Videoatlas von privaten Videokameras für die Polizei

Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech lässt alle Videokameras und Webcams registrieren, die für die Polizei zur Überwachung nicht-öffentlicher Bereiche interessant sein könnten

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Im Kampf gegen Terrorismus würde die Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech gerne auf Bilder von privaten Videokameras zurückgreifen, wie sie an Parkhäusern, Tankstellen oder Sportstätten angebracht sind. In einem „Videoatlas“ sollen dafür alle Kameras im Land registriert werden, die taugliche Daten liefern könnten, auch Webcams fallen darunter. Um Zugriff darauf zu bekommen, müsste der Landtag im Juli allerdings erst einer Änderung des Polizeigesetzes zustimmen, Datenschützer haben bereits Bedenken angemeldet. Jetzt knirscht es in Stuttgart, weil dieser Tage bekannt wurde, dass das Innenministerium sich insgeheim schon längst umschaut, wo die Polizei sich mit welchen Kameras verbinden kann.

Im Herzen von Karlsruhe liegt der Marktplatz mit der Statue des Großherzogs Ludwig, an Marktständen handelt man mit Fisch und Gemüse, ab und zu rattert eine Straßenbahn über den Platz. Das geschäftige Treiben kann man sich auch über eine Webcam anschauen, die vom Karlsruher News-Portal KA-News betrieben wird. Und das machte die Kamera auch für die Polizei interessant, die Ende letzten Jahres nachfragte, wie sie technisch einen Zugriff auf das Bildmaterial bekommen könnte. Schließlich aber, so ist aus der Redaktion von KA-News zu erfahren, hätten die Beamten schnell das Interesse verloren - als sie feststellen mussten, dass die Kamera nur eine geringe Auflösung produziert und dass KA-News die Bilder nicht speichert. Aus Datenschutzgründen.

Auch Patrik Schaub hat Besuch von der Polizei bekommen. „Im ersten Telefonat sprachen die sogar noch von Katastrophenschutz“, erzählt er. Schaub betreibt eine Webcam auf dem Dach eines Hotels über dem Rathausplatz in Freiburg, Besucher der Hotel-Webseite können die Kamera sogar schwenken und zoomen. Vor Ort hatten die Beamten dann notiert, was die Kamera aufzeichne und in welcher Qualität, ob die Daten gespeichert würden oder nicht. Ausgerechnet im Auftrag des Innenministeriums, sagt Patrik Schaub, das ihn drei Jahre zuvor noch angewiesen hatte, die Auflösung der Kamera aus Datenschutzgründen zu senken.

Die Kunde, dass im Land wohl schon länger die Kameras registriert werden, ist dieser Tage auch zur Stuttgarter Landtagsfraktion der Grünen gelangt. Dort zeigt man sich verärgert: „Für diese heimlichen Vorarbeiten zum umfassenden Videoatlas fehlt jede rechtliche Grundlage“, kritisiert der innenpolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Uli Sckerl. Zwar habe der Innenminister angekündigt, die Polizei künftig auch auf private Kameras zugreifen lassen zu wollen, aber bisher gebe es dafür schließlich noch nicht einmal eine gesetzliche Grundlage.

Tatsächlich müsste man in Baden-Württemberg dafür erst das Polizeigesetz ändern. Ein Gesetzentwurf ist in Arbeit, frühestens im Juli soll er verabschiedet werden. „Es geht derzeit ja auch noch nicht darum, das Material zu verwenden“, sagt Sprecherin Alice Loyson-Siemering, „es sollen lediglich die Video-Überwachungsmaßnahmen an nicht-öffentlichen Bereichen erhoben werden.“ Und auch nicht überall, vorrangig ginge es um Kameras in der Nähe von Versorgungseinrichtungen, an Plätzen, um Kameras zur Verkehrsüberwachung. „Und an Orten, wo sich viele Menschen aufhalten“, sagt Loyson-Siemering. Die Idee war entstanden, nachdem vergangenes Jahr bei zwei versuchten Bombenattentaten auf Regionalzüge in Dortmund und Koblenz vor allem Videoaufnahmen zum Fahndungserfolg geführt haben sollen. Das Innenministerium hatte darauf eine Arbeitsgruppe gegründet, die den so genannten „Videoatlas“ erstellen sollte. In ihm wollte man verzeichnen, wo Kameras welche Bilder aufzeichnen und wie die Behörde an die Daten gelangen können.

Dass das offenbar schon passiert ist, sieht Peter Zimmermann nicht als großes Problem. „Interessant wird die Frage, wie dann das Gesetz aussehen soll“, sagt der Landesbeauftragte für Datenschutz in Baden-Württemberg. Wie also definiert würde, ab welcher Gefahrenschwelle die Polizei die Fremdkameras nutzen darf. „Aufschaltung auf Verdacht und Vorrat wäre in meinen Augen nicht zulässig.“ Auch reiche es nicht, dass die Polizei sich mit den privaten Betreibern der Kameras einigt. „Es sind ja auch immer noch die Rechte der aufgezeichneten Personen betroffen.“

Die Baden-Württembergischen Grünen haben jetzt eine umfassende Aufklärung über die „Umfragen“ des Innenministeriums verlangt. Das wird ein wenig dauern, schließlich versinken große Teile des Bundeslandes bis Aschermittwoch erstmal im närrischen Treiben. Aber selbst das kann nicht mehr wirklich vom Thema ablenken: Im badischen Villingen haben Stadt und Polizei diese Woche beschlossen, die Partymeile der Stadt während der Fasnet vollständig mit Kameras zu überwachen.