Die Frau, die in der Kälte blieb

Rache als schöne Kunst: Sympathie für "Lady Vengeance"

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Rache ist süß und lieblich und Mitleid kann sehr kalt sein in "Lady Vengeance", dem Abschlußfilm der Rachetrilogie des koreanischen Regisseurs Park Chan-wook. Nach "Sympathy for Mr.Vengeance" und "Old Boy" ist "Lady Vengeance" der poetischste und sanfteste Teil der Trilogie. Park zeigt: Es mag eine Errungenschaft der Zivilisation sein, Rachedenken zu überwinden. Aber dennoch bleiben Rache und Rachephantasien weiterhin das Andere der Zivilisation.

Bilder ©3L

Aus dem Off erklingt Barockmusik von Vivaldi und die Kamera bewegt sich über einen fast völlig weißen, nur als Schattenriss noch sichtbaren Frauenkörper, zugleich sieht man die schwarzgefärbten Triebe einer Rose im Zeitraffer wachsen und mit diesem Körper verschmelzen. Schnee fällt, wird aufgewirbelt von Windböen, weißes Mehl wird geknetet, eine Messerklinge erscheint, ein weibliches Augenlied wird rot geschminkt, eine Träne löst sich, verwandelt sich in einen Blutstropfen, fällt in klares Wasser, mischt sich zu einer roten Flüssigkeit, die sich kreisförmig ausbreitet und die Form einer Blüte annimmt, um dann wieder in einen diffusen kreisrunden Körper überzugehen - eine ebenso wunderschöne wie surreale Vorspannsequenz voller Andeutungen und Geheimnis, die die Primärfarben dieses Films - Weiß, Rot und Schwarz - ebenso vorgibt wie einige wichtige Symbole und Leitmotive, sowie, nicht zuletzt, seinen Ton, das Verfahren der Erzählweise: In "Lady Vengeance" vermischen sich Erinnerungen der Hauptfigur mit ihren Träumen und dem realen Handlungsgeschehen und bilden ein untrennbares Ganzes. Manchmal ist nicht auf den ersten Blick erkennbar, auf welcher Erzählebene wir uns gerade bewegen, doch wenn dies der Fall ist, hat es Methode.

Augenblicke von atemberaubender Schönheit

Denn überaus souverän und noch eleganter als in seinen vorherigen Filmen bedient sich Park Chan-wook, neben Kim Ki-Duk heute der international bekannteste und wichtigste Regisseur der koreanischen "Neuen Welle", der verschiedenen narrativen Mittel. Mal bleibt alles ganz konventionell, dann wieder erinnern Splitscreens und wegklappende Bilder an Erzählweisen des Comics oder es kommt stattdessen zu fließenden Übergängen zwischen Zeit- oder Raumebenen durch einen Kameraschwenk oder eine Überblendung. Der Gesamteindruck ist musikalisch, und zwar nicht der schneller Beats oder sich wiederholender Rhythmen; dieser Film hat den langen Atem einer Symphonie, holt aus und lässt sich Zeit, um die ausgebreiteten Bestandteile dann im letzten Drittel zu einer Klimax zu verdichten.

Auch Räume und Einstellungen sind in ausgesuchtester, extrem virtuoser Weise stilisiert, und verstecken dies nicht, ohne dass sich die Form hier je in den Vordergrund schübe, zum Selbstzweck würde. Immer wieder erzeugt Park filmische Augenblicke von atemberaubender Schönheit, etwa, wenn wir die Hauptfigur, umrahmt von zwei brennenden roten Kerzen in einem knallrot gestrichenen Raum vor einem Schminkspiegel sitzen sehen, dessen aufgeklappte Seiten ihr Gesicht verdreifachen - wie vor einem Altar.

"Why don't you screw yourself?"

Die eigentlich ganz klare, einfache Geschichte teilt sich grob in zwei Hälften. In ihrem Zentrum steht Geum-ja, eine junge Frau Anfang 30. Gleich zu Beginn wird sie nach 13 Jahren aus der Haft entlassen. Ernst, fast ausdruckslos wirkt sie, voller gebändigter Leidenschaft. Noch vor dem Gefängnistor weist sie einen weißen Tofu, in Korea ein Symbol moralischer Reinigung, das ihr ein von einem Weihnachtschor begleiteter katholischer Priester überreicht, rüde zurück. "Why don't you screw yourself?"

