Eine gefühlte Elite-Uni und der harte Boden der Realität

Die Universität Bremen will hoch hinaus und kann derzeit nicht einmal Prüfungen ordnungsgemäß durchführen. Doch auch an anderen Hochschulen wächst die Kluft zwischen Forschung und Lehre

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im November vergangenen Jahres feierte die Universität Bremen mit großem Aufwand ihren 35. Geburtstag. Stolz verwies die Hochschule darauf, dass aus den 420 Studierenden und 80 Lehrern, die sich im Wintersemester 1971/72 auf den Campus verirrt hatten, mittlerweile 20.500 Kommilitonen und 270 Professorinnen und Professoren geworden sind.

Bremen belegte 2003 einen vielbeachteten fünften Platz bei der Einwerbung von Drittmitteln, weil jeder Professor im Durchschnitt 222.700 Euro Richtung Universität bewegen konnte. Und auch wenn die ehrgeizige Bewerbung um die Aufwertung zur Elite-Uni schließlich scheiterte, bekam Bremen von der Exzellenzinitiative eine Million Euro pro Jahr für die Graduiertenschule “Global Change in the Marine Realm“ zugesprochen. In der nächsten Runde könnte sich diese Bilanz noch verbessern, denn die Hochschule ist erneut ist für jeweils zwei Graduiertenschulen und Exzellenzcluster nominiert worden.

Kein Wunder also, dass die Bremer Universität ihren einstigen Ruf als „rote Kaderschmiede“ mittlerweile als Diskreditierung empfindet und den vornehmen gesellschaftlichen Rahmen eilig nachrüstet. Zum Jubiläum wurde im Atlantik Hotel an der Galopprennbahn erstmals ein Uni-Ball veranstaltet, wobei sich die gestiegenen Ansprüche auf sinnige Weise mit hanseatischer Geschäftstüchtigkeit verbinden sollten: Die Eintrittskarten kosteten 70 Euro, Studenten durften für 30 Euro dabei sein. Doch den meisten der potenziellen Gäste war das Ticket zu teuer. Am Ende kamen rund 180 Besucher, Uni-Rektor Wilfried Müller musste einen Verlust von 10.000 Euro vermelden, konnte aber zunächst darauf vertrauen, dass solche Schönheitsfehler längst vergessen sind, während die Festschrift Die Welt fest im Blick immer noch das gestiegene Selbstvertrauen der Universität dokumentiert.

Die Universität Bremen verspricht, hohe Qualität in Forschung, Lehre und Dienstleistungen zu sichern. Fächerübergreifende Forschung findet in praxisrelevanten Wissenschaftsschwerpunkten statt, „forschendes Lernen“ prägt das breite Angebot für deutsche und internationale Studierende sowie für Nachwuchswissenschaftler(innen). Die Universität Bremen ist aktive Partnerin in einem weltweiten Netz von Institutionen und Unternehmen. Sie fördert ausdrücklich ein demokratisches, sozial gerechtes und ökologisch verträgliches Europa. Die Universität Bremen versteht sich als Motor der Entwicklung in ihrer Region und verbindet Bremen mit der Welt.

Die Welt fest im Blick – 35 Jahre Universität Bremen

Streichungen, Verlosungen und lange Wartezeiten

Doch hinter der Hochglanzfassade standen die Zeichen auf Sturm. Der traditionell starke AStA opponierte immer wieder gegen die Pläne der Hochschulleitung, die unter dem Druck der rigiden Sparpolitik des Bremer Senats auf prestigeträchtige Forschungsprojekte setzen und ganze Studiengänge schließen wollte. Behindertenpädagogik und Sport standen ganz oben auf der Streichliste, aber auch für Chemie und Musik waren deutliche Einschränkungen des Studienangebots geplant, um bis 2010 auf zehn Prozent der 270 Professoren und bis 2015 auf ein gutes Dutzend weitere Lehrstuhlinhaber verzichten zu können.

