Frontex mit neuen Zielen

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft will Frontex massiv aufrüsteten, Gastbeamte aus der EU kontrollieren schon am Frankfurter Flughafen mit exekutiven Befugnissen

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Bevor im Frühjahr wieder zahlreiche Boote starten, mit denen Flüchtlinge und Einwanderer versuchen nach Europa zu gelangen, soll die europäische Grenzagentur Frontex aufgerüstet werden. Derzeit wird auf Betreiben von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und des EU-Kommissars für Justiz, Freiheit und Sicherheit Franco Frattini die "Verordnung über einen Mechanismus zur Bildung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke" vorangetrieben. Mit ihr soll ein Zentralregister für Einsatzmittel und -kräfte zur Abschottung der Grenzen geschaffen werden. Über sie sollen auch Grenzbeamte gegenseitig ausgetauscht werden können, die dann im Gastland der EU auch exekutive Befugnisse erhalten sollen. Am Frankfurter Flughafen läuft schon ein Probelauf. Das sind neue Schritte hin zu einem gemeinsamen europäischen Grenzschutz, wie ihn Frattini fordert. Agiert wird, wie gerade im Fall der nach Mauretanien geschleppten Marine I deutlich wird, meist auf rechtlich schlüpfriger Basis. Unter menschenunwürdigen Bedingungen versucht die spanische Polizei dort seit Wochen, die Herkunft von 400 Flüchtlingen zu ermitteln.

Dass die Grenzagentur Frontex an Bedeutung gewinnt, zeigt sich schon daran, dass sich ihr Budget in den letzten Jahren vervielfacht hat. Aus dem EU-Haushalt wurde die kleine Agentur mit Sitz in der polnischen Hauptstadt Warschau im Gründungsjahr 2005 noch mit 6,3 Millionen Euro ausgestattet. Im vergangenen Jahr verdoppelte sich die Summe schon fast auf 11,7 Millionen Euro und für dieses Jahr wurde das Budget auf rund 35 Millionen Euro noch einmal verdreifacht. Angesichts der Aufgaben, die Frontex demnächst ausführen soll, könnte es sogar noch eine weitere Aufstockung der Finanzmittel geben.

Als Aufgaben der Agentur werden offiziell genannt: Durchführung von Risikoanalysen, die Koordinierung der operativen Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten beim Schutz der Außengrenzen, die Unterstützung bei verstärkten Kontrollen der Außengrenzen, die Hilfe bei der Ausbildung von Grenzschutzbeamten, die Verfolgung der für den Außengrenzschutz relevanten Forschung, und die Unterstützung der Mitgliedsstaaten bei der Organisation gemeinsamer Abschiebeaktionen. Viele Details über die Agentur, bei der nachrichtendienstliche und polizeiliche Fäden der EU zusammenlaufen, gibt es nicht. Sie ist einer parlamentarischen Kontrolle weitgehend entzogen. Den Großteil der Fragen einer Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion wies die Bundesregierung ab, weil Frontex gegenüber den Mitgliedsstaaten nicht in einer Informationspflicht stehe.

Bekannt gemacht haben Frontex die Hera-Einsätze. Am 15. Februar wurde auf niedrigem Niveau mit Hera III begonnen. Hinter dem Namen Hera verbirgt sich der Versuch, die Kanarischen Inseln abzuschotten. Spanien hatte Hera I und II 2006 beantragt. An den multinationalen Einsätzen vor der westafrikanischen Küste, von Marokko bis Guinea-Bissau, beteiligten sich diverse EU-Staaten. Schiffe, Hubschrauber und Flugzeugen wurden eingesetzt, um die Boot wenn möglich schon in Westafrika abzufangen. Die Einsätze müssen als gescheitert bezeichnet werden, denn niemals zuvor gelang so vielen Menschen die gefährliche Überfahrt. Mit mehr als 31.000 waren es gleich sechs Mal so viele Menschen als im Vorjahr. Die Kanaren wurden deshalb zum verstärkten Ziel, weil die Wege über Marokko und in die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla weitgehend dicht gemacht wurden ("Anschlag auf die Grenze"). Da die Wege immer länger werden, bis zu 3000 Kilometer werden nun schon zurückgelegt, steigt auch die Zahl derer, die den Versuch mit dem Leben bezahlen. Geschätzt wird, dass es im vergangenen Jahr mit 6000 Toten erneut ein lautloses Massensterben vor den Urlaubsinseln gegeben hat.

Auf dem Weg zu einer europäischen Küstenwache?

