukturen“ verwiesen.

Wiederholte Fälle von Missbrauch

Dass diese aber nicht funktionieren, wurde in der Vergangenheit mehrfach offensichtlich. Ende November etwa kam es im Bundesgesundheitsministerium zu einem Eklat, weil ein hochrangiger Vertreter der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) interne Dokumente an seinen Geldgeber weitergegeben hatte. Der Fall kam an die Öffentlichkeit, weil die DAK die Informationen inmitten der Debatte um die Gesundheitsreform an die Presse weiterleitete.

Anders als seine Kollegen in anderen Häusern räumte Ministeriumssprecher Klaus Vater den Skandal in der Leipziger Volkszeitung damals ein, um zugleich die DAK zu kritisieren. Sie habe ihren Mitarbeiter dazu genötigt, Informationen weiterzugeben.

Die Reaktion der Kasse auf die Vorwürfe entlarvte das Dilemma der öffentlich-privaten Kooperation, wie sie in Deutschland gang und gäbe ist. Die „Rückkopplung“ an die entsendenden Krankenkassen gehöre für die zeitweiligen Ministeriumsmitarbeiter zum normalen Geschäft, konterte DAK-Sprecher Jörg Bodanowitz damals. Die Weitergabe von Papieren an die Krankenkassen sei „wirklich nichts Schlimmes“, und:

Die Abordnung von Experten aus den Kassen ins Ministerium gibt es nur, weil diese die Informationen aus dem Ministerium erhalten.

DAK-Sprecher Jörg Bodanowitz im November 2006

Eine so offene Verteidigung des Fehlverhaltens an den Grenzen zu halblegalem Lobbyismus, zur Korruption oder gar Wirtschaftsspionage ist offenbar nur möglich, weil – wie die Stellungnahmen auf die letzten beiden kleinen Anfragen bestätigen – in der Bundesregierung kaum Problembewusstsein besteht. Die Ärztezeitung etwa wies im Zusammenhang mit dem DAK-Skandal darauf hin, dass die Abteilung „Krankenversicherung und Krankenversorgung“ im Bundesgesundheitsministerium gleich drei Mal in Folge von hochrangigen AOK-Funktionären besetzt wurde. Pikant sei das dann, „wenn Krankenkassen direkt Gegenstand einer Gesundheitsreform sind, wie dies gegenwärtig geschieht“, hieß es in dem Fachblatt.

Dabei ist die Debatte nicht neu. Vor über drei Jahren, im Oktober 2003, war es schon einmal zu einem Eklat gekommen, nachdem bekannt wurde, dass Vertreter der Investment-Branche an einem Gesetz mitgeschrieben haben, das die so genannten Hedge-Fonds auch in Deutschland erlaubte. Die Einführung dieser hochspekulativen Anlagepakete war damals von Finanzexperten jeglicher Couleur scharf kritisiert worden. Das Risiko für den Kleinanleger sei so groß, sagte der Trierer Wirtschaftsexperte Wolfgang Filc damals, dass Hedge-Fonds dem Glücksspiel gleichkämen. Dass die Bedenken vom damaligen parteilosen Finanzminister Hans Eichel geflissentlich übergangen wurden, lag wohl maßgeblich an dessen externem Mitarbeiterstaat. Das TV-Magazin „Report Mainz“ deckte deckte damals auf, dass eine Mitarbeiterin des „Bundesverbandes Investment und Asset Management e.V. (BVI) im Ministerium an dem Entwurf des Gesetzes mitarbeitete. Ein BVI-Sprecher gestand damals freimütig zu, dass eine von seinem Verband bezahlte Juristin Einfluss auf die Gesetzgebung genommen hatte. Folgen hatte dieser Fall keine. Hedge-Fonds sind heute in Deutschland erlaubt. Zu Lasten der Anleger, zu Gunsten der Banken.

Im Korruptionsindex des Unternehmens Gallup kam Deutschland Anfang Dezember auf Platz 48. Es stand damit neben Mexiko und vor Staaten wie Bolivien und Venezuela, die hierzulande wegen ihrer Regierungsführung attackiert werden. Immerhin: Einzelne Vertreter der Bundesregierung erkennen die Schräglage. Kanzleramtschef Thomas de Maizière etwa hatte vor bei einer internen Debatte vor einigen Wochen vor dem Einfluss der Lobbyisten gewarnt. Bevor ein Vermerk den Minister erreiche, beklagte der CDU-Politiker dabei, sei er schon bei der Energiewirtschaft und der Pharmaindustrie: „Ich habe mir das aus der fernen Provinz wirklich nicht so vorstellen können“.