Theologischer Etikettenschwindel

Konkordatslehrstühle: Die Unterwanderung von Philosophie, Soziologie und Pädagogik durch katholische Theologie. Ein Interview mit Konrad Lotter

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Ein Konkordatslehrstuhl ist ein Lehrstuhl, der nicht in einer theologischen Fakultät angesiedelt ist, bei dessen Besetzung die Katholische Kirche aber dennoch entscheidenden Einfluss nimmt, also der Vatikan definitiv mehr als ein Wörtchen mitzureden hat. Was auf diesen Lehrstühlen meist ohne Kenntnis der Studierenden gelehrt wird, ist eine von der katholischen Kirche gefilterte Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaft, die allerdings staatlich finanziert wird. Während das öffentliche Interesse an der christlichen Religion ständig zurückgeht, besitzt die Kirche aufgrund eines Vertrags zwischen dem Freistaat Bayern und dem Heiligen Stuhl aus dem Jahre 1924 die ungeschmälerte Möglichkeit, Einfluss auf Forschung und Lehre zu nehmen.

Paradoxerweise wird ihr dabei das Recht zugestanden, auch jene Studenten auszubilden, die sich nicht für ein Studium der Theologie entschieden haben. Ein Gespräch mit Konrad Lotter, Philosoph und Redakteur des “Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie“, der im Rahmen der neuesten Ausgabe "Glaube oder Vernunft. Zur Kritik der Religion" über die Rolle der Konkordatslehrstühle in Bayern recherchiert hat.

Was sind Konkordatslehrstühle überhaupt?

Konrad Lotter: „Konkordatslehrstühle“ sind Lehrstühle außerhalb der theologischen Fakultät, deren Besetzung aber von der katholischen Kirche abhängig ist. Solche Lehrstühle gibt es auch in anderen Bundesländern, z. B. an den Universitäten in Düsseldorf, Mainz, Bonn, Köln oder Münster, vor allem aber in Bayern. Ihre rechtliche Grundlage ist das Konkordat, das Bayern mit dem Vatikan im Jahre 1924 geschlossen hat und das seitdem mehrmals geändert wurde.

In seiner ursprünglichen Fassung lautet der entsprechende Artikel 4 §2: an den Universitäten München und Würzburg sei in den beiden Fächern Philosophie und Geschichte jeweils ein Lehrstuhl einzurichten, gegen dessen Inhaber „hinsichtlich seines katholisch-kirchlichen Standpunktes keine Erinnerung zu erheben“ sei. Man zielte auf ein breiteres, über die Studenten der Theologie hinausgehendes Publikum; nach der gescheiterten Räterepublik räumte der Staat der katholischen Kirche einen größeren Spielraum bei der Modellierung der öffentlichen Meinung und der Festigung der konservativen Tendenzen ein.

21 Konkordatslehrstühle in Bayern

Gilt dieser Vertag immer noch? Wie stellt sich die heutige Situation der Konkordatslehrstühle dar?

Konrad Lotter: Die für die heutige Situation maßgebenden Änderungen des Konkordatsvertrags erfolgten 1968, 1974 und 1978. Im Jahre 1968 wurde in Bayern die Bekenntnisschule, d.h. die nach Konfessionen getrennte Unterrichtung der Grundschüler, abgeschafft; an ihre Stelle trat die christliche Gemeinschaftsschule als Regelschule.

Dafür war eine Veränderung der bayerischen Verfassung notwendig, die die Vorgaben des Konkordatsvertrags verletzte. Der politische Preis, den der Staat der katholischen Kirche zahlte, um ihre Zustimmung zu erhalten, war eine Ausweitung der Konkordatslehrstühle, sowohl nach der Anzahl der Universitäten als auch nach der Zahl der Fächer. Der bayerische Staat verpflichtete sich weiter, auch an den bisherigen Pädagogischen Hochschulen in München, Augsburg, Bamberg, Nürnberg, Regensburg und Würzburg je eine Professur für Pädagogik und je einen Lehrauftrag oder eine Professur für Philosophie der Kirche zu überlassen, die nun darüber befinden konnte, ob gegen den „katholisch-kirchlichen Standpunkt“ der Bewerber Einwände zu erheben seien oder nicht.

