Executive Orgasms

Aus dem Kriminalfall Mosche K ist eine tiefe Krise des politischen Systems in Israel geworden

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Die Affäre Mosche hat das politische System in Israel in eine seiner tiefsten Krisen seit der Gründung des Staates gestürzt. Nicht nur, dass das Staatsoberhaupt der Vergewaltigung verdächtigt wird. Es weigert sich sogar, zurückzutreten und pöbelt stattdessen gegen jene Institutionen des Staates, die es eigentlich repräsentieren sollte. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Medien zu: Zum Einen waren sie es, die durch ihre Berichterstattung Frauen dazu ermutigt haben, sich an die Polizei zu wenden und damit das gesamte Ausmaß des Skandals zu Tage gefördert haben; zum Anderen wurden sie immer wieder von Katzaw und seinen Anwälten dazu benutzt, um sich an die Öffentlichkeit zu wenden, in der Hoffnung, dass diese sich auf ihre Seite stellen würde.

Ein Rücktritt wäre eine Bestrafung, selbst wenn am Ende seine Unschuld bewiesen werden sollte, betonen sie immer wieder; eine Amtsenthebung käme einer Vorverurteilung ohne Gerichtsverfahren gleich. Aus dieser Situation haben sich mehrere Fragen ergeben, die auch außerhalb Israels relevant sind:

  1. Wie viel kann man von einem Staatsoberhaupt verlangen?
  2. Sollte das Amt über dem Individuum stehen oder andersherum?
  3. Kann ein Amt dem Individuum Würde, Hochachtung und Integrität verleihen?

Fragen, die noch vor wenigen Tagen leicht beantwortbar schienen. Doch Mosche Katzaw müht sich nach Kräften, Zweifel zu streuen.

Die rechtliche Lage

Der für jeweils sieben Jahre gewählte Präsident ist in Israel der einzige Mensch, der nicht angeklagt werden kann, so lange er sich im Amt befindet. Zudem ist es ausgesprochen schwer, ihn seines Amtes zu entheben: Zunächst müssen mindestens 20 der 120 Parlamentsmitglieder die Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens beantragen. Dann müssen sowohl der Hauptausschuss der Knesset als auch das Parlament jeweils mit einer dreiviertel Mehrheit für die Amtsenthebung stimmen. Allerdings hat der 25köpfige Hauptausschuss des Parlamentes die Möglichkeit, ihn mit einfacher Mehrheit für drei Monate zu beurlauben. In diesem Fall übt er zwar seine Amtsgeschäfte nicht mehr aus, behält allerdings seine Immunität.

Powell Präsident Mosche Katzaw während eines Treffens mit dem ehemaligen US-Außenminister Colin Powell (Bild: MFA)

Jerusalem, Ende Januar 2007: Betreten blicken die Abgeordneten in den Fluren des israelischen Parlamentsgebäudes auf den Boden oder unterhalten sich im Flüsterton. Von Zeit zu Zeit gesellt sich eine Dame zu ihnen, hält ihnen ein Blatt Papier unter die Nase oder redet eindringlich auf ihre Gegenüber ein, fuchtelt dabei zur Unterstreichung mit den Händen. Das ist Zahawa Gal-On, Abgeordnete des linksliberalen Meretz/Jachad-Blocks und eine erbitterte Gegnerin von Mosche Katzaw, der Präsident war, bis ihn der Hauptausschuss des Parlaments wenige Minuten zuvor beurlaubte. In der stundenlangen Debatte war es nur noch am Rande darum gegangen, ob Katzaw schuldig ist oder nicht. Es war vor allem darüber gesprochen worden, ob eine Beurlaubung der richtige Weg sei, ihn loszuwerden.

Gal-On glaubt nicht daran. Sie sammelt Unterschriften für die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen ihn. „Ich bin fest davon überzeugt, dass eine Beurlaubung nicht genug ist; der Mann muss jetzt und sofort zurücktreten oder seines Amtes enthoben werden – und darauf arbeite ich hin“, sagt die Politikerin und fügt hinzu:

Glauben Sie nicht, dass mir das Spaß macht. Aber das Ansehen des Staates und seiner Institutionen hat großen Schaden erlitten; es kann nicht sein, dass dieser Mann immer noch Immunität besitzt. Wir brauchen einen Neuanfang und das so bald wie möglich. Als Privatmann hat Mosche Katzaw selbstverständlich jedes Recht, sich gegen die Vorwürfe zu wehren. Als Präsident muss sein Streben einzig und allein dem Wohlergehen des Staates dienen.

