Freude schöner Laserfunken

25 Jahre Compact Disc als Innovationsweg für die Kultur-Epoche der Digitalisierung. Ein Gespräch mit Dr. Hermann Rudolf Franz, Technischer Vorstand bei PolyGram während der Einführung der Audio-CD (1978 - 1983)

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25 Jahre nach der Vorstellung der "Compact Disc Digital Audio" durch PolyGram und SONY zeigt dieser Medienstandard in einem medialen Umfeld des ständigen technischen Wandels auch heute noch bemerkenswerte Haltbarkeit. Die Compact Disc ist der "Goldstandard" der Digitalzeitalters. Zudem gilt die Compact Disc über die Variante der "Video-CD" als der technologische Vorläufer der DVD und setzte damit beim langen Marsch der Bildplattenentwicklung seit 1928 schließlich auch die Videodisk als Pioniermedium der digitalen Bewegtbilddistribution durch.

Grund und Anlass für ein längeres Gespräch mit Dr. Hermann Rudolf Franz, Technischer Vorstand bei PolyGram während der Einführung der Audio-CD (1978 - 1983), über dieses erfolgreiche Kapitel der Mediengeschichte.

Am Thema der optischen Aufzeichnung von Informationen und Signalen auf Scheiben arbeiteten in den sechziger Jahren in den USA vor allen Dingen James T. Russel und David Paul Gregg. Letzterer zunächst mit Finanzierung der 3M-Company und unter Einbeziehung des Stanford Research Institutes (SRI). Inwieweit hat die Arbeit dieser amerikanischen Pioniere die Entwicklung hin zur Audio-CD befördert?

Hermann R. Franz: Offenbar arbeiteten Anfang der sechziger Jahre eine ganze Reihe von Firmen, zu denen in Deutschland in erster Linie die Deutsche Grammophon gehörte und natürlich auch Philips, am Thema alternativer Aufzeichnungsverfahren. Wobei mindestens in Hannover, nach meiner Kenntnis auch in Eindhoven, die Bildaufzeichnung zunächst interessanter erschien als die Tonaufzeichnung. Man glaubte, auf dem Gebiet der Tonaufzeichnung mit der Langspielplatte, der Magnetband-Technik und der Musikkassetten-Entwicklung einen Trumpf in der Hand zu haben, mit dem man noch auf Jahrzehnte hinaus würde wuchern können, was ja auch der Fall gewesen ist.

Nun muss ich hinzufügen, dass ich jetzt über ein Terrain spreche, auf dem ich nicht zuhause gewesen bin. Ich kam ja erst 1978 von Siemens zur PolyGram und kenne die Vorläufe über zahlreiche Zwischenstadien unterschiedlichster Art nur vermittelt. Das Thema der digitalen Aufzeichnung hat eine Sonderrolle gespielt, auch in Hannover. Über diesen Punkt ist, so weit ich das in Erinnerung habe, in der Dissertation von Jürgen Lang über die Einführung der Audio-CD1 so gut wie gar nichts gesagt worden. Wenn man das verfolgen will, muss man also auf andere Quellen zurückgreifen. Ich kann über das, was Sie an Vorarbeiten aus Amerika erwähnt haben, aus eigenem Wissen eigentlich gar nichts beitragen. Dass zu einem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt, insbesondere für die phonographische Industrie in Deutschland überraschend, die 3M-Company da einen außerordentlichen Beitrag geleistet hat – und dies sicherlich auch nur aufgrund ihrer langjährigen Vorarbeiten konnte, das haben wir zu spüren bekommen im Jahre 1980, als für die PolyGram in Hannover das Thema der digitalen Tonaufzeichnung brennend und ganz bedeutend wurde.

Damals war aus unserer Sicht, neben Sony und anderen japanischen Firmen, die 3M-Company eigentlich das interessanteste und technisch leistungsfähigste Reservoir für neue Ausrüstungen. Dabei ging es zunächst vor allem um die Aufzeichnungstechnik. Man benötigt ja zunächst erstmal ein Masterband, das statt analoger Signale bereits digitale Daten liefert; man braucht also bei der Aufnahme Analog-Digital-Wandler, welche die digitale Tonaufzeichnung ermöglichen. Als wir angefangen haben, solche Dinge zu benutzen, war zwar eine gewisse Grundkenntnis über das vorhanden, was auf dem Markt verfügbar war – unter anderem auch durch den kollegialen Kontakt innerhalb der AES –, aber einsatzfähige und für Studiozwecke geeignete Apparaturen mussten erst noch gebaut werden.

1978/1979 ging es dann los, dass die Japaner mit digitaler Tonaufzeichnung im Studio anfingen, um reguläre Vinylschallplatten mit dem Label „digital recorded“ zu produzieren. Das hat dann unter den Recording- Fachleuten und Toningenieuren ziemlich eingeschlagen und hat sie helle gemacht; die wollten das dann eben auch und möglichst schnell haben. Aber zu diesem Zeitpunkt waren bestimmte Einrichtungen eben noch nicht tragfähig. Vor allen Dingen war das große Problem: Wie baut man ein digitales Mischpult? Und das erste, wirklich glanzvoll leistungsfähige Gerät, das wir haben bekommen können, war von der 3M- Company. Erst gegen 1981 ist dies dann von Sony durch vergleichsweise billigere, kleinere, aber sehr leistungsfähige Apparaturen überholt worden, während die 3M-Maschine eher ein Monstrum von Gerät war.

Philips hatte ja seit 1972 Erfahrungen mit der analogen Bildplatte, die damals schon auf Laserabtastung basierte. Hatte diese Erfahrung die Einführung der Audio-CD beeinflusst?

Hermann R. Franz: Ja, natürlich. Die Entwicklungsabteilung der PolyGram in Hannover war bei der Frage, welchen Träger man für die Bildplatte oder die Audio-CD gebrauchen und wie dieser in Massen hergestellt werden könnte, immer der erste und wichtigste Gesprächspartner für Philips. Man hat die einzelnen Schritte im Versuch kontinuierlich begleitet. Gerade bei Fragen wie: Welches Aufnahmegerät sorgt für die Analog-Digital-Umsetzung? Welches Gerät sorgt für eine entsprechende Lasersteuerung beim Mastering? Mit welcher Apparatur kann man das, was man aufgezeichnet hat, dann auch wieder von der Platte lesen? Alles dies hat natürlich im Vorfeld der späten sechziger und während der gesamten siebziger Jahre hindurch einen Erfahrungsschatz angereichert, der bei Philips sortiert und verwertet werden konnte - auch zur Nutzanwendung bei einer reinen Hörplatte.

Es war eine, meiner Ansicht nach aber nur verhältnismäßig wenigen Leuten bei Philips in Eindhoven völlig klare und durchsichtige, Gemengelage von Kenntnissen vorhanden. Da gab es enorme technische Fähigkeiten, aber auch ziemliche Illusionen, was man aus diesem Bündel an Kenntnissen, Erfahrungen und Wünschen würde machen können. – So wurde erwogen, ob man nun eher eine Bildaufzeichnung mit sehr hoher Bildqualität oder aber eine Nur- Tonaufzeichnung mit sehr hoher Audio-Qualität damit machen wollte. Diese Frage war über Jahre unentschieden. Als ich 1978 nach Hannover kam, gab es eigentlich kein Gespräch über die technische Situation bei unserer Halb-Mutterfirma Philips, in dem nicht der Kummer über das „Nicht ins Ziel-Bringen“ der eigenen Systeme – „VCR“ wie auch „Video 2000“ – im Wettlauf der Video-Kassettensysteme laut wurde.

