Wer (Sex)Fotos mit E-Mail an seinen Account verschickt, hat jeden Anspruch auf Privatsphäre aufgegeben

Minderjähriges Pärchen, das sich bei sexuellen Aktivitäten fotografierte, wurde wegen Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie in den USA verurteilt

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Social Networking-Websites boomen derzeit und lassen sie zum neuen Hype von Web 2.0 werden. Die Menschen erzeugen hier und anderswo im Netz mit Texten, Hyperlinks, Bildern, Musik etc. schnell große Datenfluten. Der begehrte User Generated Content (UGC) enthält auch viele persönliche Informationen, die unbedacht über die möglichen Folgen, die erst Jahre später eintreten können, in die virtuelle Öffentlichkeit gestellt werden. Wie zwei Jugendliche in den USA jetzt erfahren mussten, kann es auch höchst unangenehm werden, wenn man nur schnell mal Bilder mit einer Digitalkamera macht und sie vom PC des einen Jugendlichen über das Internet auf den PC des anderen schickt. Die Begründung des amerikanischen Gerichts, dass man dann von einem Recht auf Privatheit nicht mehr ausgehen könne, dürfte auch in Deutschland den Befürwortern der Online-Durchsuchung gefallen.

Die Absurdität strikter Rechtsprechung aufgrund des Verbots von Kinderpornografie demonstrierte ein Gericht in Florida im Januar dieses Jahres. Es handelte sich um einen Fall, der bereits im März 2004 stattgefunden hat. An diesem Tag hatten die 16jährige A. H. und der 17jährige J. G. W. 117 Fotos mit einer Digitalkamera von sich gemacht, als sie nackt waren und sich, wie das Gericht sich nicht sehr genau ausdrückt, in "sexuellem Verhalten" betätigten. Die im Haus von A. gemachten Fotos verschickten sie dann vom PC des Mädchens via E-Mail an den persönlichen Mail-Account von J. Das war es auch schon. Sie hatten die Fotos nicht weiter herumgeschickt und sie niemandem gezeigt.

Doch dann wurde das befreundete Paar verhaftet – aufgrund des Gesetzes gegen Kinderpornografie, auch wenn keiner der beiden die Fotos weiter gegeben hatte. Wie die Fotos in die Hände der Polizei gekommen sind, geht aus der Urteilsbegründung nicht hervor. In Florida ist es zwar nicht verboten, wenn Minderjährige Sex miteinander haben, aber nach der Staatsanwaltschaft hatten sich die Minderjährigen schuldig gemacht, Fotos herzustellen oder zu verbreiten, von denen sie wussten, dass sie "sexuelles Verhalten eines Kindes" beinhalten. J. wurde zudem beschuldigt, Kinderpornographie in seinem Besitz gehabt zu haben, als die Fotos, die er sich selbst zuschickte. In erster Instanz wurden die beiden schuldig gesprochen.

Das Kinderpornographiegesetz in Florida legt wie in anderen US-Bundesstaaten sexuelles Verhalten sehr breit aus:

Florida Statute 847.001(3) defines child pornography as "any image depicting a minor engaged in sexual conduct." Sexual conduct is defined as "actual or simulated sexual intercourse, deviate sexual intercourse, sexual bestiality, masturbation, or sadomasochistic abuse; actual lewd exhibition of the genitals; actual physical contact with a person's clothed or unclothed genitals, pubic area, buttocks, or, if such person is a female, breast with the intent to arouse or gratify the sexual desire of either party; or any act or conduct which constitutes sexual battery or simulates that sexual battery is being or will be committed."

A. H. legte im Oktober 2005 Widerspruch gegen das Urteil des Gerichts ein, das nun vor dem Berufungsgericht verhandelt wurde. In dem Urteil hieß es, dass die Strafverfolgung aus einem "zwingenden staatlichen Interesse" notwendig war, um Minderjährige vor "sexueller Ausbeutung" zu schützen und zu verhindern, dass Kinderpornographie hergestellt und weiter gegeben wird. Vor allem scheint man aber auf die Prävention bei der Begründung zu setzen. Mit der Verurteilung schütze man die Minderjährige vor künftigen Akten der Ausbeutung. Das Urteil verstoße gegen die Verfassung, wandte A. H. ein, weil die Fotos nicht an Dritte weiter gegeben wurden und ihr Freund ebenfalls minderjährig war. Mit dem Vorgehen der Polizei sei ihr Recht auf Privatheit verletzt worden, das auch die Herstellung von Erinnerungsbildern einschließe. Zudem würde es weniger harte Mittel als die Strafverfolgung geben, ein angeblich zwingendes staatliches Interesse in diesem Fall durchzusetzen. Der Einspruch wurde mit einer Mehrheit der Richter von 2:1 abgewiesen, die Begründung ist nicht nur aufgrund des kaum nachvollziehbaren Paradoxons interessant, dass in diesem Fall Minderjährige vor sich selbst geschützt werden sollen. Die Folgen könnten weit reichend sein, zumal die amerikanische Prüderie bekannt ist (Gefährliche Doktorspiele).

