Polizei 2.0

Beim 10. Europäischen Polizeikongress ging es nicht nur um die "Tatwaffe Internet", sondern auch um manche technische Neuerungen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zwei Tage lang war das Berliner Kongresszentrum mutmaßlich der sicherste Ort der Welt. Zum 10. Europäischen Polizeikongress kamen Gesetzeshüter aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland, aus dem Sudan, Indien und Albanien. Die schiere Masse potentieller Beschützer hatte auf den Zivilisten etwas Einschüchterndes. Militärs mit und ohne Uniform, private und öffentliche Sicherheitsexperten und natürlich Polizisten bevölkerten die Säle und Gänge, begrüßten alte Bekannte, beäugten misstrauisch Neulinge und beschwerten sich beieinander über die Ungehörigkeiten ihrer verdeckten Ermittler. Sogar einige kettenrauchende Trenchcoatträger waren gekommen – kein Klischee, das sich nicht irgendwo in der Wirklichkeit finden würde.

Politik fand auf dem Kongress selbstverständlich auch statt. Die Stoßrichtung war wenig überraschend, stand das Treffen doch unter dem Leitthema „Konzepte und Technologien gegen den Terrorismus“. BKA-Präsident Jörg Zierke wiederholte einmal mehr, dass er den Bundestrojaner für notwendig hält, um Kriminellen und Terroristen die „Tatwaffe Internet“ aus der Hand zu schlagen. Justizministerin Brigitte Zypries und der Berliner Innensenattor Erhard Körting (SPD) mahnten dagegen zur Geduld. Die Ministerin verwies im Übrigen darauf, dass bisher angeblich nur vier so genannte Online-Durchsuchungen richterlich genehmigt worden seien, die Ermittlungsbehörden hätten demnach gar keinen Bedarf nach der Maßnahme.

Als Günther Beckstein die Bühne betrat, brandete im Publikum spontan Beifall auf. Auch er befürworte den verdeckten Zugriff auf die heimischen PCs, unter anderem mit dem Argument, die Polizei könne so Urheberrechtsverletzungen verfolgen (Es handelt sich hier um eine Überinterpretation infolge eines Missverständnisses. Beckstein hat nicht im Rahmen der Online-Durchschuchungen von der Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen gesprochen, sondern nur allgemein vom Internet, das kein rechtsfreier Raum sein dürfe. Anm. d. Red.). Der hessische Innenminister Volker Bouffier wiederum forderte eine „integrierte Gefahrenabwehr“, also die Möglichkeit, die Bundeswehr im Inland einzusetzen, und erklärte den Zuhörern außerdem, er habe durchgesetzt, dass der hessische Verfassungsschutz Personen ab dem 10. Lebensjahr überwachen dürfe.

Der Europäische Polizeikongress wird von der Zeitschrift Behörden Spiegel organisiert und maßgeblich von EADS, SAP, T Systems und Giesecke & Devrient finanziert. Das Treffen ist nicht zuletzt eine Verkaufsmesse. Polizisten können hier Neuigkeiten für ihre Ausrüstung begutachten, wie beispielsweise robuste Notebooks, mit denen man angeblich Nägel in die Wand schlagen kann, was aber leider nicht vorgeführt wurde.

Auf besonderes Interesse stieß eine neue digitale Infrarotkamera zur Personenortung in der Dunkelheit und ein Sicherungssystem für Feuerwaffen. Das Prinzip: In den Lauf einer Pistole oder eines Gewehrs wird eine Metallsperre eingeführt, die sich nur nach Eingabe einer PIN-Nummer und/oder einer biometrischen Prüfung entfernen lässt. Der biometrische Sensor kann beispielsweise um das Handgelenk getragen werden und sendet die Authentifizierung über Funk, worauf sich die Sperre entfernen lässt.

Wie die Informationshoheit sichern?

Wirklich Neues gab es allerdings im Bereich des mobilen Einsatzgeräts kaum, die Innovationen finden in der polizeilichen IT statt. Dass der Königsweg der Terrorabwehr die präventive Überwachung ist, ist bei den Ermittlern mittlerweile eine Art Glaubenssatz geworden. Ihr Wunsch, „vor die Lage zu kommen“ – Anschläge beziehungsweise Verbrechen ganz allgemein schon im Vorfeld zu verhindern – hat einen enormen Bedarf erzeugt, die durch Überwachungstechniken gewonnenen Informationen zu vernetzen und automatisch auszuwerten.