Zu den Konkordatslehrstühlen an den Universitäten kamen also die an den pädagogischen Hochschulen, zu den Fächern Philosophie und Geschichte auch noch das Fach Pädagogik. Hatte die Kirche den Kampf um die Bekenntnisschule verloren, so hatte sie doch bei der Hegemonie um der Ausbildung der Lehrer an Einfluss gewonnen.

Wie viele Konkordatslehrstühle gibt es jetzt eigentlich?

Konrad Lotter: Die Eingliederung der pädagogischen Hochschulen in die Universitäten (1972) und die Gründung neuer Universitäten (Bamberg, Passau) machten 1974 und 1978 weitere Anpassungen des Konkordatsvertrags erforderlich.

Nun war es die Studentenbewegung von 1968, die den Staat aufgeschreckt und veranlasst hatte, den rebellischen Forderungen der jungen Generation eine religiös-restaurative Gegenkraft entgegenzusetzen. Zum einen erhielten jetzt alle sieben bayerischen Universitäten Konkordatslehrstühle; zum anderen wurden die Konkordatslehrstühle in Geschichte, das ohnehin vom Geist des Konservatismus beherrscht war, durch solche der Soziologie oder der Politologie ersetzt, die im Zuge der Studentenbewegung an Bedeutung gewonnen hatten.

Artikel 3 §5 der noch heute gültigen Fassung des Vertrags lautet: „Der Staat unterhält an der Universitäten Augsburg, Erlangen-Nürnberg, München (Ludwig-Maximilians-Universität), Passau, Regensburg und Würzburg sowie an der Gesamthochschule Bamberg an einem für das erziehungswissenschaftliche Studium zuständigen Fachbereich je einen Lehrstuhl für Philosophie, für Gesellschaftswissenschaften und für Pädagogik, gegen deren Inhaber hinsichtlich ihres katholisch-kirchlichen Standpunktes keine Erinnerung zu erheben ist.“ Drei Lehrstühle an sieben Universitäten: das ergibt 21 Konkordatslehrstühle.

Das sind erstaunlich viel. Warum ist dieser Umstand so wenig bekannt? Wird die Existenz von Konkordatslehrstühlen wie ein Staatsgeheimnis gehütet?

Konrad Lotter: Die Inhaber der Konkordatslehrstühle herauszubekommen war in der Tat nicht ganz einfach. Die Erzdiözese München-Freising hat mich an das Wissenschaftsministerium, das Wissenschaftsministerium an die Pressestellen der Universitäten verwiesen, die Pressestellen gaben z.T. vor, von der Existenz der Konkordatslehrstühle nichts zu wissen oder verweigerten die Aussage unter Berufung auf den Datenschutz. Ich hatte den Eindruck, man will die Angaben zurückhalten, um eine öffentliche Diskussion, die ja gerade im Zusammenhang mit den neu erhobenen Studiengebühren brisant werden könnte, zu vermeiden.

Sie haben die Namen aber doch herausbekommen?

Konrad Lotter: Ja, aber nur nach langem Telefonieren und der Hilfe einer Landtagsabgeordneten aus den Reihen der Opposition. An der Universität München (LMU) sind die Konkordatslehrstühle beispielsweise mit Wilhelm Vossenkuhl (Philosophie), Norbert Braun (Soziologie) und Hartmut Ditton (Allgemeine Pädagogik, Erziehungs- und Sozialisationsforschung) besetzt. Die vollständige Auflistung der insgesamt 21 Professoren kann man in meinem Artikel im “Widerspruch“ nachlesen.

Wie ist das quantitative Verhältnis von Konkordatslehrstühlen und normalen Lehrstühlen?

