Unerwartetes Wachstum

Die Windenergiebranche zieht für 2006 eine rosige Bilanz

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Deutschlands Windenergiebranche ist hochzufrieden. Unerwartet kräftig, und zwar gleich um 23,5 Prozent, hat hierzulande 2006 die neuinstallierte Leistung von Windkraftanlagen gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Der Weltmarkt wuchs gar um 30 Prozent.

Das Wachstum in den USA und anderen Ländern überrascht nicht gerade, aber damit, dass das Geschäft auch hierzulande 2006 so gut laufen würde, hatte niemand gerechnet. 2.233 Megawatt Leistung wurden zwischen Sylt und Oberammergau binnen Jahresfrist installiert. Der ganz überwiegende Teil davon bestand aus neuen Anlagen, doch hier und da beginnt auch bereits der Ersatz alter Windräder, die zu Beginn der 1990er Jahre errichtet wurden. Repowering nennt man das in der Branche.

Die guten Absatzzahlen relativieren ein Studie der Hamburger Messe, die für 2006 nur etwa 1.500 Megawatt Neuleistung prognostiziert hatte.

So sehen die Erwartungen der Branche aus: Der Höhepunkt des Anlagenneubaus wurde in Deutschland bereits 2002 überschritten. In Zukunft wird das Inlandsgeschäft vor allem aus dem Ersatz von Altanlagen durch neue, leistungsstärkere Windräder (dem Repowering) sowie den Offshore-Anlagen bestehen. 2006 gab es jedoch eine freudige Überraschung: Anders als in der Grafik dargestellt, stieg die Errichtung von neuen Onshore-Windrädern deutlich an. Aus: WindEnergy-Studie 2006 der Hamburger Messe

Den Grund für den unerwarteten Boom sieht Matthias Hochstätter vom Bundesverband WindEnergie (BWE) im Gespräch mit Telepolis zum einen darin, dass 2005 wegen der Bundestagswahl das eine oder andere Bauvorhaben zurückgehalten worden sei. Schließlich hatte es aus den Reihen der Union und der großen Stromkonzerne immer wieder Attacken gegen die Förderung erneuerbarer Energien gegeben, und so war manchem Bauherren offensichtlich nicht ganz klar, wie es nach der Wahl weitergehen würde. Die Bedenken sind inzwischen verflogen, der Widerstand ist zwar nicht gänzlich verschwunden, aber deutlich geringer geworden.

Zum anderen hätten zeitweise, so Hochstätter, Kapazitätsengpässe aufgrund der enormen Nachfrage auf dem Weltmarkt die Wartezeiten auf etwa zwei Jahre verlängert. Dadurch sei es zu einem Auftragsstau gekommen. Inzwischen wurden die Fertigungsstätten ausgeweitet und ein Teil des Auftragüberhangs konnte 2006 abgebaut werden. Teilweise haben die deutschen Hersteller im vergangenen Jahr ihre Produktion um bis zu 50 Prozent ausgeweitet, hieß es am Dienstag in Berlin auf einer Pressekonferenz zur Vorstellung der BWE-Jahresbilanz.

Mit den 2006 errichteten Anlagen stehen in Deutschland nun Windräder mit einer Gesamtleistung von 20.622 MW. Damit wurden im vergangenen Jahr 30,6 Terawattstunden (Milliarden Kilowattstunden) Strom erzeugt, was nach BWE-Angaben 5,7 Prozent des deutschen Stromverbrauchs ausmachte. 2005 waren es nach einer Statistik des Bundesumweltministeriums erst 26,5 Terawattstunden gewesen. Mit dieser Steigerung sieht BWE-Präsident Peter Ahmels "Deutschland ... voll auf Kurs". Das von der EU-Kommission gesteckte Ziel eines Anteils der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch von 12,5 Prozent bis 2010 könne ohne weiteres erreicht werden.

Die Energiekonzerne werden erst mit den großen Offshore-Windparks einsteigen

Den größten Zuwachs an neuen Windrädern hat es 2006 in den Bundesländern Brandenburg (509 MW), Niedersachsen (378 MW), Sachsen-Anhalt (340 MW) und Rheinland-Pfalz (182 MW) gegeben, also überwiegend an küstenfernen Standorten. Wenn man heutzutage von der Bundeshauptstadt mit der Bahn in den Westen fährt, passiert man in Brandenburg mehrere große Windparks und kann sich davon überzeugen, dass die Windenergienutzung längst nicht mehr auf die Küstenländer beschränkt ist.

