Black Power

Die afrikanische Gemeinschaft in Deutschland formiert sich gegen Polizeigewalt

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Vor zwei Jahren verbrannte der Schwarzafrikaner Oury Jalloh in einer Arrestzelle auf einem Polizeiquartier in Dessau. Sein Todestag war der Anlass für verschiedenste Initiativen, sich bei der Afrikanischen Community-Konferenz zu treffen, um unter anderem gemeinsam gegen rassistische Polizeigewalt zu protestieren. Oury Jalloh war ja nicht das einzige Opfer und die Familien verschiedener Afrikaner, die durch Polizisten in Deutschland zu Tode kamen, wollen sich nun verstärkt zusammenschließen und gemeinsam für Gerechtigkeit kämpfen.

Zu der Konferenz, die von der Afrikanischen Flüchtlingsinitiative Dessau, The Voice Refugee Forum, der Flüchtlingsinitiative Brandenburg (FIB) und der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) veranstaltet wurde, kamen 120 Vertreter verschiedenster Organisationen, um sich zu vernetzen und Strategien für ihre künftige Zusammenarbeit zu entwickeln. Gemeinsam erinnerten sie bei anschließenden Mahnwachen und Demonstrationen in Dessau und Berlin an den schrecklichen Tod des aus Westafrika stammenden Oury Jalloh und forderten laut „Aufklärung, Gerechtigkeit, Entschädigung“.

Viel ist im WM-Jahr 2006 über die sogenannten No-go-Areas diskutiert worden, über Orte oder ganze Landschaften, die für afrikanische Fußballgäste gefährlich sein könnten. Rassismus oder Ausländerfeindlichkeit, wie das Phänomen in Deutschland gerne genannt wird, ist in der Bevölkerung erschreckend weit verbreitet (Deutsche Zustände 2006) – jeder Schwarze kennt hier zu Lande verschiedene Formen der alltäglichen Diskriminierung.

Und immer wieder ist die Bundesrepublik für Menschen, die nicht in die Weltanschauung von Rechtsextremen passen, lebensgefährlich. Das zeigte zuletzt der Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft in Sangerhausen in Sachsen-Anhalt. Seit der Wiedervereinigung gibt in Deutschland 135 Opfer rechtsextremer Gewalt zu beklagen (Todesopfer rechtsextremer Gewalt).

Polizeikontrollen und Tod im Gewahrsam

Wer in den Augen der Polizei nicht deutsch aussieht, sieht sich ständigen Kontrollen ausgesetzt, eine kontinuierliche Ausgrenzung und Kriminalisierung. Besonders Schwarze kennen die Aufforderung, ihre Papiere vorzuzeigen, oft werden sie dann auch noch durchsucht oder zwecks weiterer Überprüfungen mit auf die Wache genommen (Kriminalisierung und rassistische Kontrollen).

Flüchtlinge sind zudem durch die sogenannte Residenzpflicht in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt: verlassen sie den ihnen zugewiesenen Landkreis, werden sie bestraft – ein Delikt, das Deutsche überhaupt nicht begehen können (Kampagne zur Abschaffung der Residenzpflicht – den Apartheidgesetzen in Deutschland). Immer wieder erleben Schwarzafrikaner Schikanen durch die Polizei, die meist ungeahndet bleiben (Von der Polizei misshandelt – jetzt ist Sunny selber angeklagt).

Aber damit noch nicht genug, in den letzten Jahren starben immer wieder Afrikaner bei Einsätzen oder im Polizeigewahrsam. Der Fall von Oury Jalloh machte – nicht zuletzt durch die anhaltenden Proteste der schwarzen Gemeinde – viele Schlagzeilen. Der 21jährige Afrikaner war betrunken, soll nachts auf der Straße Frauen belästigt haben. Ein Streifenwagen nimmt ihn mit, lädt ihn in der Wache ab, weil er angeblich Widerstand leistete. An Händen und Füßen gefesselt wird er in eine Arrestzelle gesteckt.

Dort verbrennt er, denn die schwer entflammbare Matratze auf der er liegt, gerät in Brand. Er soll sie selbst angesteckt haben – mit einem Feuerzeug, das bei seiner Durchsuchung übersehen wurde. Die Beamten auf der Wache reagieren auf den Alarm der Rauchmelder nicht, die Wechselsprechanlage mit der Zelle wird auf leise gestellt, weil die Todesschreie des Verbrennenden beim Telefonieren stören (In der Polizeizelle verbrannt: Die Geschichte eines fatalen Einsatzes).

Oury Jalloh stirbt langsam und grauenhaft, aber bis heute blieb sein Tod für die verantwortlichen Beamten ohne Folgen. Bei der Familie hat sich niemand entschuldigt, eine Entschädigung wird verweigert. Aber seine Freunde geben keine Ruhe, sie mobilisierten viele Unterstützer und sorgten dafür, dass der Fall nicht in Vergessenheit geriet (In Gedenken an Oury Jalloh und Break the silence).