“Wir brauchen einen Neuanfang“

Doch stattdessen hat er das politische System Israels in eine Krise gerissen, die das Land so bis jetzt noch nicht erlebt hat: Fast zwei Jahre lang war der Staat von immer neuen Korruptionsskandalen erschüttert worden. Zunächst waren Regierungschef Ariel Scharon (vgl. Die Schoranos) und sein Vize Ehud Olmert unter Verdacht geraten; dann wurde der ehemalige Energieminister Gonen Segev in Amsterdam mit einem manipulierten Diplomatenpass und 32 000 Ecstasy-Pillen im Gepäck festgenommen. Der Likud-Politiker Zachi HaNegbi, der Populist Awigdor Lieberman, erneut Ehud Olmert, mittlerweile Regierungschef – sie alle und noch einige mehr gerieten ins Fadenkreuz der Fahnder und sorgten wissentlich und unwissentlich dafür, dass das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die Politiker des Landes stetig sinkt.

Die Einführung von Mosche Katzaw in das Präsidentenamt im Sommer 2000 (Bild: MFA)

Und jetzt steht auch noch das Staatsoberhaupt vor einer Anklage wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Zeugeneinschüchterung, Rechtsbehinderung – es war ein Schock, der sich über Monate hinweg abgezeichnet hatte, ein Schock aber auch, sagt Gal-On, von dem jeder gehofft habe, dass er nicht eintreten würde: „Der Fall sah lange Zeit sehr verworren aus.“

Wie die Affäre ihren Lauf nahm

Irgendwann im Juli 2006 meldet der Fernsehsender Kanal Zwei, das Präsidialamt habe sich an die Generalstaatsanwaltschaft gewandt: Präsident Katzaw werde von einer ehemaligen Mitarbeiterin erpresst; sollte er ihr keinen Job geben, werde sie ihn wegen „sexueller Verfehlungen“ anzeigen. Die Affäre nimmt ihren Lauf.

Die Beschuldigte bestreitet den Erpressungsversuch; Mitarbeiter Katzaws geben an, sie habe den Präsidenten nur um Hilfe bei der Jobsuche gebeten. Zudem ändert Katzaw seine Version: Sie habe gar nicht damit gedroht, ihn wegen sexueller Belästigung, sondern wegen angeblicher Begnadigungen gegen Geld anzuzeigen. Die Staasanwaltschaft schöpft Verdacht, beauftragt die Polizei mit den Ermittlungen. Aus der Erpressungsaffäre ist der Fall Mosche K geworden.

Der Präsident wird mehrmals vernommen, sogar seine Residenz durchsucht. Der Verdacht kommt auf, Katzaw habe sich außerdem des Vertrauensbruches, des Betrugs, der Zeugeneinschüchterung und der Rechtsbehinderung schuldig gemacht. Widersprüche werden deutlich: Katzaw hat behauptet, sein Büro habe eine Glaswand und stehe zudem stets für seine Mitarbeiter offen. Doch die Wand besteht aus Milchglas; die Tür ist durch einen Buzzer verschlossen, der nur von ihm und seiner Sekretärin bedient werden kann.

Katzaws Anwälte erklären, dass man Bewegungen und Schemen auch durch Milchglas sehen könne, und dass die Sekretärin Mitarbeiter ohne Rücksprache mit ihrem Chef ins Büro lässt. Ermutigt durch die Berichterstattung melden sich bald weitere Frauen, werfen Katzaw vor, er habe sie zu verschiedenen Zeiten in seiner politischen Karriere sexuell belästigt, genötigt; eine Frau, in den Medien später nur A genannt, erklärt sogar, Katzaw habe sie während seiner Zeit als Transportminister Ende der 90er Jahre vergewaltigt. Im Dezember sickert ein Brief durch, in dem sich Polizisten und Staatsanwälte für eine Anklage aussprechen. Nur wenige Ermittler zweifeln daran, dass die Beweise ausreichen, um einen Präsidenten wegen eines Schwerverbrechens anzuklagen.

