Studentische Unruhen in Griechenland

Protestieren die Studenten nur gegen die Einführung von Privatuniversitäten oder steckt mehr dahinter?

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Seit Monaten finden in Griechenland regelmäßig Studentendemonstrationen statt. Gewalt ist dabei auf der Tagesordnung. Die meisten Universitäten sind von Studenten besetzt, und somit für den Lehrbetrieb geschlossen. Die Protestwelle wendet sich gegen die konservative Regierung der Nea Dimokratia (ND), die neben der Einführung privater Universitäten ins griechische Bildungssystem eine Auflockerung des akademischen Asyls plant (Kostenlose Bildung für alle).

An der Studentendemonstration am letzten Donnerstag nahmen 4.000 Personen teil. Bild: Aswestopoulos

Widerstand gegen private Universitäten

Auslöser für die studentischen Unruhen ist eine geplante Verfassungsänderung, mit der private Hochschulen legalisiert werden sollen. Artikel 16, Absatz 4 der griechischen Verfassung begründet ein staatliches Monopol für die universitäre Ausbildung in Griechenland.

Dieser Verfassungsartikel hat in der Vergangenheit schon oft zu Konflikten geführt. Einerseits war es zeitweise schwer für Absolventen einer ausländischen privaten Hochschule, eine Anerkennung der akademischen Grade zu erreichen. Andererseits haben zahlreiche, meist englische oder amerikanische private Hochschulen in Griechenland Niederlassungen eröffnet. Diese privaten Hochschulen sind in Griechenland selbst nicht als akademische Bildungseinrichtungen anerkannt. Aber die betreffenden Absolventen können mit einem dort erworbenen akademischen Grad der privaten Hochschulen in den Ursprungsländern der privaten Universitäten oder überall dort im Ausland, wo der Titel anerkannt wird, ihr Studium fortsetzen.

Der dort erworbene Titel berechtigt dann aufgrund der EU-Freizügigkeit meist zur Berufsausübung, reicht aber in der Regel nicht für die Erlangung einer akademischen Gleichstellung mit griechischen Absolventen.

Der Weg zum Glück, der öffentliche Dienst

Das Fehlen der akademischen Gleichstellung hindert die Absolventen daran, im öffentlichen Dienst Griechenlands zu arbeiten. Denn zu den Einstellungsvoraussetzungen des öffentlichen Dienstes in Griechenland zählt neben der fachlichen Eignung auch eine akademische Anerkennung des jeweiligen Studientitels. Durch die verschleppte Anerkennung akademischer Titel hat die griechische Regierung schon in der Vergangenheit Verstoßverfahren gegen EU-Richtlinien durchstehen müssen. Das wäre alles nicht weiter tragisch für die Absolventen, wenn in Griechenland eine ausreichende industrielle Infrastruktur vorhanden wäre, die Akademiker beschäftigen könnte. Leider ist dies nicht der Fall.

Die meist durch Fördermittel finanzierten privaten Unternehmen besetzen die wenigen verfügbaren Arbeitplätze gerne auf Grund persönlicher Freundschaften oder Abhängigkeiten Nach dem Motto "Eine Hand wäscht die andere" werden vornehmlich diejenigen eingestellt, deren Verwandtschaft oder Bekanntschaft für die begehrten Fördermittel sorgt. Der aufgeblähte öffentliche Dienst ist in Griechenland daher nach wie vor der sicherste und beliebteste Arbeitgeber. Ein Beamtendasein in Griechenland ist auch auf relativ niedrigem Lohnniveau auf Grund des Korruptionsfaktors sehr attraktiv.

Der Eintritt in den öffentlichen Dienst Griechenlands war bis vor wenigen Jahren über gute Beziehungen zu lokalen Politikern möglich. Durch eine Gesetzesänderung 1994 ist dies nicht mehr der Fall. Gemäß dem Gesetz 2190/94 muss jede Einstellung in den öffentlichen Dienst vom unabhängigen Rat für die Auswahl des Personals für den öffentlichen Dienst (ASEP) genehmigt werden. Die komplizierten Auswahlmethoden und aufwändigen Prüfungsverfahren, die vom ASEP durchgeführt werden, haben schon mehrmals zum Paradoxon geführt, dass im aufgeblähten Verwaltungsapparat Griechenlands wichtige Stellen unbesetzt blieben.