Personelle Konstellationen haben eine wichtige Rolle gespielt

Das ist ein sehr interessanter Aspekt, den Sie hier ansprechen. So kann man die Entscheidung für eine reine Audiolösung bei der extrem risikoreichen Entscheidung, die Compact Disc 1982 im Weltmarkt zu platzieren, natürlich auch aus der Erfahrung des Scheiterns lesen, nämlich sowohl bei Philips‘ letztem europäischen Gegenentwurf eines Videoband-Standards mit „Video 2000“, wie auch mit dem sich abzeichnenden Scheitern des „Betamax“-Formats von SONY im Kampf gegen „VHS“ um die Vorherrschaft für das weltweit gültige Videocassetten-System. Allerdings war das volle ökonomische Desaster von „Video 2000“ und von „Betamax“ erst weit nach 1982 wirklich absehbar. Aber dass VHS sich alleine schon durch das OEM-Geschäft und die Lizenzpolitik von JVC zum Heuler entwickeln würde, dürfte bis 1979/1980 klar gewesen sein.

Die LaserDisc von Philips und MCA wurde am 15. Dezember 1978 zunächst nur in den USA und dann dort auch bei nur in drei Verkaufsstellen in Atlanta gelauncht. Die Unsicherheit, welchen Weg Philips beim Bewegtbildgeschäft mit seinen Partnern MCA, IBM und Pioneer in Sachen optischer Bildplatte gehen solle, wird durch diesen zaghaften Marktstart von 1978 deutlich, zumal die Videobandkonkurrenz mit „Betamax“ seit Ende 1975 im amerikanischen Markt gestartet wurde und „VHS“ dann im Herbst 1977 in den USA verfügbar war. Die LaserDisc brauchte dann fast eine ganze Dekade nach ihrem Launch 1978, um in Amerika zu einem von Cinephilen geliebten Videoformat zu werden, denn erst zeitlich nach dem Weltstart der Audio-CD im Herbst 1982/Frühjahr 1983 konnte die DiscoVision-Bildplattenfabrik in Carson (Kalifornien) nach der Übernahme durch Pioneer endlich Qualität in größeren LaserDisc-Stückzahlen liefern - und auch die Schockwelle des abrupten Endes der CED-Videodisk von RCA im April 1984 musste in den USA von den disc-affinen Fans erst einmal verkraftet werden.

Die erste Hälfte der achtziger Jahre war also, was „Scheibchen“ als Informationsträger angeht, eine ziemlich bewegte Zeit. Interessanterweise begann die Kooperation zwischen SONY und Philips zu dem, was dann die Audio-CD werden sollte, im Jahre 1979, also just zu dem Zeitpunkt, an dem Philips und SONY im September 1979 beschlossen hatten, ihre Bildplatten-Patente austauschten, womit SONY auch Zutritt zum Playergeschäft bei der LaserDisc verschafft wurde. Zugleich bekam SONY damit aber auch Zugang zum Know-How bei der Playerfertigung für optische Speichermedien; man darf das wohl als „Eintrittsgeld“ oder „Vertrauensbeweis“ von Philips‘ Seite gegenüber SONY bezeichnen. Bei diesem Hintergrund kann man die LaserDisc als Übungsfeld für den „Ernstfall“ der Audio-CD kennzeichnen. Aber zunächst einmal: Wie waren eigentlich die Zusammenhänge zwischen der PolyGram und Philips?

Hermann R. Franz: Also die CD-Partnerschaft zwischen PolyGram und Philips war naturgegebenen durch die Konstruktion der Firma PolyGram als 50/50-Beteiligungsgesellschaft zwischen Philips und Siemens. Der erste Partner für PolyGram im Bereich Audio und Video bezüglich Entwicklung und Gerätetechnik war zweifelsohne mit großem Abstand vor Siemens eben Philips. Die Hauptindustriegruppe Audio in Eindhoven unter der damaligen Leitung von van Tilburg war das Zentrum, das den Takt angab. Die Herren, die im Felde der Laserapplikationen zuhause waren und die „zündende Idee“ gehabt haben, saßen im Nat(tuurkundige) Lab(oratorium) in Eindhoven.

Der Vorlauf auf diesem Gebiet schon seit den sechziger Jahren und auch auf dem Videogebiet muss neben Wettbewerb auch Nähe zwischen den Laboratorien von Sony und Philips erzeugt haben. Dass PolyGram dann dabei einstieg oder mitbeteiligt wurde, war eine zwangsläufige Folge der Firmenkonstruktion. Ich würde sagen: Für das Tempo der Entstehung der Compact Disc hat eine ganz bestimmte personale Konstellation eine entscheidende Rolle gespielt, die offensichtlich auf dem Video-Sektor so nicht vorhanden gewesen war. Das ist wohl die Tatsache, dass es auf der musikalischen Seite einen Technikfreak gegeben hat, der die klangtechnischen Möglichkeiten einer Compact Disc, d.h. eines digitalen Mediums zur Tonwiedergabe, intuitiv erfasst hat. Das ist Herr von Karajan gewesen. Auf der anderen Seite gab es Akio Morita, den „zündenden Geist“ bei Sony, der nach der Innovation des Walkman elektrisiert gewesen sein muss von der Vision, eine kleine Platte zu machen, die lasertechnisch ausgelesen werden konnte. Sony hatte zur Audio-Disc und zum digitalen Ton ja bereits in den siebziger Jahren Versuche angestellt. Morita und Karajan kannten sich persönlich sehr gut.

Aufgrund dieser Konstellation ist es dazu gekommen, dass Sony getriggert wurde vom Chef Morita und PolyGram bekam die Anstöße, die man brauchte, um endlich los zu legen, durch die drängelnde Ansprache von Herrn von Karajan, in der Art: „Ich wünsche mir, dass Ihr das macht. Sonst seid Ihr mich los.“ Sony hatte zu dem Zeitpunkt ja noch keine eigene Plattenfirma, aber von Karajan hatte immer enge Verbindungen zur EMI. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass eine Plattenfirma von einer anderen ausgestochen wurde, weil Personalkonstellationen sich geändert haben. Ich habe das selbst erlebt, als die Compact Disc am 15. April 1981 in Salzburg erstmals präsentiert wurde, von Morita und von Karajan zusammen mit Vertretern der PolyGram. Es war nicht nur bühnenreif, sie saßen auch auf einer wirklichen Bühne. Es war sehr gut vorbereitet. Und der Gaslicht-Vergleich von Karajan im Hinblick auf die bisherige Recording-Technik und Schallwiedergabe war, wenn man so sagen will, sehr „zündend“. Das Ding, das dort bei der Premiere der Compact Disc aus der Tasche gezogen wurde, stammte übrigens nicht aus Japan, sondern aus Europa: Philips und die PolyGram waren technisch voll da und haben nicht nur die Hardware bereit gestellt, sondern auch Programm und Tonträger.

Heißt das, Sony hätte die Compact Disc ohne das Know- How von Philips/PolyGram über Mastering- und Replikationstechniken, die ursprünglich von der LaserDisc-Bildplatte her stammten, gar nicht alleine so schnell machen können?

Hermann R. Franz: Das ist sicherlich so und kann nicht widerlegt werden. Auf der anderen Seite hätte Philips mit dem Kenntnisstand, mit dem das Rennen 1981 begann, die Sache auch nicht alleine gekonnt. Denn technisch außerordentlich wichtige Details sind dann durch Sony hinzugebracht worden. Das Fertigwerden mit einer Reihe von Plattenfehlern, die qualitativ entscheidend waren, wie Fingerprints, Dropouts etc., war eine Sache, die mit Hilfe der Software, die Sony entwickelt hatte, glanzvoll gemeistert wurde. Die Error-Correction- Spezialisten von Sony waren auf diesem Gebiet, aus welchen Gründen auch immer, ein Stück weiter. Philips allein hätte wohl noch Monate gebraucht, um die Fehlerkorrektur bis zu diesem Stand nachzuentwickeln. Das ist wohl auch sehr schnell begriffen worden und hat zur Erkenntnis geführt, dass man es wirklich nur in einer 50/50- Kooperation mit Sony zusammen machen könne. Auf beiden Seiten führte dies zur Anerkennung des jeweils anderen Know-Hows und schließlich zum Verfassen des sog. "Roten Buchs", dem technischen Pflichtenheft für alle diejenigen, die in das System einsteigen wollten.

