Der moderne Mensch kam durch die Hintertür

Neue Beweise für die Out-of-Africa-Theorie

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Wer waren unsere Vorfahren, von wem stammen wir ab? Eine Mehrheit der Paläoanthropologen vertritt die Meinung, dass der anatomisch moderne Mensch in Afrika entstand und von dort aus die ganze Welt besiedelte. Die sogenannte Out-of-Africa-Theorie wird nun erneut durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse untermauert. Ein Schädelfund aus Südafrika ähnelt stark den gleich alten Fossilien aus Europa und in Russland wurden 45.000 Jahre alte Artefakte des anatomisch modernen Menschens geborgen.

Die meisten Experten gehen heute davon aus, dass der Homo sapiens sapiens sich vor ungefähr 200.000 Jahren auf dem afrikanischen Kontinent entwickelt hat (Echt alt). Vor weniger als 100.000 Jahren machte sich dieser neue Menschentypus auf den Weg und eroberte nach und nach die ganze Erde. Zuerst wanderten die anatomisch modernen Menschen in Richtung Asien und seit rund 40.000 Jahren besiedelten sie nach und nach auch Europa (Out of Africa). Dabei verdrängten sie nach und nach den Neandertaler, der vor 25.000 Jahren endgültig aus der Weltgeschichte abtrat. Ob er genetische Spuren in uns hinterließ, ist nach wie vor umstritten, aber aktuelle Analysen weisen daraufhin, dass es vielleicht doch einen Austausch von Erbgut zwischen ihm und dem modernen Menschen gegeben hat (Neues vom wilden Mann).

Der Hofmeyr-Schädel. Wissenschaftler datierten den Schädel jetzt auf ein Alter von 36.000 Jahren. Die große Ähnlichkeit dieses Schädels mit gleich alten Schädeln, die in Eurasien gefunden wurden, bestätigt die Out of Africa-Hypothese. (Bild: Frederick E. Grine)

In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science präsentieren zwei Wissenschaftlerteams ihre neuen Forschungsresultate zum Exodus des Homo sapiens sapiens. Frederick E. Grine von der amerikanischen Stony Brook University und Kollegen von Instituten in Großbritannien, Südafrika, Kanada und Deutschland stellen ihre Analyse und Neudatierung eines Schädels vor, der 1952 in Südafrika gefunden worden war (Late Pleistocene Human Skull from Hofmeyr, South Africa, and Modern Human Origins).

Der Hofmeyr-Schädel stammt aus einer Grabung in der südafrikanischen Provinz Ostkap und seine Bedeutung wurde jetzt erst deutlich. Eine neue Datierungsmethode, die an der University of Oxford entwickelt wurde, machte es möglich, den ersten fossilen Beweis für die Out-of-Africa-Theorie zu erbringen. Das Team analysierte den Abbau radioaktiver Strahlung in den Sandkörnern, die diesen versteinerten Schädel eines erwachsenen, anatomisch modernen Menschen ausfüllten und kam dabei auf ein Alter von 36.000 Jahren. Diese Periode wird in Afrika als "Later Stone Age" kategorisiert, in Europa als Jungpaläolithikum – die Epoche, in der Homo sapiens sapiens hier erscheint (Wikipedia: Steinzeit). Die neue Datierung füllt eine Lücke, denn bislang fehlten Fossilien aus der Region südlich der Sahara für diesen Zeitabschnitt.

Der nächste Schritt war die vergleichende Untersuchung des Fundstücks mit anderen Schädeln, um verwandte Merkmale aufzuspüren. Dafür war im Team Katerina Harvati vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig zuständig. Sie erstellte dreidimensionale Messungen des Hofmeyr-Schädels und verglich die Daten mit etwa gleich alten Schädeln aus Europa sowie mit den Ausmaßen der Köpfe heutiger Menschen auch aus der Region des südlichen Afrika.