Hera III ist in zwei operative Einheiten aufgeteilt. Derzeit befragen Spezialisten aus Deutschland, Italien, Luxemburg und Portugal Flüchtlinge auf den Kanarischen Inseln über die Routen, die sie mit ihren Booten genommen haben. Im zweiten Teil sollen diese Routen demnächst mit Flugzeugen, Hubschraubern und Schiffen überwacht werden, um die Boote möglichst schon vor der westafrikanischen Küste abzufangen. "Der erste Schritt ist grundsätzlich die Erstellung einer Risikoanalyse durch Frontex", erklärte deren Exekutivdirektor Ilkka Laitinen kürzlich in Frankfurt. Auf deren Basis werde mit den betroffenen Mitgliedstaaten ein Einsatzplan erstellt und an andere Mitgliedstaaten ein Hilfsersuchen gerichtet. Mit deren Angeboten werde dann der konkrete Einsatzplan für die Maßnahme mit den Beteiligten EU-Staaten erstellt, sagte der Finne. "Frontex hat eine Koordinierungsfunktion", deren Stärke sei abhängig von der Bereitschaft der Mitgliedstaaten an den Einsätzen teilzunehmen, denn Frontex verfügt über keine eigenen Einsatzmittel. Für Frattini ist Frontex nur die Keimzelle einer gemeinsamen europäischen Küstenwache "unter einer Flagge", deren Bildung er erneut gefordert hat.

Doch bis dahin ist es wohl ein längerer Weg und noch muss der EU-Kommissar die Mitgliedsstaaten zu mehr Unterstützung aufrufen. Für Einsätze im laufenden Jahr fehlten noch die Hälfte der geforderten Sachmittel und Teams, bevor die Einsatz vor Westafrika und im Mittelmeer vor Malta und Sizilien im Frühjahr in die heiße Phase übergehen werden. Bisher seien von 19 Ländern insgesamt 48 Schiffe, 13 Hubschrauber, 8 Flugzeuge und drei mobile Radarstationen zur Verfügung gestellt worden. Den Hauptteil hätten Spanien, Deutschland, Italien und Finnland gemeldet.

So legt sich für die deutsche Ratspräsidentschaft vor allem Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble für Frontex ins Zeug: "Die Bürger erwarten von Europa einen effektiven Schutz der gemeinsamen Außengrenzen. Und nur gemeinsam und solidarisch können wir illegale Migration effektiv bekämpfen.“ Deutschland gehe bei seinem Beitrag zum Aufbau eines Zentralregisters mit gutem Beispiel voran. Vier Hubschrauber für die Land- und Seegrenzüberwachung, ein Schiff für den Einsatz im Bereich der Nord- oder Ostsee sowie tragbare Wärmebildgeräte habe man für das Zentralregister der Europäischen Grenzschutzagentur gemeldet. Deutschland muss das zum Führen und Bedienen der Geräte notwendige Personal stellen, finanzieren und ständig auf Abruf bereithalten.

Die Teams und Sachmittel sollen, so wollen es Schäuble und Frattini, in ein Zentralregister, eine sich im Aufbau befindliche "Toolbox", einfließen. In der Datenbank soll auch verfügbares Equipment, wie tragbare Wärmebildgeräte, aufgelistet werden. Frontex soll so in die Lage versetzt werden, in kürzester Zeit ein "Soforteinsatzteam" zusammenstellen können, wenn ein Mitgliedstaat "an seinen Grenzen einer besonderen Belastung durch illegale Migration ausgesetzt ist". Für die erweiterten Aufgaben, soll der Personalstamm der Agentur bis zum Jahresende auf bis zu 140 Personen ausgebaut werden.

Die Toolbox ist ein Bestandteil der "Verordnung über einen Mechanismus zur Bildung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke", die von Schäuble und Frattini vorangetrieben wird und in den entsprechenden Gremien gerade beraten wird. Sie sieht auch vor, dass im Rahmen der EU-Zusammenarbeit "Gastbeamte" zwischen den Mitgliedsstaaten für den Grenzschutz ausgetauscht werden, die im Gastland auch "exekutive Befugnisse" erhalten sollen.