Konrad Lotter: Vergleicht man die Gesamtzahl der jeweiligen Lehrstühle an bayerischen Universitäten mit der Zahl der Konkordatslehrstühle, so ergibt sich folgendes Szenerie: Von 31 Lehrstühlen für Pädagogik sind 7 von der katholischen Kirche kontrolliert (22,6%); von 12 Lehrstühlen in Politikwissenschaft 3 (25%); von 12 Lehrstühlen in Soziologie 4 (33,3%); von 19 Lehrstühlen in Philosophie haben 7 eine katholische Ausrichtung (36,8%).

So war es im Jahr 1997 und wurde aufgrund einer Anfrage im Landtag offiziell mitgeteilt. Durch die verstärkte naturwissenschaftliche Ausrichtung der Universitäten und die Kürzung der finanziellen Mittel für die Geisteswissenschaften hat sich das Verhältnis mittlerweile weiter zugunsten der katholisch ausgerichteten Lehrstühle verschoben, die von diesen Kürzungen nicht betroffen waren.. Nehmen Sie nur die Philosophie!

In München etwa besteht neben dem Konkordatslehrstuhl in Philosophie auch noch der sogenannte Guardinilehrstuhl für „Christliche Weltanschauung und Religionsphilosophie“, der traditionellerweise mit einem Katholiken besetzt ist und vor einigen Jahren in „Lehrstuhl für Philosophie der Religionen Europas“ umbenannt wurde. Außerdem hat man den „Lehrstuhl für Geistesgeschichte und Philosophie der Renaissance“ (ehemals Ernesto Grassi und Eckhard Keßler) in einen „Lehrstuhl für Wirtschaftsethik“ umgewandelt, der ebenfalls kein Konkordatslehrstuhl ist, auf den aber trotzdem ein durch sein Studium der katholischen Theologie und seine Lehrtätigkeit an der Katholischen Hochschule in Eichstätt ausgewiesener Katholik berufen wurde.

In Passau existieren zwei Lehrstühle für Philosophie: einer ist innerhalb der Katholisch-theologischen Fakultät, der andere ist der Konkordatslehrstuhl an der Philosophischen Fakultät. Es gibt an dieser Universität somit überhaupt keine Möglichkeit, eine Philosophie zu studieren, die keine katholischen Prämissen hat.

Gegen die Pläne der Regierung, den Lehrstuhl für Philosophie überhaupt einzuziehen, hat sich dort mittlerweile eine "Liste Widerstand" gebildet, die mit dem Erhalt dieses Lehrstuhls zugleich für eine „konkordatsfreie vollständige Fachvertretung“ kämpft. Eine solche, die nach einem Urteil der Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 11. April 1980 an jeder Universität gesichert sein müsste, ist seit über zehn Jahren nicht vorhanden

Katholische Wertvorstellungen über das Studium

Könnte man bei einer solchen Überrepräsentation katholisch inspirierter Philosophie nicht geradezu von einer „Indoktrination“ sprechen?

Konrad Lotter: Das herauszufinden wäre die Aufgabe kritischer Studenten.. Die einfache Frage, ob nicht schon das Anforderungsprofil der Lehrstuhlinhaber im Widerspruch zu der von Max Weber erhobenen Forderung nach Wertfreiheit der Wissenschaft steht, könnte den akademischen Dialog beleben. Einige Konkordats-Philosophen, wie der emeritierte Robert Spaemann betätigen sich ja explizit als Propagandisten des Katholizismus, indem sie die von der Kirche vorgegebenen Positionen zur Frage der Abtreibung, der Genmanipulation, des Naturschutzes, zur Evolution etc. philosophisch vermitteln.

Von den meisten anderen Professoren ist dagegen gar nicht bekannt, dass sie Inhaber von Konkordatslehrstühlen sind. Sie betätigen sich gewissermaßen undercover und lassen ihre Glaubensüberzeugungen unterschwellig in den wissenschaftlichen Diskurs einfließen. Leider sind viele Studenten naiv. Sie studieren Philosophie, Soziologie, Politikwissenschaft oder Pädagogik studieren und merken gar nicht, wie ihnen – über ihr Studienfach vermittelt – katholische Wertvorstellungen nahegebracht werden.