Der Schock ist eingetreten

Generalstaatsanwaltschaft Menachem Masus indes macht sich die Entscheidung nicht leicht. Mitarbeiter berichten, dass er nächtelang im Büro bleibt, immer und immer wieder die Verhörprotokolle durchgeht, neue Widersprüche zu Tage bringt – bis er sich sicher genug ist, um am vergangenen Dienstag einen Brief an die Anwälte des Präsidenten zu schicken: Er neige dazu, Katzaw wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Zeugeneinschüchterung und Rechtsbehinderung anzuklagen, schreibt er; nach einer allerletzten Anhörung, in der der Präsident Gelegenheit haben soll, sich zu verteidigen, werde er seine endgültige Entscheidung treffen.

Der Schock, von dem die Politiker gehofft hatten, dass er ausbleiben würde, ist eingetreten: Bei den israelischen Medien werden Urlaubssperren verhängt und soviel Platz und Sendezeit wie möglich freigeräumt. In den Restaurants und Kneipen gibt es nur ein Thema: den Fall Mosche K. Und das, glaubt man in Regierung und Parlament, müsse sich bald ändern, denn es stehen wichtige Entscheidungen an, die Lage in den Palästinensischen Gebieten zum Beispiel, die Sache mit den Syrern oder die Armut – und diese eklige Sexaffäre lenkt nicht nur davon ab. Sie kostet Vertrauen; Vertrauen, das gebraucht wird, um der Öffentlichkeit das wirklich Wichtige zu verkaufen. „Ohne dieses Vertrauen der Öffentlichkeit werden wir künftig nicht mehr in der Lage sein, Zugeständnisse an die Palästinenser oder an Syrien zu legitimieren“, sagt Gal-On:

Man wird uns, also Regierung und Parlament, die Berechtigung absprechen, irgendeine Entscheidung zu treffen, die das Leben von Menschen beeinflusst. Vor allem deshalb muss Mosche Katzaw jetzt sofort zurücktreten. Er hätte dies schon nach dem Beginn der Ermittlungen gegen ihn tun müssen.

Aber er will nicht. Zurücktreten. Ruhig sein. Er klammert. Will dieses Amt behalten, so lange es geht. Und dafür kämpft er mit allen Mitteln. Katzaw möchte nicht der erste israelische Präsident sein, der aus der Residenz des Staatsoberhaupts, einem schmucken Anwesen im besten Viertel von Jerusalem, in eine karge Zelle umziehen muss. Doch während er darauf hinarbeitet, zerstört er alles, was ihm an seinem Titel wichtig ist: Das Ansehen. Die Hochachtung. Die Würde. Waren es am Anfang noch mehr oder weniger dezente Versuche gewesen, Zeugen zu beeinflussen, hat sich Katzaw schon vor längerem vor das Tribunal der Öffentlichkeit (vgl. Im Land von Tausendundeiner Meldung) begeben.

Gila Katzaw, die Ehefrau, steht bis heute hinter ihrem Mann (Bild: Stephen Price)

Seine Rechnung: Wenn er es schafft, die Menschen von seiner Unschuld zu überzeugen, werde die Angelegenheit, wie schon so oft zuvor, im Sande verlaufen. Aber er hat falsch gelegen: Die Öffentlichkeit mochte nicht mitspielen. Seine Frau Gila bekennt sich in der Zeitung Jedioth Ahronoth zu ihrer ewigen Liebe zu ihrem Mann – nett, aber kitschig. Seine Familie präsentiert einem Team des Fernsehsenders Kanal Zehn für eine Home Story die perfekte Harmonie – unglaubwürdig, nach so einer Sache gibt es keine perfekte Harmonie. Mosche Katzaw gibt sich bei einem Besuch japanischer Sumo-Ringer weltoffen und staatsmännisch – lustig. Kein einziger dieser und vieler anderer Versuche, die Öffentlichkeit auf seine Seite zu bringen, funktioniert: Wenn von Mosche Katzaw die Rede ist, dann ist schon lange vor allem von Sex und Vergewaltigung die Rede.