Frontex habe bisher vier Hauptrouten illegaler Migration in die EU ausgemacht: Über die südlichen Seeaußengrenzen, sowie die östlichen Landaußengrenzen über den Balkan und dazu kämen die bedeutenden internationalen Flughäfen. Auf europäischen Flughäfen findet derzeit ein Probelauf mit Gastbeamten statt. Bis zum 9. März kontrollieren auch Grenzpolizisten aus sieben EU-Ländern auf dem Frankfurter Flughafen ankommende Passagiere. Der Einsatz begann letzte Woche. Neben Frankfurt sind auch die Flughäfen Madrid, Barcelona, Lissabon, Paris, Amsterdam, Mailand und Rom in die Aktion eingebunden. Insgesamt 29 Grenzschutzexperten aus sieben EU-Mitgliedstaaten seien dort nun im Einsatz. Sieben Grenzschützer aus Griechenland, Rumänien, Bulgarien und Polen beteiligten sich zudem als Beobachter. Und Schäuble hat gleich Nägel mit Köpfen gemacht. In Frankfurt kann ein Reisender tatsächlich von Grenzschützern aus anderen EU-Ländern in deren Landesuniform kontrolliert werden, denn ihnen wurden schon jetzt exekutive Befugnisse übertragen.

Schäubles Staatssekretär Peter Altmaier machte klar, dass die Grenzsicherungsverordnung eine deutsche Priorität ist: "Es ist eines der Ziele der deutschen Präsidentschaft, bis zur nächsten Tagung der Innenminister im April politisches Einvernehmen zwischen Parlament und Rat zum Verordnungstext herzustellen“. Dabei weiß man in Brüssel genau, dass die rechtliche Grundlage für Einsätze von Frontex zum Teil ungeklärt ist. Das geht auch aus einer Mitteilung der EU-Kommission an den Rat hervor. Demnach sei bisher nicht "genauer festgelegt, wie beim Abfangen von Schiffen zu verfahren ist, auf denen sich nachweislich oder mutmaßlich illegale Einwanderer auf dem Weg in die Europäische Union befinden". Gefordert werden "regionale Vereinbarungen", die das "Recht auf Überwachung und Abfangen von Schiffen in den Hoheitsgewässern bestimmter Herkunfts- und Transitländer festschreiben könnten".

Bei nicht in bilateralen oder regionalen Vereinbarungen geregelten Fragen könnte die Erarbeitung praktischer Leitlinien zu mehr Klarheit und einer gewissen Vorhersehbarkeit hinsichtlich der Einhaltung der aus internationalem Recht erwachsenden Pflichten durch die Mitgliedstaaten beitragen, heißt es in dem Text. "Die Leitlinien sollten deshalb in enger Zusammenarbeit mit der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) und dem Flüchtlingshilfswerk der UNO (UNHCR) sowie unter Mitwirkung eines breiten Spektrums an Fachleuten ausgearbeitet werden."

Der Umgang mit Flüchtlingen in der Praxis

Das klingt nach Einhaltung internationaler Rechtsnormen und wird deshalb auch mit den entsprechenden Floskeln angereichert. So wird auch auf "Schutzbedürftige" verwiesen, die sich in den Booten befänden, "Flüchtlinge", die internationalen Schutz benötigten. "Das Recht auf Asyl muss bei diesen Maßnahmen eine wesentliche Rolle spielen". Es müsse von den Betroffenen "tatsächlich in Anspruch genommen werden können". Deshalb sei zu gewährleisten, dass "die Mitgliedstaaten ihrer Pflicht zur Gewährung von Schutz kohärent und wirksam nachkommen und dass Personen, die internationalen Schutz benötigen, nach ihrer Landung in Aufnahmeeinrichtungen unverzüglich als solche identifiziert werden.

Doch in der Praxis werden sowohl die Prinzipien der Seenotrettung und der Schutz von Flüchtlingen über Bord gekippt. Das wird deutlich an dem Fall der Marine I. Bisher ist eigentlich alles ein Skandal, was sich um das Schiff rankt. 12 Tage trieb der Seelenverkäufer manövrierunfähig vor der westafrikanischen Küste. 12 Tage wurden den knapp 400 Menschen erste Hilfe und eine Seenotrettung verweigert, weil kein Land zu ihrer Aufnahme bereit war. Dabei wurde 1979 internationale geregelt, dass Menschen, egal welcher Herkunft oder Nationalität erste Hilfe zu leisten sei und sie an einen sicheren Ort gebracht werden müssten. Mauretanien stahl sich aus der Verantwortung, weil es das Abkommen nicht ratifiziert hat.

Schließlich wurde das Problem von Spanien per Scheckheft gelöst, um zu verhindern, dass die Menschen die Kanarischen Inseln erreichen. Die Marine I wurde nach Nadibú in Mauretanien geschleppt. Spanien erklärte sich in den Verhandlungen mit Mauretanien bereit, die Rückführung der zumeist aus Asien stammenden Menschen zu übernehmen. Mauretanien wollte sich nur um eine kleine Zahl Schwarzafrikaner kümmern. Zusätzlich gewährte Spanien dem Land kurzfristig eine außergewöhnliche Hilfe von 655.000 Euro.