"Rund 2,9 Milliarden Euro wurden 2006 in Deutschland in neue Windparks investiert", so Ahmels. Die Investoren, berichtet sein Kollege Hochstätter, sind meist Privatpersonen, Bauern zum Beispiel oder Bürgergemeinschaften. Doch auch Versicherungsfonds stecken inzwischen viel Geld in Windräder. Für die großen Energiekonzerne seien diese hingegen nicht attraktiv, so Hochstätter. Die würden erst einsteigen, wenn es mit den Offshore-Windparks losgeht. Vattenfall und E.on haben bereits angekündigt, Windparks vor den Küsten erreichten zu wollen, berichtet der BWE-Sprecher.

Die Genehmigungsverfahren für diese Vorhaben seien kompliziert und langwierig, heißt es beim BWE, aber für die nächsten Jahre hofft man, dass das Geschäft mit den Großanlagen, die zumeist von der Küste nicht zu sehen sein werden, los geht. Die Technik sei bereits vorhanden, ebenso ein Pilotprojekt bei Rostock. Verschiedene Unternehmen hätten schon geeignete Großanlagen von fünf Megawatt Leistung entwickelt. Neuen Schub habe die Entwicklung dadurch bekommen, dass der Bundestag im November per Gesetz regelte, dass die Netzbetreiber für die Leitungen zwischen Windpark und Land zuständig sind. Das macht den Betrieb der Windfarmen lukrativer.

Grafik: WindEnergy-Studie 2006 der Hamburger Messe

Weltweiter Boom

Die Hersteller können jedenfalls in eine rosige Zukunft schauen, auch wenn BWE-Chef Ahmels ein wenig über Widerstände klagt: "Neue Projekte kommen wegen anhaltender Genehmigungshindernisse schwieriger voran. Insbesondere das Repowering, der Ersatz von Altanlagen durch moderne Turbinen, bleibt deutlich hinter den Möglichkeiten zurück." Nur durch die Umsetzung neuer Projekte, insbesondere im Offshore-Bereich können die hiesigen Unternehmen ihre Stellung auf dem Weltmarkt behaupten, hieß es am Dienstag gegenüber der Presse in Berlin. Und dort wird es mittelfristig am meisten zu holen geben: Mit rund 15.000 MW Leistungszuwachs übertraf auch das weltweite Wachstum die Prognosen erheblich.

Auf allen fünf Kontinenten sind damit inzwischen rund 75.000 MW Leistung installiert. Gemessen am globalen Stromverbrauch ist das zwar minimal, aber angesichts eines sich beschleunigenden Wachstums stimmen die Zahlen dennoch optimistisch. Spitzenreiter beim Neubau waren 2006 wie schon in den Vorjahren die USA mit rund 2.800 MW. Doch die sind für die deutschen Exporteure eher ein unsicherer Kantonist. Die US-amerikanischen Förderprogramme bestehen meist aus zeitlich befristeten Steueranreizen. Das gegenwärtig laufende Programm endet 2008, und keiner kann bisher sagen, ob es eine Anschlusslösung geben oder der Markt wieder einmal zusammenbrechen wird.

Mehr Beständigkeit ist dagegen in der EU und bei den beiden asiatischen Giganten Indien und China zu erwarten. Mit rund 1.500 MW bzw. bis zu 1.000 MW Leistungszubau 2006 steht dort die Entwicklung zwar erst ganz am Anfang, doch in beiden Ländern gibt es den festen Willen, den wachsenden Energiebedarf zumindest zum Teil verstärkt mit regenerativen Energien zu decken. Die Regierung in Peking hat erst Anfang Januar beschlossen, ihr Windenergieprogramm aufzustocken. Statt 5.000 MW heißt das Ziel für 2010 jetzt 8.000 MW. 45.6 Milliarden Yuan (rund 4,56 Milliarden Euro) sollen bis 2010 für den Bau von Windenergieanlagen ausgegeben werden. Insgesamt sind für den ganzen Sektor erneuerbare Energien für die nächsten 15 Jahre Mittel in Höhe von 1,5 Billionen Yuan (150 Milliarden Euro) vorgesehen. Von diesem Kuchen möchten sich deutsche Hersteller gerne ein Stücken abschneiden.