Wie scharf sollen Porno-Bilder sein?

Mit der Ankunft des superscharfen HD-DVD-Formats stellen sich in der Pornobranche und bei Porno-Darstellern Bedenken ein

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Der französische Philosoph Jean Baudrillard hat schon vor vielen Jahren gesagt, dass der Drang, der Sexualität mit dem Objektiv immer näherzukommen, das Geheimnis und die Verführung zerstört und nur eine kalte Obszönität schafft. Das mag auch auf die Pornografie zutreffen, die zwar höchste Nähe des Beobachters suggeriert, aber trotzdem in auratischer Distanz bleiben muss, um ihren Suchteffekt zu entfalten. Allerdings dürfte auch hier mit dem interaktiven virtuellen Sex ein neuer Schritt eingeleitet werden, obgleich auch mit dem gemeinsamen realen und virtuellen Geschlechtsakt die Distanz gewahrt bleibt.

Kürzlich wurden wieder einmal neue Teledildonik-Spielzeuge vorgestellt. Dabei werden nicht mehr nur einfache Vibratoren für die weiblichen und männlichen Geschlechtsorgane verwendet. Der an den USB-Eingang anschließbare Penis-Stimulator (virtual vagina) wird über einen mit Sensoren ausgestatteten "virtual stick" gesteuert. Dieser muss nicht wirklich von einem Menschen in Form der Tele-Prostitution bedient werden, sondern kann auch, worauf das Geschäftsmodell wohl vor allem setzt, synchron zu Filmen gesteuert werden ("7-motors simulate completely as of a women's mouth, hands and sensation of insertion as it interlock with images. Every stroke will be transmitted to the virtual vagina.") Entsprechend gibt es für Frauen einen Vagina-Stimulator (virtual butterfly). Man setzt also nicht auf wirklichen virtuellen Sex, sondern auf kalkulierte, pornografische Erregung, was den an der Sexmaschine hängenden Mann oder die Frau dann wohl auch in der erforderlichen Distanz bleiben lässt, um der (fern)gesteuerten Erregung freien Lauf lassen zu können.

Auch hier wird also der Abstand zwischen Simulation und Wirklichkeit weiter gewahrt. Möglicherweise sollen virtueller Sex und Pornografie trotz aller Suggestion von körperlicher Nähe und Interaktion gar nicht den Sprung zur Simulation, zum immersiven Eintauchen in die Virtuelle Realität machen. Das scheint auch in anderer Hinsicht zuzutreffen, wie die New York Times Befürchtungen aus der Porno-Szene vor hochauflösenden Filmen im HD-DVD-Format schildert. Eigentlich müssten, sollte man meinen, die Bilder, die noch genauer und schärfer alles in Nahaufnahme zeigen, den pornografischen Genuss steigern. Allerdings könnte es sein, dass die Porno-Liebhaber genau die aufdringliche Körperlichkeit verabscheuen und zwar den Anschein haben wollen, aber die Details der Wetware wie Runzeln, Rötungen, Schweiß, Pickel und andere kosmetisch oder anderweitig nicht zu verbergende Unvollkommenheiten.

Porno-Darstellerinnen fürchten offenbar die Sichtbarkeit von Ausschlägen nach dem Rasieren der empfindlichen Teile. Regisseure sagen, dass das HD-Format die Zuschauer in den Raum stellen – was sie offenbar nicht wollen. Für den pornografischen Zuschauer muss die Illusion der Distanz bei größtmöglicher Nähe aufrecht erhalten werden. Die Männer, die Produzenten und Regisseure der Pornos, sehen, so schreibt die New York Times, die Zukunft dennoch in den superscharfen Bildern – allerdings werden diese dann vermehrt überarbeitet, um den Schein zu wahren. Die Hautfarbe wird verändert, die Kontraste werden gemildert, Frauen unterziehen sich erneuten kosmetischen Operationen, weil beispielsweise die Brustimplantate zu deutlich sichtbar werden. Offenbar sorgen sich vor allem die Porno-Darstellerinnen – von den Porno-Darstellern ist seltsamerweise nicht die Rede, aber vermutlich ist hier die Körperästhetik nicht so dominant -, dass sie durch die scharfen Bilder nicht mehr so scharf aussehen.

Vielleicht wollen viele Porno-Liebhaber auch nicht den Schein, sondern zur Wirklichkeit durchdringen, hinter der jede Verführung und jedes Begehren verschwindet. Wenn alles zu nah und zu scharf wird, löst sich das Geheimnis auf. Auch das könnte ein Teil des pornografischen Begehrens sein. Zumindest gibt es wie überall nicht den Porno-Kunden, sondern viele, offenbar auch extreme und absonderliche Geschmäcker, die mitunter am Ekligen und Abstoßenden ihre Freude haben und sie, versteckt in ihren Kammern vor den Bildschirmen, ausleben können und wollen. Vielleicht wollen manche pornografische Aufklärung, was auch heißt: Ent-Täuschung. Und das könnte für die Karriere und für die Branche geschäftsschädigend sein, die dann doch lieber den Schein und das Verschwommene aufrechterhalten, um das Begehren zu wecken, aber nie ganz zu erfüllen.

Die Meinungen scheinen jedenfalls geteilt zu sein. Ein Porno-Regisseur meint, dass auch die Realität, beispielsweise Zellulitis, die mit den scharfen Bildern besser sichtbar wird, durchaus sexy sein könnte: “People look to adult movies for personal contact, and yet they’re still not getting it. HD lets them see a little bit more of the girl.” Die (optische) Nähe würde also die Wirklichkeitsillusion gerade positiv fördern.

Die Frage, wie nahe wir der Wirklichkeit in den Medien kommen wollen und ob wir Illusion und nicht Simulation benötigen, stellt sich freilich nicht nur bei Pornos. Bislang geht technisch der Trend zur Simulation, also zur versuchten Aufhebung des Unterschieds zwischen Wirklichkeit und Illusion. Aber das Spielen zwischen diesen Ebenen dürfte nicht nur sexuell, sondern auch anderweitig ein wichtiges Element der (alten?) Kultur sein, schließlich macht es das Spiel auch aus, das der letzten und daher obszönen Wahrheit nicht bedarf..