"Das ist ein Krieg"

Nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen spanischen Jugendlichen und Einwanderern bei Madrid versuchen Rechtsextremisten die Lage für sich zu nutzen

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Nun ist klar, dass ein winziger Konflikt unter Jugendlichen am vergangenen Wochenende die Zusammenstöße in der Madrider Vorstadt Alcorón ausgelöst hat. In der Folge kam es zu Messerstechereien, gegen die später Hunderte Jugendliche, per SMS und Email mobilisiert, protestierten. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit jugendlichen Einwanderern und der Polizei. Auch die "Antifaschistische Vereinigung" stellte sich hinter die "Antwort" gegen "halbmafiose Gruppen aus Lateinamerika". Faschisten versuchen nun die Lage zu nutzen und mobilisieren für Samstag zu einer Demonstration. Die Polizei verhinderte gestern eine Versammlung für das friedliche Zusammenleben.

Der Anlass war nichtig. Ein Streit unter zwei jungen Frauen, in den sich später die jeweiligen Freunde, ein Bolivianer und ein Dominikaner, einmischten. Die Situation kochte weiter hoch, bis es am vergangenen Samstag zu einer Massenschlägerei kam, in die junge Einwanderer und junge Spanier verwickelt waren. In deren Verlauf wurde ein 27jähriger Spanier mit fünf Messerstichen in den Rücken verletzt, der nichts mit den Vorgängen zu tun gehabt haben soll. Eine junge Frau wurde mit zwei Messerstichen in den Rücken ebenfalls schwer verletzt.

Nun kam die Mobilisierung erst richtig in Gang. Die Einwanderer aus der dominikanischen Republik verschickten SMS an ihre Freunde, um Hilfe zu erhalten. Spanische Jugendliche mobilisierten angesichts "ihrer" Verletzten zum Protest gegen die Messerstecher aus Südamerika. Hunderte versammelten sich im Verlauf des Sonntags und es kam zu weiteren Zusammenstößen der Gruppen untereinander und mit der Polizei, die auch mit Gummigeschossen gegen die Jugendlichen vorging. Insgesamt wurden sieben Personen festgenommen, alles Einwanderer aus Südamerika.

Die spanischen Jugendlichen distanzieren sich von den schnell geäußerten Vorwürfen, sie seien Rassisten oder Faschisten. Meist halbvermummt und ohne ihre Namen zu nennen, bestreiten sie, etwas gegen Einwanderer an sich zu haben. Sie verteidigten sich und ihren Stadtteil lediglich gegen Übergriffe, da die Polizei sich nicht darum kümmere.

In den Medien wurde dagegen schnell davon gesprochen, dass Neonazis hinter den Vorgängen steckten und sich die Jugend gegen Gangs wie die der Latin Kings wendeten, welche die Gegend organisiert unsicher machten. Doch diese Gangs seien in Alcorcón genauso wenig anwesend, wie organisierte Neonazis erklärte die Polizei. Keiner der Verhafteten habe einer Gang angehört. Im Großraum Madrid habe man zwar 1.300 mutmaßliche Mitglieder von Latinogangs registriert, deren Aktivität sei aber praktisch nicht existent.

Rechtsextremisten versuchen, die Spannung zwischen den Jugendlichen für sich auszunutzen

Zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Gangs aus Lateinamerika kam es tatsächlich am Wochenende in Azuqueca de Henares (Guadalajara). Hier sind Angehörige von zwei Latinogangs mit Ketten, Prügeln und Messern aufeinander losgegangen. Es gab acht Verletzte, fünf Personen wurden festgenommen. Allerdings gibt es dort keine Reaktionen wie in Alcorcón.

Schon daher wird deutlich, dass sich in der Madrider Vorstadt etwas angestaut haben muss. Die Prügelei, zunächst unter zwei Einwanderern, war nur der Kristallisationspunkt. Es passt auch so gar nicht ins übliche Bild, dass sich die "Antifaschistische Versammlung" in der sozialistisch regierten Madrider Vorstadt hinter die spanischen Jugendlichen und nicht hinter die Einwanderer stellt. Die Antifa der Stadt, in der knapp 200.000 Menschen leben, wendet sich in ihrer Erklärung vor allem gegen die "vergiftete Darstellung in den Medien". Schaut man sich an, wie reißerisch das Thema später auch in deutsche Medien schwappte, ist diese Kritik berechtigt. So wird von einem Pulverfass vor der Explosion oder vereinfacht vom Rassismus in der Vorstadt gesprochen.