Alles, was man bei den internationalen Verhandlungen und der mangelnden Kooperationsoffenheit beim Entstehen und Definieren der Videosysteme nicht in den Griff bekommen hatte, dürfte dazu geführt haben, dass man aus diesen Fehlern lernte. Das ging bis ins Personelle, wo man Leute bei Verhandlungen rausschickte, die sich nicht von der Vorstellung trennen konnten, dass sie die besten wären. Es ist in Eindhoven sehr gut gelungen, aber auch bei Sony, Eitelkeiten in der Balance zu halten. Man hat um die Details extrem hart gerungen, immer wieder von neuem. Aber die Verantwortlichen auf beiden Seiten haben immer wieder auch einlenken können.

Dieser Plan, die Compact Disc innerhalb von 500 Tagen nach der Definition des technischen Parameter und des Festzurrens des Audio-CD-Standards im Markt zu platzieren, war ja in der Tat sehr kühn und zeitkritisch...

Hermann R. Franz: Ja, man muss dazu aber freilich sagen, dass die Mitarbeiter in Hannover, deren Chef ich gewesen bin, mir in Bezug auf die jahrelange Kenntnis der Problematik, die personenabhängig oder institutionsgebunden in Eindhoven vorlag, weit voraus waren. Die kannten natürlich ihre Pappenheimer schon seit mehreren Jahren. Ich hatte also ein auch in diesen Dingen außerordentlich erfahrenes und gewieftes Team. Leider ist der damalige Leiter der Entwicklungsgruppe in Hannover, Horst Söding, im Dezember 2005 bereits gestorben. Herr Blüthgen war damals in Hannover unter Herrn Burkowitz unser Mann für das Digital-Recording und hatte sehr intensive Kontakte zu Sony. Herr Immelmann ist unter den Physikern der Hannoverschen Entwicklungsgruppe von Herrn Söding zusammen mit Dr. Zielasek derjenige gewesen, der wohl den längsten und wesentlichsten PolyGram-Anteil der CompactDisc-Entwicklung bewirkt hat.

Über die Allüren des Herrn von Karajan beim Antreiben zum neuen digitalen Schallplattenstandard haben wir ja schon kurz gesprochen. Interessanterweise war von Karajan als Technikfreak – in Ermangelung eines breiten Spielfilmangebots – durch seine mit Kirch teuer koproduzierten Unitel-Filme auch wesentlicher Programmträger für das europäische LaserDisc-Repertoire, das seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre schließlich doch noch rudimentär aufgebaut wurde. Was waren nun aber die Ursachen und Gründe für Sony, bei der Entwicklung der Audio-CD so aufs Gaspedal zu drücken?

Hermann R. Franz: Das Naturell der Japaner! Sie waren natürlich darauf getrimmt, etwas als erstes und dies ganz einmalig und in führender, also leitender Position zu machen. Dafür ist die Walkman- Story ein guter Beleg und Morita die entsprechende Figur. Die CompactCassette, auf die der Walkman aufsetzte, war im übrigen zunächst ja ein Philips-Standard. Bei der Audio-CD hatte sich Sony dann vernünftigerweise als 50/50-Partner eingefügt, aber wollte dann doch unbedingt derjenige sein, der als erster mit dem Player in großen Stückzahlen auf den Markt kam. Deshalb also setzte Sony im Oktober 1980 das zunächst aberwitzig erscheinende Datum, zur Audio Fair am 25. Oktober 1982 auf den Markt kommen zu wollen. Und dieses wurde verkündet zu einer Zeit, als wir noch nicht wussten, wie die Platte überhaupt aussehen würde, geschweige denn, wie man sie einigermaßen betriebssicher macht. Und der Name „von Karajan“ hatte weniger bei Philips, als bei der PolyGram das große Gewicht. Natürlich war er vom Hörensagen auch in Eindhoven die „Leading Figure“ der Musikwelt.

Gründe für den hohen Zeitdruck, die Audio-CD auf den Markt zu bringen

Haben Sie denn Anfang der achtziger Jahre auch andere Firmen wahrgenommen, die Systeme für digitale Schallplatten herausbringen wollten

Hermann R. Franz: Das ist mir nicht in Erinnerung. Vorhin sprachen wir von der 3M-Company. Bei Träger-Material- und Verfahrenstechnik war 3M sicherlich sehr erfahren. Aber die hatten ja keine eigene Musik-Company. Nun kann man natürlich fragen: Was haben eigentlich die anderen großen Firmen damals gemacht? EMI ist auf diesem Sektor nach meiner Kenntnis wohl nicht aktiv gewesen, war damals bei der Herstelltechnik der Platten eher Mitläufer. Wer dafür infrage gekommen wäre – aufgrund all dessen, was sie ohnehin im Laufe von Jahrzehnten bereits geleistet hatten –, wäre CBS gewesen. Aber auch deren Position war in der damaligen Zeit, Anfang der achtziger Jahre, nicht vorzüglich. CBS hatte als Konzern erhebliche, finanzielle Probleme, die wohl aus dem Rundfunk-Sektor stammten. Warner, um die letzte Gruppe zu nennen, hatte erhebliche Qualitätssteigerungen beim Pressen der schwarzen Schallplatte erzielen können. Werner Steinhausen, der einst von Telefunken zur PolyGram nach Hannover gekommen war und als dortiger Chef der Qualitäts-Mentor der Schallplattenfertigung bei PolyGram war, sagte damals, dass die Leute in der Fertigung bei Warner wohl goldene Ohren und wohl auch goldene Finger haben müssten. Über die Aktivitäten von Telefunken und Teldec auf diesem Gebiet bin ich nicht informiert.

Wenn es international keine Konkurrenz von Seiten der Schallplattenfirmen gab, die Programm in neuer, digitaler Form in den Markt hätten drücken können, dann stellt sich erneut die Frage, woher der hohe Zeitdruck kam, die Audio-CD in den Markt zu drücken?

Hermann R. Franz: Das war wohl die aus Japan von Herrn Morita stammende Vorgabe: Wir wollen bei der Audio Fair im Oktober 1982 in Tokio das Ding auf den Markt bringen, um nach dem Walkman noch einmal unsere gewaltige technische Führerschaft zu demonstrieren. Es war klar, das wird die nächste große Sache. Diese Öffentlichkeitswirkung hatten sie beabsichtigt und den Neuigkeitswert wohl auch richtig eingeschätzt. Bei der Audio-Industriegruppe in Eindhoven hat man das ähnlich gesehen. Nur spielte das Datum für Philips strategisch wohl keine so entscheidende Rolle wie für Sony. Sie müssen sich vergegenwärtigen, dass sich der Walkman damals für das gesamte Geschäft von Sony zu einem „Leading Product“ entwickelt hatte, mit dem sie ihren Rang in der interessierten Community außerordentlich aufgewertet haben.

Welche Überlegungen haben eine Rolle gespielt, um von dem 30-Zentimeter-Standard der Langspielplatte und der LaserDisc schließlich für die Compact Disc auf 12 cm Durchmesser zu gehen?

Hermann R. Franz: Da lagen wohl Überlegungen zu Grunde, die nachher auch mit spitzem Bleistift immer wieder hin und her gerechnet worden sind, wie man die Geometrie der Tracks festlegt, wie die Pits, also die Signalträger, nach Größe und Abstand mit Fehlerkorrekturmöglichkeit angeordnet werden können. Wie viel Platz braucht man, um „roundabout“ 60 Minuten Musik zu machen? Also das, was man auf einer Langspielplatte auf beiden Seiten haben kann. Und nach dem Erfolg der Philips-CompactCassette sollte die Disc nicht so viel größer im Durchmesser sein. Dass man die Spielzeit später schließlich auf 75 oder 79 Minuten maximaler Spielzeit heraufgekitzelt hat, war damals noch nicht absehbar – auch wenn die Anekdote von Norio Ohga sich festgesetzt hat, er wollte unbedingt die 9. Sinfonie von Beethoven auch von Furtwängler auf einer Seite hören können.

