Über Nacht berühmt - ganz unverhofft

"Was einmal im Netz ist, kann man nicht wieder entfernen." Zu dieser bitteren Erkenntnis dürften in der letzten Woche einige Menschen gekommen sein, die sich ganz unverhofft im Zentrum der Aufmerksamkeit wieder fanden, weil ihre Daten von leichtfertigen Behörden veröffentlicht wurden

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Bereits seit einem Jahr sollen sie sich im Netz befanden haben, die Einsatzprotokolle des Polizeipräsidiums Südhessen (Zeitraum 6. - 12.02.2006). Bekannt wurde es jedoch erst vor kurzem und danach bemühten die Verantwortlichen sich um Schadensbegrenzung. Mit Aussagen, welche jedoch eher zur Verwirrung als wirklich zur Aufklärung des Falles beitrugen. “Einen falschen Knopf habe der Verantwortliche gedrückt”, hieß es. Dadurch wären die Daten nicht in das Intranet, sondern ins Internet transferiert worden.

Sollte das Betätigen eines falschen Knopfes tatsächlich ausreichen um vertrauliche Dokumente ins Internet zu befördern, so wäre an der technischen Infrastruktur einiges zu bemängeln. In den meisten Firmen sind Warnmeldungen normal, welche auch schon einmal dreifach darauf hinweisen, dass gerade versucht wird, als vertraulich gekennzeichnete Unterlagen im Internet zu veröffentlichen. Nicht alle Nutzer sind ferner überhaupt zu solchen Aktionen berechtigt. Meist werden Kommentare wie hochgeladene Dokumente erst noch einmal von zwei bis drei höhergestellten Mitarbeitern überprüft, bevor dann all das, was intern vorbereitet wurde, wirklich veröffentlicht wird. Andere Firmen stellen den Mitarbeitern zwei Rechner zur Verfügung, so dass Intra- und Internetzugang komplett voneinander unabhängig sind. Es hätte also, so es ähnliche Strukturen bei der Polizei gibt, mehrerer Pannen bedurft, um dieses Einsatzprotokoll ins Netz zu stellen. Doch bisher sind keine weiteren Details bekannt, wie es nun zu diesem Versehen kam.

Die Folgen sind für die Betroffenen unangenehm. Nicht nur finden emsige Adressensammler nun ein paar verwertbare Daten, vielmehr ist nun für alle lesbar, wann wer an jenem Abend unter Alkoholeinfluss ein Fahrzeug fuhr und deshalb von der Polizei gestoppt wurde, wer Drogen konsumierte usw. Da manche Betroffene oft durch eine einfache Suche im Telefonbuch gefunden werden konnten, fanden diese sich plötzlich im Zentrum der Aufmerksamkeit diverser Pressemitarbeiter wieder, hilfreiche Freunde wollten auf die Einsatzprotokolle hinweisen. Für die Betroffenen ergab sich jetzt die Frage: “Wie kann ich nun dafür sorgen, dass diese Daten nicht mehr verfügbar sind?” Und die Antwort darauf lautet logischerweise: “Gar nicht”.

Obgleich die Originaleinsatzprotokolle vom Netz genommen wurden, erwies sich als nächstes der Google-Cache als Stolperstein auf dem Weg, die einmal veröffentlichten Daten wieder zu “unveröffentlichen”. Der Suchmaschinenbetreiber Google wies darauf hin, dass eine solche Entfernung eines Dokumentes aus dem Cache nicht manuell, sondern automatisch vorgenommen wird - nach 24 Stunden. Innerhalb dieser 24 Stunden hatte das Dokument längst seinen Weg auf private Festplatten und in die Tauschbörsen gefunden, wo es weitergereicht wurde. Die Polizei zeigte sich diesbezüglich wenigstens einmal gleichermaßen einsichtig wie auch hilflos, als sie konstatierte: “Uns sind die Hände gebunden.” Bedauerlicherweise zeigte sie diese Einsicht nur im Hinblick auf den Google-Cache und sprach ansonsten davon, dass man dabei sei, die Daten wieder aus dem Internet zu entfernen.