Mit der Zeit versteht man, dass dies nicht nur moralische Provokation ist: Geum-ja fühlt sich alles andere als "rein", sie leidet unter tiefen Schuldgefühlen, zugleich ist sie von Sehnsucht nach Rache getrieben. Stück für Stück entfaltet der Film nun virtuos im Wechsel aus Geum-jas ersten Schritten in Freiheit, Schlaglichtern aus der Gefängniszeit, TV-Nachrichtenbildern und Erinnerungsfetzen zunächst eine komplexe Vorgeschichte: Geum-ja wurde erpresst, den Mord an einem sechsjährigen Jungen zu gestehen, den sie nicht beging. Jetzt will sie sich an dem, der so ihr Leben zerstörte, rächen, und zugleich die eigenen Schuldgefühle verringern. Denn der wahre Täter, der Lehrer Baek, brachte in der vergangenen Dekade noch mehrere andere Kinder um.

Nebenbei erfährt man auch viel über die anderen Häftlinge und ihre Taten, und man erlebt die Mechanismen der medialen Öffentlichkeit, die zumindest mitverantwortlich dafür ist, dass aus Geum-ja eine Rächerin wird. So entsteht zugleich auch ein Profil von Geum-ja's zutiefst ambivalenter Persönlichkeit.

Für die einen ist sie - "They say, she's a real angel", "Everyone in there calls her kind-hearted " - ein strahlender Unschuldsengel, von Mitleid getrieben, eine weltliche Heilige, die sich für andere aufopfert, und einer Mitgefangenen sogar eine Niere spendet - dies ist auch eine von vielen Anspielungen auf die beiden Vorgängerfilme von Parks "Rachetrilogie", "Sympathie for Mr. Vengeance" und "Old Boy". Für andere ist sie eiskalt, eine "Hexe", zu jeder Gewalttat fähig.

Der Zuschauer erkennt im Verlauf des Films, dass beide Urteile zutreffen. Denn Geum-ja ist eine sehr asiatische Figur: "Lady Snowblood" oder die "Sasori"-Filme kommen einem sofort in den Sinn. Eine kontemplative Rächerin voller Humanität, aber gnadenlos gegenüber jenen, die ihr Unrecht taten. Eine Kunstfigur womöglich, obwohl hier zutiefst menschliche Charakterzüge verschmelzen, aber auch die Story ist ein offenes Konstrukt. Dem Regisseur geht es nicht um Naturalismus, sondern um eine ethische Meditation über die Rache.

Rechtsstaat, Selbstjustiz und ihr Preis

Die zweite Hälfte beschreibt, wie Geum-ja zunächst ihre geliebte Tochter ausfindig macht, die einst nach ihrer Verurteilung als Baby zur Adoption freigegeben wurde und in Australien aufwuchs, und wie sie dann versucht, ihre Rache zu vollziehen. Die Tochter zeigt sich schnell als ganz die Mutter. Das Verhältnis ist liebevoll, aber nicht unkompliziert: "Why did you dump me?" fragt sie irgendwann. Und schon zuvor sang sie:

No friend, no mother, I don't need anybody...
Wind do you know, who I am
just tell me, where I am from.

Als Geum-ja dann Baek in ihrer Gewalt hat, bringt sie es allerdings genausowenig über sich, ihn zu töten, wie sie ihn wieder freilassen kann. Es gibt keine Lösung dieses moralischen Dilemmas, also wählt sie einen dritten Weg: Sie führt die Eltern der ermordeten Kinder zusammen und überlässt die Entscheidung dem Hinterbliebenen-Kollektiv - allerdings erst, nachdem sie ihnen den Gefangenen und dann Tätervideos gezeigt hat, die die letzen schrecklichen Leidensminuten ihrer Kinder dokumentieren. Gerade diese Momente schildert Park in aufregender Weise: Man sieht eine Katze, die einen Vogel gefangen hält - was doppelt lesbar ist, auf die Kinder ebenso bezogen, wie auf den Mörder, der nun seinerseits in der Falle sitzt. Mehrfach wirft die Kamera einen Blick in Zukunft, nimmt die Reaktion und das Leid der Eltern vorweg - ein Bruch mit der Chronologie, der gleichermaßen distanziert, wie intensiviert.

Nach langer Debatte über die Alternativen Rechtsstaatlichkeit und Selbstjustiz und über ihren jeweiligen Preis entscheiden sich die Eltern für die letztere, einen "mehr personalisierten Tod" des Mörders. Gemeinsam und langsam bringen sie Baek zu Tode - und Park zeigt dieses Geschehen nicht, macht seinen Horror wie seine Banalität in wenigen, für seine Verhältnisse überaus dezenten Bildern sichtbar.

