Experimente mit Schwarzen Löchern

Mit Hilfe des neuen Teilchenbeschleunigers Large Hadron Collider wollen Physiker der Universität Frankfurt "mini black holes" erzeugen, die Widersprüche zwischen Quanten- und Relativitätstheorie auflösen und auch noch die Energiegewinnung revolutionieren

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Schon 1783 vermutete der englische Pfarrer und Gelegenheitsastronom John Michell, dass die Gravitation „dunkler Sterne“ ausreichen könnte, um Licht gefangen zu halten, und sein französischer Zeitgenosse Pierre-Simon Laplace war wenige Jahre später ebenfalls von der Existenz „dunkler Körper“ überzeugt, „die so groß und so zahlreich sind wie die Sterne“. Es bedurfte allerdings der Allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins, damit Karl Schwarzschild 1916 die Feldgleichungen des Kollegen lösen und erstmals die Größe und Beschaffenheit eines Schwarzen Lochs beschreiben konnte. Schwarzschild-Metrik und Schwarzschild-Radius wurden denn auch nach dem Pionier der Astrophysik benannt, doch die Bezeichnung Schwarzes Loch prägte der Amerikaner John Wheeler erst Ende der 60er Jahre.

Installation einer der Endkappen des CMS (Compact Muon Solenoid), ein Detektor des LHC. Bild: CERN

Stephen Hawking entdeckte kurze Zeit später, dass die seltsamen Phänomene eine Strahlung abgeben und setzte damit eine Verbindung von Theorien der Quantenmechanik und der Allgemeinen Relativitätstheorie voraus, über die immer noch kontrovers diskutiert wird. Bis heute konnten all diese Forschungsergebnisse gelegentlich ergänzt werden, kamen aber im wesentlichen nicht über die Erkenntnis hinaus, dass die Menschheit es hier mit gigantischen astronomischen Objekten zu tun hat, die wegen ihres außergewöhnlich starken Gravitationsfeldes die Raumzeit so stark krümmen, dass weder Licht noch Materie über ihren Ereignishorizont hinauskommen.

Schwarze Löcher könnten durch eine Supernova und bei genügend hoher Energiedichte auch primordial während des Urknalls entstanden sein und befinden sich unter anderem im Zentrum von Spiralgalaxien, so auch in unserer eigenen Milchstraße, wo die meisten Forscher im Sternbild Schütze bei Sagittarius A ein supermassives Schwarzes Loch von 3,7 Millionen Sonnenmassen vermuten.

Große Ambitionen und geringe Wahrscheinlichkeiten

Da die Möglichkeiten, solche kosmischen Erscheinungen vor Ort zu untersuchen oder auch nur angemessen zu beobachten, vorerst begrenzt sind, wird seit geraumer Zeit darüber nachgedacht, ob Schwarze Löcher auch künstlich, sprich: unter Laborbedingungen hergestellt werden können.

Der Mathematiker und Physiker Roger Penrose beschäftigte sich bereits in den 70ern mit derartigen Überlegungen, zu Beginn des neuen Jahrhunderts schlug Ulf Leonardt von der St. Andrews University dann vor, Gas auf eine Temperatur über dem absoluten Nullpunkt abzukühlen und mit einem Speziallaser zu beschießen (Ein Schwarzes Loch im Labor). Seit am Europäischen Forschungszentrum für Kern- und Teilchenphysik CERN der größte Teilchenbeschleuniger der Welt gebaut wird, konzentrieren sich viele Hoffnungen auf den Large Hadron Collider (LHC), der im November 2007 betriebsbereit sein soll.

Hier wollen auch zwei Physiker der Universität Frankfurt arbeiten, die eine realistische Chance sehen, durch die Kollision von zwei Wasserstoffkernen sogenannte „mini black holes“ im Labor zu erzeugen. Der Plan von Marcus Bleicher und Horst Stöcker basiert auf der supersymmetrischen Stringtheorie, nach der die gängigen drei Raumdimensionen Länge, Breite und Höhe sowie die „vierte Dimension“ Zeit um bis zu sieben weitere Raumdimensionen ergänzt werden müssen. In einer supersymmetrischen Raumzeit mit bis zu elf Dimensionen sollte bei kleinen Abständen eine extreme Gravitationskraft herrschen, so dass durch die gezielte Kollision von Materiebausteinen, rein theoretisch, kleine Schwarze Löcher entstehen könnten.

Simulation einer Proton-Proton-Kollision, wie sie Marcus Bleicher und Horst Stöcker im Large Hadron Collider (LHC) durchführen wollen. Die dabei erzeugten Teilchen hinterlassen Spuren im Detektor, woraus sich erschließen lässt, ob sie durch den Zerfall eines Schwarzen Lochs versursacht wurden. Bild: Bleicher/Stöcker

Bleicher und Stöcker wollen – da schwere Ionen noch nicht stark genug beschleunigt werden können - im LHC zwei Protonen aufeinanderprallen lassen und hoffen, dass deren Elementarteilchen respektive ihre Quarks und Gluonen bei einem Abstand von ungefähr einem tausendstel Protonendurchmesser winzige Schwarze Löcher bilden. Die Erfolgschancen beurteilen die Wissenschaftler selbst mit verhaltenem Optimismus, aber innovative Überlegungen, couragierte Thesenbildungen und unklare Aussichten sind nun einmal das Schicksal der theoretischen Physik.