Leider sind dadurch auch viele Stellen an den griechischen Hochschulen und vor allem an den öffentlichen Schulen unbesetzt. Diese Stellen werden meist kurzfristig mit saisonalen Zeitvertragsmitarbeitern besetzt. Kontinuität in der Ausbildung oder gar ernsthafte Forschung ist aber so nicht möglich, wie die Gewerkschaftsorganisation der Universitätsprofessoren POSDEP beklagt.

Der Schriftführer der POSDEP, Yanis Maistros, gibt eine Presseerklärung. Bild: Aswestopoulos

Das Schulwesen

Vor diesem Hintergrund kann man die Furcht der Professoren vor privaten Hochschulen vielleicht besser verstehen. Die seltene Einigkeit zwischen Studentenschaft und Professoren begründet sich im Ziel der Proteste. Nicht in den Motiven.

Das griechische allgemein bildende Schulsystem umfasst bis zum qualifizierenden Sekundarschulabschluss zwölf Schuljahre. Die ersten sechs in der Grundschule, dann drei Jahre Gymnasium und schließlich drei Jahre Lyzeum. Die Fremdsprachenausbildung findet meist an privaten Sprachschulen statt, die neben dem normalen Schulunterricht besucht werden. Die öffentlichen Schulen sind nicht in der Lage, ihre Schüler ausreichend in Fremdsprachen zu unterrichten.

Zu dieser von den meisten Familien privat aufzubringenden Extraausgabe kommt in der Zeit des Lyzeums der dringend benötigte Nachhilfeunterricht. Anders als in Deutschland müssen nahezu alle Schulkinder, die die zentrale Reifeprüfung bestehen wollen Nachhilfeunterricht besuchen. Das familiäre Budget wird dadurch mit 4.500-6.000 Euro pro Schuljahr belastet. Denn die staatlichen Schulen können den erforderlichen Unterrichtsstoff nicht ausreichend vermitteln. Darüber hinaus können gerade einkommensschwache Familien nach der kostenintensiven Schulzeit kaum finanzielle Mittel aufbringen, um einen Studenten zu unterstützen. Deshalb arbeiten viele Studenten nebenbei, was wiederum die Studienzeit verlängert.

Die neue Hochschulreform sieht neben der Einführung privater Hochschulen vor, die Maximalstudienzeit auf sechs bis sieben Jahre zu begrenzen. Die Griechen fürchten auch, dass dies zu einer weiteren Stärkung der Nachhilfeindustrie führt. Bereits jetzt hängen an den schwarzen Brettern der Universitäten viele Kleinanzeigen für private Repetitorien. Anders können viele der berufstätigen Studenten den Lehrstoff nicht mehr bewältigen.

Das akademische Asyl

Die protestierenden Studenten halten landesweit Hochschulen besetzt. Das ist möglich, da in Griechenland die Hochschulen einen Sonderstatus besitzen. Es ist trotz Ausnahmeregelungen faktisch ausgeschlossen, dass Polizeikräfte zur Amtsausübung ein Hochschulgelände betreten.

Da die studentischen Widerstände ausschlaggebend für den Umsturz der Militärregierung Griechenlands waren, und weil gegen Ende der Militärdiktatur am 17.November 1973 viele Studenten bei der Erstürmung der auch damals besetzten Universitäten durch das Militär getötet wurden, gilt ein Polizeieinsatz an einer Universität immer noch als illegaler Tabubruch. Die neue Hochschulreform soll dieses Asyl weitgehend abschaffen, denn fast alle Studentendemonstrationen Griechenlands enden mit verletzten Demonstranten, verletzten Polizisten, erheblichen Sachschäden und Umsatzeinbußen des Einzelhandels.

Absperrung zur Personenkontrolle. Bild: Aswestopoulos

Die jüngste Demonstration in Athen

Eigentlich war am 8. Februar 2007 in Athen nichts Besonderes los. Eine Polizeiaktion im Rahmen einer angemeldeten Demonstration versperrte wie üblich weite Teile der Innenstadt. Das Wetter war wie in diesem Winter normal, frühlingshaft mit 17°C, es trat kein Minister zurück und kein Skandal war zu vermelden. Im Süden Europas nichts Neues.