Geum-ja, die Drahtzieherin des Ganzen, hat die Eltern zwar dazu gezwungen, eine Entscheidung zu treffen und deren Härte ins Auge zu sehen, aber sie hat sich an der Tat nicht direkt beteiligt. Die ersehnte Erlösung hat sie am Ende nicht gefunden, vielleicht gerade deshalb; sie muss mit ihrer Schuld - aber was genau ist hier eigentlich Schuld? - weiterleben. "Sei weiß. Lebe weiß." sagt ihr verständnisvoll die Tochter und überreicht ihr noch einmal einen Tofu. Die Mutter beißt nicht nur zu, sie vergräbt ihr Gesicht und ihre Tränen darin.

"A woman's gotta do, what a woman's gotta do."

Rache ist also für diesen Regisseur etwas Ernsthaftes. "Lady Vengeance" ist der Abschluß von Parks Rachetrilogie, die 2002 mit dem Meisterwerk "Sympathy for Mr. Vengeance", dem narrativ ausgefeiltesten, vielfältigsten, an soziokulturellen Anspielungen reichsten und insgesamt intellektuellsten der drei Filme begann, 2003 mit dem wuchtigen Crowdpleaser "Old Boy" fortgesetzt wurde und nun hier seine poetischste Ausformung erhält.

"Lady Vengeance" ist ein hochästhetisierter, hochästhetischer Film. Neben der beschriebenen Inszenierung trifft das auch auf die Hauptfigur Geum-ja zu, der wir fast nur in coolen Posen begegnen, mit Zigarette, Sonnenbrille, High Heels. Eine Frau, die in der Kälte blieb. Ein weiblicher Dandy. "A woman's gotta do, what a woman's gotta do." Aber Kälte, Coolness sind manchmal auch nur ein Schutz vor Verzweiflung. Außerdem ist der Film voller Referenzen an andere Filme und Genres - auch des Exploitationkinos in seinem Bezug auf Frauengefängnisfilme.

Zugleich gibt es auch eine katholische Erzählebene. Motive und Verweise auf Religiöses sind zahlreich, die Hauptfigur ist als Heilige - in einer Szene strahlt sie des Nachts, jedenfalls in den Augen ihrer Mithäftlinge - und Märtyrerin verstehbar, ihre Erlösungssehnsucht und deren Scheitern wurden genannt; gleichzeitig ist sie auch eine Sünderin, die - möglicherweise - zum Guten konvertiert. "Prison is an ideal place to learn ton pray. We know, we are all sinners here." Und immer wieder wirkt sie scheinbar schon ganz entrückt, schmilzt dahin in Zwiesprache mit Gott.

Aber - und das ist ein großes Aber - trotz all dieser katholischen Attribute darf man nicht vergessen: Sie ist Buddhistin. Das erklärt sie in einer Szene dem katholischen Priester, der sie während der Haftzeit betreute - natürlich auch, um ihn zu schockieren. Ist dies wahr oder nur eine ihrer vielen Lügen. Ihren "perfekten Plan" präsentiert sie in einem Buch "The way to Dhamma". Aber wie gesagt: Wenn Geum-ja möglicherweise eine Heilige ist, ist sie doch auch eine Sünderin.

Schließlich bietet der Film auch die weltanschauliche Summe von Parks Beschäftigung mit dem Rachethema. "Lady Vengeance" versagt sich dabei ebenso allen Sadismen und reaktionären Zügen, die US-Filme über Rache und Selbstjustiz prägen - zuletzt noch "Departed" - wie reiner Ästhetisierung a la "Kill Bill" - bei aller Brillanz-, wie auch umgekehrt dem Übermut des guten Gewissens, der moralisch Arroganz all jener, die jedes Rachedenken von vornherein von sich weisen.

Gewiss: es ist eine Errungenschaft der Zivilisation, Rachedenken zu überwinden. Aber das bedeutet nicht, dass es verschwindet. Rachephantasien sind das Andere der Zivilisation, darauf besteht Park und spielt in seiner Trilogie deren Motivations- und Variationsbreite durch. "Lady Vengeance" ist, wie seine beiden Vorgängerfilme, eine moralische Fabel. Voller Zärtlichkeit für die Hauptfigur, voller Sinn für filmische Poesie und Schönheit ist dem Regisseur ein Meisterwerk gelungen.