Ein Sieg für Cicero, ein Sieg für die Pressefreiheit!?

Wenn "Politiker aller Parteien", Chefredakteure und andere (Un)verdächtige gemeinsam jubeln und Weihrauch verbreiten, sollte man misstrauisch sein, genauer hinsehen und das Kleingedruckte lesen

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Das Bundesverfassungsgericht hat in der Affäre Cicero zugunsten des Magazins und seines Chefredakteurs Wolfram Weimer geurteilt (1 BvR 538/06; 1 BvR 2045/06). Die Richter entschieden, es sei unzulässig, Redaktionen zu durchsuchen und Unterlagen zu beschlagnahmen, wenn die Behörden nur einen Informanten der Presse ermitteln wollen. Ein Journalist könne nicht wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat angeklagt werden, wenn er ein Dienstgeheimnis veröffentlicht habe.

Die Entscheidung des Gerichts war zu erwarten: Es hat nicht das juristische Rad neu erfunden, sondern bekräftigt nur die Grundsätze des Spiegel-Urteils aus dem Jahr 1966 und späterer Entscheidungen, die darauf fußen. Die juristischen Finessen sind im aktuellen Urteil jedoch so gewunden formuliert, dass kaum ein Laie den Kern des Problems gleich erkennt.

Die Presse ist zwar frei, die Pressefreiheit wird jedoch durch die allgemeinen Gesetze eingeschränkt (Dienstgeheimnisse und Medienzensur). Es ist daher den Strafverfolgungsbehörden prinzipiell nicht verboten, Privaträume von Journalisten oder Redaktionen zu durchsuchen, falls Vertreter der Presse im Verdacht stehen, selbst Straftaten begangen zu haben. So auch im Fall Cicero: Das Justizministerium Brandenburg argumentierte unter anderem, die Verletzung des Dienstgeheimnisses nach § 353 b StGB schränke die Pressefreiheit ein, "da Schutzgut der Strafvorschrift auch das Vertrauen der Allgemeinheit in die Verschwiegenheit amtlicher Stellen sei." Diese Argumentation ist geltendes Recht, im Zeitalter der Informationsfreiheitsgesetze jedoch etwas antiquiert.

Es ist nicht ganz korrekt, wenn Harald Neuber in Telepolis von einer "gesetzlichen Lücke" spricht, die die Staatsanwaltschaft ausgenutzt habe (Pressefreiheit: Die Hemmschwelle sinkt). Die Lücke ist immer da: Sie besteht aus der Pflicht der Justiz und der Strafverfolgungsbehörden, zwischen dem Interesse des Staates und dem der Öffentlichkeit abzuwägen. In den vergangenen Jahren haben Staatsanwaltschaft und Polizei immer wieder versucht, Journalisten einzuschüchtern, zum Teil mit sehr konstruiert klingenden Begründungen, indem sie die Arbeitsräume durchsuchten und Unterlagen beschlagnahmten. Fast immer wurde das von den Gerichten in höherer Instanz für Unrecht erklärt.

Das Bundesverfassungsgericht hat 1966 die Eckpunkte der Pressefreiheit eindeutig festgelegt: Die Staatsgeschäfte werden zwar von den dafür zuständigen Organen geführt, unterstehen aber "der ständigen Kritik oder Billigung des Volkes". Diese Kritik wird von der Presse wahrgenommen; die also ein Element der staatlichen Ordnung ist und im Namen des Volkes handelt. Das gilt auch für den "Verrat" von Staatsgeheimnissen: "Dabei ist im Einzelfall die Bedeutung der mitgeteilten Tatsachen usw. sowohl für den potentiellen Gegner wie für die politische Urteilsbildung des Volkes zu berücksichtigen; die Gefahren, die der Sicherheit des Landes aus der Veröffentlichung erwachsen können, sind gegen das Bedürfnis, über wichtige Vorgänge auch auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik unterrichtet zu werden, abzuwägen." (AZ 1 BvR 586/62, 610/63 und 512/64)

Zur Pressefreiheit gehört, dass der Staat nicht in die Vertraulichkeit der redaktionellen Arbeit eingreifen darf und dass die Vertrauenssphäre zwischen den Medien und ihren Informanten garantiert bleiben muss. "Eine Durchsuchung in Presseräumen stellt wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit und der Möglichkeit einer einschüchternden Wirkung eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit dar (vgl. zuletzt BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 1.Februar 2005 -1 BvR 2019/03 -, NJW 2005, S. 965). Auch können potentielle Informanten durch die begründete Befürchtung, bei einer Durchsuchung könnte ihre Identität festgestellt werden, davon abgehalten werden, Informationen zu liefern, die sie nur im Vertrauen auf die Wahrung ihrer Anonymität herauszugeben bereit sind."