Wie steht es denn speziell mit der Philosophie an Bayerns Hochschulen?

Konrad Lotter: Was in Bayern als Philosophie gelehrt wird, so kann man die heutige Situation allgemein charakterisieren, ist – direkt oder verklausuliert – zum allergrößten Teil nur eine katholisch-gefilterte Philosophie oder – positiver ausgedrückt – eine von der katholischen Theologie inspirierte Philosophie.

Dieser Umstand ist umso bemerkenswerter, als seit der Romantik kein nennenswerter Philosoph mehr aus dem Lager des Katholizismus hervorgegangen ist. Von den genannten Konkordatslehrstühlen abgesehen, gibt es in Bayern auch noch zwei Hochschulen, die explizit katholisch sind und ebenfalls Philosophie unterrichten, die Katholische Hochschule in Eichstätt und die von den Jesuiten betriebene Hochschule für Philosophie in der Münchner Kaulbachstraße. Letztere hat gegenwärtig etwa 600 Studenten und beschäftigt 20 Professoren /Dozenten und 30 Lehrbeauftragte. Ihr Ziel ist nach eigenen Angaben „methodisch auf die Grundlagen des gläubigen Daseins zu reflektieren und die Beziehung zwischen Philosophie und Theologie zu durchdringen“.

Direkter Zusammenhang von Reichskonkordat und Ermächtigungsgesetz

Noch einige Fragen zur politischen Bedeutung der Konkordatslehrstühle. Welche Rolle spielten sie denn in der Zeit des "Dritten Reichs"?

Konrad Lotter: Die politische Bedeutung erschließt sich erst dann, wenn man das Konkordat von 1924, das selbst eine lange Vorgeschichte besitzt, mit dem Reichskonkordat von 1933 in Zusammenhang bringt. Der Widerstand, den die katholische Zentrumspartei und die katholischen Bischöfe der NSDAP zunächst entgegengebracht hatten, wurde durch die Papst hintertrieben.

Pius XI. schätzte Hitler als „den ersten und einzigen Staatsmann“, der „öffentlich gegen den Bolschewismus rede“. Kurze Zeit später stimmte die Zentrumspartei dem „Ermächtigungsgesetz“ zu und auch die Bischöfe erklärten offiziell, die Ziele der NSDAP seien mit denen des Katholizismus vereinbar. Der Papst hatte sich mit seiner Bündnispolitik mit Hitler durchgesetzt und dem widerständigen politischen Katholizismus den Garaus gemacht.

Als Gegenleistung dafür erhandelte er sich einerseits Garantien für den ideologischen Besitzstand der Kirche wie die Beibehaltung und Erweiterung der katholischen Bekenntnisschulen, die Sicherung des obligaten Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen, den Fortbestand theologischer Lehrstühle, die Zusicherung der Gefängnis- und Militärseelsorge – und auch der Konkordatslehrstühle.

In § 2 des Reichskonkordats wird ausdrücklich festgehalten, dass die bestehenden Länderkonkordate (wie z.B. das mit Bayern von 1924) in Kraft bleiben. Andererseits erringt die Kirche auch bedeutende materielle Vorteile: staatliche Subventionierungen wie z.B. die Finanzierung des Religionsunterrichts, der theologischen Fakultäten oder der Konkordatslehrstühle bleiben erhalten, die Kirchensteuer wird nun erstmals durch den Staat eingetrieben und der Kirche überwiesen – ein Betrag von jährlich 450 Millionen Reichsmark.

Zwischen dem Ermächtigungsgesetz und dem Abschluss des Reichskonkordats besteht also ein unmittelbarer Zusammenhang?

Konrad Lotter: Auf diesen Zusammenhang hat K. D. Bracher erstmals aufmerksam gemacht. Andere Historiker haben seine These bestätigt. Überwiegend wird das Konkordat allerdings nur als eine „taktische Meisterleistung“ Hitlers gewürdigt. Zum einen hatte es eine Opposition ausgeschaltet, die sich aufgrund ihrer internationalen Organisiertheit nicht „gleichschalten“ ließ, zum anderen hatte es Hitler salonfähig gemacht, denn das Bündnis mit dem Papst öffnete ihm die Türen zur internationalen Diplomatie.