Dass man später sogar einmal zwei oder mehr Schichten auf einer Seite werde speichern und abrufen können, so wie wir das erstmals bei der DVD erlebt haben, das war damals noch nicht einmal als Vision denkbar. Zu den phyischen Dimensionen gab es die Vorstellung, naja, es sollte eigentlich schon so eine Art Taschenformat sein. Man hat also den mobilen Player eigentlich schon mitgedacht. Es war so, wie man es schon beim Walkman erlebt hat: Wenn sich Europäer etwas ausgedacht haben, dann war das technisch raffiniert, aber es musste nicht notwendigerweise besonders klein sein. Die einzige Ausnahme, die mir einfällt, ist die Minox-Kamera. Bei den Japanern ist der Hang, Dinge im Zweifelsfalle zu Miniaturisieren, wesentlich früher dagewesen. Bei ihnen war es immer so, dass, wenn etwas klein ist, dann war es ihnen ganz besonders lieb.

Bei der Herstellung von Vinylschallplatten waren die technischen Möglichkeiten bereits ausgereizt

Was war der Grund ihres beruflichen Wechsels zur PolyGram?

Hermann R. Franz: Im bin im April 1978 aus meinem Bereich, einer Siemens-Beteiligungsfirma, zu PolyGram übergewechselt. Meine eigene Motivation war das zunächst gar nicht. Es ist so gewesen, dass der technische Vorstand von PolyGram, Herr van Amstel, dem Aufsichtsrat gegenüber geäußert hatte, dass er auf jeden Fall zu seinem 60. Geburtstag in den Ruhestand gehen wollte. Es wurde also für ihn ein Nachfolger gesucht. Herr van Amstel war der Nachfolger des von mir vorhin erwähnten Werner Steinhausen. 1941 war zwischen AEG und Siemens eine Art Güterteilung vorgenommen worden, bei der die damals gemeinsame Tochter Telefunken an die AEG fiel, während Siemens eine Reihe von anderen Firmen übernommen hat, zum Beispiel die gesamte Eisenbahn-Signaltechnik, aber auch die Deutsche Grammophon. Und Werner Steinhausen ging bei dieser Gütertrennung dann auf die Siemens- Seite. Als er altersmäßig bedingt ausgeschieden ist, kam Philips und sagte: Jetzt machen wir aber den Techniker, und entsandte Herrn van Amstel als sehr erfahrenen Ingenieur mit langjähriger, internationaler Leitungserfahrung. Er hat es dann eine Reihe von Jahren gemacht, und dann war Siemens wieder an der Reihe.

Damals hat sich der Vorstandsvorsitzende von Siemens, Herr Plettner, an den Herrn Franz erinnert, den er irgendwann einmal kennen gelernt hatte. Und so rief er mich an und fragte: „Haben Sie schon einmal etwas von PolyGram gehört?“ Darauf sagte ich: „Ja, ungefähr einen Meter.“ Plettner darauf: „ ..., ach so, ja, dann kommen Sie doch mal zu mir.“ Dann wurde mir die Nachfolge von Herrn van Amstel offeriert. Ich war damals schon acht Jahre einer von zwei Geschäftsführern der Vacuum-Schmelze in Hanau: ein reiner Metallbetrieb, der Werkstoffe und Bauelemente für die Elektrotechnik machte, magnetisches Material und so weiter. Dort war meine berufliche Heimat; dort war ich bereits 20 Jahre tätig. So kam das in Gang. Dann habe ich mich in Holland und in Hamburg mit den PolyGram-Leuten getroffen und mir kam das extrem spannend vor: ein totaler Berufswechsel, von der „Metallschmelze“ ins „Show Business“. Ich habe also wirklich nicht nur ein „Hemd“ gewechselt, alles war anders. Aber ich habe es nicht bereut.

1978 war für die Schallplattenbranche ein ziemlich gutes Jahr…

Hermann R. Franz: Stimmt. Als ich 1978 zur PolyGram kam, waren dort die „Hey-Days“ der Phonotechnik; es liefen gerade enorm erfolgreiche Hits. Der erfolgreichste Hit, den die Phono-Branche bis dahin je gehabt hatte, war „Saturday Night Fever“, was damals in Hannover bei PolyGram rund um die Uhr gefertigt wurde. PolyGram ging es dadurch finanziell richtig gut. Gleichzeitig war nämlich dort auch die ABBA-Phase. Zwischen 1972 und 1980 lief bei der schwarzen Platte alles ziemlich rund, zumindest auch bei EMI und Warner. Vielleicht weniger bei CBS. Von daher gesehen gab es eigentlich keine marktbedingte Notwendigkeit, mit großem Tempo schnell ein anderes Pferd zu satteln, um mit dem in die Zukunft zu kommen. Dies hat auch eine gewisse Zögerlichkeit bei PolyGram bewirkt, was die Compact Disc anging. Manche mussten – wie zuvor schon beim Digital Recording – „zum Jagen getragen werden“. Es war keine leichte Geschichte und ich bin manchen sicherlich auf die Nerven gegangen.

Erfolg macht bekanntlicher Weise träge...

Hermann R. Franz: Ich habe natürlich sehr schnell in Hannover mitbekommen, dass die technischen Möglichkeiten bei der Herstellung von Vinylschallplatten, bezogen auf die Herstellungskosten wie auch auf das Potential der technischen Weiterentwicklung, bereits weitestgehend ausgereizt waren. Zwei Beispiele dafür: Für alle Leute, die damals die schwarze Scheibe produziert haben, gab es – neben Präzisionsanforderungen bei der Herstellung von Schallplatten und neben der ausgezeichneten Vorbereitung seitens der Tontechniker – eigentlich nur noch eine Frage: Ist das Pressen zeitlich noch beschleunigungsfähig? Wie viele Sekunden benötigt man, um eine Vinylschallplatte zu pressen? Und da ging es dann um Zehntelsekunden. In diesem Rennen spielten die maschinen-technischen und thermischen Vorgänge beim Pressen einer Schallplatte eine entscheidende Rolle. Die Platten wurden zum Teil noch dünner, was in Bezug auf ihre Dauerstandfestigkeit schon sehr problematisch war. Im übrigen wurden die automatischen Pressen raffinierter, aber das war maschinenbautechnisch auch bereits schon sehr stark ausgereizt. Und ob man eine Schallplatte nun in 18,3 Sekunden oder in 17,9 Sekunden pressen kann und dies im gesamten Maschinenpark über Stunden hinweg durchfegt, das ist eine Angelegenheit, über deren ergebnismäßige Relevanz man nun wirklich unterschiedlicher Meinung sein kann.

Dann hat sich häufig herausgestellt, dass die Geschwindigkeit der Herstellung doch nicht der entscheidende Faktor gewesen ist, sondern es war dann z.B. so, dass man nachher 500 oder 1000 Schallplatten in den Eimer schmeißen musste, weil der Operateur die Maschine zu spät abgestellt hat, als er erkannte, dass etwas schief läuft.

Zu meinen ersten Aufgaben bei der PolyGram gehörte auch die FRage, inwieweit man die Massen-Duplizierung von CompactCassetten weiter optimieren könne, um also bei einer Slave-Maschine von einer früher mal 6- oder 12-fachen, dann 24-fachen-Überspielgeschwindigkeit auf eine schließlich 36- oder 48-fache zu kommen. Die Frage war dort: Was ist maschinenbautechnisch überhaupt möglich? Die geringste Störung bringt den gesamten Apparat sofort durcheinander und Sie produzieren dann 48-fachen Schrott, während Sie zuvor nur 24-fachen Ausschuss produziert hätten. Lohnt sich also die Investition in eine schnellere aber evt. fehleranfälligere Maschine gegenüber dem gesteigerten Ausstoß, der damit zu erwarten war? Ich hatte ja drei Verantwortungsbereiche bei der PolyGram: der eine war die Oberaufsicht über ca. 20 Fabriken, in denen weltweit Tonträger hergestellt wurden. Der zweite betraf die Tonträger-Entwicklung in Hannover und Baarn (Niederlande): neuartige Kassetten, neuartige Schallplatten, überhaupt Tonträger – das führte dann auf das CD-Gebiet. Und der dritte betraf den Recording-Sektor, die Studios und Aufnahmeteams sowie die Ton-Ingenieure, das „wie und womit“ ihrer Arbeit.

