Schüler an die Macht

In Korea durften Schüler einer High School in einem Pilotprojekt erstmals über das Internet ihre Klassenlehrer wählen

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Südkorea setzt mit aller Entschlossenheit auf die Umsetzung von Hightech in das Alltagsleben. Das Land, das stolz auf die vielen Breitbandnutzer ist, aber in dem man gelegentlich auch über Online-Spiel- und allgemein Internetsucht besorgt ist, experimentiert nun auch in Schulen mit neuen Möglichkeiten des Internet. So haben Schüler in einem Pilotprojekt online erstmals darüber entscheiden können, welchen Klassenlehrer sie haben wollen.

Bislang haben die Lehrer wohl oft genug kein einfaches Leben, wenn sie den ihnen zugeteilten Schülern nicht nur mit mehr oder weniger guten Mitteln und didaktischen Strategien etwas beibringen wollen, sondern auch für Konzentration und Disziplin sorgen müssen. Untereinander konnten die Lehrer ausmachen, welche Klasse ihnen zugeteilt wird, aber die Schüler mussten die Lehrer erdulden, die ihnen zugewiesen wurden. Damit gab es für Schüler, abgesehen von Widerstand im Unterricht und anderen Protesten, keine Möglichkeiten, die Auswahl zu beeinflussen und damit einzelne Lehrer sowie deren Unterrichtsstile zu bewerten. Das aber ist nun an der Choongahm High School in Seoul anders geworden, die, besonders angesichts der fortschreitenden Privatisierung der Bildung, damit einen Trend auslösen könnte.

An der Schule wurde den neuen Schülern am vergangenen Freitag die Möglichkeit gegeben, zwar nicht alle ihrer Lehrer, aber immerhin den Klassenlehrer, der ihnen zusagt, auswählen zu können. Dabei wurde allerdings nur die Präferenz desjenigen berücksichtigt, der innerhalb einer Stunde schnell genug seine Entscheidung über das Internet eingegeben hat. Wer zu spät kam, musste sich mit den noch nicht vergebenen Lehrern zufrieden geben, da eine Klasse nicht mehr als 37 Schüler umfassen darf. Von allen Lehrern, die zur Wahl standen und unterschiedliche Fächer lehren, war von der Schule ein Profil und ein Foto ins Netz gestellt geworden. Wer nicht online abstimmte oder wer dafür nicht zugelassen war, erhielt den Klassenlehrer nach den Noten zugeteilt.

Die Lehrer wissen jetzt natürlich auch, wie beliebt sie sind, also welche Quote sie erzielen. Das wird für die beliebten Gewinner kein Problem darstellen, für die Loser könnte das die Situation gegenüber den Vorgesetzten, den Kollegen und den Schülern aber entscheidend verschärfen. Selektiert werden die Lehrer wohl nicht nur wegen ihrer Leistung in der Lehre, sondern auch wegen ihrer Persönlichkeit und anderen Eigenschaften, die Schüler bevorzugen, wozu auch gehören könnte, möglichst nicht gefordert, dafür aber unterhalten zu werden. Beliebt dürften auch Lehrer sein, deren Fächer bei den Schülern eher ankommen. Die Schule gab die Hitliste der Lehrer sicherheitshalber nicht bekannt. Ein Lehrer soll aber bereits in einer Minute ausgebucht gewesen sein.

Kein Wunder, dass über das Projekt nicht alle glücklich sind. Die Schule meint, die Möglichkeit der Wahl sei eine Art, Schüler und ihre Eltern zu respektieren. Andere sehen darin ein riskantes Spiel. Allerdings üben Klassenlehrer in Südkorea eine beratende Rolle aus, wie die Korea Times berichtet. Allerdings gelten sie als wichtig, um die Schüler an gute Universitäten zu bringen. Wenn der Versuch erfolgreich ausfällt, will der Schulleiter die Wahlmöglichkeit auf alle Klassen ausdehnen. Das sei eine gute Möglichkeit, die Schüler zufrieden zu stellen und die Gleichheit aufrechtzuerhalten. Ein Sprecher des Bildungsministeriums meint, die Auswahl der Lehrer durch die Schüler würde den Wettbewerb unter den Lehrern stärken und die Lehre verbessern.

Die Lehrer sind verständlicherweise nicht alle glücklich. "Lehrer auszuwählen, ist etwas anderes, als eine Ware in einem Supermarkt auszuwählen", meint Kukmin Ilbo von der Lehrergewerkschaft. "Die Vorstellung, dass Schüler alles machen dürfen, nur weil sie die Benutzer des Ausbildungssystems sind, kann diese nicht dazu führen, eine bessere Persönlichkeit zu werden, was das grundsätzliche Ziel der Ausbildung ist." Aber das ist auch eine seltsame Begründung, als würde die Möglichkeit, eine Auswahl zu haben, den Menschen irgendwie moralisch schlecht machen.