Darüber geriet in Vergessenheit, dass das Bündnis mit Hitler auch auf der Linie der päpstlichen Interessen lag. Durch den Verzicht auf politische Opposition, der von wenigen individuellen Ausnahmen abgesehen die schweigende Tolerierung des Terror-Regimes zur Folge hatte, konnte man sich institutionelle und finanzielle Vorteile erwerben, Positionen besetzen und Einfluss-Sphären sichern.

Odium der Kollaboration

Wie verhielten sich die Konkordatslehrstuhlinhaber während des „Dritten Reiches“?

Konrad Lotter: Es ist bekannt, dass die bayerischen Konkordatslehrstühle während des „Dritten Reiches“ relativ unbehelligt fortexistieren konnten. Pläne, sie in Lehrstühle für nationalsozialistische Weltanschauung umzuwidmen, wurden nicht nachhaltig verfolgt.

Als Privatpersonen waren die Inhaber der philosophischen Konkordatslehrstühle Hans Meyer in Würzburg und F. J. von Rintelen in München wohl konservativ, aber keine Nazis; sie standen sogar im Rufe der Opposition gegen das Regime. An der Institution der Konkordatslehrstühle hängt gleichwohl das Odium der Kollaboration mit dem Nationalsozialismus. Der politische Preis, den der „Heilige Stuhl“ für ihren Fortbestand bezahlt hatte, war die Beihilfe zu Hitlers Ermächtigung und der vertraglich zugesicherte Verzicht, sich seiner Politik entgegenzustellen.

Wie ging es nach 1945 weiter?

Konrad Lotter: Im Falle der Lehrerbildung und der Schulen haben sich die Machthaber im „Dritten Reich“ nicht so genau an die vertraglichen Vereinbarungen mit der katholischen Kirche gehalten, wie im Falle der Konkordatslehrstühle. Kaum hatte sich das neue Regime gefestigt, so wurden zuerst die Lehrerbildung (1935), dann die gesamte Volksschule (1937/38) entkonfessionalisiert; die Gemeinschaftsschule wurde zur Regelschule.

Der Vertragsbruch ermöglichte es der Kirche, sich nach dem Zusammenbruch als Opfer der Naziherrschaft darzustellen – und ihren Beitrag zur Machtergreifung ebenso zu verschweigen, wie ihre Duldung der Judenvernichtung oder die organisierte Fluchthilfe für Nazi-Prominenz nach Südamerika im Jahre 1945 durch den unvergessenen Bischof Hudal. Er ermöglichte aber auch, dass die Rekonfessionalisierung der Schulen und der Lehrerbildung während der Adenauer-Zeit unmittelbar an den Konkordatsvertrag von 1933 anknüpfen konnte. Auch die Konkordatslehrstühle blieben bestehen.

Klage beim Verfassungsgerichtshof

Gab es denn keinen Widerstand gegen den Fortbestand der Konkordatslehrstühle?

Konrad Lotter: 1977 wurde beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eine Popularklage gegen die am 25. September 1974 beschlossene Veränderung des Konkordatsgesetzes von 1924 eingereicht, die eine Erweiterung der Konkordatslehrstühle festschrieb.

Darin wurde versucht, deren Verfassungwidrigkeit durch drei Argumente zu belegen. Erstens schränke die Existenz der Konkordatslehrstühle das in Artikel 107 Abs. 4 und Artikel 116 der Bayerischen Verfassung gewährte Grundrecht auf freien, religionsunabhängigen Zugang zu öffentlichen Ämtern ein; zweitens verletze es die in Artikel 107 gewährleistete Freiheit der Wissenschaft, indem es durch Vorauswahl einer bestimmten Ausrichtung den Vorzug gebe und die Chancengleichheit der Bewerber beeinträchtige; drittens besitze das „geschichtliche Herkommen“ eines Anspruchs keine Priorität gegenüber einer „verfassungsrechtlichen Neuordnung“.