Wirklich? Endlich fand einmal eine große, griechenlandweite Studentendemo ohne Verletzte, ohne übermäßig viele zerstörte Schaufensterscheiben oder verbrannte Autos statt. Mit Graffitis dekorierte Wände oder Schaufenster werden kaum noch als Sachbeschädigung wahrgenommen. Schließlich sind Griechenlands Innenstädte voll mit Plakaten und Graffitis von Fußballmannschaften, Lokalpolitikern, Musikern oder Handwerkern, die ihre Dienste anbieten.

Das wäre für sich schon eine Meldung wert. Direkt am Tag nach der lokalen Studentendemo in Thessaloniki, bei der einige unbeteiligte Passanten durch übermäßigen Tränengaseinsatz zu vermelden waren, fand in der Hauptstadt Griechenlands eine friedliche landesweite Demo statt.

Die Polizeiführung hatte nach den Vorfällen von Thessaloniki vorauseilend eine chaotische Situation angekündigt, wie sie in Deutschland von den Demonstrationen zum Maifeiertag in Berlin bekannt ist. In Thessaloniki war ein Bürogebäude der Europäischen Union von autonomen Gruppen angegriffen worden. Nebenbei wurden Kameras, die der Verkehrsüberwachung dienen sollen, aber von linken Oppositionellen als "Big Brother" angesehen werden, zerstört.

Derart vorgewarnt haben die griechischen Sicherheitskräfte ihre Taktik geändert. Anstatt wie sonst abzuwarten, dass sich die "üblichen Verdächtigen" unter die Demonstranten mischen, wurde diesmal im Vorfeld scharf kontrolliert, wer sich der Athener Innenstadt nähern wollte. Eine Kamera, studentisches Aussehen oder ein Motorradhelm waren verdächtig. Jeder, auf den diese Beschreibung in etwa zutraf, lief Gefahr von Sicherheitskräften kontrolliert zu werden. Auf diese Weise wurden z.B. drei Studenten vorläufig festgenommen, weil man in ihren Taschen chirurgische Gesichtsmasken fand, die bekanntlich bei Tränengaseinsätzen nützlich sein können. Also galten die Studenten als potentielle Krawallmacher, die an der Demonstrationsteilnahme gehindert werden mussten. Dreizehn Reisebusse, die potentielle Demonstranten zur griechenlandweiten Demonstration nach Athen fahren sollten, wurden von der Polizei angehalten. Die Weiterfahrt der Busse wurde verboten, da in den Bussen angeblich linksgerichtete autonome Demonstranten mitfahren würden.

Eine eiligst herausgegebene Pressemitteilung der Polizei beschuldigte das Organisationskomitee der Demonstration, es wäre für potentielle Ausschreitungen verantwortlich. Zu den Nachwehen der Demonstration gehört daher eine intensive Auseinandersetzung der Regierung mit der parlamentarischen und außerparlamentarischen Opposition über den "neuen Polizeistaat". Der zuständige Innenminister Griechenlands, Vyron Polydoras, hat bereits recht undiplomatisch angekündigt, in Zukunft persönlich und handgreiflich gegen Unruhestifter vorgehen zu wollen.

Ich selbst wurde von Polizisten umkreist und kontrolliert, als ich damit begann, die Vorbereitungen der Innenstadtsperrung fotografisch zu dokumentieren. Schließlich war ich mit einem Motorradhelm "bewaffnet" und mit einer Sonnenbrille "vermummt", wie mir die Beamten zu verstehen gaben. Mit der Kamera könnte ich Polizeikräfte fotografieren und später identifizieren. Darüber hinaus könnte ich die Fotos ins Internet stellen. Kurz, allein die Kamera wies mich als potentiellen Unruhestifter aus. Lediglich der Journalistenausweis bewahrte mich vor einer vorläufigen Festnahme und vor der Beschlagnahmung meiner Kamera. Die Polizeikräfte warnten mich ausdrücklich davor, die Demonstration zu besuchen, denn die Demonstranten würden Journalisten gerne tätlich angreifen.