Trotzdem unternimmt Katzaw einen Tag, nachdem der Brief vom Staatsanwalt kam, einen letzten Versuch: Am Mittwoch Abend tritt er vor die Kameras, will in einer Pressekonferenz dem Volk seine Version der Dinge erklären. Aber der Präsident verliert die Nerven. Der Mann pöbelt und beschuldigt und fleht und schreit so laut, dass sich viele der anwesenden Reporter an ein schlechtes amerikanisches Court Room Drama erinnert fühlen. Er sei unschuldig, so seine Botschaft an das Volk, immer wieder unterbrochen durch ein laut anschwellendes, geradezu flehendes „Bürger Israels“, gefolgt von der durch viele Handbewegungen unterstrichenen Beteuerung, dass jeder er und er jeder sein könnte.

Bürger Mosche Katzaw

Aber das möchte er gar nicht sein – Bürger Mosche Katzaw. Denn dann würde einfach nur Anklage erhoben werden, ohne eine letzte Anhörung, wie Generalstaatsanwalt Masus sie plant. Und bis dahin müsste er im Gefängnis warten, denn im Bewusstsein der israelischen Öffentlichkeit rangiert Vergewaltigung gleich hinter Mord, und das noch viel mehr, seit vor einigen Wochen der Serienvergewaltiger Beni Sela unter dubiosen Umständen aus der Haft entkam und damit die größte Polizeiaktion in der Geschichte des Landes auslöste. Katzaw hingegen wird wohl bis zu einem Urteil in Freiheit bleiben. Warum ihm all diese Privilegien eigentlich überhaupt zugestanden werden sollten, wurde ein Freund Katzaws vom israelischen Fernsehsender Kanal Eins vor Beginn der Pressekonferenz gefragt. „Nun ja,“ antwortete der, „er ist der Präsident.“

Worte, aus denen eine Grundhaltung spricht, der sich auch Katzaw verpflichtet zu haben scheint, ein Mann aus einfachen Verhältnissen, der sich mühsam nach oben gearbeitet hat und für den die Präsidentschaft, die erste eines aus der Arabischen Welt stammenden Juden überhaupt, das Nonplusultra gewesen sein muss. Denn mit dem Amt kamen auch die Würde und die Hochachtung, die in der zersplitterten israelischen Gesellschaft für viele Sepharden bis heute nicht selbstverständlich sind.

„Genau das ist das Problem“, sagt Reuven Rivlin, der bis zu den vergangenen Wahlen Parlamentssprecher war und heute als einer der Kandidaten für das Präsidentenamt gilt:

Es kann nicht das Amt sein, das Würde und Integrität verleiht, es muss der Mensch sein, der es ausfüllt. Diese Lektion lernen wir im Moment auf die schmerzhafte Art und Weise. Lassen Sie uns ehrlich sein: Wenn es um repräsentative Ämter geht, werden Vorleben und charakterliche Eignung der Kandidaten nicht so genau unter die Lupe genommen, und das, obwohl die Anforderungen für das Präsidentenamt sehr hoch sind: Das Staatsoberhaupt soll frei von parteipolitischen Zwängen über dem Tagesgeschäft stehen und als Integrator dienen. Es soll Kontinuität vermitteln, die ein Premierminister nicht geben kann, weil Regierungschefs ja relativ häufig wechseln. Dass sich Mosche Katzaw für diese Rolle nicht eignet hätten wir wissen können, wenn wir uns damals mehr mit ihm befasst hätten.

Das politische Jerusalem schwieg

Denn dass mit diesem Kandidaten etwas nicht stimmte, war erahnbar, als sich die Knesset im August 2000 traf, um den Nachfolger von Eser Weizman zu wählen, der kurz zuvor wegen eines später widerlegten Korruptionsverdachts zurück getreten war. Es waren seine Freunde, seine Handel, die Art, wie er die Ministerien geführt hatte, die er unter Benjamin Netanjahu Ende der 90er Jahre inne gehabt hatte, die damals in den Medien Zweifel an seiner Eignung hatten aufkommen lassen. Aber das politische Jerusalem schwieg. Denn es hatte ja ohnehin alles ganz klar ausgesehen: Schimon Peres, zu jener Zeit Elder Statesman der Arbeiterpartei, stand zur Wahl und jeder nahm an, dass er es ohne Mühe in die Residenz des Präsidenten schaffen würde.