Dabei erwies sich, dass der 36.000 Jahre alte Schädel sich stark von den Schädeln heute lebender subsaharischer Afrikaner unterscheidet, aber er ist den europäischen Funden aus dem oberen Paläolithikum sehr ähnlich. Eine klare Bestätigung der Out-of-Africa-Hypothese. Frederick Grine ist überzeugt:

Der Hofmeyr-Schädel vermittelt erste Einblicke in die Morphologie dieser subsaharischen Population. Aus dieser Population stammen die Vorfahren aller heute lebender Menschen ab.

Die zweite Forschergruppe besteht aus Michael V. Anikovich und Kollegen von der russischen Akademie in St. Petersburg sowie von amerikanischen, britischen und italienischen Universitäten. Seit Jahren gräbt das internationale Team in Kostenki), einem Fundort am Fluss Don.

Forscherteam an der Kostenki-Grabungsstätte, 400 km südlich von Moskau (Bild: CU-Boulder)

Jetzt veröffentlichen die Wissenschaftler in Science die Ergebnisse der Datierung von Artefakten, die aus einer bis zu 45.000 Jahren alten Erdschicht geborgen wurden (Early Upper Paleolithic in Eastern Europe and Implications for the Dispersal of Modern Humans).

An dem 400 km südlich von Moskau gelegenen Ort waren in der Vergangenheit bereits aus insgesamt mehr als zwanzig Grabungsstätten viele versteinerte Knochen des Homo sapiens sowie Werkzeuge gefunden worden, darunter 30.000 Jahre alte Elfenbein-Nadeln zum Zusammennähen von Tierhäuten – und die berühmte, mehr als 20.000 Jahre alte Kostenki-Venus (Venus figures from Russia, the Ukraine and sites East of the Donau mouth).

Die neu ausgegrabenen Artefakte aus Stein, Knochen und Elfenbein sind noch älter, zwischen 42.000 und 45.000 Jahren. Sie lagen unterhab einer Schicht vulkanischer Asche, die gesichert 40.000 Jahre alt ist. Außerdem wurden die Datierung zusätzlich noch durch Lumineszenzverfahren und Paläomagnetismus abgesichert.

Einige in Kostenki gefundene Artefakte, oben in der Mitte drei verschiedene Ansichten des bearbeiteten Stückes aus Mammutelfenbein, das der Kopf einer Figur sein könnte (Bild: CU-Boulder)

Das Gestein, aus dem die Werkzeuge gefertigt wurden, stammt nicht von vor Ort, sondern wurde über eine Distanz von 100 bis 160 Kilometern dorthin gebracht. Es wurden Ahlen, Schabmesser, Bohrer, Beile, Klingen, Pfeilspitzen aus Stein, Knochen und Elfenbein geborgen, aber auch eine durchbohrte Muschel, die vom 500 km entfernten Schwarzen Meer stammt. Ein Stück geschnitztes Mammutelfenbein könnte der Kopf einer kleinen menschlichen Figurine sein – wenn sich die Vermutung bestätigt, würde es sich um die älteste figürliche Darstellung der Menschheit überhaupt handeln.

Die Forscher haben keinen Zweifel, dass es sich um Artefakte des Homo sapiens sapiens handelt, obwohl in der Fundschicht nur vereinzelte Zähne lagen. Ihrer Meinung nach sind die Gerätschaften typisch für den anatomisch modernen Menschen und können nicht von Neandertalern gefertigt worden sein. Deren Abwesenheit in dieser Epoche großer Kälte hat möglicherweise den Weg für die Zuwanderung unserer Vorfahren über diese Route frei gemacht. Co-Autor John F. Hoffecker von der University of Colorado in Boulder erklärt:

Die sehr frühe Präsenz der modernen Menschen an einem der kältesten und trockensten Orte in Europa ist eine große Überraschung. Das ist einer der letzten Plätze, wo man erwartet hätte, dass Leute aus Afrika sich dort niederlassen. Im Gegensatz zu den Neandertalern hatten die modernen Menschen neue Technologien zu entwickeln, um mit dem kalten Klima und den alles andere als reichlichen Nahrungsvorräten fertig zu werden. Der Neandertaler, der Europa für mehr als 200.000 Jahre bewohnt hat, scheint [durch seine vorübergehende Abwesenheit in der Region] die Hintertür für den modernen Menschen offen gelassen zu haben.