"Es ist noch viel Druck auf die US-Regierung notwendig"

Die weiteren Truppenentsendungen der USA in Irak verhindert ein militärisches Vorgehen gegen Iran - zumindest vorerst

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Bis zu 20.000 Soldaten will US-Präsident George W. Bush zusätzlich nach Irak entsenden, um den Widerstand gegen die Besatzungstruppen zu brechen und der bürgerkriegsähnlichen Eskalation entgegenzuwirken. Das kündigte er schon vor der Präsentation seiner "neuen" Irak-Strategie an. Falls Bush dies durchsetzen kann, würde einem Truppenabzug eine definitive Absage erteilt, wodurch sich auch die Perspektive des Iran-Konfliktes ändern würde. Solange die US-Armee in dem Zweistromland gebunden ist, bleibt ein zweiter Krieg in der Region unwahrscheinlich. Aber ist er ausgeschlossen?

Telepolis sprach mit Robert Naiman vom privaten US-Forschungsinstitut Just Foreign Policy über die Perspektiven der US-Politik im Nahen und Mittleren Osten, über Israels Rolle und die Konflikte zwischen Regierungen und Bevölkerung.

Die neue Irak-Strategie von US-Präsident Bush sieht mehr Truppen und ein größeres militärisches Engagement vor. Schließt das eine Intervention in Iran nicht aus?

Robert Naiman: Wenn es zu einer solchen Aktion gegen Iran kommt, wird es sich wohl um Luftangriffe handeln. Dafür wären keine größeren Truppeneinheiten notwendig.

Einen solchen Luftangriff soll britischen Medien zufolge die israelische Armee mit dem Ziel planen, die iranischen Atomanlagen zu zerstören. Der entsprechende Artikel in der Sunday Times hatte sich aber auf eine äußerst dünne Quellenlage gestützt. Sie halten eine solche Aktion trotzdem für wahrscheinlich?

Robert Naiman: Ich würde nicht sagen, dass sie wahrscheinlich ist, aber durchaus möglich. Immerhin haben wir mit dem israelischen Angriff auf einen irakischen Atomreaktor 1981 eine historische Vorlage. Aber Iran ist nicht Irak, und auch die internationale Lage hat sich seit damals verändert. Militärexperten hier in den USA gehen davon aus, dass ein solcher Angriff das iranische Atomprogramm - worin immer es auch bestehen mag - bestenfalls verzögern würde. Die politischen Kosten wären für die USA indes hoch, weil jeder in der Region davon ausgehen würde, dass ein solcher Angriff von Washington autorisiert wurde ...

... was von dem israelischen Brigadegeneral a.D., Giora Eiland, unlängst offen erklärt wurde, als er den Jahresbericht des Zentrums für strategische Studien an der Universität Tel Aviv vorstellte.

Robert Naiman: Das Problem ist, dass eine solche militärische Option nicht ausgeschlossen wird. Ich denke zwar nicht, dass wir einen US-amerikanischen oder israelischen Angriff auf Iran in nächster Zeit erleben werden. Aber was bis zum Ende der Amtszeit von Präsident Bush im Januar 2009 geschieht, steht auf einem anderen Blatt.

Nach Angaben der israelischen Tageszeitung Haaretz wird ein Angriff des Landes auf Iran nur dann in Erwägung gezogen, wenn die USA militärische Optionen ausschlössen. Wie schätzen Sie das Verhältnis zwischen Tel Aviv und Washington ein?

Robert Naiman: Ein Teil der israelischen Führung versucht in dieser Frage offenbar, Druck auf die US-Regierung auszuüben. Zugleich soll die militärische Option auf der Agenda gehalten werden. Sowohl in der israelischen Regierung wie auch im Militär wurden in den letzten Tagen und Wochen Bedenken geäußert, dass Washington angesichts des Fiaskos in Irak und des Sieges der Demokraten bei den Senatswahlen von einer "militärischen Lösung" im Streit mit Teheran abrücken könnte.

Die Nachricht an Regierung und Kongress in den USA ist deutlich: "Wir werden die Sache in unsere eigenen Hände nehmen, wenn ihr das nicht erledigt." Diese Botschaft richtet sich auch an die Europäer, deren Iran-Politik in Israel als zu nachgiebig kritisiert wird. Israel will glauben machen, dass ein Angriff im Bereich des Möglichen liegt. Weil der Nahe Osten politisch labil und die Stimmung sehr angespannt ist, könnte die Drohung wirken. Denn jedem ist klar, welche Folgen ein Angriff auf die iranischen Atomanlagen haben könnte.

Innenpolitisch soll durch die Debatte über die "iranische Gefahr" in Israel von den eigenen Problemen angelenkt werden; von der Wut auf die eigene Staatsführung und von der Wut über die Todesopfer im sinnlosen Krieg gegen Libanon im Sommer vergangenen Jahres. Aber diese Fokussierung auf den äußeren Feind hat, wie wir wissen, überall auf der Welt die gleiche Funktion.

Die Interessen Israels und der USA in der Region sind ähnlich, aber nicht identisch

Geht es um den Nahen und Mittleren Osten, ist oft von einer Allianz zwischen den USA und Israel die Rede. Sehen Sie diese Übereinstimmung?