Das Berufungsgericht war in der Mehrheitsmeinung der Ansicht, dass das Herstellen von Erinnerungsfotos von einem sexuellen Akt Minderjähriger nur dann durch die Verfassung geschützt sein könne, wenn eine "vernünftige Erwartung" an Wahrung der Privatsphäre vorliege. Das sei aber hier nicht gegeben. Wenn man Aufzeichnungen, in diesem Fall Fotos, macht, dann könnten diese später anderen Leuten gezeigt werden, ohne dass damit die Privatsphäre verletzt wird. Pikanterweise wird dabei ausgerechnet auf die Bilder verwiesen, die die US-Soldaten in Abu Ghraib gemacht haben.

Als weiterer Grund wird genannt, dass man bei Minderjährigen nicht erwarten könne, dass ihre Beziehung lange halten und sie nicht irgendwann die Fotos anderen unabsichtlich oder absichtlich zeigen würden. Überdies könne man mit den Fotos auch Geld machen. Der Markt für Kinderpornografie in den USA wachse, die Fotos hätten "zweifellos" einen Marktwert. Das "zwingende staatliche Interesse" an der Strafverfolgung ergebe sich nicht nur daraus, Minderjährige vor "sexueller Ausbeutung" auch durch Minderjährige zu schützen, sondern darüber hinaus, dass Bilder, die "sexuelles Verhalten" eines Minderjährigen zeigen, gar nicht erst hergestellt werden sollen, woraus man schließen kann, dass das Urteil auch zur Abschreckung dienen soll. Der Staat müsse Minderjährige auch vor ihrem Mangel an Urteilsfähigkeit schützen. Die Angeklagten seien zu jung, um vernünftig entscheiden zu können, mit jemand sexuell zu verkehren und Erinnerungsfotos davon zu machen. Wenn die Bilder später irgendwie an die Öffentlichkeit kämen, könnte die berufliche Karriere oder das persönliche Leben der Angeklagten Schaden nehmen und diese ein psychologisches Trauma erleiden. Dass eben dies genau das Gericht auch macht, wird von den Richtern allerdings nicht erwähnt, geschweige denn berücksichtigt.

Interessant ist aber auch die abschließende Begründung. Die beiden Angeklagten haben die Fotos auf einem Computer gespeichert und sie über das Internet an einen anderen Computer verschickt:

Die zwei Computer könnten nicht nur gehackt werden, sondern durch das Verschicken der Fotos über das Netz waren und sind sie vielleicht noch dem Provider und/oder anderen Personen zugänglich. Computer ermöglichen auch eine langfristige Speicherung von Informationen, die zu einem späteren Zeitpunkt verbreitet werden können. Der Staat hat ein zwingendes Interesse daran, dass Material, das solche negativen Folgen hat, niemals hergestellt wird.

Die Richter machen also vor allem die Benutzung des Internet zu einer Tätigkeit, für die kein Recht auf Privatsphäre beansprucht werden kann, weil Computer gehackt oder Informationen abgehört werden können. Man bewegt sich damit nach Ansicht des US-Gerichts bereits in einer potenziellen Öffentlichkeit. Daraus ließe sich dann eben auch ableiten, dass die Überwachung des Internetaktivitäten auch kein Eindringen in die Privatsphäre ist. Für die Verfechter der Online-Überwachung in Deutschland würde das amerikanische Urteil eine Unterstützung mit sich bringen. Da man bei der Internetnutzung sowieso nicht vernünftig erwarten könne, dass die Privatsphäre geschützt bleibt, wäre auch dann, wenn sich der Rechner in der Wohnung befindet, die in der Verfassung garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung nicht maßgeblich.