Das Beispiel dieser Protokolle zeigt, wie schnell vertrauliche Daten in Hände derer gelangen, welche sie nicht bekommen sollten. Es zeigt aber auch wie wichtig es ist, bei Daten im allgemeinen höchste Vorsicht walten zu lassen, um nachher nicht vor dem unlösbaren Problem zu stehen, die Büchse der Pandora wieder schließen zu wollen, so wie es auch die Polizei im Falle des vermeintlichen weiblichen Missbrauchopfers versuchte.

“Die mit den Nacktphotos, Du weißt schon”

Erst in drei Fällen hatte man bisher seitens der Polizei erwogen, die Bilder eines Missbrauchsopfers zu veröffentlichen und explizit auch darauf hinzuweisen, dass das Opfer im Zusammenhang mit einem aller Voraussicht nach andauernden Missbrauch gesucht wurde. Der Fall des mittlerweile 13jährigen Mädchens aus Gütersloh war der vierte in dieser Reihe. “Fahndung erfolgreich” lautete die Meldung, die alle, die das Verfahren der Polizei gebilligt hatten, noch einmal ausdrücklich mit dem Kopf nicken ließ. Schließlich war es eine Fernsehsendung, in der, wie auch in den Printmedien, die Bilder des damals 11jährigen Mädchens gezeigt wurden, was dazu führte, dass es identifiziert werden konnte. Im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie, argumentieren viele, wäre es auch sinnvoll gewesen, darauf hinzuweisen, dass es hier um Missbrauch ging, um Kinderpornografie. Nur zwei von sechs Bildern wurden veröffentlicht und diese stellten, so die Presseinformationen, auch die einzigen Bilder dar, welche das Mädchen bekleidet zeigten. Laut BKA gab es "sehr konkrete Hinweise darauf, dass das Kind einem noch immer andauernden, schweren Missbrauch ausgesetzt sein könnte".

Der Konjunktiv in diesem Satz ließ dann auch viele aufhorchen, die in dieser Methode einen nicht zu verantwortenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Kindes sahen. Ein weiterer Kritikpunkt war die Tatsache, dass eine solche öffentliche Fahndung nach einem Missbrauchsopfer den Missbrauchenden dazu verleiten könnte, sich aus Angst einer Zeugin (nämlich des Mädchens) zu entledigen, somit das Mädchen also in Lebensgefahr gebracht wurde. Doch die mehrheitliche Meinung befürwortete das Vorgehen der Polizei und sah die Möglichkeit, den weiteren Missbrauch des Mädchens zu beenden als ausreichend für eine solche Maßnahme an.

„Erfolgreiche Fahndung“ mit Kollateralschäden

„Fahndung erfolgreich“ ist zwar sachlich richtig, da das Mädchen gefunden wurde, doch es lässt außer Acht, dass das Mädchen keineswegs, wie von den Medien berichtet, einem sexuellen Missbrauch ausgesetzt war – zumindest nicht, wenn man diesen Missbrauch im Sinne von an ihr durch andere vorgenommene sexuelle Handlungen definiert. Die Photos hatte es selbst angefertigt, nachdem man es in einem Internetchat dazu aufgefordert hatte.

Die Tatsache, dass eine 11jährige Fotos von sich anfertigt, auf denen sie sexuelle Handlungen vornimmt, und diese dann einer Chatbekanntschaft zukommen lässt, sei hier nicht weiter diskutiert. Dass das Mädchen sich schämte, diese Fotos den Eltern zu gestehen, ist verständlich. Man kann auch annehmen, dass die Fotos wahrscheinlich bereits an ihr unbekannte Menschen weitergereicht wurden. Umso weniger verständlich ist das Vorgehen der Polizei. Nicht nur gerieten die Eltern in Verruf, da für viele sie die ersten Verdächtigen für einen „weiterhin stattfindenden Missbrauch des Mädchens“ waren. Auch das Mädchen selbst hat nun mit einer unverhofften Popularität zu kämpfen weil es nicht nur als bestenfalls naiv und schlimmstenfalls dumm angesehen wird, sondern auch, weil sie als „die mit den Nacktfotos“ bekannt wurde. Bereits kurze Zeit nach dem offiziellen „Fahndung erfolgreich“-Statement konnten die Bilder mit entsprechenden Kommentaren sowie dem Namen des Mädchens versehen in Tauschbörsen gefunden werden. Die Bitte der Polizei, die Originalfotos doch bitte von den Servern zu löschen, wird wohl nur von der seriösen Presse wahrgenommen werden. Für alle anderen dienen die Fotos für lange Zeit zur Belustigung und als Anlass für Häme und Spott gegenüber der 13-Jährigen. Teilweise wird der Aufruf auch vielleicht gar nicht beachtet werden, weil den Webmastern die Zeit fehlt, jede Meldung der Polizei zu studieren - so fand sich das Bild pikanterweise gerade auch auf der Webseite des Vereins Anti Kinderporno e.V., bis die Verantwortlichen explizit darauf hingewiesen wurden, dieses Bild zu entfernen.