Was in unserem Stadtteil passiert, ist die Antwort der Jugendlichen von Alcorcón angesichts des großkotzigen und halbmafiosen Auftreten von Latinogruppen, die völlig straffrei einschüchtern, angreifen und erpressen, ganz im Stil von neonazistischen und faschistischen Banden.

Erklärung der Antifa

Die Antifa stellte sich mit der Erklärung hinter die Vorwürfe der Jugendlichen, die über die wachsende Gewalt, Raub und Bedrohung von Gruppen lateinamerikanischer Einwanderer klagen. Ausgerechnet einer jungen Antifaschistin, aktiv in der Hausbesetzerbewegung, sei feige in den Rücken gestochen worden. "Wir werden weder Nazis dulden, noch die, die ihre Methoden anwenden, egal welcher Hautfarbe sie sind".

Leider ist auch diese Betrachtung zu einfach. Sie lässt aus, dass im Laufe des Sonntags sich schon diverse Nazis unter die Menge mischten und ganz in ihrem Stil Jagd auf alle gemacht haben, die irgendwie nach Einwandern aussahen. Viele Einwanderer in Alcorcón trauen sich nun kaum noch auf die Straße und sind völlig eingeschüchtert. Wie an anderen Orten zuvor, versuchen faschistische Organisationen die Lage für sich zu nutzen, wie sie es zuvor schon im Madrider Stadtteil Villaverde (Spanische Polizei warnt vor Nazi-Front) und anderen Orten getan haben. Sie haben die so genannte "Ausländerfrage" zum zentralen Inhalt ihrer Propaganda gemacht, frei nach dem Konzept des Führers der "Aktionsfront Nationaler Sozialisten" (ANS) aus den 1980er Jahren.

Diverse faschistische Parteien rufen gemeinsam für Samstag zur Demonstration in Alcorcón auf. Die zersplitterten Organisationen arbeiten, angeregt von der NPD, auch an anderen Punkten in Aktionseinheiten zusammen, wie bei der Ablehnung eines Gesetzes zur Rehabilitierung der Opfer der Franco-Diktatur.

In einer SMS, die derzeit kursiert, heißt es, España 2000 und die Falange hätten sich auf den Protest am Samstag in Alcorcón geeinigt. Es sei möglich, dass auch andere Gruppen, wie die militante Gruppe Combat España, teilnehmen. "Die gesamte spanische Wut wird auf sie fallen. Schließ dich an, und sie sind früher weg", heißt es auch auf den offiziellen Webseiten der Partei España 2000, die auch einen Artikel der Zeitung El País über den Aufruf ohne Widerspruch dokumentiert.

In einem Blog der Falange wird ganz oben auf der Seite eine SMS reproduziert, die unter Jugendlichen zirkuliere und ebenfalls zu dem Protest aufruft: "Alcorón gegen die Latin Kings. Das ist unser Viertel". Später heißt es dann: "Sie werden uns nicht einschüchtern. Das ist ein Krieg. "

Angesichts der Entwicklungen haben Parteien und Gewerkschaften in Alcorcón nun dazu aufgerufen, sich nicht an deren Protest zu beteiligen. Die Sozialisten (PSOE) und die Vereinte Linke (IU) haben mit den großen spanischen Gewerkschaften ein Manifest für das "Friedliche Zusammenleben und die Toleranz" verfasst. Darin wird beteuert, dass die schlimmen Ereignisse "das friedliche Zusammenleben unserer Nachbarn" nicht beeinträchtigen werden. Aufgerufen wird, "nicht an den Versammlungen von Gruppen teilzunehmen, welche die Bestürzung über die Ereignisse manipulieren wollen und am Samstag ein Klima der Aggression" schüren wollten.

Allein die konservative Volkspartei (PP) hat wieder einmal Probleme, sich von den Faschisten zu distanzieren. Sie hat das Manifest nicht unterzeichnet. Es sei ungenügend, weil es keine Antworten biete, argumentierte die Partei, die sich auch von der Franco-Diktatur nie distanziert hat. Faschistische Parteien und Organisationen sind in Spanien legal, während man mit Verboten gegenüber linken Organisationen nicht zimperlich ist (Oberstes Gericht in Spanien erweitert den Terrorismusbegriff).

Gestern hatten verschiedene Gruppen zu einer Versammlung in Alcorón gegen den "Rassismus und die Gewalt" und "für das friedliche Zusammenleben" aufgerufen. Allerdings ließ es großes Aufgebot der Nationalpolizei nicht zu, dass sich mehr als 500 Jugendliche friedlich versammeln. Die Polizei berief sich darauf, dass die Versammlung nicht genehmigt war und drohte den Jugendlichen mit Strafen, worauf sie sich zerstreuten.