Robert Naiman: Die Interessen beider Staaten in der Region sind sicher ähnlich, aber nicht identisch. Wenn wir über "israelische Interessen" und "US-Interesse" sprechen, müssen wir zugleich zwischen denjenigen unterscheiden, die regieren und die die Entscheidungen treffen, und der Mehrheit der Bevölkerung, die von den Entscheidungen weitgehend ausgeschlossen ist. Nach den jüngsten Umfragen unterstützen zwischen 10 und 20 Prozent der US-Bevölkerung die Eskalationspolitik, die Bush in Irak anstrebt. Konfrontationen dienen meistens den politischen Eliten, nicht der Bevölkerung. Dies im Hinterkopf, werden auch die Unterschiede zwischen den Regierungen in Washington und Tel Aviv deutlich. Viele Menschen in Israel - auch diejenigen, die der Regierung von Ehud Olmert nahe stehen - drängen darauf, auf syrische Gesprächsangebote einzugehen. Die Bush-Regierung hat das aus eigenen Erwägungen heraus bislang verhindert.

Es ist also wahrscheinlicher, dass das stärkere militärische Engagement der USA in Irak den Konflikt mit Iran verhindert?

Robert Naiman: Kurzfristig wird ein militärisches Vorgehen ausgeschlossen. Selbst der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld war in dieser Frage vorsichtig - vor allem wegen der US-Truppen in Irak. Nicht, weil keine weiteren Soldaten in einen zweiten Konflikt in der Region entsandt werden könnten, sondern weil die US-Truppen in Irak in Bedrängnis geraten würden. Wir brauchen uns nur in Erinnerung zu rufen, was während des israelischen Krieges in Libanon im Sommer geschehen ist. Die Schiiten in Irak waren außer sich, weil sie ja wussten, dass dieser Angriff mit politischer Rückendeckung der USA und mit US-Waffen durchgeführt wurde. Dadurch wurde die Irak-Politik Washingtons gefährdet. Bei einem Angriff auf Teheran wäre der Negativeffekt ungleich stärker, weil viele Iraker nicht nur religiöse, sondern auch familiäre Verbindungen in Iran haben.

Sie sehen also keinen Unterschied zwischen einem Luftangriff oder einer Bodenoffensive?

Robert Naiman: Mittelfristig nicht, denn die Frage ist, was nach einem Angriff geschieht. Es würde sicher einen Vergeltungsschlag Irans geben - und spätestens dann kommen Bodentruppen ins Spiel. Die Frage ist also nicht, ob so ein Angriff geplant ist - wovon ich, ehrlich gesagt, nicht ausgehe. Die Frage ist vielmehr, ob die US-Armee auf die Folgen vorbereitet ist. Die Gefahr besteht meiner Meinung nach nicht in einer Wiederholung der Ereignisse nach der Invasion in Irak, sondern in einem Teufelskreis aus Angriffen- und Gegenangriffen; in einer Eskalation, die niemand kontrollieren kann. Ich bin mir auch sicher, dass einige Leute in Washington darauf brennen. Für die Mehrheit hierzulande wäre es aber eine Katastrophe.

Sam Gardner, Oberst der US-Luftwaffe a.D., hatte Mitte April 2006 seine Vermutung geäußert, dass US-Spezialkräfte schon in Iran aktiv seien. Mit welchen Aufgaben?

Robert Naiman: Es sind Vorauskommandos. Sie sammeln Informationen und vermerken Angriffsziele. Aus der Vorgeschichte der Kriege im Kosovo und in Afghanistan wissen wir, dass sie auch damit beauftragt sind, Kontakt zu aufständischen ethnischen Gruppen zu knüpfen. Das ist natürlich ein gefährliches Vorhaben, aber es hat sich bewährt. Denn Luftangriffe können jederzeit geflogen werden. Aber wenn die Angreifer verbündete Milizen im Zielland haben, kann die Entsendung eigener Truppen verzögert oder sogar vermieden werden. Die Sache in Iran ist schwieriger, weil es dort keine potentiellen Verbündeten gibt wie die UCK in Kosovo oder die Nordallianz in Afghanistan. Aber sie versuchen es trotzdem.

Und welche Folgen hat all das für die diplomatische Suche nach einer Lösung der Konflikte mit Iran?

Robert Naiman: Bis jetzt hat die US-Regierung direkte Verhandlungen mit Teheran ausgeschlossen. Die Los Angeles Times hat unlängst über Versuche der Regierung berichtet, über eine internationale Irak-Gruppe auch Syrien und Iran in Gespräche einzubeziehen. Aber selbst das würde nicht den Kern des Problems berühren. Die Frage ist und wird sein, ob die US-Regierung bereit ist, von ihrer Politik der Konfrontation abzulassen. Die Ironie der Sache ist, dass die engsten Verbündeten der USA in Irak derzeit diejenigen sind, die auch enge Kontakte zu der iranische Regierung unterhalten: Schiiten. Nationale sunnitische Widerstandsgruppen werden nicht aus Iran unterstützt. Von ihrem Standpunkt aus könnte die US-Regierung nur gewinnen, wenn sie die Kontakte zu Iran verbessern würde. Aber Washington ist noch nicht bereit, seine konfrontative Politik zu ändern. Es ist noch viel Druck auf die US-Regierung notwendig, um dies zu ändern: Von der Bevölkerung in den USA, aus dem von der Demokratischen Partei kontrollierten Kongress und aus Europa.