Der Menschen hat zwei Ohren und damit basta

Ich nehme an, dass 1978 dabei die Frage der Rauschunterdrückung bei analogen Bandmaschinen auch eine Kernfrage auf diesem Gebiet war.

Hermann R. Franz: Ja, natürlich. Dolby, dbx, HiCom, alles, was an Techniken damals zur Verfügung stand. Das war ausprobiert worden, war immer auch eine Frage der Lizenzierung. Hinter allem stand im Audiobereich vor allem die mit negativem Ausgang durchstandene Erfahrung mit Quadrophonie, Quadro-Sound etc. Das hat bei Philips und vor allem auch bei PolyGram zu einer Haltung geführt, dass der Mensch zwei Ohren habe: damit basta und keine Diskussion mehr. Quadro war über Gebühr promoviert worden von denjenigen, die das unbedingt in den Markt reinbringen wollten – und das ist eben daneben gegangen. Es hat sich nicht durchgesetzt, man hat viel Geld hineingesteckt und im Anschluss per Saldo abgeschrieben. Das, was ich zu hören bekam, als ich meine Kollegen mit Neuigkeiten zum Digital Recording bewegen wollte, ging in die Richtung: „Nein, bitte nicht schon wieder! Lassen wir das doch lieber! Das wollen wir nicht!“ – Der Schreck mit Quadro steckte der gesamten Branche noch in den Gliedern.

Bei der digitalen Aufnahme werden bereits viele Fehlerquellen beseitigt

Wo Sie gerade Quadrophonie ansprechen: Die Früchte von Quadro sind mit der Anwendung der Matrix-Kodierung etwa zum selben Zeitpunkt – also gegen 1977/1978 – dank Ioan Allen als „Dolby-Stereo“ im Kino-Tonbereich ja wieder aufgetaucht. Nachdem Ray Dolby und Ioan Allen von den Dolby Laboratories in England wirklich verstanden hatten, dass an der Quadrophonie der eigentliche technologische Clou derjenige war, insgesamt vier Kanäle in der Bandbreite von nur zwei diskreten Kanälen darstellen zu können, war es bis zur gegenphasigen Aufzeichnung für ein Mono-Surroundsignal und zum Differenzabgleich des Stereosignals für einen Center-Frontkanal im analogen Kino-Lichtton nur noch ein kleiner Schritt.

Zugegeben: Man benötigte für die signalschwächere Stereo-Lichttonspur eine gute Rauschunterdrückung, nur hätte man – statt zu Stöhnen – etwa auch in Deutschland darauf kommen können, dass man zwar die richtige Technik, diese zunächst jedoch im falschen Leitmedium eingesetzt hatte – zumal man als Großkonzern wie Philips/PolyGram diese Expertise auch noch als Kernkompetenz im eigenen Hause besaß, auch wenn man vielleicht nicht über die visionäre Begabung der Dolby Labs verfügte, abschätzen zu können, dass sich Quadro bald – mit viel frechem Marketing als 5.1 in AC3 verpackt – todschick auch in Heimanwendungen wird durchsetzen önnen...

Hermann R. Franz: Ja, da muss man sagen: Hut ab vor den englischen – oder sagen wir besser: den angelsächsischen – Leuten, die insgesamt auf dem elektro-akustischen Gebiet gearbeitet haben. Wenn ich das am Beispiel der AES-Publikationen verfolge, dann muss ich sagen, dass der deutsche Beitrag auf diesem Gebiet schwächer war. Was nicht gegen die Qualität derjenigen spricht, die in Deutschland daran arbeiteten; es war einfach nur von der Quantität her wenig.

Dann kam aber bei PolyGram Hannover von Herrn Burkowitz der Einwurf, dass wir auf einem wichtigen Gebiet Land verlören, und dies auf einem technischen Neuland, das bei den Japanern inzwischen bereits marktreif geworden war. Ich spreche vom Digital Recording für schwarze Platten. Ich habe mir das vorführen lassen von Kenntnisträgern, und mit denen diskutiert. Dann haben wir alle zusammen den zunächst ganz fehlgeschlagenen Versuch unternommen, die Leitung der Firma davon zu überzeugen, dass wir schnell einen merklichen Teil unserer Recording-Vorhaben umpolen müssten unter Verwendung neuer Apparaturen, die wir selber aber nicht bauen könnten und die auch Philips nicht bauen könnte, weil es andere gäbe, die das bereits besorgten. In Japan gab es schon Schallplatten verschiedener Hersteller auf dem Markt, die bereits „digitally recorded“ waren. In Amerika gab es zwar eine Aufnahmeapparatur von 3M. Es gab sicherlich auch Vorversuche bei Spezialisten von CBS und Warner, nehme ich an. Nur gab es noch keine Platten amerikanischer Herstellung, die etwa mit digitalen Apparaturen aufgenommen worden wären.

Kenner kannten natürlich legendäre japanische Pressungen, deren Geheimnis das Digital Recording war. Da war also die Aufregung bei den Ton-Ingenieuren und - Technikern auch bei uns im Hause sehr groß. Der erste Punkt war: Es war ein anderes Klangerlebnis. Der zweite: Die gesamte Herstellungskette von der ersten Einspielung bis zum Masterband für die Produktion der Tonträger schrumpft auf wenige Schritte zusammen, bei denen Fehlerfreiheit garantiert war. Ein digitales „Tonband“, das kannte man natürlich schon: Alle Rechenmaschinen arbeiteten damit, die IBM-Technik mit ihren Datenbändern beispielsweise. Nach dem Ende der Lochkarten bei der Hollerithmaschine war das Loch- und dann das Magnetband als analoger und später digitaler Speicher von Daten in Computer-Systemen beziehungsweise der EDV, wie es damals hieß, allgemein bekannt – unabhängig davon, dass man seit ca. 1956 auch magnetisierbare Platten als Datenspeicher benutzen konnte. Um 1979/1980 tauchten dann eben Schallplatten auf, die für den, der hören konnte, ein völlig anderes Klangerlebnis boten. Plötzlich wurde einem klar: Die Herstellungsschritte einer Platte, von der Studioaufnahme, über Abmischen und Filtern bis hin zur Endfertigung und Duplizierung des Masterbandes für den Weltvertrieb sind so, dass eine Fehlerquelle an die andere gereiht wird. Wir überspringen diese fehlerbehafteten Schritte, wenn wir die Aufnahmen digital herstellen und weiter verarbeiten. Das war ein radikaler Gedankenschritt.

Gegen 1979 erreichte die Qualität von analogen Schallplatten in der Tat eine sagenhafte Höhe, weil verschiedene technische Entwicklungen zusammentrafen. In der Audioproduktion wurde durch die Umstellung auf Digital Recording die Störparameter auf das Rauschlevel der Mikrophone abgesenkt. Gleichzeitig konnte im Mastering beim Schneiden auf den direkten Kupfer-Schnitt der DMM- Technik umgeschwenkt werden, was den Rauschpegel der Schallplatte durch die Verkürzung im galvanischen Prozess um gut 10 db, von sagen wir 53 db auf 63 db, Rauschabstand erhöhte. Die Vinylmischungen und die Presstechnik waren ausdifferenziert und man konnte, wenn man wollte, mit einer 180g-Pressung sehr haltbare und wertige Plattenauflagen herstellen.