„Wir hatten Katzaw damals eigentlich nur aufgestellt, weil wir einen Kandidaten brauchten; dass er gewählt werden würde, damit haben wir nicht gerechnet. Aus heutiger Sicht haben wir einen Fehler gemacht“, sagt Netanjahu heute. Denn als Parlamentssprecher Awraham Burg das Ergebnis der geheimen Abstimmung verkündete, wurde es mehrere Minuten lang still im sonst entweder leeren oder turbulenten Sitzungssaal: Katzaw hatte gewonnen, und die Zeitung Jerusalem Post rief wenige Tage später „Das Ende des Zionismus“ aus – ein Text, auf den sich Katzaw auch in seinem Plädoyer vor den Medien berief: Man habe ihn nie gewollt; er sei Opfer einer Verschwörung, wetterte er immer wieder: „Das Land wird die Wahrheit erfahren, und diese Wahrheit wird so schockierend sein, dass sie niemand wird ignorieren können.“

Eine Verschwörung?

Aber warum, lautet eine Frage, die in diesen Tagen immer wieder gestellt wird, aber warum sollten sich Staatsanwalt, Polizei, Großteile von Parlament und Regierung sowie die nahezu gesamten Medien gegen einen Politiker verschwören, dessen einzige wirkliche Macht darin besteht, auf Bitten des Premierministers Neuwahlen auszurufen oder auch nicht, und dessen reguläre Amtszeit in wenigen Monaten ohnehin ausläuft? Eine persönliche Vendetta ehemaliger Mitarbeiterinnen gegen ihn? „Haben wir geprüft“, winken die Ermittler ab. Ein geheimnisvoller, einflussreicher Geschäftsmann, der ihn aus dem Weg haben will? „Was glauben Sie, warum die Ermittlungen sechs Monate gedauert haben“, entgegnen die Polizisten. Ein Versuch, das politische System Israels zu zerstören; eine Art terroristischer Anschlag? „Wir nehmen Sie gleich zum Drogentest mit“, drohen die Cops und klopfen sich vor Lachen auf die Schenkel – es gibt nichts, was nicht als Vermutung durch die Medien geistert, worin diese „schockierende Wahrheit“ wohl bestehen könnte. Sein Pöbel-Appell an die Öffentlichkeit hat genau das Gegenteil dessen bewirkt, was damit gedacht war: Die Menschen haben sich von Mosche Katzaw abgewandt, glauben ihm nicht.

Der Präsident verliert bei einer Pressekonferenz die Nerven (Bild: !²)

Dabei hatte er dieses Mal seine Rede selbst geschrieben, „weil das ehrlicher rüber kommt“, wie einer seiner Mitarbeiter sagt, aber im Zeitalter von professionellen Redeschreibern und Spin Doktoren ist Ehrlichkeit künstlich (vgl. Schrumpfendes Zeitfenster für Politiker in den Medien). Der eigentlich höchst menschliche Wutanfall Katzaws vor laufenden Kameras hingegen hat die Menschen abgeschreckt. Denn obwohl in Israel selbst Geschäftsmänner selten Krawatte und im Sommer im Büro auch mal kurze Hosen tragen, erwartet man von Staatsoberhäuptern und Regierungschefs, dass sie was hermachen – eine Erfahrung, die als Erster David Ben-Gurion, der erste Premierminister des Landes, in den 50er Jahren machen musste: Als er bei einem Staatsbesuch in Khaki-Shorts gesichtet wurde, war der Aufschrei in der Heimat groß.

Mosche Katzaw hat versucht, dies umzudrehen: Für ihn ist das Präsidentenamt ein Job und die Privilegien, die es mit sich bringt, sind Teil der Bezahlung. Ein Rücktritt, sagen er und die wenigen verbliebenen Unterstützer innerhalb und außerhalb des Parlaments immer wieder, käme einer unangemessenen Bestrafung gleich, wenn sich die Vorwürfe als haltlos erweisen sollten; eine Amtsenthebung wäre aus ihrer Sicht eine Verurteilung ohne Gerichtsverfahren. Dabei verweisen sie immer wieder auf die Fälle von Ariel Scharon, gegen den wegen Korruption ermittelt, aber keine Anklage (vgl. Bürger Scharon) erhoben wurde und auf den des ehemaligen Justizministers Chaim Ramon, der zur Zeit wegen sexueller Belästigung vor Gericht steht und in der kommenden Woche wahrscheinlich freigesprochen werden wird. „Diese Anklage wird ebenso im Sande verlaufen und am Ende ein weiteres Leben ruiniert haben“, sagt Katzaws Verteidiger, der Staranwalt David Liba'i.