Und das Ergebnis?

Konrad Lotter: Die Klage wurde am 11. April 1980 mit dem Argument zurückgewiesen, es gebe eine gemeinsame Verantwortung von Staat und Kirche im Bereich der Erziehung und Bildung, so dass der Staat bei der Einhaltung der Bildungsziele auf die Zusammenarbeit mit den christlichen Kirchen angewiesen sei. Es wird wohl die Richtigkeit der Einwände anerkannt, zugleich aber darauf hingewiesen, dass im Zuge der „Werteabwägung“ bei kollidierenden Grundrechten die Grundrechte einzelner Personen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden könnten.

Das heißt dann wohl, dass die Konkordatslehrstühle bis in alle Ewigkeit fortbestehen?

Konrad Lotter: Das heißt es nicht unbedingt. Verfassungsurteile beruhen prinzipiell auf einem gesellschaftlichen Konsens und müssen deshalb auch nach dem Urteil führender Verfassungsrichter alle 20 oder 30 Jahre überprüft werden. Inzwischen haben sich die gesellschaftlichen Zustände, die der Begründung des Verfassungsurteils zugrunde lagen, stark verändert.

Durch die Wiedervereinigung ist die Anzahl der Konfessionslosen erheblich angestiegen; durch Migration hat sich der Anteil anderer Religionen (wie z.B. des Islam) vergrößert; durch millionenfache Austritte ist die Bedeutung der beiden Großkirchen geschrumpft. Die sonntäglichen Kirchenbänke werden immer leerer. Im Jahre 2004 lag die Zahl der Konfessionslosen (32,4 % der deutschen Bevölkerung) erstmals höher, als die der Protestanten und der Katholiken (jeweils ca. 31 %).

Kann man unter diesen Bedingungen noch von der gemeinsamen Verantwortung von Staat und katholischer Kirche auf dem Gebiet der Bildung und Erziehung sprechen? Müssten, wenn man sich schon weigert, die Konkordatslehrstühle abzuschaffen, nicht auch den Protestanten, den Muslimen, den Juden, den aufgeklärten Atheisten oder anderen „gesellschaftlich relevanten Gruppen“ wie z.B. den Gewerkschaften eigene Lehrstühle eingerichtet werden?

Lässt die enge Verbindung von Staat und Kirche, die in den Konkordatslehrstühlen zum Ausdruck kommt, nicht den Verdacht des Fundamentalismus aufkommen?

Konrad Lotter: In der Tat. Neben den sozialen Veränderungen gibt es auch politische Gründe, die für eine Aufhebung der Konkordatslehrstühle sprechen. Der Kampf gegen den Terrorismus hat die Sensibilität gegenüber fundamentalistischen Staaten wie etwa den Iran erhöht. Wo sich politische und religiöse Führung mischen und zu einer Einheit verschmelzen, besteht die Gefahr von Irrationalität, Unberechenbarkeit und Fanatismus.

Als europäisches Ideal schwebt dagegen der Laizismus vor, wie z.B. in Frankreich, wo Staat und Kirche prinzipiell getrennt sind: der Staat als res publica unterliegt der demokratischen Kontrolle durch die Öffentlichkeit, die Religion als res privata ist Sache des „Herzens“ und der Gesinnung, die der individuellen Entscheidung obliegt. Deutschland und insbesondere der Freistaat Bayern sind zwar keine fundamentalistischen Staaten, sie sind aber auch noch keine laizistischen Staaten, sondern stehen dazwischen.

Die Eintreibung der Kirchensteuer durch den Staat, die milliardenschwere Subventionierung der beiden christlichen Kirchen (z.B. auch durch die Befreiung von Grund- und Kapitalertragssteuern), der Dschungel von „altrechtlichen Staatsleistungen“, die – man höre und staune – sich noch aus der Zeit der Säkularisierung, dem Deputationshauptschluss von 1803, herleiten und zu einem System von „ewigen Renten“ entwickelt haben, vertragen sich ebenso wenig mit den Vorstellungen eines modernen, laizistischen Staats, wie die aufwendige Finanzierung des staatliche verordneten Religionsunterrichts oder der Konkordatslehrstühle durch den Steuerzahler.