Gleichzeitig waren in den siebziger Jahren die einstigen Piezo-Abtastnadeln nunmehr als magnetischen Abtastsystemen „durchsozialisiert“, wenn man so will, und somit auch in Massenauflage bei der mittleren Preislage von Plattenspielern verfügbar. Zudem hatte das durch und durch analoge Produkt Schallplatte selbst bei Digital Recording noch keinen „metallischen Digitalklang“, und gegen den konnte es sich noch eine ganze Weile mit diesem Qualitätsniveau, auf dem man nun angekommen war, als Nischenprodukt behaupten. Das technisch bei der Schallplatte verhältnismäßig einfach zu realisierende Scratching und Pitching für neueste Hörgewohnheiten tat ein übriges, um aus der Schallplatte ein wirkliches Jahrhundertprodukt zu machen. Nun ist es ja so, dass mein Interesse bei der Bildplattenentwicklung im allgemeinen und bei der TED-Bildplatte in besonderen liegt. Gab es denn irgendwelche Kontakte seitens der PolyGram etwa zu Teldec, zu deren Presswerk in Nortorf oder zu Horst Redlich als technischem Direktor und Forschungsleiter der Teldec?

Hermann R. Franz: Das, was Telefunken machte und wie man die dortigen Kollegen einschätzte, ist mir gegenüber wenig kommuniziert worden. Ich glaube, es gab zwischen den Firmen und zwischen den einzelnen Abteilungen unterdurchschnittlich wenig persönliche Kontakte. Die Rolle von Telefunken innerhalb der phonographischen Industrie war, nachdem Decca durch PolyGram übernommen worden war, ohnehin reduziert. Etwa Anfang 1982, wenn nicht schon früher, war der Deal mit Sir Lewis, dem Chef der Decca, unter Dach und Fach. Auch die Repertoireübernahme war erfolgt. Die englische Decca war nun Teil einer deutsch-holländischen Firmengruppe. Die Art, wie Decca Platten gemacht hatte und vor allen Dingen die Pflege des Repertoires, ist seitens der PolyGram in Hamburg und Baarn mit Hochachtung verfolgt worden – ich denke auch, mit einem gewissen Neid, weil sie nicht nur hervorragende Künstler und ein herausragendes Repertoire hatten, sondern auch hervorragende Aufnahmen gemacht haben. Die deutsche Teldec war aus diesem Deal zunächst ausgeklammert, aus dem Grunde einer ganzen Reihe von Lizenzproblemen mit langer Vorgeschichte. So dass man, unabhängig was die Patentanwälte dann miteinander noch zu klären hatten, Aktivitäten über Teldec in Deutschland in Gegensatz zu Decca in London separat, zeitlich verzögert und unter völlig anderen Aspekten verfolgte. Herr Dr. Hirsch war ab 1984 für das Repertoire und die Einspielungen der Teldec zuständig, nach einer jahrzehntelangen Tätigkeit in der PolyGram und vorher für die Deutsche Grammophon in Hannover. Herr Dr. Hirsch wurde 1989 nach der Übernahme der Teldec bis zu seiner Pensionierung auch noch ein Warner- Mann.

Die Deutschen sind anscheinend keine besonderen Künstler auf der Klaviertur der Vermarktung

Wie haben Sie denn den Hereinbruch des damals neuen, audiovisuellen Zeitalters in den siebziger Jahren erlebt?

Hermann R. Franz: Ich habe natürlich den ganzen Grimm meiner Philips- Kollegen über den Siegeszug von VHS voll mitbekommen, weil ich das uferlose Gewinnen von Marktanteilen dieses Systems überall in der Welt erlebte. Die siebziger Jahre waren durch die Vielzahl an System- und Gerätephilosophien eine große Zeit der Glaubensbekenntnisse. Gerade 1978, als ich von der Vacuum-Schmelze in Hanau nach Hannover wechselte und Einblicke bei Philips in Hamburg, Baarn und Einhoven bekam, war ja ein Schlüsseljahr für den Wandel hin zu VHS. 1983, als ich von der PolyGram nach München zum Bauelementebereich bei Siemens wechselte, war durch die Markteinführung der CD auch wieder ein Schlüsseljahr.

Wir haben in Deutschland eigentlich die Entwicklung nicht gewonnen, was die Vermählung von Unterhaltungsgeräten, Elektronik und Digitalisierung angeht. Im Moment ist heute der iPod das zum Walkman vergleichbare Produkt und es werden in Deutschland eigentlich keine Unterhaltungs- und Kommunikationsgeräte mehr hergestellt. Wir haben jüngst gerade den Niedergang der Mobiltelefon-Fertigung von Siemens erlebt. Die einzige Ausnahme stellt das fraunhoferische Lizenzfüllhorn MPEG-3 dar, das weniger elektro- akustisch als psycho-akustisch arbeitet und wie bei den Halbleitern nur eine Vorstufe darstellt und noch kein fertiges Gerät, das durch Systemsynthese und mit den Hipfaktor erst große Gewinnmargen abwirft. Und jedes Patent läuft irgendwann einmal aus, während Fertigungs- KnowHow, im wahrsten Sinne des Wortes, nachhaltig aufbaut und zwar anderes auch mit.

Hermann R. Franz: Natürlich bedaure ich das. Ich hatte mit Betroffenheit und Bedauern verfolgt, was etwa auf dem Gebiet der Fototechnik in Deutschland geschehen ist. Dann das Sterben berühmter Weltklasse-Unternehmen auf dem Sektor der Consumer Electronics, die in Deutschland nach ihrem Höhenflug abgestürzt oder abgestorben sind, weil andere mit vielleicht schlüssigeren, jedenfalls erfolgreicheren Markt-, Marketing- und Technik-Philosophien das Geschäft an sich gezogen haben. Da ist dann wahrscheinlich eine schmerzliche Einsicht in die Grenzen unsere Fähigkeiten angebracht: Die Deutschen sind anscheinend häufiger keine besonderen Künstler auf der Klaviertur der Vermarktung. Diese Feder kann man ihnen nicht unbedingt generell an den Hut stecken. Um so heller leuchten die Sterne in den eigenen Reihen, die es dann trotzdem zu märchenhaften Erfolgen gebracht haben, durch viel Beharrlichkeit, durch Fingerspitzengefühl, durch gute Nase, scharfes Ohr und dass Erspüren von Trends.

Wir haben auf einer ganzen Reihe von Gebieten den Anschluss verpasst und gerade im Bezug auf die Kleingeräte-Technik haben die in Fernost das Rennen gemacht. Wobei ich sagen möchte, dass das Ingenium der technischen Konzeption, das Prinzip, die visionäre Gestaltung des Systems, – so scheint mir – in einer ganzen Reihe von Fällen, siehe iPod, derzeit noch bei den Amerikanern liegt. Die großtechnische Massenherstellung ist dann eine Angelegenheit, die zu deren Leidwesen eben nicht mehr in den USA stattfindet.

Hätten wir aber auch so machen können, wenn wir es anders gekonnt oder gewollt hätten.

Hermann R. Franz: Wenn wir es gekonnt hätten und wenn wir es gewollt hätten. Wenn man ein Register der Firmen, die, sagen wir, vor 30 oder 40 Jahren eine Funkausstellung bevölkert haben, sich anschaut, dann kann man eigentlich nur Schlucken. Die haben doch seinerzeit unternehmerische und ingenieuremäßige Leistungen von hoher Bedeutung auf die Beine gestellt. Und fast alle sind vom der Landkarte verschwunden. Nun gibt es also noch Philips, aber auch Philips ist auf dem Rückzug in einer Reihe von Gebieten. Damit meine ich natürlich nicht die Lichttechnik, natürlich auch nicht die Medizintechnik. Aber, was aus der Halbleitertechnik bei Philips wird, muss man wohl mit anteilnehmender Sorge verfolgen.

Aber Philips hat es doch immerhin länger geschafft, ein internationaler Player am Markt zu bleiben. Was man zumindest einmal attestieren muss.