Jetzt wird endlich der Dienstgruppenleiter der Wache wegen Körperverletzung mit Todesfolge vor Gericht gestellt (Protest bringt Prozess ins Rollen und Wir erwarten Aufklärung im Fall Oury Jalloh). Cornelius Yufanyi von der Initiative Oury Jalloh in Deutschland ist überzeugt, dass ohne den Druck der Unterstützer und der Öffentlichkeit einmal mehr alles im Sand verlaufen wäre:

Es ist wichtig, dass wir uns vernetzen, dass wir uns zusammen schließen, um gemeinsam zu kämpfen. Nur so können wir eine Veränderung erreichen. Der Fall von Oury Jalloh zeigt, dass etwas erreicht werden kann. Immer wieder wird von offizieller Seite von einem Einzelfall gesprochen, aber es sind viele ähnliche Fälle. Deswegen schließen sich die Familien der afrikanischen Opfer von Polizeibrutalität jetzt zusammen, sie haben sich auf der Konferenz getroffen und ausgetauscht. Sie wollen sich bei den Prozessen gegenseitig unterstützen und die afrikanische Community unterstützt sie auch. Wir müssen die Geschichten öffentlich machen, den Opfern ein Gesicht geben, das Leid thematisieren.

Info-Reader Break the silence

Cornelius Yufanyi sieht sich selbst gerade einer Anklage wegen „versuchter Körperverletzung“ gegenüber, weil er Widerstand gegen Polizeibeamte geleistet haben soll

Oury Jalloh ist nicht das einzige Opfer der deutschen Polizei. In Dessau trafen sich am letzten Wochenende die Angehörigen von Dominique Kouamadio, der vor einem knappen Jahr in Dortmund von Polizeibeamten erschossen wurde), von Laye-Alama Condé, der im Januar 2005 in Bremen nach einer Zwangsbehandlung mit Brechmitteln starb und von John Achidi, der 2001 in Hamburg die gleiche Behandlung nicht überlebte.

Die afrikanische Gemeinschaft will auch noch weitere Fälle mit einbeziehen wie den von N'deye Mareame Sarr, die 2001 in Aschaffenburg von Polizeibeamten erschossen wurde, als sie ihren von ihrem Mann entführten Sohn zurückholen wollte, Amir Ageeb aus München, der 1999 seine Abschiebung nicht überlebte und auch Kola Bankole aus Frankfurt, der 1994 bei einem Abschiebeversuch starb.

Keiner der an diesen Todesfällen beteiligten Polizisten wurde bisher angemessen verurteilt. Im Fall der tödlichen Abschiebung von Amir Ageeb, der an Bord des Flugzeugs erstickte, bekamen die drei direkt beteiligten Bundesgrenzschutzbeamten Bewährungsstrafen (vgl. Urteil im Prozess um den Abschiebungstod von Aamir Ageeb), ein weiteres Verfahren wegen Körperverletzung im Amt gegen Beamte, die ihn brutal gefesselt hatten, wurde im Jahr 2005 endgültig eingestellt.

Die Forderungen der Afrikanischen Community-Konferenz in Dessau sind klar und deutlich:

  1. Wir fordern die sofortige Eröffnung eines Gerichtsverfahrens gegen die Polizisten, die am Mord an Oury Jalloh beteiligt waren, und ihre rasche Verurteilung und Entlassung vom Polizeidienst
  2. Wir fordern den Rücktritt des Polizeipräsidenten von Dessau
  3. Wir fordern Entschädigungszahlung an die Familie von Oury Jalloh
  4. Wir fordern das Ende aller rassistischen Polizeikontrollen, das Ende der Polizeibrutalität und der Ermordung von Schwarzen
  5. Wir fordern Gerechtigkeit für alle Opfer institutionalisierten Rassismus, aller Schwarzen Opfer der Polizei- und Staatsgewalt und Entschädigung für ihre Familien

Für die Mitglieder der afrikanischen Gruppen in Deutschland liegt der Fehler im rassistischen System und klar klagen sie den Staat an, kaum und völlig ungenügend gegen die Täter vorzugehen, wenn Afrikaner getötet werden. Sie sehen sich gemeinsam als Opfer und wollen künftig geeinigt auftreten um aus der Vereinzelung und der damit verbundenen Angst herauszutreten. Gemeinsam sind sie stark, die Afrikaner und die schwarzen Deutschen. Und sie sind sich einig, dass sie selbst die treibende Kraft der Veränderung sein müssen. Cornelius Yufanyi bringt es auf den Punkt:

Wir verlangen Gerechtigkeit. Es geht nicht mehr darum, darauf zu warten, bis wieder etwas passiert ist, bis wieder ein Toter zu beklagen ist, sondern wir müssen jetzt sofort reagieren. Bis jetzt haben wir keinen Schutz durch den Staat erfahren, wir müssen uns selbst verteidigen, das ist Notwehr, die einfach nötig ist. Wir müssen stark sein und unsere Selbstverteidigung selbst in die Hand nehmen. Wir glauben nicht mehr, dass der Staat das für uns tun wird, das müssen wir selbst tun.