Will jemand die Pressefreiheit einschränken, muss er drei große Hürden überspringen, die die höchsten Richter errichtet haben:

  1. Die Maßnahmen müssen "geeignet" sein, etwas zu erfahren. Das war im Fall Cicero ohnehin nicht der Fall. "Nach Auffassung des IT-Sicherheitsbeauftragten [des BKA, B.S.] lasse sich nur mit mehr Informationen über den S[chirra]. vorliegenden Bericht dessen Versendungsweg 'etwas näher bestimmen' und 'eventuell auch der zugriffsberechtigte Personenkreis etwas eingrenzen." Genaues wusste man also nicht, und es war auch nicht klar, ob man durch die Beschlagnahme der Rechner und anderer Unterlagen überhaupt etwas hätte erfahren können.
  2. Die Maßnahmen müssen "erforderlich" sein. Das Bundesverfassungsgericht hat den Brandenburger Justizbehörden im aktuellen Fall eine schallende Ohrfeige verpasst, die sich hinter einem etwas kryptisch klingen Satzungetüm verbirgt: "Da die Entscheidungen schon mangels eines die Durchsuchung und Beschlagnahme bei einem Medienangehörigen rechtfertigenden Verdachts verfassungsrechtlich keinen Bestand haben können, bedarf es keiner Erörterung, ob die Anordnung von Durchsuchung und Beschlagnahme insgesamt oder in bestimmter Hinsicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprochen hat." Ganz einfach: Die Richter wollten sich keine Gedanken darüber machen, ob und was man hätte durchsuchen oder mitnehmen dürfen. Wenn jemand ein Geheimnis verraten hatte, war das geschehen, indem der Informant es dem Journalisten offenbarte. Damit war die Tat, wenn sie denn eine war, schon beendet. Daher konnte eine "Beihilfe zum Geheimnisverrat danach gar nicht mehr geschehen.
  3. Die Maßnahmen müssen "verhältnismäßig" sein. Das ist vage, aber unstrittig die höchste Hürde. Die Strafverfolger werden aber immer wieder versuchen, diese zu überspringen, weil man immer erst im nachhinein weiß, ob man mit den Maßnahmen gegen die Medien einen wie auch immer gearteten Fahndungserfolg hatte. Und sie werden vor dem Bundesverfassungsgericht immer wieder scheitern.

Aber ist das Urteil ein Sieg für die Pressefreiheit? Ja und nein: Das Bundesverfassungsgericht hat die eigentlich interessante Frage weder beantwortet, noch hat sie jemand gestellt. Die Väter des Grundgesetzes haben die Bedeutung der Pressefreiheit zu einer Zeit definiert, als noch ganz klar war, wer dazu gehörte. Standard waren angestellte Redakteure in den öffentlich-rechtlichen Anstalten und in den Verlagen. So war es auch nur zur Zeit des Spiegel-Urteils. Der Staat darf nicht bestimmen, wer zur Presse gehört und wer nicht. Ein hartnäckiges Vorurteil besagt, dass es in Deutschland einen "staatlich anerkannten" Presseausweis gäbe. Das ist definitiv nicht der Fall, sondern die Eigenwerbung bestimmter Verbände, die ein Gentlemen's Agreement mit der Innenministerkonferenz getroffen haben, dass ihre Ausweise ohne weiteres Überprüfen von den Behörden akzeptiert werden.

Wer die Presse ist, definiert die Presse selbst. Die jedoch ist sich nicht einig über die Kriterien. Niemand hat sich bisher erkühnt, die Kontoauszüge derjenigen, die sich als Journalist bezeichnen, zu überprüfen, ob 51 Prozent der Einkünfte aus eben dieser Arbeit stammen, um das viel zitiert "Hauptberufliche" zu beweisen.

Für wen das Urteil zugunsten der Pressefreiheit gilt, wer also der begünstigte Personenkreis ist, bleibt ebenso unklar. Gilt es auch für Blogger, die von den Mieteinnahmen ihrer Häuser oder der wohlhabenden Ehefrau leben? Für schreibende Oberstudienräte und RentnerInnen, die in ihrer Freizeit ihrem journalistischen Hobby nachgehen? Für alle interessierten Bürger, die die Informationsfreiheitsgesetze der Länder nutzen, weil man mit denen mehr Informationen bekommen kann als mit den Pressegesetzen? Für Forumsbeiträge bei Telepolis, die die Fehler der Autoren sachkundig korrigieren?

Für alle, die journalistisch arbeiten, gilt schon lange der Satz: Man kann niemandem trauen und sich auch auf die Rechtsprechung nicht verlassen, solange das Verfahren in den unteren Instanzen schwebt. Man muss den Informanten im Sinne der Pressefreiheit garantieren, dass man mit ihren Informationen professionell umgeht, auch wenn polizeiliche Maßnahmen drohen. Hier hat Cicero - und nicht nur dieses Magazin – im Vorfeld kläglich versagt. Chefredakteur Wolfram Weimer erklärte lediglich: "Wir schützen unsere Autoren und Informanten." Das ist nur begrenzt wahr: Bei Cicero hat man vermutlich keine Ahnung von verschlüsselten E-Mails, gar Festplatten oder anonymen Surfen. Das Bundesverfassungsgericht ist schon erheblich moderner. Man benutzt dort Pretty Good Privacy, "was von generellem Nutzen für Ihre Privatsphäre sein dürfte". Das gilt nicht nur für das gemeine Volk, sondern insbesondere für Journalisten, die im Namen des Volkes recherchieren.

Burkhard Schröder ist Chefredakteur des unabhängigen Medienmagazins Berliner Journalisten