Hermann R. Franz: Ja und ich kann aus intensiven Kontakten mit Kollegen in Eindhoven immer nur mit Hochachtung vor den ingenieurmäßigen und – vor allen Dingen auch – vor den kaufmännischen Leistungen, dem Marketing-Können und der Hartnäckigkeit der Niederländer, reden. Sie lassen einfach nicht so schnell locker, was wohl auch ein geschichtlicher und kultureller Abdruck ist. Denn sie waren als Niederländer im Zweifelsfalle immer in der Minderzahl und mussten also einen steifen Nacken haben, um sich durchsetzen zu können. Und sie waren immer schon eine Kaufmanns-Nation mit vorübergehender Weltgeltung. Auch die geschichtliche Erfahrung als Kolonialmacht spielt sicherlich eine Rolle für etwas, was man in Deutschland allenfalls an der Waterkant und im Hansebereich kennt, nämlich den Merkspruch: „Unser Feld ist die Welt.“ Es wird kein Holländer je abstreiten, dass er im Grunde sein Land als eine Basis betrachtet, von der aus man hinaus aufs Meer und in die Übersee zu gehen hat.

Im Softwarebereich gibt es ständig fortzeugend generierte Gebärvorgänge

Sie können auf ihre 60 Monate bei PolyGram – von 1978 bis 1983 – doch mit ziemlichem Stolz und persönlicher Befriedigung auf ihren beruflichen Erfolg zurückblicken. Denn die Compact Disc ist heute noch etwas, was man auch 25 Jahren nach ihrer Einführung immer noch gern in die Hand nimmt und sich zu einer Art „Goldstandard“ entwickelt hat.

Hermann R. Franz: Ich bin durch diese Jahre ganz außerordentlich bereichert worden, menschlich, in meinem Wissen um das, was Industrie ausmacht, Konzepte, Ideen, Aufgaben, Kooperationen: Offenheit für das, was irgendwo überhaupt in der Welt passiert. Da habe ich außerordentlich viel gelernt und das war dann auch für die nächste Station meines Lebens sehr wichtig. Und noch etwas, war mir sehr wichtig ist: Ich habe eine spezielle Art von Software kennen gelernt. Wie man Software behandelt, welche menschlichen Typen Software als ihr eigenes wirtschaftliches Feld betrachten, das habe ich bei PolyGram sehr genau gelernt. Und mit Software meine ich natürlich neben der informationstechnischen Verarbeitung auch das Gebiet von Musik, Sprache, Bildern.

Später im Halbleiterbereich bei Siemens hatten sie natürlich auch mit Software zu tun.

Hermann R. Franz: Ja, natürlich, und wie. Ich habe bei beiden viel Parallelität entdeckt. Angefangen von der Frage: Was beinhaltet eine vertragliche Vereinbarung oder auch nur Unterredung über irgendwelche Dinge im Softwarebereich? Nun habe ich davon einen, wie Sie sehen, sehr weit gefassten Begriff. Was für Kategorien spielen hier eine Rolle? Das gesamte Thema des Urheberrechts zum Beispiel, um etwas sehr Naheliegendes und Aktuelles zu benennen. Auch die Schwierigkeiten, ein Projekt einmal abzuschließen und zu sagen: Jetzt, das ist es und „Schluss“! Im Softwarebereich gibt es ja anscheinend ständig fortzeugend generierte Gebärvorgänge.

Wie lange waren sie dann im Vorstand des Bauelemente-Bereichs bei Siemens?

Hermann R. Franz: Ich bin 1983 gekommen und 1989 ausgeschieden. Durch innerorganisatorische Veränderungen der Siemens AG im Jahre 1988 waren es dann für mich dann nicht sechs, sondern nur fünf Jahre. Ich war ab 1.8.1983 in München und habe meine Tätigkeit im Bauelementebereich in der Sparte Halbleiter aufgenommen, ein gutes Jahr später hatte ich dann die Verantwortung für den ganzen „Unternehmensbereich B“. Der Bereich Bauelemente ist aufgeteilt worden in die „Halbleiter“ und „Passive Bauelemente“ (zum Beispiel Widerstände etc.) zum Beginn des Geschäftsjahres 1988/1989, also am 1.10.1988. Ich war noch ein Jahr innerhalb des Unternehmens ohne festen Bereich zur Unterstützung des Vorstandsvorsitzenden Dr. Kaske tätig. Mein bevorzugtes Thema war damals die Informationssicherheit. Das war also das Feld der Hacker, was man bei Siemens für eine Weile unterschätzt hatte. Zu denen, die es nicht unterschätzten, gehörte der Herr Franz, der seinen Vorstandskollegen und seinem Vorstandsvorsitzenden ständig in den Ohren gelegen hat, schnellstmöglichst möglichst viel und weitgehendes zu unternehmen.

Hacker ist aus dem Amerikanischen stammend eigentlich ein ursprünglich sehr positiv besetzter Begriff, der für Freiheit und für Transparenz im Umgang mit Hochtechnologie stand.

Hermann R. Franz: Für die Leute der Informationssicherheit waren die Streiche, die der Hamburger Chaos Computer Club (CCC) spielte, natürlich Schrecken erregend und sind es lange geblieben. Das Gebiet hat natürlich durch die gesamte Vernetzung inzwischen ein ganz anderes Format gewonnen. Meine Vorstellung war damals: Wenn Siemens alles das zusammen brächte, was man über Informationssicherheit weiß, dann könnte man sicherlich ein außerordentlich wichtiges und erfolgsträchtiges Geschäftsgebiet kreieren. Siemens hätte das Zeug dazu gehabt, hatte auf dem Gebiet der Codierung schon mit langem Vorlauf große Erfahrungen, die in gebündelter Form nur sehr partiell zum Tragen kamen. Inzwischen ist dieses Wissen überall gefragt. Es gibt ja keine Frage der elektronischen Unterschrift, der Authentifizierung, der Vertraulichkeit und der Echtheit, die ohne Codierung behandelt werden könnte.

Im August 1989 wurde ich 65 Jahre, schied bei Siemens Ende September aus, und ich hatte dann noch bis Ende 1991, mit einem kleinen Überlauf noch Anfang 1992, eine Beraterrolle. Ich war schon während meines letzten Dienstjahres von der nordrhein-westfälischen Landesregierung angefragt worden, ob ich als Mikroelektronik-Berater in Düsseldorf tätig werden könne und wolle. Das habe ich vor mir her geschoben, bis ich im Ruhestand war, und habe es dann nach meiner Siemens-Zeit, quasi ehrenamtlich gegen Erstattung der Auslagen, aufgegriffen. Ich war dann zwei oder drei Tage pro Woche in Nordrhein-Westfalen unterwegs und habe mich um die Frage gekümmert: Was macht dieses Bundesland auf dem Gebiet der neuen Technologien, speziell auf dem Gebiet der Mikroelektronik? Und was könnte oder müsste anders bzw. besser gemacht werden?

Das waren die Bemühungen der damaligen Landesregierung unter Rau, von der Kohle- und Stahl-Industrie in die Dienstleistungs- und Medien-Industrie zu konvertieren?

Hermann R. Franz: Ja, ich habe mir angeschaut, was es in diesem Bundesland so alles gab. Und es war ganz erstaunlich, was alles aus Landesmitteln gefördert wurde. Aber die Förderung hatte eine Reihe schwerwiegender und unverständlicher Defizite. Es gab etwa keine erschöpfende Projekt-Fortschrittsverfolgung in der Weise, dass man im Abstand von so und so vielen Monaten oder Jahren fragte, was aus der Fördermaßnahme tatsächlich an Arbeitsplätzen und Umsatz entstanden war. Es fehlte ein Feedback darüber, wie viel Wirtschaftsergebnis generiert wurde, oder welche Patente angemeldet, eventuell verkauft worden sind. Das wäre also eine Projektverfolgung unter dem Stichwort gewesen: Wir wollen Erfolge sehen. So hätte man Schlussfolgerungen ziehen können, was sich wirklich an Förderung lohnt, was man besser einstellt, oder wie man die Förderung erfolgreicher einsetzt. Die Mittel waren da, aber die Erfolgskontrolle war klein geschrieben.