Er wirft der Staatsanwaltschaft vor, an Katzaw ein Exempel statuieren zu wollen: „Masus hat eine harte Hand gegen Politiker versprochen; der Präsident soll der erste sein, der nur auf Grund eines vagen Verdachts aus dem Amt gejagt wird.“ Doch die Staatsanwälte weisen diesen Vorwurf weit von sich:

Gerade weil das Amt des Präsidenten wichtig ist, haben wir uns erst dann zur Anklage entschieden, als wir uns ohne jeden Zweifel sicher waren. Darüber hinaus geben wir dem Präsidenten noch eine weitere Gelegenheit, diesen Zweifel zu erzeugen. Dafür sind normalerweise Richter zuständig. Wir jedoch werden dem Gericht einen wasserdichten Fall übergeben.

“Diese Anklage wird am Ende ein weiteres Leben ruiniert haben“

Die Gegner im Parlament merken zudem an, dass sich diese Fälle nicht miteinander vergleichen lassen: Zum Einen ist Korruption nicht Vergewaltigung; zum Anderen ließ sich Ramon schon vor der Erhebung der Anklage von seinen Pflichten entbinden, um, wie er selbst sagt, „seine gesamte Kraft darauf verwenden zu können, meinen Namen reinzuwaschen und um Schaden vom Staat abzuwenden.“ Im Fall Scharons haftet Masus zudem bis heute der Verdacht an, er habe eine Anklage aus politischen Gründen abgelehnt – damals liefen gerade die Planungen für die Räumung Gazas im Sommer 2005. Der Fall Ramon jedoch zeigt, dass ein Gerichtsverfahren per se keine Strafe ist, es ist vor allem eine Chance, die Unschuldigen von den Schuldigen zu unterscheiden. Dem sollte sich niemand entziehen dürfen, auch kein Präsident. „Die sehr weitreichende Immunität des Präsidenten wurde geschaffen, um ihn wirklich unangreifbar für alle Irrungen und Wirrungen des politischen Alltags zu machen“, sagt der ehemalige Parlamentssprecher Reuven Rivlin:

Der Grundgedanke war, dass, was immer auch passiert, der Präsident immer da ist und auf Grund seiner Integrität in der Lage ist, Brücken zu bauen. Allerdings muss man die Frage stellen, ob dieser sehr weitreichende Schutz vor Strafverfolgung wirklich sinnvoll war: Traditionell wurde dieser Posten immer mit verdienten Wissenschaftlern, Literaten und Politikern besetzt – bis Katzaw kam, und uns gezeigt hat, dass diese Immunität möglicherweise ein Fehler war. Was immer auch die Wahrheit ist, kann nur ein Gericht herausfinden und das kann nur im Interesse von Herrn Katzaw liegen.

Aber wie gesagt: So lange Katzaw nur beurlaubt ist, und nicht gefeuert, kann er nicht vor Gericht gestellt werden. Am Montag wird der Hauptausschuss über den Antrag auf Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens beraten; ob er durchkommt, steht in den Sternen. Denn Katzaw hat im Parlament immer noch einige Freunde. Hinzu kommen jene, die der Ansicht sind, dass es besser wäre, die Affäre einfach ruhen zu lassen, bis Katzaw regulär aus dem Amt scheidet und seinem Richter entgegen treten kann.

Einer davon ist Mosche Scharoni von der Rentnerpartei, der in der Knesset gerade auf die Abgeordnete Gal-On, Vorkämpferin für die Amtsenthebung einredet: „Überlegen Sie sich mal,“ sagt er: „Eine Amtsenthebung kann Monate dauern, und in dieser gesamten Zeit wird diese unselige Debatte weitergehen. Am Ende wird das Ansehen des Staates irreparabel beschädigt sein. Was verlieren wir dabei, wenn wir warten – es sind doch nur ein paar Monate.“

Gal-On zieht ein Gesicht, wendet sich ab, reicht einem Abgeordneten die Liste, damit er unterschreibt: „Und wenn es noch ein paar Jahre wären? Was werden die Opfer und die Öffentlichkeit denken?“, fragt sie dann: „Die Angelegenheit muss sobald wie möglich geklärt werden, nicht zuletzt, um den Opfern die Möglichkeit zu geben, zur Ruhe zu kommen.“