Wir leben doch aber im „christlichen Abendland“!

Konrad Lotter: Zweifelsohne hat Europa hat seine Wurzeln auch im Christentum. Was es von anderen Kontinenten und Kulturen aber grundsätzlich unterscheidet, sind die Epochen der Renaissance und des Humanismus, der Aufklärung, der Philosophie und der Wissenschaft, die allesamt zur Emanzipation vom Christentum geführt haben. Bildungsmäßig anzueignen wäre nicht die Religion, sondern die schrittweise Befreiung von der Religion. Die romantischen Vorstellungen von Europa als christlichem Abendland gehören der Vergangenheit an.

Unvereinbarkeit von Philosophie und Religion

Sind denn Religion und Philosophie nicht miteinander verwandt? Verfolgen sie nicht die gleichen Ziele?

Konrad Lotter: Das Organ der Philosophie ist die Vernunft; das Organ der Religion ist der Glaube. Trotz der ständigen Versicherung des Gegenteils von Seiten der katholischen Theologen, zuletzt auch von Seiten des Papstes in seiner Regensburger Rede, sind Vernunft und Glaube doch etwas prinzipiell Verschiedenes.

Die Philosophie setzt auf Wissenschaft, auf Überprüfbarkeit und Kommunikation; die Religion hat es mit Unbegreiflichem und mit Offenbarung zu tun. Es gibt wohl auch ein gemeinsames Interesse, die Aneignung der Welt, doch wird dieses Ziel auf völlig verschiedenen Wegen verfolgt: auf dem Weg der Vorstellung, der Bilder und Mythen bzw. auf dem Wege des Begriffs. Sobald die Religion argumentiert, verlässt sie ihr eigenes Terrain. Sobald sich die Philosophie Glaubensfragen zuwendet, versucht sie, das prinzipiell Absurde und Unvernünftige mit Hilfe der Vernunft zu durchdringen.

Demnach wären Konkordatslehrstühle in Philosophie an sich schon etwas Paradoxes, da sie das Eintreten für den Glauben und die Verankerung in der Kirche zur Voraussetzung haben.

Konrad Lotter: In der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes von 1980 wird die Ansicht der Kirche zitiert, nach der die Inhaber der Konkordatslehrstühle zwar „nicht an kirchliche Dogmen gebunden“ seien, gleichwohl aber die Aufgabe hätten, „das Verständnis für die allgemeinen Glaubenswahrheiten zu wecken“, eine „katholische Philosophie auf christlicher Grundlage“ sowie „allgemeine Werte und Aussagen, z.B. Transzendenz, Willensfreiheit, Schuldfähigkeit des Menschen ... Einehe und Familie, Einheit von Glauben und Wissen“ zu vermitteln.

Auch ohne dogmatische Bindung stehen der Ausgangs- und der Endpunkt ihres Denkens also fest. Der Anspruch der Philosophie, das Falsche zu überwinden und der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen, wird gar nicht geteilt. Vielmehr werden die Lehrstuhlinhaber von vornherein auf bestimmte Positionen verpflichtet.

Mit der Autonomie des Denkens, wie sie von Kant gefordert wird, ist es da wohl nicht weit her?

Konrad Lotter: Die Glaubwürdigkeit von Philosophen, gegen deren „katholisch-kirchlichen Standpunkt keine Erinnerung zu erheben“ ist, ist nicht sehr groß. Wer sich in der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ des Glaubens eingerichtet hat und dafür auch noch seinen Lebensunterhalt bezieht, der steht dem „sapere aude“ der Aufklärung fern. Sein Denken hat Grenzen und Voraussetzungen, die von außen vorgegeben sind und also der Autonomie des Denkens widersprechen.