Nachbarschafts-Online-Kommunikation

Über das weltweite Netz den Nachbarn um die Ecke kennen lernen

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Online-Communities verbinden oft Leute auf der ganzen Welt, doch selten die in der unmittelbaren Umgebung. Die interessieren einen Onliner typischerweise gar nicht, „das sind doch alles langweilige Spießer“. Im 17. Arrondissement in Paris wurde nun genau das Gegenteil realisiert.

Peuplade heißt das etwas andere Online-Netzwerk: Es verbindet nicht, wie sonst üblich, Internetuser mit denselben beruflichen oder privaten Interessen, sondern mit einer Gemeinsamkeit, die das Internet fast entbehrlich macht - aber nur fast: dem Wohnort. Bei diesem soziologischen Experiment im 17. Arrondissement in Paris ging es nämlich einmal nicht darum, online andere Menschen kennenzulernen, denen man sonst nie begegnen würde, weil sie viel zu weit weg wohnen, sondern online andere Menschen kennen zu lernen, die einem räumlich sogar sehr nahe sind, doch denen man deswegen normalerweise nicht begegnen würde, weil einen soziale Faktoren von ihnen trennen: "Heute treffen wir üblicherweise nur Leute mit ähnlichem sozialen Hintergrund wie wir selbst in entsprechenden Situationen, bei der Arbeit, in der Schule oder in der Familie", so der Anwalt Jérémie Chouraqui, einer der Gründer, in einem BBC-Interview.

Auch in normalen Online-Communities lernen wir Menschen kennen, die zwar gemeinsame Interessen, aber einen ganz anderen sozialen Hintergrund haben und mit denen wir real kaum zusammentreffen würden. Meist bleibt es allerdings auch dabei, von Stammtischen der Online-Community einmal abgesehen, wo sich dann einmal im Jahr einige Mitglieder real treffen. Der neue Gedanke hinter Peuplade war nun, dass derartiges aneinander vorbei leben gar nicht unbedingt räumlich große Entfernungen voraussetzt: in der heutigen Welt reden viele nicht einmal mit ihren engsten Nachbarn und verbringen ihre Freizeit ausschließlich online oder mit weiter entfernten Freunden.

Oft liegt der Vorzug der Online-Kontakte allerdings darin, dass man online leichter miteinander ins Gespräch kommt, ohne dass einem die unterschiedliche Herkunft sofort ganz offensichtlich ins Gesicht geschrieben steht. Und dieser Aspekt müsste ja auch dann funktionieren, wenn die Mitglieder gar nicht weit auseinander wohnen. Wenn sie dann erst einmal virtuell miteinander ins Gespräch gekommen sind, dann trauen sie es sich vielleicht auch leichter real, unten am Ende der Straße, in der Eckkneipe.

Stephane Legouffe, Soziologe, erklärt die Unterschiede von Peuplade gegenüber üblichen Online-Communities: die typischen Kriterien, nach denen Online-Nutzer sich sonst so darstellen und eingeordnet werden, sind hier verpöntm – weder Alter, Geschlecht noch Beruf sollen bei Peuplade eingegeben werden und auch kein Bild von sich selbst, sondern lieber ein Bild von etwas, das einen sehr beeindruckt hat. Man sollte also Interesse aneinander finden, ohne an Äußerlichkeiten gebunden zu sein, die einen doch zu Vorurteilen veranlassen können.

Auch bei den realen Treffen im Stadtviertel sollen die typischen Standesfaktoren draußen bleiben: Sie werden so chaotisch eingerichtet, das nach wie vor jeder mit jedem in Kontakt kommen kann und nicht nur jene, die möglicherweise auch dieselben Berufe oder Hobbys haben. Dafür gibt es ja bereits entsprechende Treffpunkte. Hier soll die Gemeinsamkeit wirklich nur im Wohnort liegen – etwas, das früher die Eckkneipe alleine umsetzen konnte, doch nicht so perfekt, weil man Unbekannten an einem Kneipentisch nicht alles erzählt, was viele anonymer einem Gesprächspartner im Internet anvertrauen.

Mit Peuplage ist es dagegen leichter, mit Unbekannten erstmal online ins Gespräch zu kommen und dann zu entscheiden, ob man vielleicht runtergeht in die Kneipe und das Gespräch dort fortführt. Klar, dass auf diese Weise das Nachbarschaftsverhältnis sich deutlich verbessert – auch für jene, die nicht so extrovertiert sind, dass sie ihnen die Kontaktpflege in der Kneipe liegt.