Nun stehen ihnen Daten zwar zuhauf zur Verfügung, deren Verknüpfung und Auswertung übersteigt aber die Personalressourcen bei weitem. Die Lösung soll „Wissensmanagement“ sein. Die Firma Empolis beispielsweise, Teil des Bertelsmannkonzerns, bezeichnet ihre Dienstleistung als „Informationslogistik“. „Wir ermöglichen eine unscharfe Suche“, erklärt Chief Technology Officer Mario Lenz. Besonders interessant ist das für Grenzschützer. Sie können Personenmerkmale wie Augenfarbe oder Geburtsdaten in die „Suchmaschine“ von Empolis eingegeben, die dann diverse interne und externe Datenbanken abfragt und ein Ranking mit möglichen Übereinstimmungen erstellt. Wer dieses System einsetzt, will Lenz lieber nicht verraten, lässt aber durchblicken, dass es bereits von „deutschen Sicherheitsbehörden“ benutzt wird.

Offenbar hinken die deutschen Behörden in Sachen IT den USA und Großbritannien hinterher, weil sich die Einführung des Digitalfunks jahrelang verzögerte. Nun aber soll der analoge Funk nach und nach ersetzt werden und die Einsatzkräfte können mobil mit immer mehr Daten versorgt werden. Wie das aussehen kann, zeigt das Beispiel der Polizei in West Yorkshire in Großbritannien. Die Beamten dort sind mittlerweile mit tragbaren Blackberry-Computern ausgestattet. Mit diesen können sie Personen und Fahrzeuge lokalisieren, die zentrale Datenbank der Polizei, aktuelle Fahndungslisten und fachliche Ratgeber abfragen und schließlich auch Wettervorhersagen und die BBC-Nachrichten empfangen. So kann ein Fahndungsbild, beispielsweise die Aufnahme einer Videokamera, sofort an die Empfänger verschickt werden. Die Daten werden mit AES verschlüsselt und in Datenpakete von nur 2 KB verschickt, wodurch Abhören quasi unmöglich ist.

Laut Polizeisuperintendent Mark Bennett ist das Pilotprojekt ein voller Erfolg. Heute soll in West Yorkshire wesentlich mehr Zeit für den Streifendienst zur Verfügung stehen, weil die bürokratischen Abläufe wesentlich schneller zu erledigen seien. Sogar Briefings und Einsatzbesprechungen können im virtuellen Raum stattfinden.

Polizei 2.0

Stolz dürfen die Deutschen wenigstens auf das Internetportal Polizei Online aus Baden-Württemberg sein. Zwar gibt es (noch) keinen mobilen Zugang, dafür ist es mehrfach prämiert worden und bietet so ziemlich alles, was Polizisten bei der Arbeit wissen müssen. Autorisierte Benutzer erhalten ihre eigene Website und werden projektbezogen mit aktuellen Meldungen beschickt. Akten können hier elektronisch ausgefüllt, Online-Lehrgänge absolviert und in thematischen Foren Experten um Rat gefragt werden. Das Content Management erinnert tatsächlich ein wenig an MySpace. Finanziert wird das Projekt als Public Private Partnership, nämlich zu gleichen Teilen vom Bundesland Baden-Württemberg und T Systems.

Nicht nur bei „Polizei Online“ ermöglicht die Vernetzung „dynamische Gruppenbildung“. Die Ermittler müssen sich nicht mehr an einem bestimmten Ort treffen, sondern können kooperieren, während sich der eine in Stuttgart, der andere in Konstanz befindet - sozusagen als polizeiliche Online-Community. Ganz ähnliche Tendenzen gibt es auch bei Interventionen in Krisensituationen. Die Leitstellen können die Einsatzkräfte in einem bestimmten Gebiet unabhängig von deren Gruppenzugehörigkeit zusammenfassen und miteinander vernetzen. Es gibt auch Versuche, diesen Vorgang zu automatisieren: Befinden sich Polizisten in einem bestimmten Gebiet, erhalten sie automatisch Zugang zu den „lagebezogenen Informationen“.

Entscheidend ist, dass Polizisten ihren Aufgaben entsprechend und nicht wahllos informiert werden. Die auf dem Kongress vorgestellten IT-Systeme lösen das Problem mit verschiedenen Zugriffsrechten und Benutzeroberflächen. Nun genügt es nicht, etwas zu wissen, um überlegen zu sein – die anderen dürfen es nicht wissen. Ingo Prestel von Oracle wies deshalb darauf hin, wie wichtig eine „personen- und ortsbezogene Kennung des Zugriffs“ auf polizeiliche Datenbanken ist. Es sei deshalb unablässig, Benutzerlisten anzulegen und regelmäßig zu pflegen, um den polizeilichen Informationsvorsprung zu sichern. Ein niedersächsischer Beamter zeigte sich denn auch von der Abhörsicherheit von Blackberry weniger begeistert als schockiert: „Soll das heißen, dass unsere Kunden so etwas schon haben?“