Die Wahrscheinlichkeit für diesen Prozess ist eine Million Mal kleiner als für die üblichen Prozesse, die sich bei solchen Zusammenstößen ereignen. Dennoch würden nach aktuellen Berechnungen einige Dutzend „mini black holes“ pro Sekunde im LHC produziert. Das wären bis zu einigen hundert Millionen „mini black holes“ pro Jahr. Mit genügend hohen Beschleunigerenergien könnte man also große Mengen mikroskopischer Schwarzer Löcher mit Gewichten von einigen Goldatomen erzeugen.

Marcus Bleicher/Horst Stöcker

Ungeahnte Möglichkeiten und die Grenzen der Forschung

Wenn dieses Experiment gelingen sollte, würden sich der modernen Physik ungeahnte Möglichkeiten eröffnen. Bislang wurde vergeblich versucht, eine tragfähige Querverbindung zwischen den beiden überzeugendsten Modellen herzustellen, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Allerdings können Relativitäts- und Quantentheorie in aller Regel auch nebeneinander existieren, weil die eine in erster Linie der Beschreibung der großen kosmischen Vorgänge dient, während die andere für Analysen auf Teilchenebene herangezogen wird.

Im Fall der Schwarzen Löcher, die gigantische Massen auf engstem Raum zusammenpressen, werden allerdings beide Theorien gebraucht. Die Physiker aus Frankfurt gehen davon aus, dass ihre Versuchsanordnung tatsächlich als entscheidender Brückenschlag fungieren kann. An den winzigen Schwarzen Löchern ließe sich die Gravitation auf kleinsten Skalen untersuchen. Von hier aus ergäben sich weitreichende Perspektiven für eine Neugestaltung des physikalischen Weltbildes bis hin zu Erkenntnissen über die Entstehung des gesamten Universums.

Im Vorfeld haben die Wissenschaftler einige interessante Überlegungen angestellt, auf deren Verifizierung nun ein Großteil der Fachwelt gespannt wartet. So gehen die Frankfurter Physiker davon aus, dass die Berechnungen von Stephen Hawking hinsichtlich des quantenmechanischen Verfalls von Schwarzen Löchern nur für besonders große Objekte gelten. Schwarze Löcher von unter 1.000 Protonenmassen sollen überhaupt keine Hawking-Strahlung mehr abgeben, sondern ein stabiles Relikt bilden.

Diese „relics“ sind möglicherweise eine neue, stabile Klasse von Elementarteilchen, die im Zwischenbereich von Gravitation und Quantenphysik anzusiedeln sind. Durch den Proton-Proton-Stoß sind die „relics“ mit zirka 70 Prozent Wahrscheinlichkeit elektrisch geladen.

Marcus Bleicher/Horst Stöcker

Überdies vermuten die beiden Wissenschaftler, dass ein Erfolg ihrer Experimente darüber hinaus gehende Erkenntnisse für alle Zeiten verhindern würde. Denn obwohl es mit dem LHC möglich wäre, Strukturen von einem milliardstel milliardstel Meter zu untersuchen und in der Zukunft theoretisch noch filigranere Apparaturen vorstellbar sind, kann nach der Entstehung eines Schwarzen Lochs in dem betreffenden Bereich keine Untersuchung auf noch kleineren Skalen mehr durchgeführt werden. Der Forscherdrang des Menschen würde an dieser Stelle also an seine – in dem Fall selbst produzierten – Grenzen stoßen.

Ein Relikt-Konverter für die Weltenergieversorgung

Das Ausbleiben eines bislang regelmäßig auftretenden Phänomens soll als Beweis für die gelungene Erzeugung von Schwarzen Löchern dienen. Die Froscher prophezeien im Erfolgsfall „die vollständige Unterdrückung von hochenergetischen back-to-back-korrelierten Jets“. Sie wollen die „mini black holes“ mit Detektoren durch die entstehenden Zerfallsprodukte nachweisen und spekulieren darauf, dass pro Loch etwa zehn Jets emittiert werden, die sich – anders als bei vergleichbaren Experimenten – gleichmäßig in alle Richtungen des Raumes verteilen.

Horst Stöcker dürfte auf das Ergebnis der Experimente übrigens noch etwas gespannter sein als sein Kollege, denn er hat bereits ein Patent angemeldet, falls die Versuche in der Realität so verlaufen, wie sie geplant wurden. Er hält es für denkbar, dass hier nach Einsteins Formel E =mc2 Masse in Energie verwandelt werden kann. Die stabilen Relikte würden, so Stöckers Berechnung, den gesamten Weltjahresenergieverbrauch von zirka 1021 Joule decken, wenn entsprechende Konverter mit gerade einmal zehn Tonnen normaler Materie gefüllt werden.

Denkbar wäre ein „Relikt-Konverter“, bestehend aus einem Relikt, das einen Strahl von niederenergetischen Teilchen, zum Beispiel Protonen, Neutronen oder ganze Kerne in Hawking-Strahlung umwandeln könnte. Dieser Prozess würde mit einer Umwandlungseffizienz von etwa 90 Prozent ablaufen, da nur die produzierten Gravitonen und Neutrinos nicht in nutzbare Energie überführt werden könnten.

Marcus Bleicher/Horst Stöcker

Angst vor der Sogwirkung der selbstgemachten Schwarzen Löcher braucht man in Genf aller Voraussicht nach nicht zu haben. Einige Forscher glauben, dass über uns permanent vergleichbare Objekte entstehen, wenn kosmische Teilchen auf die Erdatmosphäre treffen. Es bedarf jedoch gewaltiger, vorerst kaum künstlich herstellbarer Energiedichten, damit Schwarze Löcher anfangen zu wachsen, indem sie die Teilchen ihrer Umgebung aufsaugen.