Die Großindustrie – auf der einen Seite z.B. die Ruhrkohle-AG, auf der andern Seite Thyssen – hatte im Gebiet der Informationstechnik eigene Abteilungen beachtlicher Kopfzahl, die bei internen Aufträgen erstaunliche Dinge gemacht haben. Aber ihr Feld war dann eben nur Thyssen oder die RAG. Ich habe damals den Unternehmen, aber auch im Wirtschaftsministerium und dem Ministerpräsidenten gesagt und geschrieben, dass es diese Gruppen verdienen, so schnell wie möglich und so weit es irgend nur geht, ausgegliedert und auf die freie Wildbahn geschickt zu werden. Weil durch die Veränderungen, die bei der Kohle, aber auch bei Stahl anliefen, die Gefahr bestand, dass diese außerordentlich zukunftsträchtigen und auch schon erfolgreichen Bereiche und Gruppen bald unternehmensseitigen, prozentualen Schrumpfungsprozessen unterworfen wären: Wenn gesagt würde, jetzt müssen wir bei der Kohle kürzen, dann kürzen wir auch die Informatik prozentual entsprechend mit.

Innovationen werden meist durch ein druckloses, interesseloses Herumspielen ermöglicht

War ihnen die Tragweite der Digitalisierung, die diese in ihrer gesamt-kulturellen Tragweite für uns bedeutet, eigentlich schon damals klar, als Sie die Einführung der Compact Disc bei PolyGram leiteten – oder haben Sie das damals nur als sportive Abwechslung gesehen?

Hermann R. Franz: Dass mit der Digitalisierung sozusagen ein neues Zeitalter hereinbricht, wie überhaupt die Informationstechnik als Treiber und Bestandteil der Dritten Industriellen Revolution einen weitgehenden Umbruch unserer gesellschaftlichen Verhältnisse bewirken würde, das ist mir schon damals sehr deutlich gewesen. Ich habe zunächst in München große Schwierigkeiten gehabt, für das Thema „Wohin führt uns die Möglichkeit der digitalen Signalverarbeitung?“ unter dem Gesichtspunkt einer Beherrschung der dazugehörigen Elektronik, also Mikroelektronik und Chiptechnologie, aufgeschlossene Gesprächspartner zu finden. Ich war, nachdem ich 1983 von Herrn Dr. Plettner zunächst unter dem Stichwort „Halbleiter“ nach München zu Siemens gerufen worden war, sehr schnell davon überzeugt, dass die Mikro-Elektronik eine Schlüsseltechnologie sei, die man so weit wie irgend möglich selber beherrschen, wirtschaftlich verwerten und großflächig benutzen können müsste – und dass dies für die Siemens AG eine Aufgabe aller ersten Ranges sei. Darum habe ich mich dort vorwiegend gekümmert. Das haben manche Kollegen und Mitarbeiter teilweise mit Mühe und wohl auch mit einigen Schwierigkeiten später nachvollzogen – und zum Teil etwas sehr spät.

Wenn wir heute in Deutschland uns die Chip-Technologie anschauen, dann denken wir wohl vor allem an AMD und die Chipfabriken in Dresden.

Hermann R. Franz: Ja, unter der Leitung von Hans Deppe. Herr Deppe war in meinem Projekt-Team 1984 ein herausragender Mann, der nach Japan geschickt wurde, um einen Kooperations-Vertrag, den wir gegen das Widerstreben vieler Kollegen und Mitarbeiter mit Toshiba geschlossen hatten, zu realisieren. Denn wir stiegen zu einem Zeitpunkt in die Mega-Chip-Produktion ein, als der Zug gerade die Station verließ. Der Zeit-Rückstand der Halbleitertechnik bei Siemens im Jahre 1983 war erschreckend und betrug Jahre. Siemens war ganz weit hinten. Das hat sich dann geändert.

Es zeigte sich aber schnell, dass auch bei einem noch so sehr forcierten Mitteleinsatz, der Abstand zu den anderen Herstellern in der Zeit, die wir uns gesetzt hatten, nicht aufzuholen war. Wir haben uns damals vollgesogen mit neuen Leuten und haben die angelernt, so schnell es nur irgendwie ging. Es zeigte sich bald, dass dies zielführend war, aber nicht ausreichte. Der Grund war: Bei einer Marktkrise der Halbleiterbranche zu Beginn des Jahres 1984 erklärten die Japaner kaltblütig – insbesondere Toshiba, aber auch die anderen, wie zum Beispiel Hitachi –, dass sie nun ihre Entwicklungsziele einfach kürzer setzen würden. Nicht etwa verringern, die Dinge verschieben, sondern den Einsatz vergrößern, und das, was man eigentlich erst 1987 machen wollte, bereits Anfang 1986 realisieren. Das verursachte natürlich bei den anderen Marktteilnehmern, in Deutschland, aber auch in Amerika nichts als Kopfschütteln. Es gab wirklich nur wenige, die verstanden, was das eigentlich bedeutete: erst recht abgehängt werden. Ich musste meiner Truppe dann sagen: Unsere Planung ist jetzt Makulatur, jetzt hilft nur noch Mitfahren. Und das passierte dann mit einer Mannschaft von anfangs circa 20, in einer späteren Phase dann 60 relativ jungen Spitzen-Leuten aus Deutschland, die bei Toshiba für viele Wochen in einer großen, südjapanischen Entwicklungseinrichtung und Fabrik gelernt haben. Herr Deppe hat in diesem „Megachip“-Projekt jahrelang eine leitende Stellung gehabt, dann später Siemens verlassen und ist zu AMD gegangen. Er hat gut gelernt, wie sich gezeigt hat, und er ist nicht umsonst der europäische Manager Nr. 1 für AMD. Gott sei Dank, dass wir so etwas im Lande haben. Ansonsten sind in diesem Zusammenhang noch die Chipfertigungen von Infineon in Dresden, Regensburg und Villach zu nennen.

Die Phantasien von technischen Entwicklern und die von Betriebswirtschaftlern sind oft sehr konträr. Es scheint so, dass Innovationen, die diesen Namen auch wirklich verdienen, meist gerade durch ein druckloses, interesseloses Herumspielen ermöglicht werden, einem Spielfeld also, das unter dem Blickwinkel der Betriebswirtschaft nur zu gerne dem Rotstift und dem Outsourcing preisgegeben wird. Da geht es um die Frage, welche Freiräume den Entwicklern in einem Unternehmen gegeben werden sollen. Eine Quote von mindestens 15 % für interessenloses, technisches Herumspielen der Entwicklungsingenieure sowie ein Zeitraum von ein bis zwei Jahren, bis zu dem man ein Projektteam schließlich zu fragen wagt, was sie da eigentlich gemacht haben und was jetzt der Stand ist, scheint mir sicherlich nicht verkehrt. Nur muss man sich so etwas natürlich erst einmal leisten können und über Gewinnmargen wie etwa die des Schnellschusses „iPod“ verfügen, um so eine Politik auch betriebsintern und gegenüber dem Kapital durchsetzen zu können. Mit dieser Perspektive wäre natürlich Ihr Tipp heute sehr spannend, welches heute etwa ein Feld für solche Spielwiesen sein könnte, von dem Sie sagen würden: Schaut da mal rein und in 10 oder 15 Jahren wird das dann der Knaller sein.

Hermann R. Franz: Auf allen Gebieten gibt es was: Umwelttechnik, Energietechnik, Biotechnik, Nanotechnik, Software. Die Frage ist auch, was eines Tages die Photonik bringen wird, wenn es um superschnelle Schalter gehen wird, wenn also die lithographische Skalierung von Halbleiter-Chips am Endpunkt der Miniaturisierung angelangt ist.

Joachim Polzer, geb. 1962, ist Medienhistoriker, Publizist und Festivalmacher. Er gibt seit 1994 die Publikationsreihe "Weltwunder der Kinematographie - Beiträge zu einer Kulturgeschichte der Filmtechnik" heraus. Zuletzt erschien darin der achte Band "Zur Geschichte des Filmkopierwerks - A Short History of Cinema Film Post- Production". 2005 gründete er das "Globians Film Festival" in Potsdam, welches im August 2007 in die dritte Saison geht. Zur Zeit erforscht er die "Geschichte der Bildplatte" an der Staatlichen Filmakademie von Prag (FAMU).