Insgesamt sieht der von der rot-schwarzen Regierungskoalition verhandelte Hochschulgesamtplan V für die Universität und die Hochschulen in Bremen und Bremerhaven bis zum Jahr 2010 Einsparungen von rund 100 Millionen Euro vor. Für die Vertreter der Studierenden sind diese Forderrungen umso absurder, als sie bereits vor Jahren darauf hingewiesen, dass der Bildungstempel an der Weser weit hinter den eigenen hochgesteckten Erwartungen zurückbleibt. Bemängelt wurde unter vielem anderen die Verlosung von Seminarplätzen im Grundstudium Geschichte, ein Verhältnis von sechs Lehrstuhlinhabern zu 1.800 Studierenden in der Soziologie, vierfach überbelegte Veranstaltungen in der Philosophie, die Betreuung von wirtschaftswissenschaftlichen Diplomarbeiten, die mangels Personal von pensionierten Professoren übernommen wird, oder auch Probleme mit der Wartung von Rechnerpools und der Funktionsweise der neuen Verwaltungssoftware. Nun kommt ein weiterer Krisenherd hinzu. Vor wenigen Tagen wandten sich Professoren des Studiengangs Informatik in einem Offenen Brief an die eigene Hochschulleitung. Da einige Arbeitsgruppen über keine wissenschaftlichen Mitarbeiter mehr verfügen und sich so außerstande sehen, für Prüfungen die vorgeschriebenen Beisitzer zu nominieren, sollen alle Termine für den ersten Prüfungszeitraum des laufenden Wintersemesters abgesagt werden. Die nicht betroffenen Hochschullehrer erklärten sich mit ihren Kollegen solidarisch, „da es uns bei den seit Jahren fortschreitenden Sparmaßnahmen an der Universität in absehbarer Zeit ebenso treffen kann“. Die Studierenden wurden derweil um Verständnis gebeten. Sie sollten ihr Recht, von der eigenen Universität geprüft zu werden, vor dem Bremischen Verwaltungsgericht einklagen.

Hochschulen ohne Studenten

Spektakulärer kann der Niedergang der Lehre im deutschen Hochschulsystem kaum dokumentiert werden. Denn Bremen ist kein Einzelfall. Auch in vielen anderen Städten werden dem Bemühen, öffentlichkeitswirksame und finanziell interessante Forschungsprojekte durchzuführen, die Qualität des Unterrichts, die Ausstattung der Fachbereiche und die Betreuung der Studierenden bedingungslos untergeordnet.

Dieses Problem existierte übrigens schon lange vor der Diskussion um Spitzenuniversitäten und Exzellenzcluster. Als die Arbeitsgemeinschaft Hochschulforschung und die Universität Konstanz im Jahr 2000 rund 7.000 Studierende nach ihren persönlichen Erfahrungen befragten, hatte gerade einmal jeder zweite Nachwuchs-Akademiker den Eindruck, sein Hochschullehrer gebe klare Lernziele vor. Gute Verständlichkeit wurde 44 Prozent der Dozenten attestiert, aber lediglich ein gutes Drittel der Studenten war auf Prüfungsordnungen hingewiesen und nur 18 Prozent von den Hochschullehrern gefragt worden, ob sie den Stoff überhaupt verstanden hätten.

In neuerer Zeit haben sich diese Tendenzen so verstärkt, dass Ernst-Ludwig Winnacker, bis Ende 2006 Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und nun „Secretary General“ des Europäischen Forschungsrats, bereits davon träumt, Wissenschaftszentren zu Universitäten umzustrukturieren. Den Hinweis, dass es dort ja keine Studenten gebe, kontert Winnacker:

Na und? Man kann sich doch auch eine Hochschule ohne Studenten vorstellen, eine Graduiertenuniversität wie in den USA die Rockefeller University oder Caltech. (...) Man sollte sich ohnehin überlegen, ob manche Disziplinen an einer Fachhochschule besser aufgehoben sind als an einer Universität. Betriebswirtschaft, große Teile der Ingenieurwissenschaften und Jura könnten an Fachhochschulen verlegt werden. Oder Pharmazie: Warum muss jemand, der Aspirin verkauft, an einer Universität ausgebildet werden?

Ernst-Ludwig Winnacker

Überlegen kann „man“ sich vieles, doch wenn selbsternannte Forschungsgrößen auf die eben zitierte Weise Ignoranz im Fernstudium anbieten, können vor allem jegliche Gedanken an Solidarität und interdisziplinäres Arbeiten im wissenschaftlichen Raum ad acta gelegt werden.

Exzellenz-Initiative der Lehre

Immerhin sehen einige hochrangige, international renommierte Wissenschaftler die Schwere und Dringlichkeit des Problems sehr viel deutlicher als Winnacker. Der Direktor des Erlanger Universitätsklinikums, Eckhart G. Hahn, weist im Editorial der aktuellen „Zeitschrift für Medizinische Ausbildung“ darauf hin, dass die Diskussionen der letzten Monate und Jahre das ohnehin schon gravierende Ungleichgewicht zwischen Forschung und Lehre noch stärker aus der Balance gebracht haben, und der Exzellenz-Initiative der Forschung nun unbedingt eine Exzellenz-Initiative der Lehre zur Seite gestellt werden muss.