Seit dem 12. Februar sind dort nun 300 Einwanderer und Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen unter spanischer Obhut inhaftiert. Da sich die spanische Regierung sogar im Parlament bei den dort eingesetzten Polizisten für deren Unterbringung und Behandlung entschuldigte und "Entschädigungen" in Aussicht stellte, kann man sich die Lage der Inhaftierten lebhaft vorstellen. Doch bei ihnen entschuldigte sich die sozialistische Regierung nicht.

Die Umstände in einer alten Lagerhalle für Fisch im Hafen von Nadibú seien miserabel, kritisierte auch das Rote Kreuz. Deren Afrikakoordinator Jaime Bara sagte, der Hangar sei für die Aufnahme von wenigen Stunden eingerichtet worden, doch nun sind sie dort seit dem 12. Februar eingesperrt. "Sie können den Ort nicht verlassen und sehen nicht einmal das Tageslicht." Der seelische und körperliche Zustand der Immigranten verschlechtere sich von Tag zu Tag, beklagte er.

Derweil versuchen die Spanier, die Menschen für die Rückführung in ihr Heimatland zu "identifizieren". An Kosten sind dafür trotz der menschenunwürdigen Unterbringung und Versorgung schon jetzt weitere 500.000 Euro aufgelaufen. Auf welcher Rechtsgrundlage die bewaffneten spanischen Polizisten in Mauretanien die Menschen festhalten, ist völlig unklar. Klar ist, dass geltendes spanisches Recht unterlaufen wird, wonach ihnen ein Anwalt und einen Übersetzer zusteht, kritisiert die Menschenrechtsorganisationen aus Andalusien (APDH-A) in einem Brief an den spanischen Ministerpräsidenten.

Die spanische Flüchtlingskommission (CEAR) kritisiert auch den Umgang mit 35 Flüchtlingen aus Guinea Conakry. Die sollten schon in ihr Heimatland zurückgeschafft werden, das sich nach heftigen Unruhen aber in einem Ausnahmezustand befindet. Sie wurden aus Mauretanien ausgeflogen und befinden sich nun auf den Kapverdischen Inseln, weil Guinea-Bissau dem Flugzeug keine Landeerlaubnis erteilte. Sie sollen nach Guinea Conakry gebracht werden, wenn sich die Lage in dem Land wieder stabilisiert. Doch was haben diese Flüchtlinge auf den armen Kapverdischen Inseln verloren, fragen sich die Menschenrechtsorganisationen. Sie fordern, alle auf der Marine I angetroffenen Personen müssten unverzüglich nach Spanien gebracht werden, wo sie nach Recht und Gesetz zu behandeln seien. Stattdessen versucht Madrid mit einer diplomatischen Initiative Indien dazu zu bewegen, die 300 Menschen aus Mauretanien aufzunehmen.

Das ist ein konkretes Beispiel dafür, was in der EU von Schäuble und Frattini vorangetrieben wird. Behauptet wird gerne, die Maßnahmen dienten auch dem Schutz derer, die sich in den unsicheren Boote auf den Weg machten. Tatsächlich hat der Einsatz von Frontex bisher nur bewirkt, dass immer gefährlichere Routen gewählt werden und immer mehr Menschen sterben. Man muss kein Hellseher sein, um zu behaupten, dass die Zahl der Toten noch weiter zunehmen wird, falls es Frontex mit Hera III dieses Jahr tatsächlich spürbar gelingt, die Kanarischen Inseln abzuschotten.

Gern ergeht man sich in Brüssel auch in Phrasen über die Schutzwürdigkeit von Flüchtlingen. Doch der EU-Mitgliedsstaat Spanien leistete nicht einmal der Marine I die erforderliche Seenotrettung. Spanien unterläuft in Mauretanien auch eigene Gesetze und enthält den Flüchtlingen mit seinem Vorgehen Rechte vor. Kritik daran gibt es aus Brüssel nicht und so kann der Vorgang als Beispiel für das angesehen werden, was in der EU als "enge Zusammenarbeit" mit den "Herkunfts- und Transitländern an den Süd- wie auch an den Ostgrenzen der EU" angesehen wird. Frontex dient der Vorverlagerung der Grenzen, um ohne größere Kontrolle und außerhalb des eigenen Rechtssystems Maßnahmen durchführen zu können, die in Europa nur schwer möglich wären.