Marita Wagner, Betreiberin eines Forums gegen sexuellen Kindesmissbrauch und gegen die Einvernehmlichkeitslüge von Pädophilen:

Leider gibt es im Internet eine ganze Reihe von Organisationen, oder auch einfach nur Webseiten, die sich nicht unbedingt durch berufliche und/oder fachliche Kenntnisse hervortun. Wenn es um Kinder geht, fühlt sich fast jeder Mensch kompetent – insbesondere Eltern. Diese selbsternannten Experten behindern mitunter die Arbeit mehr, als sie behilflich sind. Wenn dann auch noch Übereifer hinzukommt, erlebt man manchen Auswuchs. So erlangte der frühere Vorsitzende von APK unrühmliche Berühmtheit dadurch, dass bei dem Verein CDs mit Kinderpornografie gefunden wurden. Weil nicht nachgewiesen werden konnte, dass er davon wusste, kam es zu einem Freispruch. Man sollte sich die „Experten“-Vereine schon genau anschauen und auch mal beim Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen nachsehen, ob sie ein Spendensiegel haben.

An diesem Beispiel mit dem Bild der 13-Jährigen sieht man, wie fatal es ist, wenn man Bilder zur Fahndung freigibt. Die selbsternannten Retter der Kinder und Pädophilenjäger sind dann mal wieder besonders rührig. Zum Nachteil der Kinder.

Marita Wagner

Bittere Lehre

Nicht nur für die Betroffenen sind die Vorkommnisse bitter, auch für die „Datenschutz ist Täterschutz“-Apologeten dürften sie sich als harte Nuss erweisen. Denn während man die von der Polizei kontrollierten, verwarnten oder verhafteten Damen und Herren noch mit einem lapidaren „selbst schuld“ als Argument für Datenschutz beiseite schieben und das „Wer nichts zu verbergen hat…“-Mantra wiederholen kann, stellt sich die Situation bei dem 13jährigen Mädchen anders dar.

Denn einerseits ist das Mädchen das Opfer, wurde es doch zu den Photos erst überredet, andererseits ist es im juristischen Sinne jedoch auch der Verbreitung von Kinderpornografie schuldig, was diejenigen, die die härtesten Strafe für eben diese Straftat fordern, vor Probleme stellt. Entweder sie weichen von ihrer harten Haltung ab, welche da lautet: „Kinderpornografie muss bekämpft werden, da darf es keine Ausnahmen geben“, oder aber sie machen aus einem minderjährigen Opfer einen Täter. Und so sie weiterhin „Datenschutz als Täterschutz“ ansehen, bewerten sie das Vorgehen der Polizei mitsamt all seinen Konsequenzen für das Mädchen als richtig. Dies wiederum würde heißen, dass die Situation, dass das Mädchen noch lange Zeit unter der Veröffentlichung der Bilder zu leiden hat, keine Rolle spielt, und die 13-Jährige nur ein Kollateralschaden im Kampf gegen den Kindesmissbrauch und Kinderpornographie wäre. Das wäre nun aber für jene, die ihre Meinung als Kinderschutz anpreisen, mehr als zynisch.

Es wäre allerdings kein Einzelfall - gerade wenn es darum geht, die Maxime „Datenschutz ist Täterschutz“ bzw. „nichts zu verbergen“ zu verteidigen sind Doppelmoral und Heuchelei keine Seltenheit. Für Datenschutzverstöße und schwere Eingriffe in Persönlichkeitsrechte finden sich immer Begründungen - sei es für die Regierung (Terrorismus, Raubkopierer, Neonazis, Kinderpornografen) , die Wirtschaft (Raubkopierer) oder Privatpersonen , die meinen, dass sie befugt sind zu entscheiden, wer Datenschutz oder Bürgerrechte verdient und wer nicht.