Die Exzellenz-Initiative hat die Lehre ausgeklammert: Elite an Universitäten wird ohne Lehre definiert, und das für die angeblichen Spitzenuniversitäten unseres Landes! Der Plan der Technischen Universität München, um die besten Studierenden zu werben, und der Vorschlag der Universität Heidelberg, Lehrprofessuren einzurichten, wurden eher als frech empfunden. Eine Verringerung des Lehrdeputats wird hingegen oft als wichtigster Anreiz für die Anwerbung von Spitzenforschern eingesetzt. Studierende stören und stehen dem Forscher im Weg! Das erinnert mich an ein Schlüsselerlebnis 1973 an meinem ersten Tag als Wissenschaftlicher Assistent in der Medizinischen Klinik Marburg nach zwei Jahren Max-Planck-Institut für Biochemie in München, als mich ein wohlmeinender ergrauter Professor empfing: „Hier kann man wirklich hervorragend arbeiten – wenn nur die vielen Patienten und Studenten nicht wären“. Gute Lehre ist offensichtlich hinderlich, gute Lehre ist schädlich für die eigentliche Aufgabe der Hochschullehrer an Universitäten.

Eckhart G. Hahn

Der Wissenschaftsrat hat vor diesem Hintergrund kürzlich die Einrichtung von Professuren mit dem Schwerpunkt Lehre gefordert und damit die ausdrückliche Zustimmung des Berliner Bildungssenators Jürgen Zöllner (SPD) gefunden, der momentan auch als Präsident der Kultusministerkonferenz fungiert. Zu diesem Zweck sollten rund 20 Prozent der Professuren ein erhöhtes Lehrdeputat aufweisen, allerdings setze die Maßnahme voraus, „dass flankierend ein umfangreiches, klar strukturiertes Angebot zur Vermittlung von Lehrkompetenzen aufgebaut wird“. Ob das geschieht und Bund und Länder sich auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen können, bleibt vorerst abzuwarten.

Resolution gegen Sparzwänge

Mit einiger Spannung darf auch die weitere Entwicklung in Bremen erwartet werden. Nachdem eine Vollversammlung dort unumgänglich geworden war, einigten sich am Mittwoch dieser Woche alle Statusgruppen „einstimmig (bei ganz wenigen Enthaltungen)“ auf eine gemeinsame Resolution. Sie stellt nun plötzlich fest, dass sich die Hochschule „in der schwersten Krise seit ihrer Gründung im Jahr 1971“ befindet. Es sei mittlerweile ein Punkt erreicht, „an dem der reguläre Universitätsbetrieb nur noch mit Mühe aufrechterhalten werden kann“.

Mit Informationskampagnen, öffentlichkeitswirksamen Aktionen, gemeinsamen Aktionsgruppen aller Universitätsangehörigen und einem „dies academicus“, der – anders als im November - nun nicht mehr der Selbstbeweihräucherung, sondern dem Protest dient, soll versucht werden, die Große Koalition zum Umdenken zu bewegen.

Die Mitglieder der Universität Bremen lehnen daher die Kürzungspläne der Landesregierung vehement ab. Wir werden uns an diesem Akt der Zerstörung nicht beteiligen und die Sparauflagen der Landesregierung nicht umsetzen. Alle Mitglieder dieser Universität werden sich nach Kräften dafür einsetzen, dass die Kürzungsvorgaben der Landesregierung zurückgezogen werden.

Resolution alles Statusgruppen der Universität Bremen vom 7.2.2007

Der Termin für den gemeinschaftlichen Widerspruch kommt spät, aber möglicherweise nicht zu spät, denn am 13. Mai wird die Bremische Bürgerschaft neu gewählt. Trotzdem bleibt die Frage, warum die Entscheidungsfindung – insbesondere die der Hochschulleitung – so lange auf sich warten ließ und wie selbige allen Ernstes auf den Gedanken kommen konnte, Studiengebühren für junge Menschen einzuführen, die ihren Hauptwohnsitz außerhalb des Landes Bremen haben? Wenn das örtliche Verwaltungsgericht diesen Plan nicht gestoppt hätte, müssten die „Zuwanderer“ nun 500 Euro pro Semester für ein Angebot zahlen, dass nach Angaben des eigenen Rektorats nur noch am Rande etwas mit regulärem Universitätsbetrieb zu tun hat.

Unter diesen Umständen hätten sich auch die Damen und Herren Professoren in Bremen längst an einer Erkenntnis ihres Gründungsrektors Thomas von der Vring orientieren können.

Eine Universität als Ort kritischer Wissenschaft (...) gerät unausweichlich in Konflikt mit gesellschaftspolitischen Kräften, die mit Händen und Füßen dagegen kämpfen, dass eine kritische Einstellung der Bürger alltägliche Realität wird, weil sie fürchten, dass ihre Interessen und ihre Macht einem geschärften Blick wohlinformierter Bürger nicht standhalten.

Thomas von der Vring