Graffiti: Landstreicher, Verräter, Journalisten! Bild: Aswestopoulos

Amerikaner und die EU bedrohen die griechischen Universitäten

Das mag zwar etwas überzogen klingen, aber die Griechen neigen gerne dazu alltägliche Begebenheiten zu dramatisieren, fast überall werden Verschwörungen vermutet. Die üblichen Verdächtigen, die hinter den Verschwörungen stecken sind die USA und die Europäische Union.

Der Antiamerikanismus sitzt seit jeher tief im Bewusstsein der Griechen. Amerika ist in den Augen vieler Griechen Schuld an allem Unglück der Welt. Die Europäische Union wird aufgrund des Lissabon Prozesses von den Befürwortern der Bildungsreform als treibende Kraft für die Privatisierung des Bildungssystems heran gezogen.

Dementsprechend waren auf der Demonstration auch viele antimamerikanische und antieuropäische Parolen zu hören. Graffitis an den Häuserwänden bezeugten den Hass der Studenten gegen die Journalisten. Denn fast die gesamte Presse berichtet in den Augen der Studenten mehr oder weniger einseitig über die Demonstrationen. Vor allem die üblichen Begleiterscheinungen, wie Sachbeschädigung oder anderweitige Exzesse autonomer Gruppen, werden in den Augen der Demonstranten zu sehr hervorgehoben. Die Griechen neigen generell zu Misstrauen gegenüber den Medien.

Vertrauen ist gut, Misstrauen ist griechisch

Das Ausbleiben größerer Krawalle wertet die griechische Polizei als Erfolg und Rechtfertigung ihrer Maßnahmen. Darüber hinaus sieht sich die Regierung in ihrem Vorhaben, das akademische Asyl einzuschränken, bestätigt. Die Studenten und Professoren ihrerseits vermuten zivile Einsatzkräfte als Hintermänner der bisher stets stattfindenden Krawalle.

Weil die führende Oppositionspartei Griechenlands, die bis 2004 regierende PASOK, meist zaghaft wirkt und für eine Verfassungsänderung am Artikel 16 eine Zweidrittelmehrheit der Stimmen im Parlament erforderlich ist, vermuten die Gegner der Verfassungsänderung hinter der Selbstsicherheit der Regierung, die nicht über genügend Stimmen verfügt, eine verdeckte große Koalition. Sowohl Regierung als auch Streikende versteifen sich mehr und mehr auf ihre Positionen. Beide Seiten misstrauen einander und versuchen im Windschatten des vorgeblichen Streitthemas, der Bildungsreform, möglichst viele weitere Forderungen durchzusetzen.

Dabei ist es gerade diese Taktik, die das Misstrauen der jeweils anderen Seite verstärkt. Anstatt über Lösungen für die völlig ineffizienten Bildungseinrichtungen des Landes zu diskutieren, versuchen alle beteiligten Untergruppen der Kontrahenten auf dem Rücken der Studenten ihre politischen Positionen zu profilieren.

Ein Verlierer steht jetzt schon fest, die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands sinkt immer mehr. Dadurch wird die Kluft zwischen den ärmeren und den wohlhabenden Bevölkerungsschichten größer. Das bereits jetzt nur noch als Makulatur bestehende System der freien Bildung wird, wenn sich im Hinblick auf die Sekundarstufenausbildung und die Nachhilfeunterrichtsindustrie keine Änderung ergibt, weite Bevölkerungsteile von der akademischen Ausbildung fern halten.

Fragt sich, ob den protestierenden Studenten bewusst ist, dass sie zwar an staatlichen Instituten unterrichtet werden, die Ausbildung aber jetzt schon an privaten Instituten erhalten. Schließlich ist bemerkenswert, dass die Staatsanwaltschaft prüft, wie viele der angeblich streikenden Professoren, gedeckt durch die akademische Selbstverwaltung, weiter ihr volles Gehalt kassieren. Wer sich nun fragt, was die Universitätsabsolventen machen, die nicht in den Staatsdienst eintreten konnten und nicht in der Industrie arbeiten, dem sei gesagt, dass sie Nachhilfestunden geben.